Man gewinnt den Eindruck, Scholz lebt in einem parallelen Deutschland
In der traditionellen Neujahrsansprache betet der neue Bundeskanzler
Olaf Scholz die gewohnten Floskeln herunter. Und dennoch gewinnt man den
Eindruck, dass Scholz bei zentralen Fragen mehr als nur ein Plan fehlt.
Das ist äußerst bedenklich.
Zu
Beginn der Koalitionsverhandlungen hatte Olaf Scholz versprochen, nicht
Angela Merkel, sondern er werde die traditionelle Neujahrsansprache des
Regierungschefs halten. Das Versprechen immerhin hat er eingelöst. Noch
besser wäre es gewesen, Scholz hätte versprochen, die Ansprache
abzuschaffen. Was soll denn in einer solchen Rede schon Neues stehen?
Wäre
Scholz länger Kanzler, er würde das wiederholen, was er in diversen
Bundestagsreden gesagt hat; da er eigentlich noch gar nicht angefangen
hat zu regieren, kann er nur wiederholen, was im Ampelkoalitionsvertrag
steht.
Und so kommt dabei eine Rede heraus, die man als
Langeweile, mit Floskeln garniert bezeichnen kann. Die Floskeln sind:
„Herausforderungen entschlossen annehmen, alle zusammen anpacken,
riesige Solidarität, überwältigende Hilfsbereitschaft, neues
Zusammenrücken, starke Gemeinschaft, Respekt voreinander, schnell und
entschlossen reagieren, Jahrzehnt des Aufbruchs, ehrgeizige Ziele,
massive Investitionen neuen Wohlstand, gute Arbeitsplätze, Gemeinschaft,
Respekt, Anerkennung und gute Lebenschancen für alle, Fortschritt für
eine bessere Welt, Europa, gemeinsame Werte, Frieden,
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, eine neue Zeit, aktiv gestalten,
unser Schicksal entschlossen selbst in die Hand nehmen, zusammen
bleiben.“
Hier wird ein Plan verlangt. Und der fehlt.
Die
Langeweile lautet im ersten Teil der Rede: Lassen Sie sich bitte
impfen. Im zweiten Teil die Kurzfassung des Ampelprogramms: Deutschland
Klimaneutral bis 2045, 12 Euro Mindestlohn, souveränes Europa,
transatlantische Partnerschaft. Wir schaffen das. Ach nein, das war die
vorige Amtsinhaberin.
Wir
werden es aber nicht schaffen, wenn wir uns an das halten, was Scholz
sagt. Nehmen wir die Ankündigung eines fossilfreien Energiesektors bis
2045: „Wir werden uns in diesem Zeitraum unabhängig machen von Kohle, Öl
und Gas“, so Scholz. „Und gleichzeitig mindestens doppelt so viel Strom
als heute aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energien erzeugen.“
Heute
decken diese erneuerbaren Energiequellen etwa 45 Prozent unseres
Strombedarfs. Eine Verdoppelung würde bedeuten, dass sie im Jahre 2045
90 Prozent unseres jetzigen Strombedarfs decken. Dabei steigt der Strombedarf
nach Expertenberechnungen um 50 Prozent. Aus welchen Quellen will
Scholz diese Lücke schließen? Gut, das kann ihm egal sein, er wird dann
nicht mehr Kanzler sein.
Uns
kann das aber nicht egal sein. Neujahr hin und her: Hier wird mehr
verlangt als „alle gemeinsam miteinander zusammen geschlossen anpacken“.
Hier wird ein Plan verlangt. Und der fehlt.
Das Land ist nicht gespalten? Wo lebt Scholz denn?
Ebenso
wie ein Plan fehlt, wie man die Impfquote steigert. Einfach einen
General einsetzen, um die Kampagne zu managen, reicht nicht. Man führt
ja keinen Krieg gegen das Virus. Man muss ja die Menschen überzeugen.
Wenn Scholz fast beschwörend meint, das Land sei nicht gespalten,
das Gegenteil sei richtig, er erlebe überall „eine riesige Solidarität,
überwältigende Hilfsbereitschaft, ein neues Zusammenrücken und
Unterhaken“, dann lebt er, wie bei der Energieerzeugung, in einem
parallelen Deutschland.
Das
ist aus verschiedenen Gründen bedenklich. Denn in Sachen Corona wird es
wohl diese Regierung sein, die nach dem Abebben der Pandemie mit den
tatsächlichen Rissen in der Gesellschaft und der Entfremdung eines zwar
nicht riesigen, aber doch großen Teils der Bevölkerung von den
Regierenden zu tun haben wird. Pfeifen im Wald ist da eher
kontraproduktiv.
Zu sagen, Scholz habe eine Gelegenheit
versemmelt, etwas Gehaltvolles zu sagen, wäre unfair. Er hatte die
Gelegenheit gar nicht. Die Neujahrsansprache soll ja möglichst
nichtssagend sein und niemandem die Stimmung verderben.
Wer, wie
wir Journalisten, genau hinhört und sich über Ungereimtheiten ärgert,
ist selber schuld. Ja, aber wenigstens ein paar neue Floskeln hätten es
sein können, oder? Andererseits: Wieso? Wir gucken auch jedes Jahr
„Dinner for One“ und verlangen auch nicht, dass Freddie Frinton über
etwas anderes stolpert als einen Tigerkopf. Also: Same procedure as
every year. Skol!
Nota. - Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich auf meinem Blog einmal den Leitartikel aus Axel Springes Welt wiedergeben würde. Aber dass Scholz einmal Bundeskanzler würde, habe ich mir auch nicht träumen lassen. Doch nachdem sich die Union als gestaltende Kraft aus dem politischen Geschäft genommen hat, kann eine scharfe Mitte nur noch von dieser Koalition erhofft werden. Muss man wohl auch dafür in einer Parallelwelt spinnen?
Sensibilität darf man erbitten im privaten Umfeld von Menschen, die einem nahestehen. De-nen kann und darf man dort bei Nichtgefallen aus dem Weg gehen. Wer einem im öffentlichen Raum begegnet, kann man sich nicht aussuchen, den muss man nehmen wie er ist; und vice versa. Dort muss man sich mit Korrektheit zufriedengeben. Wenn nicht, muss man eben zu-hausebleiben.
aus derStandard.at, 21. 12. 2021 Diese "Perlen" aus Straußeneierschalen lieferten dem Forschungsteam neue Informationen über prähistorische Netzwerke in Afrika.
Ältestes Netzwerk
Schmuck aus Straußeneiern zeigt, wie vernetzt Menschen vor 50.000 Jahren waren
Aus der Analyse von
Perlenscheiben geht hervor, dass starke Regenfälle womöglich den
kulturellen Austausch zwischen Bevölkerungsgruppen in Afrika
einschränkten
Kultureller Austausch und der Handel mit Ressourcen prägen den
Menschen schon seit geraumer Zeit. Das ist durch archäologische
Forschung bekannt: Sie rekonstruiert mögliche Handelsrouten und
Zusammenhänge anhand von Artefakten. Sie sind zwar nicht so gesprächig
wie schriftliche Aufzeichnungen, liefern aber dennoch wertvolle
Indizien. Ihr Material kann verraten, aus welcher Region ein Rohstoff
stammt. Bernstein beispielsweise ist typisch für den Bereich rund um die Ostsee. Und gewisse Techniken und Abbildungen lassen sich ebenfalls lokal eingrenzen.
In
diesem Kontext liefert eine aktuelle Studie spannende Neuigkeiten über
den großflächigen Austausch von Schmuckobjekten – oder ihrer
Herstellungstechnik – vor 50.000 Jahren. Das dokumentieren die
Forscherinnen Jennifer Miller und Yiming Wang vom Max-Planck-Institut
für Menschheitsgeschichte in Jena in ihrer aktuellen Studie im Fachjournal "Nature".
Das Objekt ihrer Analyse sind scheibenförmige Perlen, die aus den
Eierschalen von Straußenvögeln hergestellt wurden. Sie sind
unmissverständlich menschengemacht; dass sie zufällig entstehen, ist –
im Gegensatz zu anderen Objekten aus Stein, Holz oder Muscheln, die
vermutlich von Menschenhand bearbeitet wurden – ausgeschlossen. Außerdem
unterscheidet sich der Straußenschalenschmuck stilistisch, wenn man
etwa Durchmesser des Lochs und der ganzen Scheibe vergleicht oder die
Dicke des Objekts. So lassen sich relativ gut auch kulturelle
Verbindungen nachvollziehen.
Eierschalendatenbank
Auf dieser Grundlage berichten Miller
und Wang von einer Verbindung zwischen Populationen im Süden und im
Osten des afrikanischen Kontinents. "Es ist, als würden wir einer Spur
von Brotkrumen folgen", sagt Jennifer Miller. "Die Perlen sind Indizien,
die über Raum und Zeit verstreut sind und nur darauf warten, bemerkt zu
werden."
Diese Arbeit kostete sie mindestens zehn Jahre des Zusammentragens
von Forschungsergebnissen. Die Forscherinnen stellten die bisher größte
Datenbank zu diesen besonderen Anzeichen für Schmuck zusammen. Mehr als
1.500 Eierschalenscheibchen wurden an 31 Orten in Afrika entdeckt und in
die Analyse einbezogen.
Austauschrouten über 3.000 Kilometer
Der Vergleich zeigte,
dass im südlichen und östlichen Bereich des Kontinents im Zeitraum von
vor 50.000 bis vor 33.000 Jahren offenbar eine sehr ähnliche Kultur und
ein Austausch vorherrschte. Man könnte also von einem sozialen Netz oder
Handels- und Austauschrouten sprechen, die eine Strecke von mehr als
3.000 Kilometern überwanden. Hier stießen Forschende auf quasi
identische Perlenscheiben.
"Das Ergebnis ist überraschend, aber das Muster ist klar", sagt
Yiming Wang. "Im Zeitraum von 50.000 Jahren, den wir untersuchten, ist
das die einzige Periode, in der die Charakteristika der Perlen gleich
sind." Man könnte die betreffenden Regionen in dieser Phase also als
ältestes erwiesenes soziales Netzwerk bezeichnen.
Interessanterweise gibt es weitere Merkmale, die in diesem Zeitraum
vorherrschten, wie ein Blick auf die Klimabedingungen zeigt. Damals
dürfte es in Ostafrika besonders feucht gewesen sein – danach gingen die
Niederschlagsmengen aber stark zurück. Der tropische Regengürtel
wanderte in Richtung Süden.
Überschwemmungen mit sozialen Folgen
Welche Konsequenzen
hatten diese Veränderungen des Klimas? Der Studie zufolge war vor allem
das Verbindungsgebiet zwischen Ost- und Südafrika betroffen, in dem sich
auch das Einzugsgebiet des Sambesi-Flusses befindet. Der Sambesi ist
der viertlängste Fluss Afrikas, heutigen Ländergrenzen entsprechend
durchfließt oder begrenzt er die Länder Sambia, die Demokratische
Republik Kongo, Angola, Namibia, Simbabwe und Mosambik.
In dieser Großregion dürfte es damals zu stärkeren Regenfällen
gekommen sein, die immer wieder Flussufer überschwemmten. Dies könnte zu
geografischen Barrieren geführt haben, die auch Folgen für den sozialen
Austausch hatten. Den archäologischen Recherchen zufolge ist im
Zeitraum danach jedenfalls nicht mehr dieselbe Ähnlichkeit in Sachen
Perlenschmuck zu beobachten.
Die beiden Forscherinnen kombinierten die Information, die indirekte
Klimaanzeiger lieferten, mit Klimamodellen und ihren archäologischen
Daten. "So können wir die Verbindung zwischen Klimaveränderungen und
kulturellem Verhalten erkennen", sagt Wang.
Kleine Perlen, große Zusammenhänge
Die Forschungsarbeit
liefert ein wichtiges Puzzlestück zur Frage, wann und wo sich
verschiedene Populationen des modernen Menschen zusammengetan und
ausgetauscht haben, und wie sich unterschiedliche Kulturen ausbildeten.
Aus der Analyse von sehr alten DNA-Spuren konnte bereits
geschlussfolgert werden, dass sich verschiedene genetische Linien des
Homo sapiens in dieser Region vor 350.000 bis 70.000 Jahren trennten. Es
wurden also einzelne genetische Unterschiede aufgespürt. Vor etwa 2.000
Jahren näherten sich die Populationen wieder einander an – gleichzeitig
etablierte sich im Süden Afrikas übrigens auch die Viehzucht.
Die Schmuckartefakte deuten allerdings darauf hin, dass dies die
Gruppen nicht davon abhielt, in kulturellen oder wirtschaftlichen
Austausch zu treten. Die erstellte Straußeneischmuck-Datenbank könnten
auch für zukünftige Forschungsprojekte hilfreich sein, sagt Miller:
"Diese winzigen Perlen liefern die Möglichkeit, große Geschichten aus
unserer Vergangenheit zu enthüllen." (sic.)
Sie hat ihr Päckchen für Deutschland getragen; die CDU hat sie mitgeschleift. Und als es ernst wurde, hat man sie - na, nicht desavouiert, aber auch nicht unterstützt. Schließlich hat sie sich gesagt: Der ...haufen verdient es nicht, sich für ihn ein Bein auszureißen. Solln sie zusehn, wo sie bleiben. Und ganz still hat sie dazugedacht: Die hatten doch wirklich den Merz ver-dient.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich dagegen ausgesprochen, die
Betriebserlaubnis für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 mit den
Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise zu verknüpfen. „Es
handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privat-wirtschaftliches
Vorhaben“, sagte er in der Nacht zu Freitag nach dem EU-Gipfel in
Brüssel.
Für die Inbetriebnahme sei nun noch in einem Teilaspekt
die Übereinstimmung mit europä-ischem Recht zu klären. „Darüber
entscheidet ganz unpolitisch eine Behörde in Deutschland“, betonte der
SPD-Politiker. Dies sei „eine andere Frage“ als die aktuellen Bemühungen
darum, eine Verletzung der ukrainischen Grenzen zu verhindern. ...
Als die neue Außenministerin ankündigte, ihre Regierung werde im Unterschied zur Vorgängerin eine entschiednere Haltung gegenüber China und Russland annehmen, befürchtete mancher, sie nähme den Mund zu voll. Und prompt bekommt Frau Baerbock von ihrem Chef eine Ohrfeige.
Schröder und Putin applaudieren: "Rein privatwirtschaftlich; ganz unpolitisch!"
aus FAZ.NET, 24. 12. 2021 Diesen Potsdamer erwartet ein gewisses Diskriminierungsrisiko. Aber ist er dann ein Opfer von Rassismus?
Was ist eigentlich Rassismus?
Von positiven und negativen Akzeptanzwerten: Eine soziologische
Untersuchung widerspricht einer beliebten Vorstellung darüber, was
Rassismus sei.
Von Gerald Wagner
Stellen
Sie sich vor, ein Versuchsleiter würde Ihnen acht Fotos vorlegen. Vier
Frauen, vier Männer. Jedem Bild sind ein paar knappe Informationen zu
der abgebildeten Person beigefügt: Der Vorname, die religiöse Bindung,
das Alter und der Geburtsort. Alle sind in Kassel geboren, aber sie
heißen Emma, Simon, Asilah oder Aqil. Die Angaben zur Religion legen
nahe, dass man die Person als christlich, muslimisch oder konfessionell
ungebunden einschätzen kann. Sie sollen jetzt entscheiden, ob sie diese
Personen gern zum Nachbarn hätten, als Arbeitskollegen oder gar als
enges Mitglied Ihrer Familie. Sie blicken in acht freundliche Gesichter
junger Erwachsener. Und jetzt ist es die Absicht des Versuchsleiters,
dass Ihnen noch etwas auffällt. Die acht Menschen verfügen über leicht
erkennbare äußerliche Merkmale, die ihre Zuordnung zu vier Phänotypen
ermöglicht: Nordeuropäisch beziehungsweise weiß, südeuropäisch
beziehungsweise aus dem Mittleren Osten stammend, asiatisch und schwarz.
Denn darum geht es in diesem Versuch: Herauszufinden, ob Menschen
rassistisch diskriminieren.
Durchgeführt hat die Studie
Ruud Koopmans vom Berliner Wissenschaftszentrum Anfang des Jahres. Er
wendet sich damit gegen die in der Rassismusforschung mittlerweile
vorherrschenden „intersektionellen“ Theorien. Darin werden die Begriffe
„Rasse“ und „Rassismus“
nicht mehr notwendigerweise an körperlichen Eigenschaften wie der
Hautfarbe festgemacht, sondern beziehen sich auf bestimmte
Kombinationen von Ungleichheiten bezüglich Kultur, Ethnizität und
Religion. Das schlägt sich dann etwa in Konzepten wie einem
„anti-muslimischen Rassismus“ nieder. Hier bezögen sich solche Labels
wie „weiß“ oder „schwarz“ nicht mehr auf physische Merkmale einer
Person, sondern bedeuteten nun zwei Gruppen: Jene, die nicht
diskriminiert würden und solche, die unter Diskriminierung litten.
Auch wer ablehnen will, sollte differenzieren
Koopmans hält von solchen ganzheitlichen
Konzepten nichts. Sie verwischten entscheidende Unterschiede darin, wer
aufgrund welcher ihm zugeschriebenen Eigenschaften diskriminiert werde.
Das bedeutet nicht, dass Koopmans menschliche „Rassen“ für eine
Realität hält. Aber sie sind wirkmächtige Vorstellungen, die – und das
unterscheidet sie eben von Eigenschaften wie der Religionszugehörigkeit
– äußerliche Merkmale mit bestimmten kulturellen Zuschreibungen
verbinden. Koopmans veranschaulicht das mit seinem Experiment von den
acht Bildern, die er einer repräsentativen Auswahl von Teilnehmern
vorlegen konnte.
Es zeigte sich,
dass ein ausländischer Vorname die Akzeptanz einer Person als
Familienmitglied reduzierte, nicht aber als Nachbar oder
Arbeitskollege. Besonders bemerkenswert: Von allen „Rassen“ erfuhr
„südländisch“ die schwächste Akzeptanz, während die als „schwarz“ oder
„asiatisch“ wahrnehmbaren Personen als willkommene Nachbarn und
Familienmitglieder sogar den „weißen“ vorgezogen wurden. Dieses Muster
unterscheide sich kaum zwischen Männern und Frauen und auch nicht
zwischen Teilnehmern mit und ohne Migrationshintergrund. In der Tendenz
zeigten solche mit Migrationshintergrund allerdings eine insgesamt
geringere Akzeptanz von Muslimen. Diese wiederum erfuhren die stärkste
Abneigung als Nachbarn von Teilnehmern, die sich bei der Frage nach
ihrer politischen Präferenz der AfD zuordneten. Deren Anhänger äußerten
auch eine entschiedene Ablehnung schwarzer Personen als potenzielle
Nachbarn. Diese wiederum werden von Wählern der Grünen und der Linken
bevorzugt.
Aber
wer wird nun eigentlich grundsätzlich abgelehnt? Bei Koopmans sind es
eindeutig die Muslime, die in allen drei Sparten (Familie,
Nachbarschaft, Arbeit) die negativsten Akzeptanzwerte bekamen. Umgekehrt
drückten die meisten Teilnehmer eine generelle Vorliebe für religiös
ungebundene Personen auf den ihnen vorgelegten Bildern aus,
eingeschlossen jene christlicher Konfession. Die Ergebnisse zeigten
also, so Koopmans, dass man genau unterscheiden müsse, wer aufgrund
seiner „Rasse“ und wer aufgrund von Herkunft und Religion diskriminiert
werde. Sie in einem ganzheitlichen „intersektionellen“ Konzept von
Rassismus aufgehen zu lassen, verwische diese Unterschiede. Für das
Verständnis und auch die Bekämpfung von Rassismus sei es wenig
hilfreich, alle nicht-diskriminierten Gruppen in den Container „weiß“ zu
werfen und alle anderen in jenen der „Diskriminierten“. Die deutliche
Ablehnung von Muslimen in dieser Studie zeigt ja, dass die stärkste
Diskriminierung sich an einer bestimmten Religionszugehörigkeit
festmacht, aber eben nicht an äußerlichen körperlichen Merkmalen.
Ruud Koopmans: Decomposing Discrimination: Why a Holistic Approach to
Racism Hides More Than It Reveals. WZB Discussion Paper SP VI 2021-103.
Oct. 2021
aus FAZ.NET, 13. 12. 2021 Die englische Flotte zwingt 1588 die spanische Armada vor Gravelines in
der Straße von Dover zum Rückzug.
Wie sich die Weltmeere auf die Geschicke des Menschen auswirken
Es geht auch ohne Meistererzählungen: David Abulafia zeigt auf
eindrucksvolle Weise, dass ihm keine Facette der Geschichte der Ozeane
fremd ist.
Von Peter Burschel
Historiker entdecken seit geraumer Zeit das Meer – oder besser
vielleicht: Sie entdecken es wieder. Längst ist von einer „ozeanischen
Wende“ die Rede, längst von einer „neuen Thalassologie“, längst wird von
„historischer Meereswissenschaft“ gesprochen. Kaum ein Meer, das in den
vergangenen Jahren ohne Monographie, ja ohne Biographie geblieben wäre.
Die Gründe für diesen – immer noch zunehmenden und keineswegs auf die
Geschichtswissenschaft beschränkten – Trend sind vielfältig: So spielt
ohne Frage das anhaltende Interesse an Globalgeschichte eine Rolle, das
in vielen Fällen mit der (nicht nur postkolonialen) Absicht einhergeht,
europäische Sichtweisen zu „provinzialisieren“.
Hinzu kommt das
Bewusstsein, dass die historische Untersuchung maritimer Räume als Räume
ohne Ort und ohne Grenze dazu beitragen kann, methodische Engführungen
zu überwinden, nicht zuletzt solche nationaler Provenienz. Ganz zu
schweigen von den inter- und transdisziplinären Chancen, die das
räumliche und zeitliche „Dazwischen“ des Meeres eröffnet. Schließlich:
Es scheint außer Frage zu stehen, dass die Entdeckung beziehungsweise
Wiederentdeckung des Meeres als eines historischen (und
historiographischen) Möglichkeitsraums auch mit der wachsenden Einsicht
in die Gefährdung, wenn nicht in den Verlust des Meeres einhergeht.
Mobilität, Dynamik, Kommunikation
Obwohl auch die neue historische
Meereswissenschaft weiß, was sie an Fernand Braudels erstmals 1949
erschienenem epochalen Mittelmeerbuch hat – „Das Mittelmeer und die
mediterrane Welt in der Epoche Philipps II.“ –, setzt sie alles in allem
doch weniger auf die naturräumlichen Veränderungen langer Dauer als auf
die jeweiligen Verbindungen, die das Meer ausmachen und die ein Meer
mit anderen Meeren korrespondieren lassen. Verbindungen, die historisch
durchaus auch kurze Laufzeiten haben können. Nicht dass dabei die
braudelschen Zeitebenen langer und mittlerer Dauer in Vergessenheit
geraten wären. Das heutige historische Interesse am Meer aber geht eben
in eine andere Richtung. Meer, das ist in den aktuellen
Forschungsdiskursen vor allem Bewegung – und damit Begegnung, Beziehung,
Netzwerk.
Auch das
vorliegende Buch folgt dieser Tendenz. Im Grunde sind Mobilität, Dynamik
und Kommunikation seine impliziten Leitbegriffe. 2019 erstmals in
Anlehnung an ein Shakespeare-Wort als „The Boundless Sea“ erschienen,
bringt der englische Untertitel dieses Programm besser zum Ausdruck als
der deutsche: „A Human History of the Oceans“. Der Verfasser, der in
Cambridge lehrende Historiker David Abulafia, gliedert sein Buch in fünf
Teile, von denen die ersten drei den einzelnen Ozeanen gewidmet sind:
dem Pazifik, dem Indischen Ozean und seinen west- und ostasiatischen
Nachbarn sowie dem Atlantik. Am Rande nur: Aus historiographischer
Perspektive ist diese Reihenfolge eher ungewöhnlich, fand doch der
Atlantik deutlich früher die Aufmerksamkeit der historischen Forschung
als der Pazifik. Vom Mittelmeer ganz zu schweigen.
Maritime Expansion
In allen drei Teilen geht der Verfasser in
prähistorische Zeiten zurück, um sie schließlich jeweils im ausgehenden
europäischen Mittelalter enden zu lassen. Während in diesen Teilen die
räumlichen Binnenbewegungen und Binnenbeziehungen im Mittelpunkt stehen,
die ein Meer zum Meer werden lassen, nimmt der vierte Teil den
nachhaltig beschleunigten – und sich qualitativ wie quantitativ
erstaunlich rasch intensivierenden – „menschlichen“ Austausch zwischen
den Meeren beziehungsweise zwischen den Ozeanen seit der „Entdeckung“
Amerikas durch Kolumbus in den Blick. Die englische Ausgabe spricht von
„Oceans in Conversion“.
Der vierte
Teil, mit fast vierhundert Seiten der umfänglichste des Buches, lässt in
aller Deutlichkeit erkennen, dass die frühe Neuzeit – und nicht nur die
europäische frühe Neuzeit – mit ihrem „langen“ achtzehnten Jahrhundert
eine durch und durch maritime Epoche war. Hier ist der Verfasser
nebenbei bemerkt ganz bei sich. Der fünfte Teil, der vor allem der
maritimen Expansion der Industrienationen seit Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts gewidmet ist, hat im Vergleich dazu eher den Charakter
eines resignativen Ausblicks, an dessen Ende das Ende des Meeres steht,
wie wir es kennen: „Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat die maritime Welt
der letzten vier Jahrtausende aufgehört zu existieren.“
Ein Bewegungs- und Begegnungsraum
Keine Frage, der Verfasser „bevorzugt“ wie
schon in seinem Buch über das Mittelmeer die maritime Vormoderne seit
dem späten Mittelalter gegenüber anderen Epochen, vor allem gegenüber
der maritimen Moderne. Und keine Frage auch, dass ihm dabei
kulturgeschichtliche und kulturanthropologische Fragen näher liegen als
ökonomische, ökologische oder landläufig politische. Dennoch muss
nachdrücklich betont werden: Es gibt kein Feld, kein Sujet, kein Konzept
der neuen historischen Meereswissenschaft, das ihm fremd ist, um welche
Epoche, um welche Weltgegend es auch geht. Ein Befund, der auch damit
zu tun hat, dass er nicht nur englischsprachige Forschungsliteratur zur
Kenntnis nimmt.
Gewiss
hat David Abulafia hat ein Buch geschrieben, das mit einigem Recht als
theoriefern bezeichnet werden kann, fast möchte man sagen: als
selbstbewusst theoriefern; ein Buch, das auf „Meistererzählungen“
(welcher Reichweite auch immer) geradezu demonstrativ verzichtet; ein
Buch zudem, das keine „große“ These hat. Und doch ist es mehr als die
monumentale – und ganz bewusst offen verstandene – Einladung zu einer
lehrreich-unterhaltsamen Lektüre, sehr viel mehr. Indem es dem Verfasser
gelingt, die Kapitel seines „großen Textes“ als Studien zu konzipieren,
die auf der einen Seite eine gewisse Autonomie beanspruchen dürfen, die
auf der anderen aber vielfältig (und in vielen Fällen bis ins Detail)
aufeinander bezogen und miteinander verknüpft sind, lässt er sein Buch
zu einem dynamischen, regelrecht kaleidoskopischen Bewegungs- und
Begegnungsraum sui generis werden.
Da der
Verfasser zudem bestimmte Themen wie den Sklavenhandel und den damit
verbundenen (europäischen) Gewaltexport immer wieder aufruft, schafft er
Leitmotive, die jene Struktur schaffen, ohne die Dynamik nicht möglich
ist. In anderen Worten: Wenn das Meer Bewegung und Begegnung ist, dann
hat es mit diesem Buch ein zugewandtes, ein wunderbares Gegenüber
erhalten.
David Abulafia: „Das unendliche Meer“. Die große Weltgeschichte der Ozeane. Aus dem Englischen von Michael und Laura Su Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 1132 S., geb., 68,– €.
In vielen Ländern
gibt es eine Art Zombie-Zentrismus. Dieses Überbleibsel aus der Zeit des
Kalten Krieges bietet kaum jemandem mehr eine echte politische
Orientierung
von Jan-Werner Müller
US-Präsident Joe Bidens ehrgeiziges Infrastruktur- und Sozialprogramm "Build Back Better" wird von zwei regelmäßig als "Zentristen"
bezeichneten demokratischen Senatoren – nämlich Kyrsten Sinema aus
Arizona und Joe Manchin aus West Virginia – torpediert und behindert.
Zahlreiche Beobachter fragen sich, was diese Zuschreibung als Zentristen
im Jahr 2021 eigentlich bedeutet. Nicht nur Zyniker vermuten, dass
diese beiden Persönlichkeiten weniger zentristisch als vielmehr
egozentrisch agieren und nur vom Imperativ der Wiederwahl geleitet sind.
Nach welchen Kriterien sind Zentristen zu beurteilen? Diese Frage ist
nicht nur in den Vereinigten Staaten in den Vordergrund gerückt,
sondern auch in Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron – der
versprach, in der französischen Politik eine neue Mitte aufzubauen – im
nächsten Frühjahr seine Wiederwahl anstrebt. Wie im Falle der beiden
US-Senatoren betrachten Kritiker Macrons Zentrismus als Deckmantel eines
Politikers, der faktisch nach der Pfeife der Rechten tanzt, weswegen
die Bezeichnung "der Präsident der Reichen" gerechtfertigt erscheint.
Die Frage lautet also nicht mehr, ob die politische Mitte halten
kann, sondern ob der Zentrismus in der heutigen Politik überhaupt noch
irgendeine Bedeutung hat. Der Begriff war im 20. Jahrhundert überaus
sinnvoll, also in einer Zeit, die vielfach als Zeitalter ideologischer
Extreme verstanden wurde. Die Zugehörigkeit zur politischen Mitte
bedeutete, sich im Kampf gegen antidemokratische Parteien und Bewegungen
zu engagieren. Aber schon damals wurde selbsternannten Zentristen
oftmals Arglist vorgeworfen. Mit der ihm eigenen Ironie zählte sich der
Philosoph Isaiah Berlin, ein Liberaler par excellence, zu den "elenden
Zentristen, den verachtenswerten Gemäßigten, den kryptoreaktionären
skeptischen Intellektuellen".
Während diese früheren selbsternannten Zentristen von den Verdiensten
zehrten, die sie sich im Kampf gegen Faschismus und Stalinismus
erworben hatten, ist das Vermächtnis der selbstbewusst gemäßigten
Politik inzwischen verblasst. In vielen Ländern besteht heute eine Art
Zombie-Zentrismus – ein Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges,
das seinen Anhängern keine echte politische Orientierung mehr bietet.
Spektakulär gescheitert
Die deutschen Christdemokraten
bekamen das kürzlich deutlich zu spüren. Bei den Bundestagswahlen im
September scheiterten sie spektakulär mit ihrem Versuch, die politische
Mitte gegen eine mögliche Koalition aus Sozialdemokraten und der
postkommunistischen Linkspartei für sich zu beanspruchen. Die
antikommunistische Kampagne der Christdemokraten, die direkt aus den
1950er-Jahren zu stammen schien, war ganz offensichtlich nicht auf die
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet.
Dennoch bestehen weiterhin zwei Formen des Zentrismus, die sich nicht
auf den Zombie-Liberalismus des Kalten Krieges zurückführen lassen. Die
eine Form ist prozeduraler Natur: In Systemen mit Gewaltenteilung wie
in den USA sind die Politiker gezwungen, sich in der Kunst des
Kompromisses zu üben; dies umso mehr in einer Zeit, in der klare
Mehrheiten in den Parlamentskammern selten geworden sind.
Ein ähnlicher Imperativ gilt für die zunehmend zersplitterten
europäischen Parteiensysteme. Im niederländischen Parlament sind derzeit
nicht weniger als 17 Parteien vertreten (oder – je nach Zählweise –
sogar mehr). Und nach wochenlangen Verhandlungen hat Deutschland eine
Regierung, in der Sozialdemokraten und Grüne eine Ampelkoalition mit den
wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten bilden.
Nicht auf Kompromisse erpicht
Die Zersplitterung – ob
institutionell oder politisch – zwingt Politiker zu einer vom
niederländischen Philosophen Frank Ankersmit so bezeichneten
"prinzipiellen Prinzipienlosigkeit", um die Demokratie funktionstüchtig
zu erhalten. Die meisten Menschen sind schließlich nicht auf Kompromisse
um ihrer selbst willen erpicht, weil niemand das Zweitbeste dem Besten
vorzieht.
Die Ausnahmen bilden diejenigen, die die zweite plausible Form des
Zentrismus, den positionellen Zentrismus, vertreten. Da sie Äquidistanz
zwischen den politischen Polen als Beweis für ihren Pragmatismus und
ihre "ideologiefreie" Ausrichtung ansehen, versuchen positionelle
Zentristen oftmals von der Wertschätzung zu profitieren, die der
Überparteilichkeit (insbesondere in den USA) immer noch beigemessen
wird. Sie ziehen einen Nutzen daraus, vernünftig zu erscheinen, wenn die
Linke und die Rechte von Scharfmachern beherrscht werden. In seinem
ersten Wahlkampf hob Macron immer wieder die Radikalität seiner Gegner –
der rechtsextremen Marine Le Pen und des linksextremen Jean-Luc
Mélenchon – hervor, um vor Augen zu führen, dass er allein eine
verantwortungsvolle Position vertritt.
Nicht automatisch demokratisch
Unter Berufung auf die – unter
Antikommunisten während des Kalten Krieges überaus beliebte –
"Hufeisentheorie" unterstellen Zentristen auch oft, dass Links- und
Rechtspopulismus letztlich auf denselben antiliberalen Endpunkt
zulaufen. Doch ebenso wie die Theoretiker des Dritten Weges in den
1990er-Jahren behaupteten auch Macrons Gefolgsleute, dass es sich bei
"links" und "rechts" um überholte Bezeichnungen handle. Das ermöglichte
ihnen nämlich, auch ehemalige Sozialisten und Gaullisten in ihre
Bewegung aufzunehmen.
Aber Zentrismus ist nicht automatisch demokratisch. Macron, den man
als "liberalen starken Mann" titulierte ist ein typisches Beispiel
dafür. Seine Weder-links-noch-rechts-Haltung impliziert eine rein
technokratische Form der Regierung. Man geht davon aus, dass es auf jede
politische Herausforderung stets eine eindeutig rationale Antwort gibt.
Kritiker können so per Definition als irrational abgetan werden. Wie
Macron bei der Revolte der Gelbwesten im Jahr 2018 feststellte, kann die
mit diesem Ansatz einhergehende Verweigerung des demokratischen
Pluralismus heftige Gegenreaktionen hervorrufen.
Politische Polarisierung
Sowohl der prozedurale als auch der
positionale Zentrismus setzen eine gut funktionierende Demokratie
voraus, und beide können gefährlich werden, wenn ein Land unter einer
asymmetrischen politischen Polarisierung leidet. So präsentiert sich die
Situation heute in den USA, wo die Republikanische Partei grundlegende
Merkmale der Demokratie nicht mehr anerkennt. Die Republikaner von heute
sind mit einem riesigen Projekt, bestehend aus Wahlkreisschiebungen,
Wählerunterdrückung, der Aushöhlung des allgemeinen Vertrauens in Wahlen
und der Behinderung der Gesetzgebung, beschäftigt und zeigen kein
Interesse an Kompromissen. Nun, da Biden im Weißen Haus waltet, folgt
Mitch McConnell – Minderheitsführer im Senat und Donald Trumps
widerwilliger, aber trotzdem verlässlicher Ermöglicher – demselben
Schema, das er während der Präsidentschaft von Barack Obama
perfektioniert hat.
Prozeduraler Zentrismus ergibt keinen Sinn, wenn die politischen
Gegner die Verfahren nicht mehr respektieren, wie es jetzt bei den
Republikanern der Fall ist. Für den positionellen Zentrismus präsentiert
sich die Situation jedoch noch schlimmer. Wenn eine Partei die
Demokratie ablehnt, bedeutet Äquidistanz Mittäterschaft. Wenn Sinema und
Manchin keine über Zombie-Zentrismus, prozeduralen oder positionellen
Zentrismus hinausgehende Erklärung zu ihrem Verhalten anzubieten haben,
könnten sie sogar von ihren eigenen Wählern dafür bestraft werden, dass
sie politische Initiativen behindern, die in Wirklichkeit überaus
populär sind. (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Helga Klinger-Groier,
Copyright: Project Syndicate, 8.12.2021)
Jan-Werner Müller ist Professor für
Politikwissenschaften an der Universität Princeton und Fellow am New
Institute in Hamburg. Sein jüngstes Buch trägt den Titel "Freiheit,
Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie?".
Nota. - Unter Mitte wurde rund zwei Jahrhunderte lang, vom Juste milieu des Bürgerkönigs über Kaiser Willems Fraktion Drehscheibe bis zum westdeutschen Restliberalismus, eine po-litische - ja sollte ich sagen: "Kraft"? Na schön, Saugkraft ist auch eine Kraft - Kraft verstan-den, die parasitär von der gegenseitigen Blockade der äußersten Flügel zehrte. Die wurde im breiten Volk immer verachtet, und die erste katholische Volkspartei in Deuschland nannte sich wohlweislich nicht Mitte, sondern Zentrum.
In einer Zeit, in der die politischen Flügel nur noch rivalisierende Apparate und durchaus keine alternativen Gesellschaftsentwürfe mehr repräsentieren, ist sie nun auch arithmetisch ganz überflüssig. Stattdessen macht sich bedrohlich der Mangel an einer Kraft fühlbar, die aus einer im Großen Ganzen gar nicht mehr strittigen Gesellschaftsprognose einen Mainstream formt, der die Nachzügler auf beiden Flügeln an der Rand drückt, an den sie gehören, und die vorwärtsdrängenden Kräfte in Konkurrenz zu einander führt.
Warum Scholz eine geheime Botschaft an Chinas Staatschef richtete
Der künftige Kanzler ließ Chinas Staatschef Xi ausrichten, er werde den
bisherigen Kurs gegenüber Peking fortsetzen - obwohl Grüne und FDP das
nicht wollen.
Die Bundestagswahl war noch keinen Monat vorbei, da erhielt Chinas
Staatschef Xi Jinping bereits eine Botschaft des künftigen Kanzlers Olaf
Scholz (SPD). Als Überbringer der Nach-richt diente der EU-Ratspräsident
Charles Michel, der Mitte Oktober mit Xi telefonierte, um über den
nächsten Gipfel zwischen der Europäischen Union und China zu reden.
Michel
habe dem chinesischen Staatschef die Botschaft überbracht, dass Scholz
die China-Politik von Angela Merkel fortsetzen wolle, berichtete die „Wirtschaftswoche“ unter Berufung auf einen EU-Diplomaten.
Außerdem
ließ Scholz ausrichten, er werde seine beiden künftigen
Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, in Schach halten. Damit droht
der neuen Regierung der erste Streit um die Außenpolitik.
Tatsächlich
setzten die beiden Parteien gegenüber der SPD sehr deutliche Worte im
Koali-tionsvertrag durch: „Wir streben eine enge transatlantische
Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit
gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängig-keiten zu reduzieren“,
heißt es im Koalitionsvertrag.
Um in der
„systemischen Rivalität mit China unsere Werte und Interessen
verwirklichen zu können“, brauche Deutschland eine umfassende
China-Strategie. Das wäre eine deutliche Abkehr vom pragmatischen Kurs
der Ära Merkel.
Koalitionsvertrag spricht heikle Themen an
Zudem
spricht der Koalitionsvertrag Themen direkt an, die Peking stets als
Einmischung in innere Angelegenheiten versteht: „Im Rahmen der
Ein-China-Politik der EU unterstützen wir die sachbezogene Teilnahme des
demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen. Wir
thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in
Xinjiang.“
Außerdem fordert die neue Koalition
indirekt mehr Autonomie für Hongkong. Allein die Tatsache, dass Taiwan
und die Provinz Xinjiang im Koalitionsvertrag überhaupt erwähnt werden,
setzt einen neuen Ton in den Beziehungen zu China. Zu Taiwan unterhält
Deutsch-land keine diplomatischen Beziehungen - aus Rücksicht auf die von
der Führung in Peking geforderte Ein-China-Politik. Doch in der
Ankündigung im Koalitionsvertrag könnte die Volksrepublik eine
Aufwertung Taiwans sehen.
Dass
die neue Regierung die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang explizit
anspricht, dürfte Peking ebenfalls verärgern. In der mehrheitlich von
der muslimischen Minderheit der Uiguren bewohnten Region sind mehr als
eine Million Menschen in Lagern interniert.
Als
sich der Menschenrechtsausschuss des Bundestages im vergangenen Jahr
mit der Lage in Xinjiang beschäftigte, reagierte die chinesische
Botschaft in scharfer Form. Pekings Diploma-ten sprachen in einer
Erklärung von „Verleumdung“ und „ideologischen Vorurteilen“ und warnten
die Parlamentarier vor einer Einmischung.
„Deutschland muss Abhängigkeiten von China überprüfen“
Mit
seiner Intervention noch vor der Regierungsbildung machte Scholz der
chinesischen Führung nicht nur klar, dass er den Kurs seiner
Amtsvorgängerin beibehalten will, sondern auch, dass er diesen Kurs
ungeachtet der Positionen der kleineren Koalitionspartner durch-setzen will.
„Bereits in den vergangenen Jahren ist die China-Politik der
Bundesregierung im Kanzleramt bestimmt worden“, sagt Mareike Ohlberg,
China-Expertin beim German Marshall Fund.
Allerdings
gab es in der großen Koalition keinen grundsätzlichen Dissens in der
Frage des Umgangs mit China. Dagegen hat sich die künftige
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für einen härteren Kurs
gegenüber Peking ausgesprochen, was ihr umgehend offene Kritik aus der
Botschaft in Berlin einbrachte. Die chinesische Führung werde nun darauf
setzen, dass sich Baerbock und das Auswärtige Amt zurückhalten müssten,
sagt Ohlberg.
Eine Fortsetzung von Merkels Politik
gegenüber China sei allerdings nicht mehr zeitgemäß, warnt die Expertin.
„Selbst Teile der deutschen Wirtschaft dringen mittlerweile auf einen
härteren Kurs.“ Die größte Herausforderung für die neue Bundesregierung
sei es, „Deutsch-lands Abhängigkeiten von China zu überprüfen und
graduell abzubauen, um sich weniger angreifbar zu machen“. Außerdem
müsse Deutschland auf europäischer Ebene eine Antwort darauf finden,
dass China gegen einzelne EU-Staaten wie derzeit gegen Litauen vorgehe.
Nota. - Eine noch so geschickte Europapolitik ist nichts wert ohne den weltpolitischen Rah-men, in den sie gehört. Da hätte Angela Merkel einen besseren Außenminister gebrauchen können als den reisenden Maaßanzug. Doch dass Frau Baerbock genügend Gewicht auf die Waage bringt, um Olaf Scholz den Horizont zu weiten, muss man leider bezweifeln.
Der ist sicher nicht der schlechteste, den man sich für Deutschland denken kann. Aber er gehört zu der Sie-wissen-schon-Partei. Selbst das ginge noch schlechter, es reicht auch so.
Der Anfang ist erwartungsgemäß stolprig. Als Angela Merkel von sechzehn Jahren anfing, hat ihr keiner viel zugetraut. Da konnte sie nicht viel falsch machen. Doch nach ihrer Vorgabe sind die Erwartungen nun hoch. Es sieht nicht so aus, als könnten die Neuen dem gerecht werden.
Ich habe sie mir nicht gewünscht, aber dass sie die Karre in den Dreck reiten, kann ich mir schon gar nicht wünschen.
- so titelt heute die Frankfurter Allgemeine; natürlich nicht ohne das obligate ?ragezeichen. Das lasse ich weg: Keiner hätte sich vor sechzehnt Jahren träumen lassen, dass Deutschland unter Angela Merkel an der Spitze Europas eine Weltmacht werden könnte. Eine Weltmacht, der man zumutet - und zutraut -, an der Stelle Amerikas die Führung des Westens zu über-nehmen.
Dies Kapital auszubauen hat sie nicht mehr geschafft, und angesichts ständiger Sabotage aus den eigenen Reihen wohl auch nicht mehr versucht.
Und alle deutsche Regierungen nach ihr sind daran zu messen, was sie aus dierer ihre Erb-schaft zu machen verstehen. Bewahren ist das mindeste, was man verlangen darf. Doch schon das könnte versiebt werden.
Wenn in einem Landkreis die Schweinepest auftritt, werden die Bestände flächendeckend gekeult.
Das ist ein schwerer Schlag für die Züchter. Aber dass dadurch die Verfassung oder die Grundrechte beschädigt würden, ist noch nicht behaupet worden.
Bei Covid-19 wurde das bislang gar nicht in Vorschlag gebracht, doch schon ist das Geschrei groß.
Nota - Das
obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.JE
Die Überlebensfrage des Rechtsstaats lautet, ob Recht gilt, stimmts? Dabei ist es dasselbe, ob kein Recht gilt, oder ob Recht nicht gilt.Auch das stimmt.
Chinas "Venedig der Steinzeit" wurde von Monsunregen zerstört
Ein archäologisches
Forschungsteam fand in Tropfsteinen Hinweise darauf, dass die
Hochkultur starken Niederschlägen und Überflutungen nicht standhielt
Während im heutigen Zentraleuropa vor etwa 5.300 Jahren Ötzi über die
Berge zog, entstand tausende Kilometer weiter östlich eine
beeindruckende Stadt: Liangzhu läge heute im Südosten Chinas und
entwickelte schon damals eine komplexe Wasserversorgung mit Kanälen und
Reservoirs, deren Ausmaß vor vier Jahren bekannt wurde. Eine der fortschrittlichsten Kulturen dieser Zeit also.
Ein Forschungsteam mit Innsbrucker Beteiligung berichtet nach der Analyse von Tropfsteinen nun im Fachblatt "Science Advances"
über den Grund für den Untergang der Stadt, die auch als Chinas
"Venedig der Steinzeit" bezeichnet wird: Klimaänderungen mit starken
Monsunregen ließen die Hochkultur zugrunde gehen.
Die 160 Kilometer südwestlich von Schanghai gelegenen Ruinen von
Liangzhu im Jangtse-Delta wurden erstmals 1936 entdeckt und ab den
1970er-Jahren systematisch ausgegraben. Dabei wurden unter anderem
tausende kunstvoll gearbeitete Grabbeigaben aus Jade gefunden. Das
Besondere an der Liangzhu-Kultur sind aber die immensen
Wasserbauanlagen, die schon im späten Neolithikum, in der Jungsteinzeit,
errichtet wurden.
Starke Schwankungen
Liangzhu liegt in einer Region mit
starken Niederschlagsschwankungen, wo Überschwemmungen üblicherweise im
Juni auftreten, gefolgt von trockenen und heißen Sommermonaten, schreibt
die Forschungsgruppe um Haiwei Zhang von der Xi'an-Jiaotong-Universität
in der Arbeit. Ihnen zufolge wurde vor 5.300 bis 4.700 Jahren ein
komplexes System an schiffbaren Kanälen, Dämmen und Wasserreservoirs
errichtet, um große landwirtschaftliche Nutzflächen ganzjährig
bewirtschaften zu können. Die 2019 von der Unesco in die Liste der Welterbestätten
aufgenommene archäologische Stätte gilt als eines der ersten Beispiele
für ein hochentwickeltes Gemeinwesen basierend auf einer
Wasserinfrastruktur. Daher rührt auch der Vergleich mit Venedig.
Fast eintausend Jahre lang war die Stadt bewohnt, ehe die Hochkultur
vor etwa 4.300 Jahren ein abruptes Ende fand. Die Ursachen dafür waren
bisher umstritten. "Auf den erhaltenen Überresten wurde eine dünne
Lehmschicht nachgewiesen, die auf einen möglichen Zusammenhang des
Untergangs der Hochkultur mit Überschwemmungen des Jangtse oder Fluten
vom Ostchinesischen Meer hinweist", erklärt Christoph Spötl vom Institut
für Geologie der Universität Innsbruck in einer Aussendung.
Aus dieser Schicht allein seien allerdings keine eindeutigen
Rückschlüsse auf die Ursache möglich. Und Hinweise auf kriegerische
Auseinandersetzungen oder andere menschliche Auslöser seien auch nicht
entdeckt worden.
Klimaarchiv Tropfstein
Um einer möglichen klimatischen
Ursache des Niedergangs der Liangzhu-Kultur auf den Grund zu gehen,
untersuchte das Forschungsteam Tropfsteine. Sie zählen zu den
wichtigsten Klimaarchiven, denn die Stalaktiten und Stalagmiten wachsen
über Jahrtausende in Höhlen und schließen dabei verschiedene Elemente
wie Kohlenstoff, Sauerstoff oder Uran ein. Damit zeichnen sie die Klima-
und Umweltbedingungen sowie deren Veränderungen auf. Mithilfe
geochemischer Untersuchungen können Forschende diese Informationen
auslesen. So lassen sich die klimatischen Verhältnisse oberhalb der
Höhlen rekonstruieren – eine Reise in die Vergangenheit, die mehrere
100.000 Jahre zurückliegen kann.
Haiwei Zhang, der 2017 an der Uni Innsbruck als Gastwissenschafter
tätig war, entnahm aus den beiden südwestlich der Ausgrabungsstätte
liegenden Höhlen Shennong und Jiulong Proben von Stalagmiten. "Diese
Höhlen befinden sich im gleichen Einflussgebiet des südostasiatischen
Monsuns wie das Jangtse-Delta und erlauben uns mit ihren Tropfsteinen
einen exakten Blick in die Zeit des Zusammenbruchs der Liangzhu-Kultur",
sagt Spötl.
Überflutungen am langen Fluss
Die Analysen der Isotopenwerte
des Kohlenstoffs in den Tropfsteinen an der Uni Innsbruck sowie
Uran-Thorium-Analysen an der Xi'an-Jiaotong-Universität zeigten:
Zwischen 4.345 und 4.324 Jahren vor heute trat eine extrem
niederschlagreiche Klimaphase auf. So alt ist auch die in der Region
gefundene dünne Schlammschicht.
"Die massiven Monsunregen dürften zu so starken Überflutungen des
Jangtse und seiner Seitenarme geführt haben, dass selbst die
hochentwickelten Dämme und Kanäle diesen Wassermassen nicht mehr
standhielten, die Liangzhu-Stadt zerstörten und den Menschen nur die
Flucht blieb", sagt Spötl. Diese sehr feuchten Klimabedingungen blieben
mit Unterbrechungen weitere 300 Jahre bestehen.
Untergang und Gründung
Der Untergang anderer neolithischer
Kulturen im Jangtse-Delta fiel dann mit einer ausgedehnten Dürreperiode
zusammen, die vor rund 4.000 Jahren begann. In dieser Zeit kam es weiter
im Norden auch zur Gründung der Xia-Dynastie vor etwa 4.020 Jahren, die
als erste Dynastie Chinas gilt.
Die Forschungsgruppe vermutet, dass die hydroklimatischen
Veränderungen vor 4.300 bis 3.000 Jahren auf Schwankungen der
sogenannten El Niño-Southern Oscillation
zurückgehen. Durch schwächere sommerliche Sonneneinstrahlung auf der
Nordhalbkugel könnte sich dieses gekoppelte Zirkulationssystem von
Erdatmosphäre und Meeresströmung im Pazifik verändert haben, lautet die
Vermutung. (APA, red)
aus spektrum.de, 16. 12. 2020 Perlen aus Jade, Neophrit u. a.
Chinas Venedig der Steinzeit Unweit
von Schanghai liegt Liangzhu. Vor rund 5300 Jahren errichteten Menschen
dort eine ummauerte Stadt, die über ein komplexes System aus Dämmen und
Kanälen schiffbar war. Ein Paukenschlag in der weltweiten
Zivilisationsgeschichte.
Vor
rund 5300 Jahren erhob sich aus dem Delta des unteren Jangtse eine
blühende Metropole. Die Menschen konnten die Stadt zu Fuß betreten. Eine
Straße führte durch die hoch aufragenden Mauern. Die meisten Bewohner
fuhren aber wohl eher mit dem Boot. Denn um die Stadt erstreckte sich
ein weit verzweigtes Netz von Kanälen, über das die Bewohner bis ins
Zentrum der Metropole gelangen konnten. Dort ragte bis zu 15 Meter hoch
eine Plattform auf, die auf einer Fläche von 630 mal 450 Metern aus Erde
aufgeschüttet worden war. Obenauf stand ein ausgedehnter palastartiger
Komplex samt großen Kornspeichern. Zwischen Plattform und Stadtmauern
lagen Nekropolen mit reich ausgestatteten Gräbern. Die Wasserwege
jenseits der Umwehrung ließen sich durch eine Reihe gewaltiger Dämme und
Speicherseen regulieren.
Die
Stadt, die heute unter dem Namen Liangzhu bekannt ist, war fast
1000 Jahre lang bewohnt. Ihre Kultur bestimmte auch das Leben in der
umliegenden Region, die regelmäßig vom Fluss überschwemmt wurde. Mehr
als 100 Kilometer entfernt von der Stadt entdeckten Forscher noch
ähnliche Funde wie in Liangzhu. Die Ausgräber fanden auch heraus, dass
die Stadt um 2300 v. Chr. untergegangen war – und danach in
Vergessenheit geriet. Erst in den letzten zehn Jahren kamen Archäologen
dem wahren Ausmaß der frühen Metropole auf die Spur.
Ihre Forschungen zeigen: Liangzhu war eine staatlich
organisierte Gesellschaft, offenbar die bislang älteste bekannte ihrer
Art in Ostasien. »Meiner Ansicht nach gibt es weltweit nichts
Vergleichbares, das so früh datiert und hinsichtlich der
Wasserbewirtschaftung – oder überhaupt hinsichtlich irgendeiner Art von
Bewirtschaftung – derart monumental angelegt ist«, sagt Vernon
Scarborough von der University of Cincinnati in Ohio. Frühe
Zivilisationen entstanden demnach nicht allein im alten Ägypten oder
Mesopotamien. Auch im fernen Osten blühte um 3300 v. Chr. eine hoch
technisierte Kultur auf. Das heißt: Die Idee der Zivilisation erblickte
mehrfach das Licht der Welt. Gräber mit kostbaren Jadeobjekten
Die
ersten Hinweise auf eine prähistorische Kultur im Jangtse-Delta
entdeckte 1936 Shi Xingeng. Der Forscher, der im West Lake Museum von
Hangzhou arbeitete, benannte die Stätte nach der nahe gelegenen Stadt
Liangzhu. Shi hatte vor allem Überreste einer eher unscheinbaren
schwarzen Keramikware gefunden. Erst in den 1970er und 1980er Jahren
erregte Liangzhu große Aufmerksamkeit, als die Nekropolen im Umfeld der
alten Stadt frei gelegt wurden.
In den meisten Gräbern lagen zwar
kaum Beigaben, doch einige wenige Bestattungen enthielten hunderte
kunstvolle Gegenstände aus Jade – darunter die frühesten Beispiele der
für Chinas alte Kulturen so typischen Cong-Röhren sowie so genannte
Bi-Scheiben. Das sind dünne, in der Mitte durchlochte Steindisken. Auf
vielen dieser Stücke ist die Figur eines Mannes dargestellt, der einen
üppigen, mit Federn verzierten Kopfschmuck trägt. Er reitet auf einem
Ungeheuer mit riesigen Kulleraugen und gebleckten Zähnen. Gut möglich,
dass die beiden Mythengestalten oder im Kult bedeutsame Figuren waren.
Jedenfalls tauchen der Furcht erregende Reiter und sein Tier noch auf
weiteren Grabbeigaben auf, wie Ritualäxten, Anhängern und Ziertäfelchen
für Kopfbedeckungen.
Cong-Röhre | In einer Nekropole von Liangzhu
stießen die Archäologen auf reich ausgestattete Gräber. Elf davon
enthielten insgesamt 3000 Objekte aus Jade, darunter diese neun
Zentimeter hohe Cong-Röhre. Darauf ist mehrfach ein Reiter mit Federputz
abgebildet, der auf einem Ungeheuer mit Kulleraugen und gebleckten
Zähnen sitzt.
Bislang hielten Forscher derartige Objekte für Zeugnisse späterer Kulturen.
So hätten frühestens Angehörige der Zhou-Dynastie, ab 1046 v. Chr.,
Kunstwerke aus Jade gefertigt. Doch nun lagen solche Stücke in einer
5000 Jahre alten, neolithischen Nekropole. Es war ein erster Fingerzeig,
dass Liangzhu möglicherweise eine hierarchisch strukturierte
Gesellschaft beherbergt hatte, deren Handwerker kunstvolle Artefakte
fertigten und deren Elite wohlhabend genug war, sich solch kostbare
Stücke zu leisten.
Die
Entdeckungen gaben Anlass für weitere Grabungen. Zwischen 1987 und 1993
fanden die Forscher die künstlich angelegte Erhebung im Herzen der
Stadt. Sie bedeckt eine Fläche von fast 300 000 Quadratmetern. Die
Menschen von Liangzhu hatten darauf aus Holz und Bambus einen großen
Baukomplex errichtet, den die Ausgräber als Mojiaoshan bezeichneten.
Anschließend kamen die Reste von Stadtmauern ans Licht: mehr als
20 Meter breit, noch 4 Meter hoch anstehend und umgeben von
Wassergräben. Ähnlich einem Quadrat mit abgerundeten Ecken umfassten die
Mauern aus Erde eine Fläche von 1900 mal 1700 Metern. Und
offensichtlich hatten die Einwohner Nahrung im Überfluss: Neben der
großen Plattform stießen die Ausgräber auf eine Grube mit ungefähr
13 000 Kilogramm verkohltem Reis. Womöglich, so vermuten die
Archäologen, war das Getreide in einem der Kornspeicher auf Mojiaoshan
verbrannt und dann nahebei in der Grube verscharrt worden.
Ein gigantisches System aus Dämmen und Kanälen
Zuletzt 2016 und 2017 erschienen jeweils in »Chinese Archaeology« und »PNAS«
wissenschaftliche Studien, die es in sich hatten: Forscher um Liu Bin
vom Zhejiang Provincial Institute of Cultural Relics and Archaeology in
Hangzhou hatten erstmals die monumentalen wasserbaulichen Maßnahmen der
Liangzhu-Kultur kartiert. Sie werteten Satellitenbilder aus, nahmen
Bohrkerne und legten bei weiteren Grabungen westlich der Stadt eine
Reihe niedrig gebauter Dämme frei. Um das Überflutungsgeschehen in der
Ebene zu regulieren, waren dort unterschiedlich lange Sperrbauten auf
dem nassen Untergrund angelegt worden – der mit Abstand größte misst
5 Kilometer in der Länge und 50 Meter in der Breite. Arbeiter hatten
dafür unzählige mit Stroh umwickelte »Sandsäcke« aufgeschichtet, deren
Struktur sich noch heute im Erdreich abzeichnet. Überdies hatten die
Erbauer flussaufwärts fünf höhere Dämme angelegt: Zwischen 50 und
200 Meter lang ragen sie teils noch 10 Meter hoch auf. Hinter den Dämmen
sammelte sich einst das aus dem Gebirge abfließende Wasser in riesigen
Speicherseen. Mit Hilfe der Sperrbauten ließ sich der Wasserhaushalt auf
einer Fläche von mehr als 10 000 Hektar kontrollieren, fast
6,5 Milliarden Kubikmeter Wasser wurden gebändigt. C-14-Datierungen
sowie eine stilistische Analyse von Jadeobjekten, die in der Nähe der
Deiche zu Tage kamen, ergaben: Einige Dämme standen bereits vor
5200 Jahren, also zur Zeit von Liangzhu. Und mancher Deich überdauerte
die Jahrtausende bis heute: Der Qiuwu-Damm etwa ist noch immer in
Betrieb.
Die
Stauseen sicherten die Bewässerung der Reisfelder. Ebenso hielten sie
Überschwemmungen zurück. Sie speisten zudem 51 Wasserwege, die das
Gebiet um Liangzhu vernetzten. Dabei handelte es sich teils um
natürliche Flussläufe, teils um Kanäle, die zusammengenommen eine Länge
von ungefähr 30 Kilometern ergaben. »Der Austausch muss größtenteils per
Boot erfolgt sein – es war eine Stadt der Kanäle ebenso wie der
Straßen«, schreiben Colin Renfrew von der University Cambridge und
Liu Bin 2018 in »Antiquity«.
Vielleicht am ehesten vergleichbar ist Liangzhu mit dem
mittelalterlichen Venedig oder den berühmten »Wasserstädten« in der Nähe
von Schanghai, die jedoch einige tausend Jahre später entstanden sind.
Über das Kanalsystem schaffte man auch Baumaterialien wie
Holz und Stein in die Stadt. Das belegen petrologische Untersuchungen.
Die Fundamente der Stadtbefestigung fußten nämlich auf Steinmaterial,
das aus dem nördlich gelegenen Gebirge stammte. Per Boot brachte man die
unbehauenen Bruchsteine nach Liangzhu. Im Mauerring der Stadt gab es
acht Wasserpforten, durch die Boote einfahren konnten.
Anbruch einer neuen Epoche
Während
die Forschungen in Liangzhu weitergehen, deuten Entdeckungen anderswo
in China darauf hin, dass das »Venedig« im Jangtse-Delta das Phänomen
einer sozialen und kulturellen Umbruchzeit war. Erst im Jahr 2019 legten chinesische Archäologen dar,
dass vor mehr als 5000 Jahren ein Wandel einsetzte: Im Gebiet des
unteren und mittleren Jangtse – in der heutigen Provinz Sichuan – sowie
entlang des unteren Gelben Flusses entstanden zahlreiche Siedlungen.
Einige, darunter Shijiahe im mittleren Jangtse, waren so groß, dass nur
gut organisierte Arbeiterschaften in der Lage gewesen sein können, die
Gräben und Mauern anzulegen. »Liangzhu ist mit Abstand das größte
Beispiel, aber es gibt noch andere umwehrte Stadtzentren«, sagt die
Sinologin und Archäologin Jessica Rawson von der University of Oxford.
»Die Handwerkskunst war in mehreren Regionen Chinas bereits sehr
fortgeschritten, nicht nur für das Material Jade, sondern auch bei
verschiedenen Keramiken.« Einige dieser Stätten standen miteinander in
Kontakt, wobei die größeren Siedlungen vermutlich als lokale
Machtzentren fungierten. Zeugnisse von Liangzhus Kultur etwa fanden sich
in Gegenden mehr als 100 Kilometer von der Stadt entfernt.
All
diese Funde liefern ein völlig anderes Bild, als es Forscher bisher von
Chinas Geschichte gezeichnet haben. Einigermaßen sicher ist: Erstmals
vor etwa 10 000 Jahren tauchten kleine Gemeinschaften von Reisbauern
auf. Doch bis vor Kurzem ging man davon aus, dass die erste frühstaatliche Gesellschaft in China,
die auf einer hierarchisierten Gesellschaft beruhte, erst vor
3600 Jahren mit dem Aufstieg der Shang-Dynastie in der
Zentralchinesischen Ebene entstand. Das weit im Südosten gelegene
Liangzhu weist aber bereits viele Merkmale einer staatlich organisierten
Gesellschaft auf, die sich dann etwa 1700 Jahre früher formiert hätte
als bislang angenommen. Nach Ansicht von Colin Renfrew und Liu Bin ist
genau das der Fall gewesen.
Venedig des Fernen Ostens | Liangzhu liegt
ungefähr 160 Kilometer westlich von Schanghai. Die Metropole war zirka
300 Hektar groß. Im Umfeld der Stadt, die über acht Wasserpforten
befahren werden konnte, entdeckten Archäologen zwei Cluster von Dämmen –
niedrig und hoch gebaute Deiche.
Dass Liangzhu eine Hochkultur beherbergte, schließen sie aus drei Erkenntnissen:
Der
Bevölkerungsgröße: Lius Team schätzt, dass einst zwischen 22 900 und
34 500 Menschen die Stadt bewohnten. Das war um ein Vielfaches mehr, als
für jede andere frühe Gemeinschaft in China nachgewiesen ist.
Sehr
wahrscheinlich war die Gesellschaft von Liangzhu stark hierarchisch
gegliedert. Das folgern die Wissenschaftler aus dem großen Gefälle
zwischen den wenigen sehr reich ausgestatteten und den vielen ärmlich
bedachten Gräbern.
Schließlich gibt es einige monumentale
Bauten: die Stadtmauern, die Mojiaoshan-Plattform mit dem Palastkomplex
und das System aus Dämmen. Die Gemeinschaft, genauer gesagt, die Elite
war also in der Lage, derartige Baumaßnahmen zu organisieren, zu
verwalten und durchzuführen.
Dabei sei besonders beeindruckend, dass die Menschen von Liangzhu all das ohne Lasttiere wie Pferde, Esel oder Ochsen errichteten,
betont Jessica Rawson. »Alles war von menschlicher Arbeit abhängig«,
sagt sie. »Und entscheidend dabei war, diese Arbeitskräfte zu
organisieren.« Denn für die Baumaßnahmen mussten Bauern von der
Feldarbeit freigestellt werden können. Das Team um Liu hat berechnet,
dass allein für die Dämme von Liangzhu rund 2,9 Millionen Kubikmeter
Erde bewegt wurden. 3000 Arbeiter hätten dafür schätzungsweise acht
Jahre gebraucht. »Ohne Planung wäre so ein Wasserbauprojekt nicht
realisierbar gewesen«, ist Rawson überzeugt. Außerdem: »Eine kleine
Gruppe von Menschen wäre dazu nicht in der Lage gewesen – das war
Management im großen Stil.«
Hochkultur ohne Schrift?
Weltweit
kennen Archäologen kaum eine Hochkultur, die im 4. Jahrtausend v. Chr.
vergleichbare Wasserbauwerke wie in Liangzhu verwirklicht hat. Wer aber
die Wiege der Zivilisation sucht, blickt meist in den Vorderen Orient.
Dort hatten sich zur selben Zeit einige städtische Gesellschaften
herausgebildet, etwa Tell Brak in Syrien oder Uruk am Euphrat im
heutigen Irak. Auch diese Städte florierten dank eines fortschrittlichen
Wassermanagements. Doch in Größe und Komplexität haben die Menschen von
Liangzhu deutlich mehr Aufwand getrieben. Liu und Renfrew sind
überzeugt davon, dass die Staudämme von Liangzhu »womöglich weltweit die
frühesten gemeinschaftlich errichteten Bauwerke in dieser Größenordnung
sind«. Vernon Scarborough stimmt zu. Der Archäologe von der University
of Cincinnati besuchte die Stätte 2017 und war überrascht, wie stark die
Bewohner von Liangzhu in ihre Umwelt eingegriffen hatten. »Es gibt
keine andere derart wasserbaulich veränderte Landschaft, die ebenso
alt ist.«
Eine Sache allerdings fehlt bisher in Liangzhu: Die
Archäologen haben noch keine eindeutigen Belege für eine Schrift
gefunden. Und ohne Schrift, so die verbreitete Forschungsmeinung, könne
sich kein Staat herausbilden. Möglicherweise sind aber einige Bilder,
die Keramik- und Jadeobjekte zieren, nicht als reiner Dekor zu
verstehen. Zhang Chunfeng von der Pädagogischen Universität Ostchina in
Schanghai ist sich sicher, dass ein Teil der Symbole Schriftzeichen waren.
Bisher sind 656 Symbole bekannt, von denen einige immer gleich
arrangiert sind. Sie prangen etwa auf Gefäßen und dabei stets an
derselben Stelle, etwa auf dem Fuß oder an der Mündung. Zhang folgert
nun daraus, dass sie vielleicht wie ein Etikett Auskunft über den Inhalt
gaben. Die Sprachforscherin fand auch heraus, dass einige Zeichen nach
bestimmten Regeln verändert wurden, um ihnen womöglich eine neue
Bedeutung zu verleihen. Beispielsweise wurden Striche hinzugefügt oder
Motive anders miteinander kombiniert – aber eben nicht willkürlich,
sondern regelhaft. War in Liangzhu also ein Schriftsystem im Entstehen
gewesen? »Einige Symbole waren vermutlich nur dekorativ, manche besaßen
eine bestimmte Bedeutung, und für den Rest ist es schwierig, ihre genaue
Funktion zu bestimmen«, sagt die Forscherin. Sicher sein könne man nur,
meint Zhang, wenn eine Art Rosetta-Stein für die Symbole von Liangzhu
vorliegen würde.
Bi-Scheibe aus Jade | Typisch für die alten
Kulturen Chinas sind Bi-Scheiben. Dabei handelt es sich um dünne
Steindisken, die in der Mitte durchlocht sind. Dieses Stück stammt aus
Liangzhu.
Die Archäologen um Liu Bin haben genügend Daten
über die Frühzeitmetropole gesammelt, um den Entstehungsprozess einer
komplexen Stadtgesellschaft zu erhellen. Bekannt ist, dass der Übergang
von der Lebensweise als Jäger und Sammler zu einem bäuerlichen
Lebensstil in die Entstehung von Siedlungen mündete – die Gruppen
begannen, sich nahe ihren Feldern niederzulassen. Irgendwann bündelten
die Bauern ihre Ressourcen und setzten vermehrt auf Zusammenarbeit. Als
Folge vergrößerten sich die Gemeinschaften. Das erklärt jedoch noch
nicht, warum eine Gesellschaft dann den Sprung zur Metropole wagte. Was
war der Anlass, dass Menschen Technologien entwickelten, eine Verwaltung
errichteten und sich in der Folge eine hierarchische Gesellschaft
herausbildete? Ließ Wasser Zivilisationen blühen?
Laut Vernon Scarborough befeuerte ein Umstand die Entstehung der Stadtgesellschaft von Liangzhu: die Unwägbarkeiten der Natur.
So bestand gerade in der Regenzeit das Risiko, dass Nutzflächen
überschwemmt wurden. Im Sommer hingegen verdorrten die Reisfelder
womöglich unter lang andauernder Trockenheit. Und damit war die Ernte
gefährdet. Zu Anfang haben die Bauern wahrscheinlich nicht gleich ihre
Energien in wasserbauliche Anlagen investiert. Eher haben sie zunächst
versucht, die launische Natur mit Ritualen und Kulten günstig zu
stimmen. Zu solchen Anlässen waren dann auch die verstreut lebenden
Gruppen regelmäßig zusammengekommen. Durch die gemeinschaftlich
begangenen Kulte könnten sich soziale Normen etabliert und sich Einzelne
als Anführer hervorgetan haben, etwa weil sie das Wetter vorhersagen
konnten und so das Wohl der Gemeinschaft förderten.
Sobald eine
soziale Hierarchie existierte, gab es eine Elite, die genügend Arbeiter
für Bauprojekte mobilisieren konnte. Weil das Wassermanagement der
gesamten Gemeinschaft zugutekam, verfestigte sich wohl auch die
bestehende Gesellschaftsordnung. Der herrschenden Schicht fielen
folglich mehr Macht und Reichtum zu. Und beides ermöglichte es der Elite
wiederum, weitere kunstvolle Objekte fertigen und monumentale Bauten
errichten zu lassen.
»Wasser ist sicher nicht die einzige Ursache für die Entstehung komplexer Gesellschaften, aber es ist eine der wichtigsten«Vernon Scarborough, Archäologe, University of Cincinnati in Ohio
Dieselben
Umstände, die in Liangzhu zur Herausbildung einer frühstaatlichen
Gemeinschaft führten, herrschten nach Ansicht von Scarborough auch im
Vorderen Orient – nur dass sich die Menschen dort vor allem gegen
Dürreperioden wappnen mussten. »Es ging darum, Wasser, das ja nur
begrenzt zur Verfügung stand, aus dem Tigris oder Euphrat abzuleiten, um
so die wachsenden Städte zu versorgen.« Wie in Liangzhu hatten die
Einwohner erkannt, dass ihr Dasein sicherer wäre, wenn sie die
Umweltbedingungen beeinflussen könnten. Auch diese Entwicklung hat
vermutlich zum Gesellschaftswandel beigetragen. Die Gruppen kooperierten
enger, Einzelne taten sich dabei hervor, und allmählich bildeten sich
Eliten heraus. »Wasser ist sicher nicht die einzige Ursache für die
Entstehung komplexer Gesellschaften, aber es ist eine der wichtigsten«,
sagt Scarborough. Fluten brachten das Ende
Liangzhu
entstand, weil das Land von Überschwemmungen heimgesucht wurde. Doch
genau das führte wohl zu ihrem Untergang. Wang Zhanghua und ihr Team von
der Pädagogischen Universität Ostchina untersuchten Sedimentschichten
in der Region. Offenbar, so fanden die Forscher heraus, brachen immer wieder Flutwellen aus dem Ostchinesischen Meer über das Gebiet herein –
erstmals vor etwa 4500 Jahren. Dadurch lagerten sich Algen und kleinen
Meeresfossilien ab. Die Forscher um Wang dokumentierten die Schichten
direkt über den Hinterlassenschaften der Liangzhu-Kultur. Die Fluten
verwüsteten das Gebiet nicht nur, sie versalzten auch allmählich den
Boden – bis kaum noch Reis angebaut werden konnte. »Die wichtigste
wirtschaftliche und soziale Grundlage der Menschen von Liangzhu brach
weg«, fasst Wang zusammen.
Die Stadt wurde verlassen. Die Menschen
wanderten in andere Regionen ab – samt ihren Kenntnissen. Liu Bin und
seine Kollegen gehen davon aus, dass spätere Kulturgruppen Elemente aus Liangzhu wie die Jade-Congs aufgegriffen haben.
Doch schon die Liangzhu-Zivilisation selbst hatte die Landschaft um
ihre Kanalmetropole nachhaltig verändert – und das bis heute.
Nota. - 'Hydraulische Gesellschaft' ist der Begriff, den Karl August Wittfogel geprägt hat, um die Entstehung und Funktionsweise der unter Marxisten als asiatische Prokuktionsweise be-kannten Gesellschaftsformation zu erklären. Ihre Grundlage ist ein zentral betriebenes groß-flächiges Bewässerungssystem aus Kanälen, Rohren und Schleusen, das sich mit kleinräumiger Parzellenwirtschaft nicht verträgt und als politische Herrschaftsform die orientalische Despo-tie möglich und erforderlich macht.