Obwohl der Ort etwa 200 Kilometer nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima längst zum nationalen Schatz (und Touristenmagnet) erhoben wurde, hält er immer noch mehr Fragen als Antworten parat. Das zeigen Gisela Graichen und Peter Prestel in ihrer Dokumentation „Un-gelöste Fälle der Archäologie – Verlorene Welten“, die das ZDF-Format Terra X am 14. Fe-bruar ausstrahlt und in der es neben archäologischen Evergreens wie „Atlantis“ oder „Machu Picchu“ auch um Caral geht.
Überwältigend sind allein schon die Ausmaße, erstreckte sich die Siedlung doch auf einer Fläche von mehr als 150 Hektar und umfasste sieben Hügel. Sechs bis zu 18 Meter hohe Tempelpyramiden sowie eine Art Amphitheater im Zentrum gaben dem Ort einen urbanen Charakter. Die Basis der größten Pyramide misst gut 150 Meter. Doch die eigentliche Sensation ist die Datierung: Die ältesten Teile sind 4600 Jahre alt. Das bedeutet, dass zur gleichen Zeit als die ägyptischen Pharaonen des Alten Reichs ihre Pyramiden errichteten, ähnlich monumentale Bauwerke auch am Fuß der Anden entstanden.
Inzwischen sind sich die Archäologen sicher, dass Caral kein Einzelfall, sondern eingebunden war in ein Netzwerk von städtischen Siedlungen, die im 3. Jahrtausend v. Chr. im Tal des Río Supe entstanden. Bislang wurden die Ruinen von 25 Orten entdeckt, die allesamt ähnliche Strukturen aufzeigen. Neben monumentalen Bauwerken gab es ausgedehnte Wohnbereiche für mehrere Tausend Einwohner, die bereits eine soziale Gliederung spiegelten.
Die Netze aus Schilf wurden mit Steinen gefüllt und in die Fundamente gelegt
Um ihre Tempel vor Erdbeben zu schützen, erfanden die Bewohner eine faszinierende Technik. Sie knüpften aus Totara-Schilf Netze, die sie mit Steinen füllten und damit den Fundamenten eine außerordentliche Flexibilität gaben. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgte dafür, dass Wasser aus dem Río Supe auf die Felder gelangte. Auf ihnen wurde ein ganzer Mix an Kulturpflanzen angebaut: Kartoffeln, Maniok, Chili, Bohnen, Kürbis, Guave und Avocado.
Doch der Wohlstand von Caral gründete wohl vor allem auf dem Fernhandel. So entdeckte Ruth Shady Reste von Fischen und Muscheln, die aus dem Dschungel jenseits der Anden stammen. Weitere Funde zeigen, dass Caral offenbar eine wichtige Station auf einem Handelsweg war, der vom Pazifik in den Osten des Kontinents führte.
Das Maß an Konflikten dürfte lange überschaubar gewesen sein. Dafür spricht das Fehlen von Mauern oder anderen Befestigungsanlagen. Umso frappierender ist daher die Erkenntnis, dass Caral um etwa 1600 v. Chr. von seinen Bewohnern verlassen wurde. Das Fehlen von Zerstörungen schließt Unruhen oder Invasionen als Gründe aus. Offenbar wurden Caral und die übrigen Städte am Río Supe ungefähr zur gleichen Zeit ordentlich geräumt.
Auf der Suche nach dem Warum sind Archäologen in Vichana, westlich von Caral am Pazifik gelegen, auf einen aufschlussreichen Befund gestoßen. Auch dort finden sich die gleichen Architektur- und Keramikformen wie in Caral. Aber viele Bauwerke sind mit Reliefs geschmückt, die Menschen darstellen. Doch ihre Schlichtheit zeugt nicht von Lebensfreude, sondern von Not. Es handelt sich um Bilder von Hungerleidern, deren Knochen deutlich zu erkennen sind.
Die Grabungsleiterin Tatiana Abad deutet dies als „kollektives Gedächtnis einer Bevölkerung, die eine Krise, einen Klimawechsel erlebt hat“. Noch heute überfällt das Wetterphänomen des El Niño regelmäßig die Region am Pazifik. Dessen Wasser erwärmt sich und lässt Plankton absterben. Damit aber verlieren viele Fische ihre Nahrungsgrundlage. Auch von späteren Kulturen wie den Nazca im Süden Perus ist bekannt, dass sie plötzlich ihre Siedlungsplätze verließen. Auch dort machen Indizien einen dramatischen Verlust der Ernährungsgrundlage wahrscheinlich.
„Terra X: Ungelöste Fälle der Archäologie – Verlorene Welten“, 20.15 Uhr, 14. Februar 2021, ZDF
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