aus welt.de, 10. 2. 2021
Vermutlich hatte die Stadt Tiberias ihre Tore den Eroberern bereits freiwillig geöffnet, bevor die Entscheidung auf dem Schlachtfeld fiel. Das würde eine spektakuläre Entdeckung erklären, die jetzt Archäologen der Hebräischen Universität Jerusalem am See Genezareth gemacht haben. In der Stadt am westlichen Ufer des Sees legten sie die Grundmauern einer Moschee aus der Frühzeit des Islams frei.
Das Erstaunliche an dem Bauwerk ist, dass es sich offenbar nicht um eine umgewandelte Kirche handelt (was bei einer gewaltsamen Besetzung erwartet werden könnte), sondern dass es von Grund auf als islamisches Gotteshaus errichtet wurde. Bei früheren Ausgrabungen in den 1950er-Jahren waren die Wissenschaftler noch davon ausgegangen, dass die Muslime einen byzantinischen Markt umgewidmet hatten. Die Leiterin der aktuellen Kampagne, Katia Cytryn-Silverman, ging eine Schicht tiefer und stieß auf Münzen und Tongefäße, die auf die Zeit zwischen 660 und 680 datiert werden. Das würde bedeuten, dass der gesamte Bau bereits unter arabischer Herrschaft errichtet wurde.
Es ist gut möglich, dass Tiberias zuvor bereits kampflos von den Arabern eingenommen worden war. Kurz nach Christi Geburt gegründet, war die Stadt lange Hauptstadt Galiläas; die Endredaktion des palästinensischen Talmud wurde hier erarbeitet. Auch nach der Besetzung bildeten Christen und Juden die Mehrheit der Bevölkerung. Historiker gehen sogar davon aus, dass die meisten Bewohner den welthistorischen Machtwechsel kaum bemerkt haben. Nur Sprache, Habitus und Religion der Steuereinnehmer hatten sich verändert.
Die Araber wollten wohl auch kein Exempel statuieren. „Sie haben die Gebetshäuser von anderen nicht zerstört, sondern sie haben sich in die Gesellschaften eingefügt, deren Anführer sie nun waren“, sagt Katia Cytryn-Silverman. Mindestens bis zum Bau einer größeren Moschee im 8. Jahrhundert sei eine byzantinische Kirche das Hauptgebäude in Tiberias geblieben.
Eine Zwangsbekehrung fand nicht statt, nicht zuletzt, weil Nichtmuslime zur Zahlung der Dschizya, einer Kopfsteuer, verpflichtet waren, mit der die Heere entlohnt wurden. „Die byzantinischen Münzen blieben in Umlauf, und Verwaltungsdokumente wurden weiterhin in griechischer Sprache verfasst“, schreibt der amerikanische Althistoriker Glen W. Bowersock.
Andere bekannte Moscheen aus frühislamischer Zeit, etwa die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem und die Prophetenmoschee in Medina, werden bis heute als Gotteshäuser genutzt und können deshalb nicht in vergleichbarer Weise von Archäologen untersucht werden. Daher bietet der Fund in Tiberias Archäologen die seltene Chance, die Architektur eines der ersten muslimischen Gebetshäuser zu studieren, sagt Katia Cytryn-Silverman.
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