aus FAZ.NET, 8. 2. 2021
Die Bayerische Staatsregierung hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, das eine grundsätzliche Neuausrichtung des bayerischen Hochschulrechts in Aussicht stellt. Mittelfristig wird die Forschungslandschaft in Bayern kaum wiederzuerkennen sein, wenn das Avisierte erst real geworden ist. Ein entsprechendes Gesetz soll dem Vernehmen nach noch im Sommer ver-abschiedet werden. Der Reformplan sieht nicht nur eine Machtverschiebung zugunsten der Präsidien vor, er novelliert auch den wissenschaftlichen Auftrag der Hochschulen. Inspiriert von der Technischen Universität München (TUM), The Entrepreneurial University, wird die erfolgreiche Universität als Unternehmen definiert. Ihr Handeln ist ergebnisorientiert. Zur Aufgabe „Forschung und Lehre“ tritt der „Transfer“ hinzu.
Im Rahmen der Hightech Agenda Bayern hat sich die Staatsregierung die Modernisierung ihrer Hochschulen auf die Fahnen geschrieben. „Modernisierung“ im Hightech-Kontext bedeutet, die Universität verstärkt zum Zulieferer für die Wirtschaft zu machen. Der Nutzen für „Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ soll verbessert werden – genau in dieser Reihenfolge. Die Logik dahinter könnte simpler kaum sein: Deutschland, Autoland, sichere seinen Wohl-stand durch Wirtschaft und Technologie. Das Brummen der Wirtschaft sei nicht alles, doch ohne dieses Brummen gehe nichts. Nach dieser Doktrin wird die Rolle der Universitäten neu bestimmt.
Das Vorhaben ist durchsichtig, doch ist es auch vernünftig? Ich würde meinen, das ist es sicher nicht. Die größte Gefahr liegt im Perspektivenwechsel hin zum Unternehmerischen. Wer die Universität zuerst als Unternehmen sieht, verkennt, wofür sie wirklich steht. Der „soziale, technologische, ökonomische, ökologische und kreative Mehrwert für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“, der im Eckpunktepapier den Nutzen der Universitäten zusammenfasst, ist nicht der tiefste Grund, warum sich Universitäten und ihre akademischen Verwandten gebildet und überdauert haben. Genauso wie die Künste, so sind auch Universitäten Ausdruck einer menschlichen Disposition. Diese besteht darin, Ideen zu formulieren und im Austausch mit anderen zu erproben.
Dort, wo Universitäten funktionieren, ermöglichen sie den freien wissenschaftlichen Gedankenaustausch, der ähnlich einem Konzertbesuch Momente in Raum und Zeit schaffen kann, in denen etwas Neues geschieht, das die Teilnehmer zuweilen ein Stück weit verwandelt.
Lehre an der Universität, wo sie gelingt, macht diese Dimension erlebbar. Hier findet „Bildung“ statt, das heißt ein Geschehen, das den Lernenden über sich hinausträgt. Bildung ist grundverschieden von der Vermittlung bloßer Kompetenzen. Letztere ergänzen das Spektrum einzelner, praktischer Fähigkeiten. Bildung erweitert Horizonte und führt zusammen. Sie geht den ganzen Menschen an.
Bildung ist im Eckpunktepapier nicht vorgesehen. Der Begriff taucht schlicht nicht auf. Hochschulen, so ist zu lesen, vermitteln „Wissen, Kompetenzen und Werte“. Die Autoren übersehen, dass die Wertevermittlung nicht auf phrasenhafte Bekenntnisse abzielt, sondern darauf, Werte so sehr schätzen zu lernen, dass man bereit ist, für sie persönlich einzustehen. Wertsysteme entfalten ihre Sinnhaftigkeit allerdings immer nur in einem kulturellen Kontext. Der zentrale Kontext, der unsere Gesellschaft prägt und zusammenhält, ist der „Primat des Vernünftigen“: Wir alle haben eine Vorstellung davon, was vernünftig sein soll, und wir glauben daran, dass es wohl am besten sein wird, das Vernünftige zu tun. Zum Beispiel halten wir es für vernünftig, unsere Entscheidungen auf der Basis von Fakten zu treffen. Und weil wir weiter meinen, es gäbe nur eine Wirklichkeit, die für alle Menschen die gleiche sei, kann es zwar alternative Deutungen, aber keine alternativen Fakten geben.
Die Bewahrung des „Primates des Vernünftigen“ – der heute von vielen Seiten angefochten wird – ist eine Aufgabe für jeden Einzelnen und jede Institution in diesem Land. Unsere Gesellschaft hat viele großartige Orte, an denen das geschieht: Schulen, Theater und Museen, Gerichte, Parlamente, Zeitungen usw. Das „Hochamt der Vernunft“ aber findet in den Universitäten statt: Sie sind der Ort, an dem alle denkbaren Perspektiven in Disput und Diskurs bewertet werden sollen. Sie haben sich selber dem Gedanken der „universellen“ Vernunft verschrieben, die von allen Denkrichtungen fordert, dass sich deren Behauptungen und Argumente den gleichen Standards unterwerfen, das heißt als vernünftig allgemein vermittelbar sind.
Der Name „Universität“ ist Programm. In ihr sollen alle Teildisziplinen zusammenfinden – Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und die Künste –, denn nur in der Zusammenschau ergeben sie die Einheit, in der sich der Mensch in seiner ganzen existentiellen Situation wahrhaft wiederfinden kann. Eine Technische Universität kann das nicht leisten, auch die TUM, meine eigene Alma Mater, kann das nicht. Dazu wurde sie nicht gegründet. Nur Volluniversitäten können hier bestehen, wie Bayerns größte, die Ludwig-Maximilians-Universität. Letztere nach dem Vorbild der Ersteren umzubauen, wie jetzt avisiert, ist fehlgeleitet.
Dies ist die wahre Mission der Universität: Sie stellt sicher, dass bei aller Vielfalt das einigende Band der universellen Vernunft nicht verlorengeht. Es macht die Stärke unseres Landes aus, dass die Menschen sich unter diesem Banner versammeln und gemeinsam handeln können. Ihr Vertrauen in die Institutionen gründet auf dem Glauben, dass alles „irgendwie mit rechten Dingen“ zugeht, also in einem kommunizierbaren Sinne vernünftig ist. Dieses Vertrauen ist das Unterpfand für die Zukunft dieses Landes. Die größte Gefahr ist, das zu verkennen und zu meinen, es käme zuerst darauf an, gute Autos zu bauen.
Was ich mit all dem sagen möchte: (Voll-)Universitäten sind lebendige Organismen mit einer eigenen Evolution, in ständigem Austausch mit der Gesellschaft. Sie nehmen ihre Verantwortung wahr, indem sie die Menschen für die Vernunft begeistern und deren Früchte der Gesellschaft auf vielfältige Weise anbieten. Sie vermitteln neue Ideen und Perspektiven, die wertvoll sein können, ob sie nun einen unmittelbar verwertbaren Nutzen haben oder nicht.
Zurück zu Lehre, Forschung und Transfer: Die Verpflichtung zum Transfer ihrer Erkenntnisse in die Gesellschaft gehört seit jeher zum Selbstverständnis der Universitäten und ihrer Forscher. Die Erweiterung des Aufgabenspektrums zum „Dreiklang“ von „Forschung, Lehre und Transfer“ im Eckpunktepapier ist so gesehen überflüssig. Das wissen auch die Autoren. Der Transfer, den sie sich denken, ist denn auch enger definiert: Ihnen geht es um das Übergeben von „Verwertbarem“ in sozialer, technologischer, ökonomischer, ökologischer oder auch kreativer Hinsicht. Innovation wird als Lieferkette gedacht, in der die Universitäten die Anbieter sind für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Wert hat hier, was „verwertbar“ ist. Und was verwertbar ist, entscheidet allein der Markt nach Angebot und Nachfrage. Universitäten sollen nach dem Reformplan „erfolgsorientiert“ arbeiten und werden dahin gehend evaluiert. Erfolgreich ist aber dasjenige Unternehmen, das am Markt besteht. Bisher ergeben sich Wert und Unwert einer Idee im akademischen Diskurs. Der Wissenschaft wird die Freiheit zugestanden, sich ihre Maßstäbe selbst zu setzen. Einerseits ist nur von der Spitze her ein verlässliches Urteil überhaupt möglich. Aber vor allem sollen an der Universität Gedanken gedacht werden, die wahrhaft neu, also der Moderne und dem Markt voraus sind. Das ist der Anspruch, den man stellen muss.
Der Transfergedanke relativiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Grundlagenwissen-schaft und Wirtschaft kommen in der Breite schwer zusammen, weil die Bedürfnisse der einen Seite mit dem Spezifischen der anderen keine selbstverständliche Passung haben. Hier rächt sich, dass viele große Unternehmen ihre eigenen Forschungskapazitäten abgebaut oder verlagert haben. Ob der Transfer gelingt, haben die Universitäten nicht in der Hand.
Wo Transfer zum (obersten) Maßstab wird, bleibt der Blick hinter den Vorhang auf der Strecke. Einsteins Relativitätstheorie, die Erforschung des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße oder die vor kurzem entdeckten „metallischen Isolatoren“: all diese Entwicklungen werden Transferkriterien nicht gerecht. Die Luft für Grundlagenforschung wird dünner, der Forschergeist kurzatmiger, genauso wie die Szenarien, die er motiviert.
Unsere Universitäten sind von dieser Welt und vom Ideal oft weit entfernt. Sie kämpfen mit globalen Herausforderungen, die nicht verschwiegen werden dürfen. Der großen Verantwortung, die mit der Freiheit der Wissenschaft eng verbunden ist, werden deren Träger nicht immer gerecht. Über Verbesserungen an den und für die Universitäten muss man also dringend reden, über eine Hightech Agenda Bayern auch. Beides zu vermischen tut keinem gut.
Ferdinand Evers ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Regensburg.
Nota. - Endlich mal einer, der Bildung nicht im Sinne von Behütung von Hergebrachtem und Bewährtem, sondern im Sinne von Öffnung des Blicks in neue Horizonte versteht. So war sie aber immer, wennauch nicht gerade an den Universitäten. Doch nur so können auch die Uni-versitäten die gewaltigen Summen rechtfertigen, die sie die Gesellschaft kosten.
JE
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