Dienstag, 18. August 2020

Xi Jinping ist nicht mehr unantastbar.

aus FAZ.NET, 18.08.2020   Xi Jinping auf einem Bildschirm in Peking während einer Sitzung des Volkskongresses im Mai 2020
 
Das Seelenleben der Kommunistischen Partei Chinas 
China reagiert auf die Brandrede einer Dozentin der Hochschule der Kommunistischen Partei. Die hat schon früher klare Worte gefunden, jetzt geht sie Präsident Xi persönlich an. Mit ihrer Kritik steht sie nicht allein.
 
Von Friederike Böge, Qingdao

Jahrelang hat Cai Xia sich im Innern der Kommunistischen Partei für Reformen eingesetzt. Doch unter Xi Jinping verlor die pensionierte Jura-Dozentin der Zentralen Parteihochschule den Glauben an die Reformierbarkeit des Systems. Die Partei sei zu „einem politischen Zombie“ und einem „Instrument in den Händen eines Mafiabosses“ verkommen, sagte sie in einer privaten Ansprache, die im Juni als Audiodatei im chinesischen Internet zirkulierte, bevor sie gelöscht wurde. Da hatte die Juristin das Land bereits verlassen. Nach Angaben aus ihrem Umfeld hat sie sich in die Vereinigten Staaten abgesetzt.

Cai Xia

Nun hat die Führung in Peking reagiert: Die Zentrale Parteihochschule teilte am Montag mit, Cai Xia sei aus der Partei ausgeschlossen worden. Ihre Pensionsbezüge seien gestrichen worden. „Cai Xia hat Äußerungen gemacht, die politisch hochproblematisch waren und dem Ruf des Landes geschadet haben“, hieß es zur Begründung.

Ihre Rede gibt Einblicke in das Seelenleben einer Partei, aus der wegen ihrer strikten Verschwiegenheit sonst wenig herausdringt. Unklar ist, ob Cais Äußerungen für die Öffentlichkeit gedacht waren. In Peking heißt es, sie habe ihre Kritik zunächst nur im privaten Kreis geäußert, bis diese im Mai „nach außen gedrungen“ sei.

Cai Xia entstammt einer Familie ranghoher Militärs. Ihr Großvater verdiente sich an der Seite Mao Tse-tungs seine Revolutionsmeriten. Damit gehört die Enkelin zum sogenannten roten Adel. Sie studierte an der Zentralen Parteihochschule, an der sie später mehr als 30 Jahre lang selbst Parteikader ausbildete und für ihre Theoriebildung ausgezeichnet wurde. Schon in früheren Jahren machte die Juristin mit klaren Worten von sich reden. Als 2016 ein junger Umweltaktivist nach seiner Festnahme starb und die beteiligten Polizisten nicht verurteilt wurden, schrieb Cai Xia, die Behörden hätten damit ihr letztes bisschen Glaubwürdigkeit verloren. Immer wieder beklagte sie einen Mangel an Debatten und an Kritikfähigkeit innerhalb der Kommunistischen Partei.

Cai Xias Rede vom Mai ging allerdings weit darüber hinaus: Darin rief sie den Ständigen Ausschuss des Zentralkomitees zum Sturz Xi Jinpings auf. Dieser habe sich unter Missachtung der Parteistatuten illegal eine unbegrenzte Amtszeit gesichert. Das ist derzeit wieder Thema, weil im Jahr 2022 Xis reguläre Amtszeit auslaufen würde. Cai sagte weiter, die von Xi Jinping betriebene Re-Ideologisierung aller Lebensbereiche sei „grotesk“. Alle Parteimitglieder würden gezwungen, Reden und Texte des Machthabers zu studieren, als handele sich um heilige Schriften, obwohl sie „keinerlei Logik haben“. Zudem beklagte Cai Xia, dass das Land die Kulturrevolution niemals richtig aufgearbeitet habe. Die Ideologie, die die damaligen Verbrechen ermöglicht habe, bestehe fort, so dass ein Rückfall zu befürchten sei.

Xi hat sich viele Feinde gemacht

Es ist nicht neu, dass es in den Reihen einst einflussreicher Parteifamilien großen Unmut über den gegenwärtigen politischen Kurs gibt. Xi Jinping hat sich in der Politelite viele Feinde gemacht. Er hat die Macht in seinen Händen konzentriert, Rivalen verhaften lassen und andere von den Fleischtöpfen vertrieben. Er hat sich in der Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik von zahlreichen Dogmen Deng Xiaopings verabschiedet, die von liberaler gesinnten Parteizirkeln hochgehalten wurden. Der Personenkult um ihn stößt vielen übel auf. Viele machen Xi Jinping zudem für die aktuelle Konfrontation mit Amerika mitverantwortlich, die an ihrem globalen Selbstverständnis und an ihren Geschäftsinteressen rüttelt.

Cai Xia zeigte sich am Montag hocherfreut über ihren Parteiausschluss. Aus ihrem amerikanischen Exil schrieb sie an Freunde, sie fühle sich „rein“, weil sie mit der „Bande“, der Partei, nicht länger verbunden sei. Um ihren Anspruch auf Pension nach 43 Jahren Arbeit werde sie aber vor Gericht kämpfen.

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