Dienstag, 26. Mai 2020

Coronischer Populismus.


aus FAZ.NET, 26.05.2020

Ramelows Corona-Populismus 
Ramelow wollte den Ost-Laschet geben und ist damit gründlich auf die Nase gefallen. Aber der Unfall zeigt, was auf die Politik noch zukommt. Denn die Thüringer Perspektive werden früher oder später alle Länder haben. 

Ein Kommentar von Jasper von Altenbockum

Was Bodo Ramelow angerichtet hat, nennt man wohl ein Kommunikationsdesaster: Er wollte den Ost-Laschet geben, und das ging gründlich schief: unabgestimmt, undeutlich, widersprüchlich – und am Ende auch noch überflüssig. Denn der Schlussstrich unter den Lockdown, den Ramelow ziehen wollte, entpuppte sich bei nähe-rem Hinsehen dann doch als die Fortsetzung einer Krisenpolitik, nur sollte das Thüringer Pandemie-Glas nicht mehr halbleer, sondern halbvoll sein. Mundschutz, Abstand, eingeschränkter Schulbetrieb, keine Großveran-staltungen – all das soll es auch nach dem 6. Juni in Thüringen geben.

Und auch die Thüringer Gesundheitsämter sollen so arbeiten wie überall in Deutschland: Bei 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen einer Woche müssen sie sich etwas einfallen lassen. Allein das Krisenmanage-ment in Pandemie-Zeiten soll neu überdacht werden, aber das fällt schon unter Schadensbegrenzung einer rot-rot-grünen Regierung, die jetzt weiß, was Angela Merkel unter „Öffnungsdiskussionsorgie“ verstanden hat.

Er habe niemandem gesagt, er solle sich den Mundschutz von der Nase reißen, ereiferte sich Ramelow über die Aufregung, die er verursachte. Was meinte er dann aber damit, dass sich „Verbote“ nunmehr in „Gebote“ ver-wandeln sollten und dass Eigenverantwortung das Gebot der Stunde sei? Sind Gebote nicht einfach die Kehr-seite von Verboten?

Gebote klingen einfach besser als Verbote. Zumal in einem Bundesland, das zwar vor kurzem noch einen Corona-Hotspot aufwies, jetzt aber Neuinfek-tionen mit der Lupe suchen muss. Ramelow und die Linkspartei sehen sich nicht nur als Übergangsregierung. Sie haben Ambitionen, die sich auf die Landtagswahl im kom-menden Jahr richten.

Da macht es sich nicht gut, wenn den Sinn ihrer Politik nur noch eine Minderheit begreifen würde – zumal die Mehrheit der Thüringer Wählerschaft ohnehin zwischen linkem und rechtem Rand irrlichtert. Ist es ein Zufall, dass der linkslibertäre Ramelow uneingeschränktes Lob nur von der rechtslibertär geschminkten AfD erhielt? 

Länder wie das weitgehend verschont gebliebene Thüringen mögen es schwerer haben, Beschränkungen auf lange Sicht aufrechtzuerhalten und als solche auch klar zu benennen. Das wird, je erfolgreicher die Corona-Politik ist, früher oder später aber auf die meisten anderen Bundesländer zutreffen. Die Justiz tut ihr übriges: die Verhältnismäßigkeit kippt in Richtung Lockerung, je weniger Infektionen es gibt. Insofern hat das Ramelow-Desaster dann doch seinen guten Nutzen. Es zeigt, was auf die Politik noch zukommt.

Schon jetzt gilt es deshalb, diejenigen beim Wort zu nehmen, die den Regierungen in Bund und Ländern vor-werfen, schlecht vorbereitet in die Corona-Krise geschlittert zu sein. Politik und Verwaltung, nicht dem Virus, wird deshalb aus dieser Sicht die Schuld am Lockdown und dessen Folgen gegeben. Jetzt machen Regierung und Verwaltung aber genau das: Sie sind gut vorbereitet – durch Prävention und Aufrüstung der Krankenhäuser.

 Weder auf das eine noch auf das andere lässt sich verzichten. Maßstab dafür ist nicht die Zahl der Neuinfek-tionen, sondern der Impfstoff, den es irgendwann einmal geben wird (oder auch nicht). Wer sich bis dahin auf Wortspielereien über Verbote und Gebote einlässt, hat den Ernst der Lage nicht verstanden oder hat anderes im Sinn als Gesundheitsschutz. Man kann es auch Corona-Populismus nennen. 


Nota. - Eine weltweite Seuche ist keine Summe von Einzelursachen, sonden ein systemischer Prozess. Dazu gehört nicht nur, was biologisch im Einzelnen geschieht - aber dies in Masse -, sondern auch das, was die Men-schen dazu meinen; und zwar die einen dies und die andern anderes.  Virologen haben dazu das Ihre beizutra-gen, Epidemiologen einiges Andere; aber Maßnahmen ergreifen müssen Politiker.

Die müssen ihre Maßnahmen so verpacken, dass ihnen gefolgt wird. Gefolgt wird nicht, weil eine Regierung das gernhat, sondern weil es die Seuche bekämpft. Doch die Seuche ist nicht zu bekämpfen durch diese oder jene Einzelmaßnahme, sondern durch eine systemische Gegenwehr. Nämlich eine, die möglichst umfassend befolgt wird, und das betrifft nun wieder die Meinungen, die die Bürger aus guten oder schlechten Gründen haben. Mit den allgemeinen Seuchenvorkehrungen ist es wie mit der Straßenverkehrsordnung: Es kommt nicht darauf an, ob sie im einzelnen klug und richtig ist, sondern darauf, dass es sie gibt.

*

Zu einem systemischen Vorgehen gehört, dass es an der gegebenen Stelle so, an der andern anders spezifiziert wird. Aber auch, dass wegen der Lockerungen beim Nachbarn gleich nebenan hier der Leichtsinn steigt. Da-zwischen müssen Politiker navigieren.

Aber wie die Dinge bei uns nunmal liegen, wollen Politiker, wenn sie ein Amt haben, wiedergewählt werden; und die, die keins haben, eins bekommen. Wenn Regierungen bei uns nicht gewählt werden müssten, wäre das anders, doch gewissenhafter wären sie deshalb noch nicht.  

Wenn sie aber nur dies wollen, läuft es auf dasselbe hinaus.

PS. Das Adjektiv libertär ist zu uns aus Amerika zurückgekehrt: In Europa bezeichnete es ursprünglich die politische Philosophie der Anarchisten. Aber die ist mit dem spanischen Bürgerkrieg untergegangen. Aufer-standen ist sie in den Vereinigten Staaten, als mit F. D. Roosevelt und John Dewey New Liberalism zu einem Namen für das wurde, was man in Europa als Sozialdemokratie bezeichnet. Die alte erzkonservative, aber staatsfeindliche Grundströmung in der amerikanischen Rechten hat das Wort libertär seither für sich gekapert. Dass es in dieser Bedeutung nach Europa zurückkommen  konnte, ist ein weiteres Zeichen für dessen Nieder-gang; rechtslibertär ist eine Missgeburt, und linkslibertär ist der Lutheraner Ramelow ganz gewiss nicht.
JE 


 

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