aus welt.de, 10. 6. 2019
„Das amerikanische Staatswesen war eine Republik der Säufer“
Nach dem Sieg gegen die Briten 1783 brachen die alten Konflikte in den
USA wieder aus. Ein Symptom war der Konsum von Whisky und Rum.
Amerikaner tranken doppelt so viel wie Russen und Schweden - mit fatalen
Folgen.
In der sklavenhaltenden Plantagenwirtschaft des Südens hatte die Pflanzeraristokratie die Macht. Im Norden bildeten reiche Bürger und Unternehmer die Oberschicht, die sich durch erfolgreiche Neureiche vergrößerte. Diesen Eliten stand die übergroße Mehrheit gegenüber, die mit einer kleinlandwirtschaftlichen Subsistenzökonomie ihren Traum vom Leben in der Neuen Welt mehr schlecht als recht zu realisieren suchte. Hinzu trat in der sich formierenden Industrie des Nordens eine Arbeiterschaft, die oft am Existenzminimum vegetierte.
Die sozialen Ungleichheiten waren infolge des Unabhängigkeitskrieges noch größer geworden, schreibt der Münchner Historiker Michael Hochgeschwender in seinem Buch „Die Amerikanische Revolution“. Als einen Ausdruck der Krise macht er die weitverbreiteten Alkoholismus aus, der die junge Republik prägte.
Schon vor der Revolution hatten Whisky und Rum allerdings auch für Kleinkriege zwischen Familien und Dörfern gesorgt und manche Schlägerei angetrieben, die sich zur lokalen Revolte auswuchs. Hinzu kamen die kostenlosen Gelage, die von Kandidaten in Wahlkämpfen und an Wahltagen erwartet wurden und ein wichtiges Argument für Wähler war, wem sie ihre Stimme geben würden. Thomas Jefferson scheiterte bei seiner ersten Bewerbung für das House of Burgesses, weil er sich weigerte, diese Erwartungshaltung der Wähler zu befriedigen.
Historiker haben errechnet, dass Amerikaner um 1800 pro Kopf 26 Liter reinen Alkohols zu sich nahmen – und dabei waren Frauen und Kinder mitgerechnet. Zum Vergleich: nach denselben Kriterien liegt der Wert für Deutschland heute bei 9,6 Litern reinem Alkohol pro Kopf.
Aber auch in ihrer Zeit waren die 26 Liter ein außergewöhnlicher Wert. „Die bereits in der Vormoderne wegen ihrer Trunksucht bekannten Russen und Schweden kamen mit rund zwölf Litern nicht einmal auf die Hälfte. Das amerikanische Staatswesen war eine Republik der Säufer“, resümiert Hochgeschwender. Betrunkene Pastoren lallten vor angeheiterten Gemeinden ihre Predigten. Örtliche Honoratioren hatten ebenso wie Kleinbauern oft genug ihre liebe Not, sich torkelnd auf den Beinen zu halten.
Es waren vor allem sittenstrenge Aufklärer und evangelikale Prediger, die dem Alkoholkonsum den Krieg erklärten. Trinker wurden zu unmoralischen Versagern erklärt, die ihre Familien und Arbeitsstätten ruinierten. Ihre berauschten Seelen seien leichte Opfer des Teufels. Diese Perspektive fand ihre Argumente auch in Erfahrungen mit (und Klischees von) Einwanderergruppen, die mit den Traditionen der Pilgerväter wenig gemein hatten. Deutschen etwa wurde der Hang zum Bier verübelt, Iren die Freude am Whisky. Gegen deren illegale Brennereien in Brooklyn wurden nach dem Bürgerkrieg regelrechte Kriege geführt.
Aus dem ernsten Ringen mit dem Dämon Rum, so das Fazit, wurde der unerbittliche Krieg gegen Rum und Rom. Das Ergebnis war die Prohibition, das letzte gemeinsame Projekt von progressiven Aufklärern und Evangelikalen. Der 18. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung brach allerdings einer anderen Seuche Bahn: dem organisierten Verbrechen.
Nota. - Das Recht freier Männer, Alkohol zu brennen, war ebenso eine Errungenschaft der amerikanischen Revolution, wie das Recht, Waffen zu tragen. An letzterem ächzt Amerika noch heute.
JE
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