aus nzz.ch, 4. 6. 2022 Hans Thoma, Walkürenritt
Eine
Antwort ist so alt wie die Komödie «Lysistrata» von Aristophanes. Der
Name der Heldin ist Programm. «Lysis» ist «Auflösung, «Stratos» Heer.
Die Frau hat also im Peloponnesischen Krieg die Armeen zerlegt, wiewohl
ganz friedlich. Ihre Waffen: Sex und Gold, was die Männer noch mehr
lockte als der Krieg. In Athen und Sparta verschwören sich die Frauen
gegen die Buben mit dem XY-Chromosom. Die Athenerinnen verschanzen sich
auf der Akropolis, wo die Kriegskasse lagert, und verweigern den Männern
ihre Körper. Ähnlich in Sparta. Der Liebesentzug wirkt, die Jungs legen
ihre Schwerter beiseite und sich selber ins Ehebett.
Es
ist eine herzerwärmende Geschichte weiblicher Weisheit, nur stimmt sie
nicht. Der Bruderkrieg dauerte 27 Jahre und endete mit dem Sieg Spartas.
Doch hat sich die Idee festgesetzt, wonach Frauen die besseren,
jedenfalls friedfertigeren Menschen seien. Mütter kümmern sich ums
Leben, Männer um Krieg. Frauen sind umsichtig und fürsorglich,
testosterongesteuerte Männer schlagen reflexhaft zu, Aggressivität und
Gewalt wurzeln in ihrer Natur. Seit dem Ukraine-Krieg ist die
Lysistrata-Saga wieder akut. Leider ist sie in den letzten 2500 Jahren
nicht bestätigt worden. Der Frieden blieb bloss eine Pause zwischen zwei
Kriegen.
Gegen Aggressoren hilft nur Gewalt
Was
ist feministische Aussenpolitik (FAP)? Es gibt zwei Versionen. Eine
findet sich in der Anleitung des Auswärtigen Amtes in Berlin, wo es mehr
um Proporz als um Strategie geht. Einer FAP «geht es nicht um das
Ausschliessen, sondern um das Einbinden . . . Wenn die Hälfte der
Bevölkerung keine Möglichkeit zu gleichberechtigter Teilhabe hat, kann
keine Gesellschaft ihr Potenzial voll ausschöpfen, können wir Frieden
und Sicherheit nicht dauerhaft erreichen.»
Die
zweite ist ambitionierter. Sie will das Wesen internationaler Politik
umkrempeln. Ein probates Beispiel: FAP «fordert das Ende einer simplen
Weltsicht. Sie denkt strukturelle Gewalt wie Rassismus, Sexismus oder
Klassismus mit. Denn die Fokussierung auf die Bedürfnisse von gerade
weissen Männern reicht nicht aus, um die Komplexitäten des Lebens zu
verstehen . . . Jede Waffe mehr bringt mehr patriarchale Gewalt, [diese]
mehr Waffen.» Der Sinn der FAP «muss sein, dass patriarchale Regime wie
das Putins auch in Russland nicht mehr existieren können».
Das
Amt zwingt zu Realpolitik: Die deutsche Aussenministerin Annalena
Baerbock tritt im März 2022 mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg
nach einem Treffen in Berlin vor die Presse.
Das
ist die harte Version: eine neue Weltordnung plus Regime-Change, was an
George W. Bushs Kriege erinnert. Sodann an den US-Präsidenten Woodrow
Wilson und seine Parole im Ersten Weltkrieg: «Make the world safe for
democracy». Das hehre Ziel der beiden hatte zwei Haken. Ihre Strategie
forderte insgesamt drei Kriege mit Millionen Toten und hat Europa nach
1918 und Nahost nach «mission accomplished» weder befriedet noch
demokratisiert.
Heute
darf man Wilson/Bush so ironisieren: «Macht die Welt sicher durch
Feminismus.» Das wirft drei Probleme auf. Erstens: Ob Potentat wie
Saddam oder Autokrat wie Putin, die Aggressoren haben leider die Macht,
und deren Sturz erfordert überlegene Gegengewalt. Weibliche
Überzeugungskraft läutert sie ebenso wenig wie männliche; freiwillig
gehen sie nicht, zumal da draussen das Kriegsverbrechertribunal lauert.
Also Krieg für den Frieden – und da geht sie dahin, die weiche Macht
jedweden Geschlechts.
Pazifismus,
ein Kern der FAP, verbessert die Welt nur in der Vorstellungskraft.
«Wer Frieden will», dozierten die Römer, «muss sich auf den Krieg
vorbereiten.» Und ihn notfalls führen. Denn, um Friedrich Schiller zu
bemühen: «Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt.
Weibliche Machtpolitik in der Praxis
Das
ist das erste Problem – wie bei Schopenhauer, der wähnte: «Die Welt ist
meine Vorstellung, dies ist die Wahrheit.» Das zweite würde eine
dogmatische Feministin aufspiessen. Sie würde ihren laxen Kolleginnen
vorwerfen, just mit den Kategorien der weissen Männer zu hantieren. Etwa
so: «Ihr reproduziert doch bloss die alten Rollenklischees. Ihr redet
letztlich genauso wie die Männer. Ihr preist Frauen als Friedensbringer,
ihr schreibt ihnen zu, wovon die Jungs träumen: Sanftmut, Hingabe,
Kinder-Küche-Kirche. So bleibt ihr gefangen in der Unterwerfung.» FAP
wäre demnach ein Irrweg. Wenn Frauen wie Männer handeln, was wird aus
ihrer spezifischen Identität als Frau? Man kann den Kuchen nicht essen
und behalten.
Das
dritte Problem ist das gravierendste, ein Denkfehler. Er verwechselt
Gender mit Gebaren. Die plakatierten Tugenden der Frauen –
Friedfertigkeit usw. – lassen sich von ihrer Position in Gesellschaft
und Staat nicht trennen. Wer keine Macht hat, wird den Krieg nicht
proben. Unter dem traditionellen «Patriarchat» mussten Frauen andere
Machtquellen anzapfen – siehe Lysistrata und Genossinnen, deren sexuelle
Macht Rüstung und Schwert austrickste.
Greifen wir nun in die Geschichte, wo Frauen die Herrschaft errangen, und das
Bild sich dreht. Fangen wir an mit Deborah, der israelitischen
Heerführerin. «Es gebrach an Regiment in Israel, bis dass ich, Deborah,
aufkam, eine Mutter Israels.» (Richter 5,7) Unter ihrer Führung siegte
ihr Volk im Befreiungskrieg gegen seine kanaanitischen Unterdrücker.
Frieden lässt sich nicht oft ohne Waffen schaffen.
Boudicea
sammelte 60 n. Chr. ein 100 000-Mann-Heer gegen die Römer, die
Britannia unterjocht hatten. Sie schlug sie und brannte Londinum
(London) nieder. Die Frau griff zur Gewalt, weil es das nationale
Interesse so gebot
Ein
Sprung nach vorn. Isabella von Spanien vereinte ab 1492 mit ihrem Mann
Ferdinand die iberische Halbinsel und verjagte die muslimischen
Eroberer. Ihr Motto im Wappen: «Er wiegt so viel wie sie.» Unter ihrer
Herrschaft entstand ein riesiges Imperium in Lateinamerika. Mit anderen
Worten: Kolonialismus ist nicht allein Männersache, wie es im
Katechismus des Korrekten heisst.
Johanna
von Orleans war eine Kriegsherrin. Und Elizabeth I. (Königin von 1558
bis 1603) entsandte ein Heer in die Niederlande, um die protestantischen
Brüder (und die Insel) gegen die ausgreifenden Spanier zu schützen –
klassische Gleichgewichtspolitik. Sie erfand den englischen
Kolonialismus und besiegte die Armada des spanischen Erbfeindes. Sie
liess ihre katholische Rivalin Maria Stuart köpfen. Die
«Jungfrau-Königin» deklamierte in ihrer berühmtesten Rede: «Ich weiss,
ich habe den Körper einer schwachen, zarten Frau, doch das Herz und den
Willen eines Königs.» Auch wer Röcke trägt, gehorcht auf dem Thron der
Staatsräson.
Maria Theresia von Österreich führte ständig Krieg. Katharina die Grosse (Kaiserin von 1762 bis 1796) war eine Vorzeige-Imperialistin. Sie verleibte sich die Krim ein, dann in den Polnischen Teilungen (mit Habsburg und Preussen) das grösste Stück der Beute. Sie kolonisierte Noworossija rings um das Schwarze und das Asow-Meer. Die Frau «friedfertig» zu nennen, hiesse, sie zu beleidigen.
Nun in die Neuzeit. Golda Meir, die erste Regierungschefin Israels, führte ihren Staat 1973 in den Jom-Kippur-Krieg, als Ägypten und Syrien das Land zu überrollen drohten. Diese Frau war robuster als manche ihrer Generäle. Staatsräson und Erinnerung vereinten sich in der weiblichen Seele zur Gewaltbereitschaft: «Israel ist die stärkste Garantie gegen einen neuen Holocaust.»
Indira Gandhi marschierte 1971 gegen Pakistan. Das dortige Regime verlor West-Pakistan, heute Bangladesh; seitdem ist Indien die Vormacht in Südasien. Unter der weiblichen Ägide entstand die indische Atombombe. Nicht schlecht für eine friedensbeseelte Frau.
Margaret Thatcher, die «Iron Lady»,
täuschte die Welt mit ihrer eleganten Garderobe – keine Hosen, stets
onduliertes Haar. Als Argentinien 1981 die Falklands eroberte, entsandte
sie die Flotte und triumphierte über 12 000 Kilometer hinweg. Manche
Männer im Kabinett waren nicht ganz so mutig. Auch nicht George Bush,
der 1990 zögerte, Saddam aus Kuwait zu vertreiben. Legendär ist ihr
Anruf beim Präsidenten: «Du wirst doch nicht wackeln, George!»
Lieber Gas als Solidarität
Was
lehrt dieser kurze Ausschnitt aus der Geschichte? Machtpolitik kommt
von Macht, nicht aus dem Hormonhaushalt. Auf dem Thron handeln Frauen
nicht anders als Männer. Dann gilt ihre Sorge nicht den Kindern, sondern
dem Staat. Angela Merkel vermied Krieg jenseits symbolischer Einsätze,
dies aber genauso wie ihr Macho-Vorgänger Gerhard Schröder und heute der
risikoscheue Olaf Scholz. «Weiblich» war ihre kalte Interessenpolitik
nicht. Siehe ihr stures Festhalten an Nord Stream 2, welche die
östlichen Nachbarn umging. Gas für Deutschland zählte mehr als
europäische Solidarität.
Gender
ist weder Schicksal noch Tugend. Wo man steht, hängt davon ab, wo man
sitzt – auf dem Thron oder an der Wiege. Natürlich haben Männer über
Jahrtausende Krieg geführt, die Aussenpolitik bestimmt, weil die Frauen
nichts zu sagen hatten – ausser im Umweg über des Königs Ohr wie bei
Madame de Pompadour. Das Weib hatte gefälligst für Nachwuchs, Wärme und
Speisung zu sorgen. Doch zeigen unsere Beispiele, dass an der Macht
Frauen wie Männer vorweg dem Wohle des Staates dienen, wo Selbstsucht
und -schutz sich zum ewigen Basso ostinato vereinen.
Machen
wir ein Gedankenexperiment und unterstellen ein weltweites Regiment der
Frauen. Wer würde auf Kants «Ewigen Frieden» wetten, wer auf den «sacro
egoismo» der Nationen? Wer auf Mutter Theresa, wer auf Maggie Thatcher?
PS: Wer mehr über Herrscherinnen wissen will, möge Antonia Frasers Klassiker «The Warrior Queens» (1988) lesen.
Josef Joffe
lehrt internationale Politik und politische Theorie an der Johns
Hopkins School of Advanced International Studies in Washington.
Nota. - Verdammt, ich habs immer noch nicht gelernt. Als ich zum erstenmal von femini-stischer Außenpolitik las, glaubte ich an einen müden Sarkasmus eines weißen alten Manns. Doch nein, was da seit nun einem halben Jahrhundert Netzhaut und Trommelfell strapaziert, ist ganz bierernst gemeint. Mehr als ein paar müde Sarkasmen fällt mir inzwischen selbst nicht mehr ein. Da habe ich einen Artikel übernommen, der sich ebenfalls ganz ernstgemeint gibt.
Aber ich weiß schon, was frau allen Ernstes entgegnen wird: Das waren alles biologische Frauen, die auf Männerthronen saßen. Aber mit Annalena Baerbock ist erstmals eine gegen-derte Feministin am Drücker!
Das ändert alles.
JE
Gräfin Pompadour
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen