Mittwoch, 29. Juni 2022

Recht und öffentliche Sitten.

Rebecca Gomperts in Neue Zürcher, 25. 6. 22:

«Eine Abtreibung ist eine akzeptable Art, um zu regulieren, ob man Kinder hat oder nicht. Egal, ob man es einmal oder zehnmal macht.» 

 

Halten wir fest: Ein sozialpolitisches Thema wie vor fünfzig Jahren ist Abtreibung nicht mehr. Wer keine Kinder will, muss keine Kinder bekommen. Natürlich gibt es Sonderfälle..

Halten wir weiterhin fest: Moral ist - wie Religion - Privatsache. Was ich andern schulde - und sie mir -, regelt das Recht. Moral ist das, was ich mir selber schuldig bin, und das weiß nur ich.

Wer also aus moralischen Gründen gegen Abtreibung ist, muss sich nicht zwingen lassen. Einen andern mag er verurteilen, doch ihm sein eigenes Gesetz überhelfen darf er nicht. Und sollte es aus pragmatischen Gründen gar nicht wollen. Ein strafrechtliches Verbot schafft eine ganze Reihe von Folgeproblemen; ob es die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche senken würde, steht aber in den Sternen.

Ein ganz anderes Thema ist das öffentliche Reden über Abtreibung - und die Rolle, die poli-tische Instanzen dabei haben können.

Der eingangs zitierte Spruch der eingangs genannten Person. Er enthält die die öffentlich-moralische Gleichstellung von Abtreibung ung und Geburt.

Moralisch und öffentlich - kann das nach obigem gehen? Moral kommt von lat. mos, das bedeutet Sitte und Gewohnheit. Im Griechischen - Ethik/ethos ists dasselbe. Überall in der Welt gab es es und gibt es Sitten, die öffentlich gelten, weil so viele als für sich geltend aner-kennen. Und sie mögen sich entrüsten, wenn andere es nicht tun, und in gepflegter Sprache dürfen sie das sogar sagen. Mehr aber auch nicht - schon der Aufruf, Kliniken zu boykottieren, ist nicht legitim

Der westliche Rechtsstaat beruht auf der Fiktion des autonomen Subjekts. Wenn er direkt et-was mit Moral zu tun hat, dann dies. Es ist die Grundlage für die kategorische Scheidung zwi-schen öffentlich geltenden Recht und persönlicher Sittlichkeit.

Haben sich staatliche Instanzen also ganz aus dem Thema rauszuhalten? Nicht, wo es politisch und virtuell rechtlich von Belang ist. Der Paragraph 219a ist so ein Fall. Er stammt aus einer Zeit, als Abtreiben strafbar war. Doch davon abhängig ist er nicht. Nicht nur hat ein Staat das Recht, sondern auch die politische Pflicht, klar und deutlich festzustellen, dass in öffentlicher Wertschätzung Gebären und Kinder in die Welt einführen etwas radikal anderes ist als die eigene Familie... eben nicht zu planen, sondern nachträglich zurechtzuschneiden. Dass der § 219a gestrichen wurde, ist ein kulturelle Schande. Werben mögen sie für Botoximplantate.


 

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