Röttgen attackiert Laschets Corona-Kurs
„Es geht um Profilierung“
Zuletzt ruhte der Kampf um den CDU-Vorsitz. Nun greift Norbert Röttgen
Armin Laschet wegen dessen Corona-Kurs an – und warnt vor Fehlern. Ein
Interview.
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Herr Röttgen, im normalen Leben könnten Sie jetzt seit drei Wochen CDU-Vorsitzender sein. Was würden Sie denn anders machen in dieser Krisensituation?
Ich finde, dass die Politik der Bundeskanzlerin, die in der Krise auf Vorsicht setzt, richtig ist. Ich unterstütze diesen Kurs voll. Angela Merkel hat nichts beschönigt, sondern die große Gefahr klar beschrieben. Sie hat die Mittel benannt und diese vorbildlich kommuniziert. Und darum hoffe ich, dass ich es genauso gemacht hätte.
Sie gestatten uns eine kleine Verblüffung. Angela Merkel hat sie als bisher einzigen Minister entlassen und Sie haben sie verschiedentlich scharf kritisiert…
Natürlich bin ich manchmal anderer Meinung und ich habe das auch gelegentlich gesagt. Aber viel besser finde ich es, in einer so wichtigen Angelegenheit wie dieser voll einer Meinung zu sein.
Kommt es dem Politikstil der Kanzlerin entgegen, dass es eine Krise ist, wo man nur auf Sicht fahren kann?
Ich würde sagen, die Kanzlerin ist für diese Krise wie gemacht. Die Corona-Pandemie erfordert eine klare Analyse eines vor allem naturwissenschaftlichen Vorgangs.
Auf dieser Basis müssen rational Instrumente abgeleitet und politische Entscheidungen getroffen werden, die dann in kurzen Abständen zur Überprüfung stehen – das liegt der Kanzlerin.
Man hat aber den Eindruck, dass ihr jetzt von ungeduldigen Ministerpräsidenten das Heft aus der Hand genommen worden ist.
Die Beschlüsse der letzten Bund-Länder Schaltkonferenz sind interessant. Dort wird immer wieder betont: Die Lockerungen liegen jetzt in der Verantwortung der Bundesländer. Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin darauf sehr viel Wert gelegt hat, denn unausgesprochen heißt das: Das ist nicht meine Präferenz und Verantwortung.
Nach dem Erfolg der ersten fünf Wochen haben sich aus taktischen und parteipolitischen Interessen heraus die Lockerungsforderungen verselbstständigt. Was vorher klar nach der pandemischen Entwicklung ausgerichtet war, hat sich zunehmend an der Stimmung eines Teils der Bevölkerung orientiert. Dieser Stimmung haben sich die Ministerpräsidenten angeschlossen.
Dann müsste es Sie mit besonderer Sorge erfüllen, was Ihr Konkurrent um den CDU-Parteivorsitz, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, treibt, die Kanzlerin sprach von einem forschen Vorgehen.
Die Kanzlerin hat gesagt: Zu forsch. Ich stimme ihr da zu.
Aber der Druck der Wirtschaft ist auch in Nordrhein-Westfalen immens.
Der Wunsch nach Öffnungen verbindet uns doch alle. Aber die Disziplin in der Bevölkerung ist stark geprägt worden durch die Politik – am Anfang durch die Einheitlichkeit, mit der man aufgetreten ist und nun eben durch den föderalen Lockerungswettbewerb.
Die Einschränkungen sind doch das Instrument zur Bekämpfung der Gefahr durch die Pandemie und deren Folgen. Stattdessen wird der Lockdown nun oft dargestellt als eine eigene Gefahr und zwar für die Wirtschaft. Das ist ein Denkfehler, den ich bei jedem kritisiere, der ihn macht.
Wenn wir die Pandemie nicht unter Kontrolle bringen und halten, wird auch die Wirtschaft weiter leiden. Politiker und Parteien, die diese beiden Aspekte in der Regel aus taktischen Gründen vermengen, schwächen uns in der Bekämpfung einer so großen Gefahr wie dieser Pandemie.
Ich hoffe nicht, dass ich Recht behalte, aber meine große Sorge ist, dass wir irgendwann in der Entwicklung der Pandemie sehen werden, dass die Kosten durch unsere Ungeduld am Ende größer geworden sind.
Sie sagen, taktische Gründe.
Ja, weil es um Profilierung geht. Als Ministerpräsident oder als Partei. Die FDP fragt sich vermutlich gerade, wo bleiben wir eigentlich als Partei? Wir können als Opposition ja nicht immer nur zustimmen.
Sie haben nach der Finanzkrise Erfahrungen als Umweltminister mit einem ähnlichen Phänomen gemacht, mit der Klimadiskussion. Auch da haben wir eine objektive Gefahr und Leute, die sagen: Geht aber nicht, kann man nicht bezahlen.
Der Unterschied liegt darin, dass bei dieser Pandemie der Schaden schon da und für alle sichtbar ist. Die Leute sterben ja akut in dem Moment, in dem wir darüber entscheiden, wie wir uns verhalten sollen. Die Klimafolgen sind zwar bekannt, betreffen aber zumindest in Deutschland den einzelnen weniger direkt und werden sich in ihrer vollen Wucht auch erst noch entfalten.
Wir sehen jetzt bei der Pandemie, wie schwer es trotz eines klaren Befundes ist, diszipliniert zu bleiben. Wie schwer ist es da erst beim Klimawandel, sich heute schon vernünftig zu verhalten, wenn die Folgen erst in der nächsten Generation eintreten? Das ist die enorme Herausforderung, der die Klimapolitik seit Jahren ausgesetzt ist.
Auch in Ihrer Partei wächst der Druck, die Klimapolitik jetzt etwas nachrangiger zu behandeln. Wird sie wegen der ökonomischen Verwerfungen unter die Räder geraten?
Das ist ganz objektiv zu befürchten. Wir erleben in Europa und weltweit die schwerste Rezession seit mindestens 1930. Bis wir uns davon erholen, wird länger dauern, denn vom Einbruch her sieht es nicht nach einem „V“ aus, sondern eher nach einem breiten „U“.
Der Druck, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, ist in einer solchen Lage enorm. Trotzdem müssen wir jetzt langfristig und strategisch investieren, was auch bedeutet, dass wir unsere Wirtschaft insgesamt nachhaltiger ausrichten sollten. Auch in der Krise müssen Wirtschaft und Klima nicht im Gegensatz zueinander stehen.
In einigen Monaten wir es vielleicht doch noch den CDU-Parteitag geben, in einer Zeit, wo es vor allem um das Thema Rettung der Wirtschaft gehen wird. Haben Sie da mit Ihrem Profil nicht einen entscheidenden Nachteil gegen Friedrich Merz und Armin Laschet?
Nein, denn auch Deutschland kann es langfristig wirtschaftlich nicht gut gehen, wenn es allen um uns herum schlecht geht. Das Ringen um Europa, die großen Zukunftsfragen und der Kampf um die Seele der CDU – das sind die Gründe, warum ich angetreten bin, die mich umtreiben und antreiben.
Was heißt es denn in dieser Zeit, dass wir die Europapartei sind? Was heißt das für die für die hochpolitische Frage der Konstruktion des europäischen Wiederaufbaufonds? Wie viel Hilfe sind wir als starke Volkswirtschaft bereit, zum Beispiel Italien zukommen zu lassen? Wie gestalten wir den wirtschaftlichen Wiedereinstieg in Verbindung mit langfristigen Klimazielen?
Wie ist unser Selbstverständnis als Land und Partei, als Teil Europas, wenn sich diese Gemeinschaft in einer existenziellen Krise befindet? An diese Fragen gehe ich mit einem klaren Profil. Ich habe keine Furcht, im Gegenteil: für genau dieses Profil will ich kämpfen.
Der Corona-Zeitgeist hat mit Europa nicht so viel am Hut.
In den ersten Wochen dieser Krise, als es wirklich ernst wurde, war Europa nicht da. Stattdessen haben die Nationalstaaten gehandelt und Ressourcen zum Schutz ihrer Bürger mobilisiert.
Als Europäer habe ich kein Problem damit, dass im Zuge der Krise das Bewusstsein für einen funktionsfähigen Staat wieder gestärkt worden ist. Aber wir haben im weiteren Verlauf auch gemerkt, dass wir in Europa angewiesen sind auf Kooperation und Koordination.
Wenn wir als Europäer gelten wollen gegenüber den USA und China, dann müssen wir zusammenstehen, sonst gehen wir unter. Der Zeitgeist fällt ja nicht vom Himmel. Er wird auch dadurch geprägt, dass es Menschen gibt, die für Europa kämpfen.
Vergangene Pandemien haben zum Gegenteil geführt, zu Abschottung und Nationalismus.
Wenn man es historisch betrachtet, waren in der Tat typische Folgen von Pandemien, Nationalismus, Abschottung, Protektionismus. Und es spricht nichts dafür, dass diese Gefahren nicht auch die Folgen dieser Corona-Pandemie sein werden. Zu den rationalen Schlussfolgerungen gehört daher, dass wir uns mit den Risiken der Globalisierung mehr beschäftigen müssen.
Wir sind vielleicht doch alle ein bisschen blauäugig gewesen in der Willkommenskultur der Globalisierung. Vor zehn Jahren haben wir einen Weltfinanzmarktkollaps erlebt, weil Kräfte entfesselt wurden, die wir dann nicht mehr beherrscht haben. Wir haben vor wenigen Jahren erlebt, dass Globalisierung auch mit der Mobilität und Migration von Menschen verbunden ist.
Und jetzt kommt ein Krankheitserreger, der als Pandemie die ganze Welt befällt, wenn er an einer Stelle ausbricht. Ich glaube, dass eine der Schlussfolgerungen dieser Erfahrungen sein muss, dass wir uns auf erkennbare systemische Risiken der Globalisierung besser vorbereiten. Kein Nationalstaat kann das alleine. Für uns heißt das: Die Europäische Union als nächstgelegene Gemeinschaft muss es machen.
Ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem EZB-Urteil dieser europäischen Gemeinschaft mitten in der Corona-Krise einen Bärendienst erwiesen.
Ich halte das für ein ganz fatales Urteil. Es löst einen Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den europäischen Institutionen aus, der nach der Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts nicht lösbar ist.
Es gilt ja eigentlich der Satz: Der Richter spricht durch sein Urteil. Wenn ich jetzt sehe, dass der Berichterstatter des Gerichts ein Interview nach dem anderen geben muss, um das Urteil zu erklären, dann ist das ein Indiz dafür, dass der Senat in Karlsruhe die Folgen seines Spruchs nicht übersehen hat.
Wo liegt denn das Problem?
Was unser nationales Verfassungsgericht für sich in Anspruch nimmt, können wir prinzipiell keinem anderen nationalen Gericht verwehren. Wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des EuGH als schlechterdings unverständlich und objektiv willkürlich bezeichnet, dann muss man wissen, dass die Regierungen von Polen und Ungarn die Kritik am Abbau von Rechtstaat, unabhängigen Gerichten und Pressevielfalt schon immer als „schlechterdings unverständlich und objektiv willkürlich“ zurückgewiesen haben.
Wenn das deutsche Verfassungsgericht obendrein beansprucht, die EZB in ihrer Geldpolitik inhaltlich zu kontrollieren, dann entscheidet es über die Angelegenheit von 18 anderen Mitgliedstaaten mit, die mit uns den Euro als Währung teilen.
Die EU-Kommission droht sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren ...
Ich habe Verständnis dafür, dass die Kommission das prüft. Aber ich rate dringend ab. Das würde den Konflikt nur noch weiter eskalieren. Es wäre ja ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. Aber was soll die Regierung dann machen? Was sollen wir als Parlament machen? Das Verfassungsgericht hat einen Großkonflikt eröffnet und für die Lösung eine Sackgasse vorgeschlagen.
Dann bliebe nur, dass die Karlsruher Richter ihr Urteil revidieren, was ja in Einzelfällen schon vorgekommen ist?
Das Gericht sollte die Rezeption seines Urteils würdigen und noch einmal bedenken, was es angerichtet hat. Dazu könnte gehören, dass die Forderungen nach einer gemeinsamen europäischen Haushaltspolitik stärker werden. Ich habe Zweifel, ob dieser Druck in unserem Interesse wäre.
Wie soll Solidarität in der Krise denn aussehen?
Ich glaube, dass die Finanzlage in Italien, Spanien und auch in Frankreich so ernst ist, dass das in der Tat nicht alleine die EZB richten kann. Der Corona-Wiederaufbaufonds ist daher wegweisend. Aber die Ausgestaltung des Fonds muss sich am Problem orientieren.
Das Problem sind die zu hohen Schulden. Weitere Kredite helfen da nicht. Das sieht inzwischen ja auch der deutsche Industrieverband BDI so, der gemeinsam mit den französischen und italienischen Industrieverbänden Stellung bezogen hat.
Auf den nächsten CDU-Vorsitzenden kommt dann einiges zu. Wann findet die Wahl nun statt?
Ich rechne im Moment mit dem regulären Parteitag im Dezember. ...
Verändert die Corona-Krise auch die Gesellschaft?
Mein Wunsch und meine Hoffnung sind vor allem, dass sie die Politik verändert. Wir haben jetzt die Erfahrung gemacht: Wenn wir vernünftig mit den Menschen reden, können wir auf sie vertrauen.
Wenn es um Wichtiges geht und wir ehrlich und offen sind, dann können wir viel Zustimmung gewinnen. Die Politik muss diesen Mut und das Vertrauen in die Bürger beibehalten und nicht aus Angst vor Populisten in Kleinmut zurückfallen. Mit Kleinmut und Ängstlichkeit werden wir keine der Aufgaben der Zukunft bestehen.
Was heißt das für den Umgang mit den anschwellenden Corona-Protesten?
Wir dürfen uns von der Lautstärke und Aggressivität dieser Minderheit nicht beeindrucken lassen. In den Zuschriften, die ich bekomme, haben diejenigen die klare Mehrheit, die auf Vorsicht und Vernunft setzen. Sehr viele setzen sich auch dafür ein, dass wir in politische Entscheidungen mehr als bisher wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen lassen. Für diese Haltung müssen wir kämpfen, wir alle und wir als CDU.
Wo wird er am schwersten?
Die Europafragen werden total schwer. Wir werden den Deutschen erklären müssen, dass es gegen unser eigenes Interesse ist, wenn wir nur kurzfristig aufs Geld gucken.
Wir müssen langfristig unsere Grundlagen sichern und dafür etwas investieren. Das sagt sich im Moment vielleicht leicht. Aber das wird ein harter Kampf werden. Den können und werden wir als CDU nur gewinnen, wenn wir die Ermutigung der Bürger aus diesen Krisentagen annehmen, Politik zu erklären und zu gestalten.
Nota. - Wer wie ich Angela Merkels angekündigten Rückzug aus der Politk bedauert, kann Röttgens Kandidatur für den CDU-Vorsitz nur begrüßen. Je mehr Stimmen er auf sich vereinigt, je größer sein Gewicht in der Politik wiegt, umso mehr Hoffnung auf Klarsicht, Weitsicht und gesunden Menschenverstand bleibt uns erhalten.
Dass er ein unabhängiger Kopf ist, muss er nicht erst noch beweisen. Und dass er ein uneitler Kopf ist, nun auch nicht mehr - weil er eben ein Kopf ist.
JE
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