Mittwoch, 22. Juni 2022

Hab ich es so gemeint?

Ein Kampfpanzer Leopard 2 A5 in voller Fahrt bei einer Gefechtsübung in Gardelegen.
aus FAZ.NET, 21. 6. 2022                                        Kampfpanzer Leopard 2 A5

Klingbeils Rede
„Deutschland muss Führungsmacht sein“
Der SPD-Vorsitzende Klingbeil wünscht sich, dass die deutsche Gesellschaft „eine neue Normalität mit der Bundeswehr“ entwickelt. Zur früheren Russlandpolitik äußert er sich kritisch.

Von Eckart Lohse und Markus Wehner

Es sind ungewöhnliche Worte für einen SPD-Vorsitzenden, die Lars Klingbeil am Dienstag-morgen auf einem Kongress zur „Zeitenwende“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vor-trägt. „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben“, fordert der SPD-Chef. Deutschland habe sich viel Vertrauen erarbeitet, damit gingen Erwartungen an seine interna-tionale Rolle einher. „Wir sollten diese Erwartungen erfüllen“, so Klingbeil. Es gehe dabei nicht darum, „breitbeinig oder rabiat“ aufzutreten, aber „durchdacht, überzeugt und konse-quent zu handeln“.

Für diese neue Rolle, die Deutschland harte finanzielle und politische Entscheidungen abverlangen werde, brauche es „eine völlig andere sicherheitspolitische Debatte in Deutschland“. Im Wettbewerb der politischen Zentren in der Welt müsse die Europäische Union „eine geopolitische Bedeutung entfalten“. Sie müsse im Wettbewerb mit Russland und China andere Länder für sich gewinnen, neue strategische Allianzen auf der Grundlage von wirtschaftlichen Interessen und politischer Orientierung schmieden. „Unser Anspruch muss sein, dass wir das attraktivste Zentrum sind.“

Mit Blick auf die Russlandpolitik moniert Klingbeil, Deutschland habe zu lange geglaubt, „dass sich am Ende unser politisches Modell einer regelbasierten Ordnung durchsetzen würde“. Dabei habe man verkannt, dass sich die Dinge längst anders entwickelt hätten. „Die Signale aus Russland hätten wir anders sehen müssen, spätestes 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim.“ Deutschland müsse auch weiter mit Ländern kooperieren, die unser Gesellschaftsmodell nicht teilten oder gar ablehnten.

Doch dürfe es „keine Kooperation ohne Haltung“ geben. „Wandel durch Annäherung darf nie wieder auf Wandel durch Handel reduziert werden“, kritisiert der Sozialdemokrat die bisherige Politik gegenüber Russland, das heute eine Diktatur sei. Klingbeil wirbt auch dafür, dass Europa seine strategische Autonomie ausbauen soll, kritische Güter und kritische Infrastruktur müssten hierzulande hergestellt werden. „Nie wieder dürfen wir uns in so starke Abhängigkeit begeben, wie das energiepolitisch bei Russland der Fall war.“

Angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine fordert der 44 Jahre alte SPD-Vorsitzende künftig außenpolitisch in Szenarien zu denken „und uns auch auf diese Szenarien vorzubereiten“. So habe Deutschland im Umgang „mit unseren ost- und mitteleuropäischen Partnern Fehler gemacht“, weil man deren Sicht auf Russland ignoriert habe. „Wenn wir aus den baltischen Staaten oder Polen hören, dass sie Angst davor haben, die nächsten Ziele Russlands zu sein, dann müssen wir das ernst nehmen“, sagt Klingbeil und wirbt dafür, den Dialog mit den östlichen EU-Staaten zu intensivieren.

Die Lieferung von Waffen aus Deutschland an die Ukraine verteidigt Klingbeil, dazu gehöre „auch schwere Artillerie“. Das gehöre zur neuen Rolle der Bundesrepublik. Der Sohn eines Soldaten, am größten Heeresstandort Munster aufgewachsen, fordert zudem „einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit der Bundeswehr“. Die Streitkräfte seien in der öffentlichen Debatte in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weiter „nach hinten gerückt“.

Oftmals seien sie nur gesehen worden, wenn es Skandale gegeben habe. „Man hatte fast den Eindruck, je weniger Bundeswehr es gibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Das genaue Gegenteil ist der Fall“, sagt Klingbeil. Er wünsche sich, dass die deutsche Gesellschaft „eine neue Normalität mit der Bundeswehr“ entwickele. Das bedeute, „dass wir über Frieden und Sicherheit reden und dabei die Bundeswehr selbstverständlich mitdenken“. Nicht das Reden über Krieg führe zum Krieg, sondern das Verschließen der Augen vor der Realität führe zum Krieg.

 

Nota. - Das kommt ja wohl etwas überplötzlich. In der Sache kann man ihm kaum wider-sprechen, doch wenn man hinsieht, wer das sagt, kommt Vertrauen nicht auf. Wo waren diese Stimmen bisher, warum hat man sie nicht zu hören bekommen? Klingbeil hat wohl seit län-gerem ein Herz für die Bundeswehr. Doch wenn das der Grund für eine weltpolitische Neu-ausrichtung der deutschen Sozialdemokratie sein sollte, wird mir mulmig.

Das große Verdienst Angela Merkels für Deutschland war, dass sie diesem Land einen Platz in der Welt auf friedlichem Weg verschafft hat, den es auf kriegerischem Weg nie erobern konnte. Sie hat in der Griechenlandkrise Europa ein Rückgrat eingezogen, das kein anderes der betei-ligten Länder ihm hat bieten wollen noch können, und sie hat in der Flüchtlingkrise von 2015 den Europäern vor Augen geführt, was ihre weltpolitische Verantwortung war.

Danach haben die Kleingeister mal hier, mal da Scharten ins vorsichtig erwachsende Europa geschlagen, und außer dem Lippenbekenntnis für die globale Verantwortung ist kaum etwas zurückgeblieben.

Die Sozialdemokraten stellten zwar den Außenminister, aber die Richtlinien der Politik be-stimmten sie nicht. Doch den inzwischen allseits bemerkten Schwachpunkt der Ära Merkel, die Arglosigkeit gegenüber dem Putinregime, verantworten sie wenigstens so wie die Kanz-lerin. 

Was haben sie daraus gemacht? Nach Wochen der Sprachlosigkeit hat ihr Kanzler das Wort von der Zeitenwende geprägt, nachdem er in denselben Wochen Putin zugesichert hatte, dass er nie und unter gar keinen Umständen "schwere Waffen" an die Ukraine geben würde. Wenn überhaupt Worte Taten werden können - das war eine Tat, und Putin hat sie beherzigt.

Und jetzt ist Säbelrasseln Mode, Klingbeil hat Hofreiter mit Leichtigkeit überrundet.

Es steckt aber nichts dahinter, was eine Neuausrichtung der deutschen Politik und der Rolle Deutschlands in der Welt glaubhaft machen könnte.
JE


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