aus derStandard, Wien, 26. Mai 2020
Kein Weg in die "Schuldenunion"
Österreich
ist als kleine Volkswirtschaft von seinen EU-Partnerländern abhängig und
profitiert vom Euroraum. Die Position der Regierung ist kurzsichtig
Kommentar der anderen
von Philipp Heimberger
von Philipp Heimberger
Deutschland und Frankreich drängen auf einen EU-Wiederaufbaufonds in Höhe von 500 Milliarden Euro. Damit verstärken sie die Bemühungen um eine koordinierte fiskalpolitische Reaktion der EU auf die Covid-19-Pandemie. Die zusätzlichen Ausgaben sollen durch EU-Anleihen finanziert werden, wobei das Geld über das EU-Budget in Form von Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, an besonders hart getroffene Regionen und Sektoren ausbezahlt werden könnte.
Tücke der Kredite
Auf europäischer Ebene ist bislang ein Maßnahmenpaket im Umfang von 540 Milliarden Euro beschlossen. Dieses Paket beinhaltet eine neue ESM-Kreditlinie von bis zu 240 Milliarden Euro, die zwar nur an geringfügige Auflagen geknüpft ist, aber auf die Deckung der Gesundheitskosten beschränkt bleibt – was auch die makroökonomische Wirkung stark limitiert, da die Staatsausgaben für Gesundheitskosten in der Gesamtbetrachtung der Krisenkosten keine große Rolle spielen werden. Zusätzlich gibt es ein neues EU-Programm, das den EU-Mitgliedsstaaten zur Unterstützung von Kurzarbeit billige Kredite ohne Auflagen gewährt.
Weitere zurückzuzahlende Kredite helfen Ländern wie Italien in dieser Krisensituation jedoch nicht weiter, sondern würden die Probleme für die gesamte Eurozone noch verschärfen, sodass auch das österreichische Wirtschaftsmodell nachhaltig gefährdet wäre.
Denn einige Länder, allen voran Italien, starten bereits mit einem so hohen öffentlichen Schuldenstand in die Corona-Krise, dass sie nicht einfach – wie etwa Deutschland oder Österreich – in großem Umfang weitere Anleihen begeben können. Dies zeigt sich bereits daran, dass die bisherige fiskalpolitische Reaktion auf die Krise in Italien und anderen südlichen Eurozonenländern bislang viel schwächer ausgefallen ist als in Deutschland und Österreich. Eine weiter stark divergierende fiskalpolitische Reaktion der Mitgliedsstaaten würde jedoch eine ungleichmäßige Erholung von der Corona-Krise und eine politische Dynamik zur Folge haben, die bis zum Zusammenbruch des gemeinsamen Währungsraumes führen könnte.
Ein Kampfbegriff
Sebastian Kurz fürchtet bei einer Umsetzung des deutsch-französischen Vorschlags den Weg in eine "Schuldenunion". Er bekämpft mit diesem Kampfbegriff etwas, das so überhaupt nicht von Angela Merkel und Emmanuel Macron gefordert wird. Im Gegenteil: Auch der deutsch-französische Vorschlag ist befristet und würde einem klaren Zweck dienen, nämlich der Bewältigung der Folgeprobleme der Pandemie im europäischen Schulterschluss.
Wie könnte der deutsch-französische Plan funktionieren? Der Wiederaufbaufonds soll finanziert werden, indem die EU auf den Finanzmärkten Geld aufnimmt. Die Ausgabenobergrenze im EU-Haushalt könnte für die nächsten drei Jahre von derzeit etwa einem auf etwa zwei Prozent des Bruttonationaleinkommens angehoben werden. Die EU könnte rund 165 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr ausgeben, was sich über drei Jahre hinweg auf 500 Milliarden Euro belaufen würde. Der Fonds würde Ausgaben für die am stärksten betroffenen Regionen und Sektoren bereitstellen. Der deutsch-französische Vorschlag erwähnt dezidiert, dass gerade zukunftsrelevante Investitionen in die Digitalisierung und in einen "grünen" Strukturwandel ebenso gestärkt werden sollen wie Forschung und Entwicklung.
Klarer Zweck
Im Gegensatz zu "normalen" EU-Ausgaben, also den Ausgaben von circa ein Prozent des Bruttonationalein-kommens, würden die zusätzlichen Ausgaben im Rahmen des Wiederaufbaufonds nicht durch jährliche Beiträge der Mitgliedstaaten, sondern durch neue EU-Schulden gedeckt werden: Die Europäische Kommission würde langfristige Anleihen im Namen der EU begeben. Dabei müssten die einzelnen EU-Staaten zwar Garantien auf Basis ihrer EU-Beiträge abgeben. Diese würden jedoch nur die Ausgabe der EU-Anleihen über die bestehende Marge zwischen Ausgabenobergrenze im mehrjährigen EU-Finanzrahmen und jetziger Eigenmittelobergrenze ermöglichen.
Von einer "Schuldenunion" kann keine Rede sein: Die Haftung für die begebenen Anleihen bliebe bei der EU. Es gäbe keine gesamtschuldnerische Haftung einzelner Mitgliedsstaaten, wie dies bei Eurobonds oder Corona-Bonds in Diskussion stand. Die zusätzlichen EU-Ausgaben, die durch die EU-Anleihen finanziert werden, wären befristet und klar zweckbestimmt.
Langfristiges Eigeninteresse
Die aktuelle österreichische Position ist kurzsichtig: Ein Festhalten an zurückzuzahlenden Krediten für den Wiederaufbaufonds würde den Schuldenstand in Italien und anderen Ländern weiter in die Höhe treiben und über die dadurch entstehende Destabilisierung der Finanzmärkte und des Eurosystems auch negativ auf Österreich zurückwirken. Ein zentraler Vorzug des deutsch-französischen Vorschlags besteht darin, dass die vorgesehenen EU-Anleihen die Schuldenstände in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, die von den zusätzlichen EU-Ausgaben profitieren, nicht erhöhen würden.
Deutschlands exportorientiertes Wachstumsmodell hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark vom gemeinsamen europäischen Währungsraum profitiert. Merkel scheint das nun anzuerkennen; sie hat ihre harte Ablehnung von Zuschüssen aufgegeben. Doch Österreich ist als kleine, offene Volkswirtschaft in hohem Maße von seinen EU-Partnerländern abhängig und profitiert vom Euroraum. Italien ist Österreichs drittwichtigster Exportabnehmer; eine Erholung der italienischen Wirtschaft wäre nicht zuletzt für Österreichs Industrie von großem Interesse.
Österreich würde nicht einfach solidarisch handeln, wenn es bei der europäischen Lastenteilung seine Blockadehaltung bezüglich Zuschüssen aufgibt, sondern auch seinem langfristigen Eigeninteresse an einem intakten gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum gerecht werden.
Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche und am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft in Linz.
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