aus welt.de, 9. 9. 2020 Die Kaiserkrone
In den fünfeinhalb Jahrhunderten zwischen Karl dem Großen und der Goldenen Bulle Karls IV., dem „Grundgesetz“ des Heiligen Römischen Reiches für die folgenden 450 Jahre, ruhte die Herrschaft zunächst auf der gottgewollten Einheit von weltlicher und geistlicher Macht. Doch im Investiturstreit des ausgehenden 11. Jahrhunderts zerbrach dieses Fundament.
Die Elfenbeinmadonna stammt aus der Zeit um 1000
Erst der Staufer Friedrich Barbarossa gab dem Reich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine neue Grundlage, nämlich die Wertegemeinschaft eines idealistisch überhöhten Rittertums. Die gesellschaftlichen Veränderungen des ausgehenden Hochmittelalters mit dem Aufschwung der Städte und der Entstehung eines selbstbewussten Bürgertums sowie den zunehmenden Partikularinteressen zunächst einzelner, bald vieler Adliger führten zum faktischen Bedeutungsverlust des Königtums im Interregnum, der kaiserlosen Zeit im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts.
Einen Ausweg eröffnete die Kodifikation des Reichsrechts, speziell der Königswahl, in der Goldenen Bulle 1356. Zumindest die Verhältnisse an der Spitze des Reiches waren fortan wieder geregelt und blieben es bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806.
Reiterbildnis Karls des GroßenSolche (mit einem modernen Begriff) verfassungsrechtlichen Veränderungen sind nicht ganz einfach in einer publikumsorientierten Ausstellung zu vermitteln. Der Mediävist Stefan Weinfurter, der 2018 während der Konzeptionsphase überraschend verstorbene Ideengeber der Ausstellung, und sein Nachfolger als wissenschaftlicher Leiter Bernd Schneidmüller (beide Universität Heidelberg) wählten die (Selbst-)Repräsentation von fünf Herrschern als Beispiele: dem ersten Kaiser Karl, dem letzten Ottonen Heinrich II., dem zerstrittenen Vater-Sohn-Paar Heinrich IV. und Heinrich V. sowie dem Staufer Barbarossa. Die Goldene Bulle und ihr genau festgelegtes System der Königswahl durch sieben Kurfürsten bildet den Epilog.
Geografisch dominiert, kein Wunder bei einer mit mehr als zwei Millionen Euro Sondermitteln aus dem rheinland-pfälzischen Landeshaushalt finanzierten Ausstellung, der Raum links und rechts des Rhein. Schneidmüller nennt das Gebiet von der Südpfalz bis zur Kölner Bucht, von Trier bis Frankfurt die „Herzkammer“ des mittelalterlichen Reiches. Der größte Teil dieses Gebietes gehört heute zu Rheinland-Pfalz, dessen Generaldirektion Kulturelles Erbe der Veranstalter der Landesausstellung ist.
Der Codex Manesse
Unter den rund 330 Exponaten sind Schätze, die teilweise zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind oder zumindest ausgeliehen wurden. Die als Codex Manesse bekannte Liederhandschrift, wohl das berühmteste Manuskript des deutschen Mittelalters mit zahlreichen unser Bewusstsein des Mittelalters prägenden Buchmalereien zum Beispiel des Dichters Walther von der Vogelweide, ist erstmals seit 2006 wieder auf Reisen gegangen.
Das für den Erzbischof von Mainz geschriebene Exemplar der Goldenen Bulle kommt sogar zum ersten Mal seit mehr als anderthalb Jahrhunderten wieder an seinen eigentlichen Bestimmungsort. Seit 1852 befindet es sich gewöhnlich in Wien.
Das Armreliquiar Karls des Großen, ein Hauptbeispiel für die Verehrung wie Instrumentalisierung des Karolingers in staufischer Zeit, ist aus Paris nach Mainz gekommen. Dass in Zeiten der Corona-Krise solche höchstkarätigen Leihgaben möglich waren (wenngleich einige Exponate im Laufe der fast sieben Monate dauernden Ausstellung durch andere Originale oder durch Repliken ersetzt werden), ist eindrucksvoll.
Sogar aus Mailand schafften es zwei Steinskulpturen Barbarossas und seiner Frau Beatrix an den Rhein. Es handelt sich um gemeißelte Schmähungen, aufgestellt einst auf einem Stadttor der lombardischen Metropole. Die Kaiserin ist als Prostituierte dargestellt, der Kaiser als Witzfigur – der Staufer hatte die Stadt 1162 erobert und verwüstet.
Den Besucher sollen natürlich vor allem die selten zu sehenden Exponate faszinieren. Doch das ist kein Selbstzweck. Zusammen mit zwölf „Korrespondenzorten“ in Rheinland-Pfalz und zwei in Hessen zeigt die Landesausstellung die Veränderung der „Säulen der Macht“. An den 14 zusätzlichen Veranstaltungsorten zeigen insgesamt 23 kleinere Ausstellungen meist in historischen Stätten des Mittelalters wie den Kaiserpfalzen in Ingelheim, Kaiserslautern oder Gelnhausen, den Burgen Trifels und Pfalzgrafenstein diese Verschiebung.
Burg Trifels hoch über Annweiler
Die „Renovatio Imperii“, die Wiedererrichtung des Kaisertums im Westen, die Karl der Große erreicht hatte und die seine Söhne und Enkel fortführten, beruhte auf der Vorstellung einer direkten Beauftragung des Herrschers durch Gott. Diese Überzeugung symbolisiert in der Ausstellung zum Beispiel ein Elfenbeinkästchen, das wohl im dritten Viertel des neunten Jahrhunderts in Metz hergestellt wurde und sicher dem fränkischen Königshof zugerechnet werden kann.
Es zeigt Szenen aus dem Leben Jesu, unter anderem seine Taufe. Interessant ist aber im Zusammenhang mit den „Säulen der Macht“ vor allem eine stilisierte Taube, die auf einem der abgeschrägten Dachflächen zu erkennen ist. Sie zielt im Sturzflug auf den gerade im Jordan getauften Heiland und trägt im Schnabel an einem Gestell zwei kleine Fläschchen – offenbar das Öl für die Salbung eines Herrschers zum König. Als Fundament der Macht des Herrschers erschien also der Himmel selbst.
< Krönung Heinrichs II. aus einem Prunk-SakramentarDie enge Verbindung zwischen dem weltlichen Herrscher und der Kirche hielt nach den Karolingern noch knapp zwei Jahrhunderte. Heinrich II. stützte sich ganz wesentlich auf die von ihm eingesetzten Bischöfe. Deren Bistümer waren nun die wesentliche „Säule der Macht“. In der Ausstellung illustriert das eine Miniatur aus dem Regensburger Sakramentar dieses Kaisers: Der weltliche Herrscher steht zwischen zwei als heilig gekennzeichneten Bischöfen, die deutlich kleiner sind als er und seine Unterarme stützen. Eine klare Unterordnung.
Die Einigkeit von weltlicher und geistlicher Macht zerbrach im Investiturstreit des ausgehenden elften Jahrhunderts. Reformen hatten das Selbstbewusstsein der Kirchenfürsten und vor allem des Papstes Gregor VII. gestärkt. Er ließ sich auf einen Konflikt mit Heinrich IV. ein, dessen „schroffes Selbstbewusstsein“ (Schneidmüller) ein rechtzeitiges Erkennen der Gefahr verhinderte. Nun zerbrach die Vorstellung der Gottesunmittelbarkeit des Königs; eine massive Erschütterung der Macht in der Mitte Europas war die Folge.
Heinrich II., Kaiser und König, wird von zwei Bischöfen unterstützt
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