Freitag, 7. August 2020

Vor 300 Jahren: Als die erste Spekulationsblase der Geschichte platzt.

 

aus spektrum.de, 7. 8. 2020

Mississippi-Blase 1720 – das Jahr des ersten großen Crashs

Als der »Sonnenkönig« stirbt, braucht das bankrotte Frankreich dringend ein Wirtschaftswunder. Es kommt in Form John Laws, Spieler, Dandy und Finanzgenie. Er bläst in Paris die größte Spekulationsblase auf, die die damalige Welt je gesehen hat.

Es müssen surreale Szenen gewesen sein, die sich in jenen spätsommerlichen Wochen in Paris abspielten. Keine drei Jahre war es her, dass Frankreich vor dem Staatsbankrott gestanden hatte, die Wirtschaft am Boden, ein Großteil der Bevölkerung verarmt und in Elend. Nun, im September 1719, erfasste ein Kaufrausch die Stadt an der Seine. Der englische Kaufmann Daniel Defoe, der wenige Monate zuvor seinen Erstlingsroman »Robinson Crusoe« anonym veröffentlicht hatte, schrieb perplex in die Heimat: »Man sieht 800 neue Kutschen in Paris, und die reich gewordenen Familien kaufen neues Tafelsilber, neue Möbel, neue Gewänder und eine neue Equipage, so dass hier ein ganz gewaltiger Handel herrscht.« Auch der englische Politiker Daniel Pulteney wurde Zeuge dieses Schauspiels: »Gestern hörte ich, dass ein Geschäft in weniger als drei Wochen Spitze und Leinen für 800 000 Livres abgesetzt hat – und das hauptsächlich an Kunden, die zuvor nie Spitze trugen«, schrieb der Brite. »Die täglichen Berichte dieser Art klingen dermaßen außerordentlich, dass man sie im Ausland kaum glauben wird.« Aus gutem Grund, wie sich bald schon zeigen sollte. Denn der märchenhafte Wohlstand, der vielen Franzosen und Ausländern innerhalb von Monaten in den Schoß gefallen war, stand auf tönernen Füßen.

Was kaum jemand ahnte: Paris befand sich mitten in einer der größten Spekulationsblasen der Geschichte, aufgepustet von einem zwielichtigen Mann, der erst wie ein Erlöser gefeiert wurde und sich bald darauf bei Nacht und Nebel aus dem Land stehlen musste. Das nahezu zeitgleiche Platzen der französischen Mississippi-Blase und der von ihr beeinflussten Südseeblase in England lösten 1720 in Europa die erste große Finanzkrise aus – mit weit reichenden Folgen.

Der erste Dominostein war bereits zwei Jahrzehnte zuvor gefallen. Am 1. November des Jahres 1700 war König Karl II. von Spanien kurz vor seinem 39. Geburtstag im königlichen Palast zu Madrid gestorben. Karl war der letzte spanische Herrscher aus der Dynastie der Habsburger, und er war kinderlos. Doch der König, der weder körperlich noch geistig als gesund galt, hatte Philipp, den Herzog von Anjou, bereits zum Nachfolger bestimmt. Das Problem: Philipp stammte aus dem Haus der Bourbonen, genau wie sein in Versailles herrschender Großvater Ludwig XIV., der Frankreich zur mit Abstand stärksten und einflussreichsten Großmacht des Kontinents gemacht hatte. Nun sollten auch noch Spanien mitsamt seinem gewaltigen Kolonialreich sowie die zur spanischen Krone gehörenden Herrschaften über Sardinien und Süditalien in die Hände der Bourbonen fallen.

Der Erbfolgekrieg drängt die Staaten an den Rand des Ruins

Zu denen, die eine solche Machtkonzentration Frankreichs nicht akzeptieren konnten, zählten sowohl der Habsburger Leopold I., Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, als auch England, das seine eigenen Hegemonialansprüche gefährdet sah. So kam es 1701 zum Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs, der sich über weite Teile Europas erstreckte und sogar in der Neuen Welt ausgetragen wurde. Als nach 13 Jahren die Waffen endlich schwiegen, wurde ein Friede geschlossen, mit dem sich die beteiligten Großmächte gut arrangieren konnten. Die Bourbonen behielten die spanische Krone, das Haus Habsburg gewann die Österreichischen Niederlande und Gebiete in Italien. Und England verleibte sich nicht nur den wichtigen Stützpunkt Gibraltar sowie die Insel Menorca ein, sondern konnte auch seinen Status als führende See- und Handelsmacht weiter ausbauen. Der Preis dieser Erfolge war jedoch hoch – und zwar buchstäblich.

John Law of Lauriston 

John Law of Lauriston | Durch seine Gewandtheit auf dem gesellschaftlichen Parkett gelangte der Ökonom, der seine Jugend als Dandy und Spieler verbrachte, in die höchsten Kreise der französischen Gesellschaft.

England und insbesondere Frankreich hatten sich durch den Spanischen Erbfolgekrieg finanziell nahezu ruiniert und astronomisch hohe Schuldenberge angehäuft. Als Folge rutschte Frankreich in eine wirtschaftliche Rezession, unter der das ganze Volk litt. Der Ökonom Nicolas Dutot (1684-1741) schrieb rückblickend: »Der Handel war zerstört, der Konsum auf die Hälfte geschrumpft, und die Bebauung des Bodens wurde vernachlässigt. Die Menschen waren unglücklich, und die Bauern schlecht gekleidet und ernährt […] Den Adligen ging es nicht besser. Sie waren durch Steuern und Kriegskosten ruiniert und erhielten keine Einnahmen mehr vom König.« Die Lage war dramatisch: Im Jahr 1715 verzeichnete der französische Staat eine stetig wachsende Schuldensumme von geschätzt zwei bis drei Milliarden Livres. In einer Zeit, in der hoch verschuldete Staaten noch unüblich waren, konnte das nur eines bedeuten: Der Fiskus musste so schnell wie möglich seine finanziellen Altlasten loswerden, um das Land vor dem Bankrott zu retten. Aber wie sollte es jemals gelingen, diese exorbitante Summe zu begleichen? Ein Mann aus Schottland bot eine Lösung, die ihn in den Augen vieler Zeitgenossen als Genie erscheinen ließ.

Sein Name: John Law. Über ein Jahrhundert später wird Karl Marx diese schillernde Persönlichkeit als Mischung aus Schwindler und Prophet charakterisieren. Und Joseph Schumpeter, einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, stellt ihn »in die erste Reihe der Geldtheoretiker aller Zeiten«.

Zunächst aber tritt John Law als Spieler in den Pariser Salons in Erscheinung. 1671 als Sohn eines wohlhabenden Goldschmieds in Edinburgh geboren, erbt der Jugendliche ein beträchtliches Vermögen. Der Schotte geht nach London, wo er das Leben eines Dandys führt und an den Spieltischen in kurzer Zeit sein väterliches Erbe verschleudert. 1694 kommt es zur Zäsur: Law tötet in einem Londoner Park einen jungen Mann im Duell. Ging es wirklich um eine Frau, oder spekulierte der notorisch klamme Schotte darauf, dass sein Kontrahent das Gefecht scheuen und den Streit mit Geld beilegen würde? Law wird kurz darauf verhaftet und zum Tode verurteilt.

Laws Grundidee: Nur wenn genügend Geld kursiert, kann es mit der Wirtschaft bergauf gehen

Doch unter ungeklärten Umständen gelingt ihm die Flucht aus dem King's Bench Prison, und er rettet sich vor der englischen Justiz auf das Festland. Es folgt in den kommenden Jahren ein Nomadenleben zwischen den europäischen Metropolen. Der verurteilte Mörder wird zu einem professionellen und erfolgreichen Spieler, der mit einigen der reichsten und bedeutendsten Personen seiner Zeit am Spieltisch sitzt. Gleichzeitig bringt Law sich selbst die Gesetze der Ökonomie bei und entwickelt ein eigenes monetäres System, das er 1705 in dem Buch »Money and Trade Considered – With a Proposal for Supplying the Nation with Money« (Betrachtungen über Geld und Handel – Mit einem Vorschlag, wie die Nation mit Geld versorgt werden kann) darlegt.

Das de facto bankrotte Frankreich nutzt die einzige Chance

Mehreren europäischen Regierungen bietet der Schotte an, die Staatsfinanzen nach seinem System zu reformieren, keine zeigt Interesse. Doch dann, am 1. September 1715, schlägt Laws Stunde. An diesem Tag stirbt nach 72-jähriger Herrschaft König Ludwig XIV. in Versailles und hinterlässt das wirtschaftlich zerrüttete Land seinem Urenkel, Ludwig XV. Da der neue Monarch erst fünf Jahre alt ist, übernimmt ein Neffe des Sonnenkönigs, Philipp II. von Orléans, die Regentschaft für das Kind. Philipp ist ein Freund und Gönner John Laws, den er aus den Pariser Spielsalons kennt und von dessen Ideen der Herzog von Orléans fasziniert ist. Er wird dem Schotten endlich die Chance geben, die Theorien in der Praxis zu erproben, um Frankreich aus dem Schuldensumpf zu ziehen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Law geht davon aus, dass eine Volkswirtschaft profitiert, wenn möglichst viel Geld im Umlauf ist. Denn je größer die Geldmenge, desto günstiger ist es, sich welches zu leihen, was wiederum Investitionen erleichtert und so das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Die Menschen, so die Grundidee, sollten so schnell und unkompliziert wie möglich durch Kredite an viel Geld gelangen können, um es in wirtschaftliche Unternehmungen oder Konsummittel zu investieren. Doch um eine massive Ausweitung der Geldmenge zu erreichen, war es nötig, das bisherige Zahlungsmittel – Münzen aus Edelmetall – durch ein neues, beliebig reproduzierbares zu ersetzen: Papiergeld. John Law war nicht der Erfinder dieser finanzpolitischen Innovation, aber er war der Erste, der die Meinung vertrat, dass Papiergeld nur zu einem geringen Teil durch »reale« Werte wie Edelmetalle gedeckt sein müsse. Was Law vorschwebte, war eine französische Zentral- und Notenbank nach dem Vorbild der 1694 gegründeten Bank of England, die für alle wichtigen Entscheidungen bezüglich der Währung verantwortlich sein sollte. Da der Regent jedoch der teuren Gründung einer staatlichen Bank nicht zustimmte, schuf der schottische Ökonom 1716 kurzerhand eine private Notenbank, die Banque générale privée. Bald schon wurden die Druckerpressen angeworfen und Kredite in Form von Papiergeld vergeben. Nach und nach zog man die Münzen aus dem Verkehr und ließ die Franzosen stattdessen mit Scheinen bezahlen. 1717 wurden die Banknoten zum gesetzlich festgelegten Zahlungsmittel erklärt.

10 Livres tournoise 

10 Livres tournoise| Mit Papiergeld ließ sich mehr Geld in Umlauf bringen, selbst wenn die Gold- und Silbermenge stagnierte. Strittig war, wie viel Edelmetall dafür in Reserve gehalten werden musste.

Offenbar war die französische Regierung von Laws Taten und ihren Auswirkungen so angetan, dass sie bereits im kommenden Jahr seiner ursprünglichen Idee einer staatlichen Notenbank plötzlich sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Im Dezember 1718 wurde aus der Banque générale die Banque royale, die sich im alleinigen Besitz der französischen Krone befand. Unterdessen liefen die Notenpressen weiter auf Hochtouren, es wurden reichlich Kredite vergeben, für die Wertpapiere als Sicherheiten ausreichend waren. Laws Plan ging auf: Die Franzosen kamen leicht an frisches Geld, und die Wirtschaft erblühte.

Reichtum aus den Druckerpressen

Der Schotte selbst schrieb Jahre später: »Es gab keine Bankrotte mehr in Frankreich, Industrie und Handel waren wiederhergestellt; die Manufakturen erhöhten ihre Produktion um das Zwei- bis Fünffache. Die Böden, die seit langer Zeit brach gelegen hatten, wurden wieder unter den Pflug genommen, alle Hände arbeiteten; man nahm sogar die Armen aus den Asylen heraus, um sie zu beschäftigen.« Freilich hatte Laws Plan eine Schattenseite: Die Überschwemmung des Marktes mit Geld und die explodierende Nachfrage nach Konsumgütern sorgten innerhalb eines Jahres dafür, dass sich die Preise aller Waren verdoppelten.

Das Prinzip war einfach: Man tauschte seine wertlosen Staatsanleihen gegen Aktien der Kompanie – und hoffte auf den großen Gewinn

Dennoch: John Law hatte Wort gehalten und der französischen Wirtschaft binnen kurzer Zeit neues Leben eingehaucht. Sein noch größeres Ziel, den Abbau der Staatsschulden, hatte er währenddessen nicht aus dem Blick verloren. Inspirieren ließ sich der Ökonom insbesondere von den großen englischen Handelsgesellschaften wie der East India Company oder der 1711 gegründeten South Sea Company. Diese waren gewinnorientierte und mehrheitlich in privater Hand befindliche Aktiengesellschaften, die jedoch mit staatlichen Privilegien ausgestattet und eng mit dem Staatsapparat verknüpft waren. Namentlich die South Sea Company hatte Jahre zuvor den britischen Staat um einen Teil seiner Schulden erleichtert. Ein Modell zum Nachahmen? Auch Frankreich besaß Gebiete in Nordamerika, und es besaß eine Handelsgesellschaft. Louisiana, so der Name des Überseeterritoriums, erstreckte sich über fast 5000 Kilometer entlang des Mississippi vom Golf von Mexiko bis ins heutige Kanada.

Eine Goldgrube, befand Law, deren schier unerschöpfliche Ressourcen und Potenziale man nur fördern müsse. 1717 wurde die französische Westindienkompanie als Compagnie d'Occident (Kompanie des Westens) neu gegründet. Bis heute ist sie auch unter dem Namen Mississippi-Kompanie bekannt. Sie hatte zwei Ziele: Sie sollte den Handel mit Louisiana entwickeln und Gewinne erwirtschaften. Vor allem aber sollte sie nach dem Vorbild der South Sea Company dabei helfen, den staatlichen Schuldenberg abzutragen.

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Aus Schuldverschreibungen werden Unternehmensanteile

Das Prinzip war denkbar einfach: Die Gläubiger konnten ihre Staatspapiere gegen Anteile der Kompanie eintauschen. Auf diese Weise verlor der Staat seine Schulden, während die Aktionäre bei steigenden Kursen und hohen Dividenden auf noch deutlich größere Gewinne spekulieren konnten, als ihnen bisher durch Zinsen in Aussicht standen. Je höher also das Interesse an den Aktien der Compagnie d'Occident war, desto mehr Schulden ließen sich konvertieren. Und das Interesse wiederum war geknüpft an den Glauben, dass die Handelsgesellschaft tatsächlich im Stande war, enorme Gewinne aus den französischen Gebieten am Mississippi zu holen. Eine Vorstellung, die von Law permanent genährt wurde.

Hatte bisher, anknüpfend an Karl Marx, bei dem Schotten noch das Prophetische dominiert, kam nun der Schwindler zum Vorschein. Der Ökonom nutzte seinen politischen Einfluss, um die Mississippi-Kompanie in den kommenden drei Jahren zu einem monströsen Konglomerat aufzublasen. Das Monopol für den Handel mit Louisiana wurde zügig auf sämtliche französischen Kolonien ausgeweitet. Bald besaß die Gesellschaft auch das königliche Privileg, Münzen zu prägen und Steuern einzutreiben. Eine solche Machtfülle allein hätte schon ausgereicht, um den Aktienkurs nach oben zu treiben. Hinzu kamen gezielte Manipulationen durch die Medien. Aus den Reihen der Kompanie wurden zahlreiche Zeitungsberichte lanciert, in denen Louisiana als ein gelobtes Land gepriesen wurde mit mildem Klima und ebenso reichem Wild- wie Gold-, Silber-, Kupfer- und sogar Smaragdvorkommen. In Wahrheit gab es dort nur wenig, was sich in klingende Münze umsetzen ließ. Um mehr Siedler in die Neue Welt zu locken und ihnen teuren Boden zu verkaufen, wurde 1718 die Stadt La Nouvelle Orléans, benannt nach Laws königlichem Gönner, gegründet. Bereits ein Jahr danach konnte man in der Zeitung »Nouveau Mercure« lesen, dass in New Orleans 800 Häuser stünden, zu denen jeweils ein Landbesitz mit der beeindruckenden Größe von 120 Morgen gehöre. Ein Reisender beschrieb die Stadt wenige Jahre später als ärmliche Ansammlung von ein paar Holzhütten.

Da Law nicht nur Chef der inzwischen in »Compagnie des Indes« (Kompanie beider Indien) umbenannten Handelsgesellschaft war, sondern auch weiterhin Direktor der Banque royale, konnte er leicht die Geldschleusen öffnen, um die Anteilseigner der Kompanie mit noch mehr Kapital zu versorgen. »Je mehr Wert die Aktien im Besitz eines Aktionärs hatten, umso mehr Kredit bekam er«, schreibt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. »Der Anstieg der Aktienkurse führte so zu weiterer Geldschöpfung, welche wiederum zu weiteren Aktienkäufen und damit zu einem weiteren Anstieg der Aktienkurse führte. Dies waren nun wirklich optimale Bedingungen für die Entwicklung einer spekulativen Blase.«

Eine Rendite von fast 2000 Prozent – binnen eines Jahres

So wundert es nicht, dass der Aktienkurs der Mississippi-Kompanie bald in fantastische Höhen schnellte, zusätzlich angefacht von immer neuen Aktienausgaben und irrwitzigen Dividendenankündigungen. Konnte man im Januar 1719 ein Wertpapier noch für 500 Livres kaufen, lag der Preis im Dezember bei knapp 10 000 und hatte sich damit innerhalb eines Jahres verzwanzigfacht. In der Pariser Rue Quincampoix, wo die Büros der Kompanie lagen, befand sich das Epizentrum der Aktienmanie. Hier herrschte ein tumultartiges Treiben. Während einige säckeweise das Geld abtransportierten, das sie durch den Verkauf ihrer Anteile erhalten hatten, drängten sich Menschen aus ganz Europa und aller Schichten in der engen Gasse, um irgendwie ein paar Wertpapiere zu erhaschen. Ein Angehöriger der britischen Botschaft berichtete von Fürsten und Herzögen, die ihre Landgüter und Juwelen verkauften, um vom Erlös Aktien zu erwerben.

Überhaupt konnte man sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals nur erstaunt die Augen reiben angesichts dessen, was der entflohene Sträfling Law im Nachbarland tat. Die Angst, von Frankreich wirtschaftlich abgehängt zu werden, war groß. Und so kopierte man mit der britischen South Sea Company, die einst Laws Vorbild gewesen war, kurzerhand dessen System und begann Anfang 1720, die gesamten Staatsschulden in Unternehmensanteile umzuwandeln, wobei sich die Company der gleichen fragwürdigen Methoden bediente, um das Interesse an ihren Aktien zu steigern. Mit Erfolg: Der Kurs der South Sea Company lag im Februar bei 130; bis August 1720 wird er auf seinen Höchststand bei über 900 Pfund klettern.

Laws Macht und Ansehen steigen mit dem Aktienkurs

Am 8. Januar stand John Law auf dem Gipfel seines Ruhms. An diesem Tag war der Kurs auf das Allzeithoch von 10 100 Livres gestiegen. Law war Direktor der französischen Notenbank, Chef des ersten diversifizierten Megakonzerns der Geschichte mit einem Wert von mehr als sechs Milliarden Livres und seit drei Tagen noch zusätzlich Finanzminister Frankreichs. Und er war geradezu sagenhaft reich. Ganz Europa sah in dem Schotten das größte lebende Finanzgenie.

Dann geschah etwas Seltsames.

Der Aktienkurs der Compagnie des Indes stieg nicht weiter an, er stagnierte. Vermutlich hatten viele Anleger den Zeitpunkt für günstig gehalten, um ihre Aktien zu verkaufen und die Gewinne einzustreichen. Vielleicht beschlich sie auch zunehmend die Ahnung, dass der Unternehmenswert in keiner Weise mehr die tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der Handelsgesellschaft widerspiegeln konnte. Um die Furcht vor einer noch stärkeren Überhitzung auszuräumen, ließ John Law den Kurs im März auf 9000 Livres fixieren. Doch dann beging der Schotte einen kapitalen Fehler: Um gegen die überhandnehmende Inflation vorzugehen, beschloss er am 21. Mai, den Wert der Aktien und der Banknoten zu halbieren. Seine Hoffnung war, dass sich der Kurs bei etwa 5000 Livres einpendeln würde. Er erreichte das Gegenteil. Wütende Menschen warfen der Banque royale die Fensterscheiben ein und forderten, dass man ihr Papiergeld wieder gegen Münzen eintausche. Auf einen Schlag hatte man in Frankreich das Vertrauen in das System Law verloren. Nach wenigen Tagen gab der Schotte dem Druck nach und nahm die Halbierung zurück, doch es änderte nichts: Die Blase war geplatzt.

Dem Aktienmarkt geht die Luft aus

In kürzester Zeit stürzte die Aktie von 9000 auf etwa 4000 Livres und fiel von da an kontinuierlich. Im Dezember 1720 erreichte der Kurs die Marke von 1000 Livres, da war die Mississippi-Kompanie schon seit Monaten zahlungsunfähig. Law hatte inzwischen seine Ämter verloren und war unter Hausarrest gestellt worden. Im September 1721 hatten die Aktien der Compagnie des Indes wieder ihren Ausgangswert von 500 Livres erreicht. Die Banque royale war zu diesem Zeitpunkt bereits abgewickelt.

Die Ereignisse in Frankreich und England lösen europaweit ein Finanzbeben aus

Zwar erging es der South Sea Company, die offiziell noch bis 1853 existierte, etwas besser, doch auch die britische Spekulationsblase platzte. Der rapide Anstieg des Company-Kurses hatte in England zu einem allgemeinen Aktienboom und zur Gründung zahlloser kleiner Aktiengesellschaften geführt. Als das britische Parlament dieser Entwicklung durch ein Gesetz Einhalt gebieten wollte, zogen viele Anleger ängstlich ihr Kapital aus dem Aktienmarkt; sie verursachten so auch den Kursabsturz der South Sea Company, die bereits Ende des Jahres 1720 ihren Wert vom Jahresanfang wieder erreichte.

Die Ereignisse, die sich in Frankreich und England abspielten, lösten ein Finanzbeben aus, das in ganz Europa spürbar war. An den Börsen von Lissabon über Amsterdam bis Hamburg gab es massive Kurseinbrüche, in der Schweiz kam es zu einer Bankenkrise. Das französische Volk war von John Laws Reformen so traumatisiert, dass es das Rad der Zeit zurückdrehte und das Papiergeld für einige Jahrzehnte wieder abschaffte.

Es gibt nicht nur Verlierer

Die Spekulationsblasen, die vor 300 Jahren Europa erschütterten, brachten unzählige Verlierer, jedoch ebenso viele Profiteure hervor. Isaac Newton, der sich noch im Frühjahr 1720 über die Aktienmanie mit dem Ausspruch mokiert hatte, er könne zwar den Gang der himmlischen Gestirne, nicht aber den Irrsinn der Menschen berechnen, ließ sich kurz darauf ebenso von der Aussicht auf astronomische Gewinne blenden wie viele andere – und verlor ein riesiges Vermögen. Der Buchhändler Thomas Guy wiederum verkaufte seine Wertpapiere rechtzeitig und wurde mit einem Schlag reich. Von dem Gewinn spendete er in London ein Krankenhaus, das bis heute seinen Namen trägt. Auch der französische König, dessen Anteile von 20 Prozent an der Compagnie des Indes fast zum Höchstpreis veräußert wurden, zählte zu den großen Spekulationsgewinnern. Letztlich scheiterten sowohl die Mississippi-Kompanie als auch ihr englisches Äquivalent daran, dass sie den Anlegern einen wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen in Aussicht stellten, der von Anfang an völlig unrealistisch war.

John Law und die Direktoren der South Sea Company hatten ein Gebilde aus Lügen und Täuschungen errichtet, um ihr Ziel zu erreichen. Am Ende waren Frankreich und England ihre Schulden zwar los. Doch das Vertrauen vieler Bürger in den noch jungen Finanzmarkt war nachhaltig erschüttert, und der Erfolg wurde mit dem Ruin zahlloser wirtschaftlicher Existenzen bezahlt – und zwar in ganz Europa.

Und Law? Er entschlüpfte abermals dem Arrest und verließ Frankreich heimlich, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Schon bald knüpfte er wieder an sein altes Nomadenleben an. 1729 starb der Schotte, der einer der mächtigsten Männer Frankreichs gewesen war, in bescheidenen Verhältnissen in Venedig.

 

Nota. - Die Blasse ist geplatzt, weil Law einen übereilten Schritt tat, an dme das Publikum das Vertrauen zu ihm verlor. Sie ist nicht etwas geplatzt, weil sich die Gewinne als viel niedriger erwiesen als versprochen! Musste aber das Vertrauen nicht auf jeden Fall schwinden, wenn früher oder später die hohen Erwartungen enttäuscht worden wären? Vielleicht, vielleicht auch nicht - das hängt von zu vielen Einzelumständen ab.

Die UFA hat 1932 mit Heinz Rühmann und Hans Moser unterm Titel Man braucht kein Geld eine Komödie gedreht, in der aus der irrigen Annahme, in Norddeutschland werde Öl gefun-den, eine allgemeine Prosperität erblüht. Als der Bluff schließlich herauskommt, halten alle Beteiligten zusammen und machen weiter wie gehabt: Die Firma hatte die Bohrungen längst aufgegeben und raffinierte und verkaufte heimlicht Öl, das sie billig aus der jungen Sowjetuni-on bezog; keiner hatte einen Schaden, alle waren's zufrieden. 

Man braucht kein Geld. Es reicht, wenn genügend Leute glauben, man hätte welches.

JE

 

 

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