Millet
aus scinexx
Ein Tag Arbeit reicht für das Seelenheil
Arbeit fördert das Wohlbefinden - doch mehr als ein paar Wochenstunden braucht es dafür nicht
Ein bisschen Arbeit tut gut: Arbeitenden Menschen geht es
seelisch besser als Nicht-Erwerbstätigen. Dieser Effekt zeigt sich schon
bei acht Arbeitsstunden oder weniger pro Woche deutlich, wie eine
Langzeitstudie enthüllt. Demnach sinkt bereits bei diesem geringen
Pensum das Risiko für psychische Probleme signifikant – und mehr braucht
es offenbar auch nicht. Denn der positive Effekt nimmt durch längere
Arbeitszeiten nicht weiter zu.
In Zeiten von Stress, Leistungsdruck und Überstunden erscheint ein
Leben ohne Arbeit oft verlockend: Ohne Verpflichtungen und Termine in
den Tag hineinleben und nur das tun, worauf man gerade Lust hat – ein
Traum! Was in der Fantasie paradiesisch klingt, ist für unsere Psyche
auf Dauer allerdings gar nicht gut. Langfristig, das belegen zahlreiche
Studien, braucht der Mensch Arbeit für sein Wohlbefinden. Denn einen Job
zu haben, fördert die Selbstachtung, wirkt sinnstiftend und gibt uns
das Gefühl, gesellschaftlich eingebunden zu sein.
Doch wie viele Arbeitsstunden sind für diesen positiven Effekt nötig?
„Es gibt für fast alles Dosierungsemp- fehlungen – von der
Vitamin-C-Zufuhr bis hin zur Schlafdauer. Wir haben uns nun zum ersten
Mal gefragt, wie eine solche Empfehlung für bezahlte Arbeit aussehen
würde“, erklärt Daiga Kamerade von der University of Cambridge.
Acht Stunden pro Woche genügen
Um dies herauszufinden, werteten die Forscherin und ihre Kollegen
Daten einer britischen Langzeitstudie mit 70.000 Teilnehmern aus. Die
Probanden im Alter zwischen 16 und 64 waren über einen Zeitraum von neun
Jahren begleitet worden und hatten währenddessen regelmäßig Angaben zu
ihrer beruflichen Situation gemacht. Außerdem wurden sie zu Problemen
wie Ängsten oder Schlafstörungen befragt, um ihre psychische Gesundheit
einschätzen zu können.
Würde sich ein Zusammenhang zwischen dem Seelenzustand und dem
Arbeitspensum der Studienteilnehmer zeigen? Tatsächlich offenbarten die
Analysen: Personen, die nach einer Phase der Arbeitslosigkeit oder
Elternzeit ins Arbeitsleben zurückkehrten, ging es in der Folge
psychisch besser. Schon acht Arbeitsstunden oder weniger pro Woche
reduzierten das Risiko für psychische Probleme im Schnitt um 30 Prozent,
wie die Wissenschaftler berichten.
Mehrarbeit bringt keinen Mehreffekt
Mit steigendem Arbeitspensum wurde dieser Effekt allerdings nicht
stärker: Mit einem Vollzeitjob landete zwar mehr Gehalt auf dem Konto,
doch für die seelische Gesundheit ergaben sich keine signifikanten
Unterschiede im Vergleich zu weniger arbeitenden Personen. „Wir haben
nun eine Vorstellung davon, wie viel bezahlte Arbeit nötig ist, um die
bekannten psychosozialen Vorteile der Erwerbstätigkeit zu erzielen. Es
ist nicht sehr viel“, sagt Kamerades Kollege Brendan Burchell.
„Das traditionelle Modell, nach dem jeder rund 40 Stunden wöchentlich
arbeitet, war nie darauf basiert, wie viel Arbeit den Menschen guttut“,
ergänzt Mitautor Senhu Wang. „Unsere Untersuchung legt nahe, dass
Mikrojobs den gleichen Nutzen für die Psyche bringen wie Vollzeitjobs.“
Verkürzte Woche als Option
Die Wissenschaftler halten ihre Ergebnisse vor allem angesichts des
sich rasant wandelnden Arbeitsmarktes für relevant. So gehen Prognosen
davon aus, dass durch technische Fortschritte in Form von Robotern oder
künstlichen Intelligenzen künftig in vielen Bereichen Arbeitsplätze
wegfallen könnten.
In diesem Zusammenhang diskutieren Experten unter anderem die
Einführung von Grundeinkommen, aber auch die Kürzung der wöchentlichen
Arbeitszeit. „Unseren Erkenntnissen zufolge könnte die Arbeitswoche
deutlich verkürzt werden, ohne der seelischen Gesundheit und dem
Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu schaden“, kommentieren Kamerade und
ihre Kollegen.
Auch auf die Qualität kommt es an
Eines aber darf bei der Diskussion um die Quantität nicht vergessen
werden, wie die Forscher betonen: Auch die Qualität der Arbeit ist
entscheidend. „Wo Angestellte nicht respektiert werden oder unter
unsicheren Verträgen leiden, hat die Arbeit natürlich nicht denselben
positiven Effekt auf die mentale Gesundheit – und das wird auch in der
Zukunft gelten“, so ihr Fazit. (Social Science & Medicine, 2019; doi: 10.1016/j.socscimed.2019.06.006)
Quelle: University of Cambridge
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