aus Tagesspiegel.de, 16. 6. 2022 Der Ursprung der mittelalterlichen Pest lag im Tian Shan Hochgebirge im heutigen Kirgisistan.
Vielleicht erlegte um 1338 ein Mensch im Tian-Shan-Hochgebirges im heutigen Kirgisistan ein Murmeltier. Wie es noch heute vorkommt, könnte dieses Nagetier mit Bakterien der Art Yersinia pestis infiziert gewesen sein. Ob der Erreger der Pest bei einer solchen Gelegenheit auf den Menschen übersprang, wird sich nie aufklären lassen. Der schreckliche Rest der Geschichte ist dagegen bekannt: Flöhe übertrugen das Bakterium auf andere Nager wie Ratten, die in der Umgebung der Menschen lebten. Später gaben Flöhe das Bakterium an Menschen weiter, die an der Pest erkrankten und den Erreger dann über andere Flöhe weiterverbreiteten.
Als Handelsreisende die Pest über das Schwarze Meer in die Mittelmeerregion einschleppten, begann eine der verheerendsten Pandemien in der Geschichte der Menschheit. Allein in den acht Jahren von 1346 bis 1353 könnten dieser auch als „Schwarzer Tod“ bekannten Infektionskrankheit bis zu 60 Prozent der Bevölkerung in Europa und im Westen Asiens zum Opfer gefallen sein.
Große Teile der damaligen Bevölkerung starbenAusgangspunkt waren wohl jene Bakterien, die noch heute in den Ausläufern des Tian Shan-Gebirges Nagetiere infizieren, berichten jetzt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und sein Team in der Zeitschrift „Nature“.
„Über den Ursprung der mittelalterlichen Pest wurde bereits seit vielen Jahrzehnten gerätselt“, sagt Philipp Stockhammer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, der an dieser Studie nicht beteiligt war. Oft konzentrierten sich die Vermutungen auf China. Über die Seidenstraße könnte der Erreger von dort nach Europa gekommen sein. Ende des 19. Jahrhunderts nährten erstmals Ausgrabungen den Verdacht, dass die Pest in der Nähe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgistan die Menschheit erreicht hätte. 1338 und 1339 waren außergewöhnlich viele Menschen auf zwei Friedhöfen in der Umgebung des Gewässers beerdigt worden. Auf einigen Grabsteinen wurde „eine verheerende Seuche“ erwähnt.
Die Inschriften, in den Gräbern gefundene Münzen und andere Beigaben sowie historische Aufzeichnungen verrieten jetzt der Gruppe um Johannes Krause, dass in dieser Region Händler lebten, die verschiedene Regionen Asiens bereisten. Damals gehörte die Gegend zu einem der vier Khanate, in die das Mongolenreich von Dschingis Khan zerfallen war. Der nördliche Nachbar war das Khanat der Goldenen Horde, das vom heutigen Kasachstan bis zur heutigen Ukraine reichte.
Dort, an der unteren Wolga und auf der Halbinsel Krim, starben im Jahr 1345 die ersten Europäer an der Pest, die zuvor seit fast 600 Jahren aus Europa verschwunden war. Als die Goldene Horde 1346 die Stadt Kaffa auf der Krim belagerte, erreichte die Pest das Handelsnetz des Stadtstaates Genua, der damals die Hafenstadt am Schwarzen Meer hielt, und verbreitete sich im Mittelmeerraum. Innerhalb von acht Jahren erfasste die Krankheit Europa und Nordafrika – und große Teile der damaligen Bevölkerung starben.
Grabsteine wie dieser verwiesen bereits 1338 auf den Ursprung der mittelalterlichen Pest im Tian Shan Hochgebirge.
Ob es sich bei der Seuche in der Gegend des Yssykköl-Sees wirklich um die Pest handelte, haben Krause und sein Team an Überresten von dort Bestatteten untersucht, die im Kunstkammer-Museum in Sankt Petersburg aufbewahrt werden. Aus Zähnen isolierte die Gruppe Erbgut. In drei dieser Proben gelang der Nachweis von Yersinia pestis und in zweien konnte das gesamte Erbgut des Erregers nachgewiesen werden. „Diese beiden alten Pest-Bakterien-Genome waren nicht nur identisch, sondern sind auch Zeitzeugen des Urknalls der Entwicklung des Schwarzen Todes“, erklärt Krause.
Aus Bakterien mit diesem Erbgut entstand der sehr ähnliche Erreger, der von 1346 bis 1353 und bis in das frühe 19. Jahrhundert weitere Ausbrüche verursachte. Aus ihnen gingen drei weitere Zweige der Pest hervor, die mit dem Zweig des Schwarzen Tods etwa 80 Prozent aller heute bekannten Pest-Linien stellen. Es gibt einen weiteren, fünften ursprünglichen Zweig im Stammbaum der Pest, zu dem alle bisher identifizierten früheren Fälle dieser Infektionskrankheit gehören.
Um den Herkunftsort des Erregers einzugrenzen, analysierte das Forschungsteam das Erbgut von Yersinia pestis Bakterien. Am engsten verwandt mit den Urknall-Erregern sind solche, die noch heute im Tian-Shan-Gebirge und an Ausläufern in der Nähe des Fundortes Nagetiere infizieren. Dort existieren zudem Reservoirs der anderen drei Zweige der heute zirkulierenden Erreger. „Höchstwahrscheinlich entstand also genau dort in der Umgebung des Yssykköl-Sees am Anfang des 14. Jahrhunderts die mittelalterliche Pest und damit einer der schlimmsten bekannten Pandemien der Menschheitsgeschichte“, erklärt Krause.
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