Dienstag, 31. März 2020

Frauenfeindlich?

Wouters, Crazy violence

Mann, wie kommen Sie denn darauf! Auf diesen Seiten polemisiere ich gegen den Feminismus, und dem hängen unter den Frauen nur ganz wenige an. Lila Pudel, die auf diesem Flämmchen ihre eigenen Süppchen köcheln, gibt es viel mehr. Ich verwende ja mit Bedacht das große BinnenI: FeministInnen; so können auch die sich angesprochen fühlen.

Schwierig wird es bloß, wenn ich schreiben will: frau will, frau kann nicht... Dazu habe ich keine gegenderte Version gefunden, nichtmal bei Google; manIn jeht doch nich.


22. 2. 16 

Nachtrag: Man*n würde zur Not gehen; ich denk drüber nach.




Montag, 30. März 2020

Noch einmal: Woran das Römische Reich unterging.

aus FAZ.NET, 30.03.2020

Roms Untergang
Der Preis der Verdichtung 

Von Uwe Walter

Allgemeinhistoriker pflegen im Verhältnis zu den Naturwissenschaften meist Distanz. Doch gab es auch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert immer wieder Versuche, zumal in der Vogelschau auf die historische Entwicklung der Menschheit, Stufen oder quasinaturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, um jenseits der individualisierenden historischen Hermeneutik auch im großen Maßstab zwingende Deutungen zu entwickeln – am besten noch solche mit Prognosekraft. Diese nomologischen Bemühungen führten allerdings letztlich in eine Sackgasse.

Doch auch die viel jüngere, von mehreren „turns“ gespeiste kulturalistische Bewegung erweist sich allmählich als steril: Historische Katastrophen und Abbrüche sind nicht lediglich sprachliche Kennzeichnungen oder Konstruktionen, und inhuman verfährt, wer existentielle Erfahrungen von vergangenen Akteuren zu bloßen Diskursen banalisiert. „Facts on the ground“, so die Praktiken des Wirtschaftens oder Kriegführens, spielen wieder eine größere Rolle. Hinzu kommt: Wir haben heute aus den Archiven der Natur einfach viel mehr Daten als noch vor zwei, drei Jahrzehnten, um auch für ferne Vergangenheiten zu ergründen, wie viele Menschen wann wo gelebt haben, wie sie sich ernährt haben und woran sie in welchem Alter gestorben sind.


Wie die Naturwissenschaften Aufschluss geben können

Dieser empirische Fortschritt mag in manchen Fällen problematische Folgen zeitigen, wenn etwa über DNA-Untersuchungen an großen Mengen menschlicher Überreste auf einmal wieder ein essentialistischer Volksbe- griff buchstäblich dem Grab entsteigt. Doch sollen deswegen Erkenntnismöglichkeiten gleich ganz ausgeschlossen werden? Oder nur deshalb, weil die Daten im Detail strittig sind und nicht exakt zu bestimmen ist, welchen Einfluss genau Klimaveränderungen und Seuchen auf den überaus komplexen Großprozess hatten, den wir seit Gibbon den „Untergang des Römischen Reiches“ nennen? Man muss beileibe kein Greta-Jünger sein, um die Umwelt als einen veränderlichen, unter den Bedingungen einer vormodernen Knappheitsökonomie zugleich einflussreichen Faktor von Geschichte zu sehen. Und Streit um Fakten und Gewichtungen gehört in jede Wissenschaft.

Der Althistoriker Kyle Harper jedenfalls bettet in seiner vieldiskutierten Rekonstruktion der Krisen und Transformationen, die in der langen Spätantike in Europa und im Vorderen Orient abliefen, den Klimawandel sowie die drei großen Pandemien des zweiten, dritten und sechsten Jahrhunderts in ein breites Panorama ein. Fern von einem gern beargwöhnten szientifischen Determinismus, sieht er das Ende des Imperium Romanum keinesfalls als einen kontinuierlichen, zwangsweise zum Ruin führenden Niedergang, sondern als „eine lange, verschlungene und durch vielerlei Umstände bedingte Geschichte, bei der ein resilienter politischer Verband zunächst standhielt und sich neu organisierte, bis er, zuerst im Westen, dann auch im Osten, zerfiel“. Im Rückblick zeige sich ein „extrem durch Zufälle bedingtes Wechselspiel von Natur, Demographie, Wirtschaft und Politik“, wobei nicht zuletzt die Glaubenssysteme, die wiederholt erschüttert und neu formiert wurden, eine Rolle spielten. Wenn Harper vorsichtig, mit Hilfe multikausaler Klimamodelle argumentiert oder die Evolution von Seuchenerregern in Nagetierpopula- tionen nachzeichnet, wird das Buch streckenweise zu einer anspruchsvollen Lektüre, freilich balanciert durch – bisweilen allzu griffige – Metaphern und Merksätze wie „Bakterien sind noch weitaus tödlicher als Barbaren“.

Die Vorteile des Klimas

In den vier Centennien bis 150 nach Christus hatte das – zunächst mit brutaler Gewalt geschmiedete – Imperium von kluger Politik und sicheren Handelswegen profitiert, doch die Blüte der Landwirtschaft und der Städte wäre ohne besonders günstige klimatische Bedingungen nicht möglich gewesen. Das sogenannte „Roman Climate Optimum“ ist in der Forschung als Faktum unstrittig. Zwar herrschten im Mittelmeerraum schon damals zahlreiche, oft auf kleinem Raum sehr unterschiedliche Mikroklimata, doch insgesamt begünstigte mehr Wärme bei höherer Feuchtigkeit die landwirtschaftliche Produktion, und die durch eine steigende Geburtenrate – bei anhaltend hoher Sterblichkeit – verursachte Bevölkerungszunahme setzte die ansonsten für die Vormoderne typischen krisenhaften Kontraktionen aus. Doch mit dem geschenkten Glück bauten die Menschen eine Umwelt, die auch besonders anfällig war: Über die Verbindungswege der protoglobalen Ökonomie sowie in den dichtbevölkerten Städten konnten aus Mittelasien und dem Raum des Indischen Ozeans eingeschleppte Erreger nunmehr Pandemien auslösen, von deren verheerender Wirkung sowohl die literarischen Zeugnisse der Zeitgenossen wie neuerdings untersuchte Massengräber zeugen.

Wie lange die günstigen Klimabedingungen andauerten, ist unter Experten umstritten. Harper nimmt für 150 bis 450 nach Christus eine wechselvolle Übergangsperiode mit kürzeren und regionalen Ausschlägen an. Historisch ist diese Phase die interessanteste, weil die Akteure in ihrem Verlauf die miteinander verflochtenen Rückschläge durch Seuchen, Krieg und wirtschaftlich-demographischen Rückgang noch auffangen konnten und dabei eine hohe Kreativität entfalteten, wie sich am Ende des dritten Jahrhunderts unter den Kaisern Diokletian und Konstantin zeigen sollte. Doch die Ressourcen waren knapper geworden, und die Großregionen des Reiches hielten politisch nicht mehr so fest zusammen, als sich – vielleicht wegen einer massiven Klimaveränderung in der Eurasischen Steppe – die als „Hunnen“ bezeichneten Verbände in Bewegung setzten und weiträumige Migrationen auslösten.

Die letzten Jahrhunderte

Welche Rolle in der Folge Kontingenz und politisches Vermögen spielten, zeigte sich im langen fünften Jahrhundert, als die römische Zentralgewalt im Westen erlosch, während sich das Ostreich um Konstantinopel behaupten und zeitweise sogar Teile des Westens zurückerobern konnte. Danach sind indes fast nur noch Leiden und Beten zu verzeichnen. Nachdem bereits um 450 die „Spätantike Kleine Eiszeit“ eingesetzt hatte, machten gewaltige Vulkanausbrüche die Jahre von 536 bis 545 zur kältesten Dekade der letzten zweitausend Jahre, und danach raffte die sogenannte Justinianische Pest etwa die Hälfte der Bevölkerung dahin – um dann noch für etwa zweihundert Jahre endemisch zu bleiben. Doch ebenso ausführlich kommen die großen lokalen und regionalen Unterschiede in Art und Umfang der Katastrophen zur Sprache.

Der Überzeugungskraft von Erklärungen für zeitlich entfernte historische Vorgänge schadet es gewiss nicht, wenn dafür auch diejenigen Instrumente eingesetzt werden, von denen wir angesichts der ökologischen Probleme unserer Tage Aufschluss erwarten. Kyle Harper erzählt Roms Schwanken zwischen Fragilität und Resilienz mit wissenschaftlicher Kühle, zugleich jedoch als implizit heroischen Hymnus auf den schaffenden, ausgesetzten und leidenden Menschen. Hinter das hier vorgeführte Niveau wird die weitere Diskussion nicht mehr zurückfallen dürfen.

Kyle Harper: „Fatum“. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches. Aus dem Englischen von Anna und Wolf Heinrich Leube. C.H. Beck Verlag, München 2020. 567 S., Abb., geb., 32,– €.


Nota. - Wie sich durch die Jahrhunderte das Römische Reich ausgebildet hat - "ausbilden konnte" -, kann die Geschichtsforschung verhältnismäßig plausibel nacherzählen, und kann im Rückblick diejenigen Umstände - 'Bedingungen der Möglichkeit' - herausarbeiten, die als sogenannte Faktoren die faktischen Ereignisse richtungsweisend 'bestimmt' haben. Eine übergreifende Gestzmäßigkeit, wonach es eben so und nicht anders kommen musste, wird dagegen heute niemand mehr behaupten wollen.

Es ist auch nicht einzusehen, weshalb für den Jahrhunderte währenden Zerfall etwas anderes gelten sollte.

Es sei indessen nie vergessen, wo sich diese ganze Geschichte abgespielt hat: nämlich rund ums Mittelmeer, den größen Handelplatz der antiken Welt, der unter friedlichen Bedingungen viele Völker zu einem riesigen Kultur- und Wirtschaftsraum zusammenführte. Jahrhunderte friedlicher Bedingungen waren indes ganz ungewöhnlich, und als sie zerfielen, zerfiel das Reich.Wenn der Autor unter Fatum den Zufall versteht, hat er mit seinem Buchtitel nicht ganz Unrecht, sofern nämlich jeder einzelne der Akteure unter den vorgefundenen Bedingungen auch anders hätte handeln können. Doch unter diesen Bedingungen ist es wahrscheinlicher, dass die Menschen so handeln statt anders; und dies selbst bei zufälligen Ereignissen wie Vulkanausbrüchen, Seuchen und Klimaveränderungen.
JE

 

Mittwoch, 25. März 2020

Recht und Moral.

Lupo / pixelio.de
aus NZZ, 11. 2. 2014

Moral und Recht.

von Martin Meyer · Recht und Moral gehören zwei verschiedenen Sphären zu. Das mag gegenwärtigen Ohren da und dort unangenehm klingen, entspricht aber einer aufgeklärten Tradition für das konfliktreiche Zusammenleben unter Menschen. Während das Recht im Verhältnis zwischen Freiheit und Gehorsam regelt, was zu unterlassen ist, soll die Moral dafür sorgen, dass ein allgemein sittsames Verhalten im Sinne von Anstand und Humanität wirklich wird. In beiden Fällen ist das Mass ein entscheidendes Kriterium. Totale Verrechtlichung der Lebenssphären schränkt die Freiräume individuellen Gestaltens ein, und forcierte Moralisierung sämtlichen Tuns und Lassens führt in die Richtung des Gesinnungsterrors. Überdies übt sie teils subtil, teils ausdrücklich Macht aus, die wiederum die Herrschaftsträume bestimmter Gruppen oder Führer nährt.

Die Geschichte des Westens spielte sich oft unter schwierigen, ja gefährlichen Bedingungen zwischen den Polen von Kontrolle einerseits und Laissez-faire anderseits ab. Stets wirkten mächtige Interessen hinein, die ihre Aktivitäten nach der einen oder anderen Seite zu nutzen versuchten. Thomas Hobbes, ein grosser Philosoph des Argwohns gegenüber den menschlichen Leidenschaften, erkannte dies: nach leidvollen Erfahrungen mit diversen Formen des Bürgerkriegs, als er die Gesetzgebung von ihrer Koppelung an eine unbedingte Wahrheit zu trennen trachtete. Auctoritas, non veritas facit legem. Will heissen, wer meint, dass die Wahrheit das Recht bestimme, findet rasch einen Gegner, der ebendiese Wahrheit bestreitet und dafür eine Gegenwahrheit in Anschlag bringt. Das Resultat ist Ideologisierung, die hüben und drüben zu den Waffen ruft.

Das Politische - also der öffentlich verfasste Streit um richtige und falsche Positionen des Zusammenlebens - ist davon insofern betroffen, als die Moral oftmals dazu aufgerufen wird, Freund und Feind auf gleichsam höherer Ebene kenntlich zu machen. Moralisierung dient hierbei dazu, den Gegner ins trübe Licht verfehlten Verhaltens zu rücken. Das Recht wird dabei relativiert. Es mag zwar jemand noch immer im Bereich der Legalität sich bewegen, doch gleichwohl bleibt ihm der Makel der Unanständigkeit, bei verschärfter Lesart die Sünde der illegitimen Gesinnung: Er vergeht sich etwa am Gemeinwohl oder - wie die Tribunale der Französischen Revolution manifestierten - sogar an der Zukunft der Gattung.

Man beobachtet die jüngsten Entwicklungen öffentlich vorangetriebener Moralisierung des Daseins bis hinein in die Aktivitäten der Einzelnen im Alltag mit gemischten Gefühlen. Die Zeiten, da man akzeptiertes Wohlverhalten nur nach den Gesichtspunkten und Vorgaben der Legalität beurteilte und im Falle missbräuchlicher Handlungen - rechtens - ahndete, weichen einer Kultur des Verdachts. Man geht vielerorts und unter Berufung auf das staatlich akzeptierte beziehungsweise bei Bedarf auch staatlich zu diskreditierende Gewissen davon aus, dass Menschen, die etwa als «die Reichen» bezeichnet werden, tendenziell nur Profiteure an der Gesellschaft seien, die sich gemütlich in den Schlupflöchern des Rechts eingerichtet hätten und dabei Betrug am bonum commune verübten.

Doch auch hier geht es wesentlich um Strategien der Macht. Politik wird weniger verstanden als Ausgleich und Vereinbarung zwischen Schichten und Gruppen denn als Wettbewerb der Parteien um die Gunst der Wähler. Wo aber Staaten ihrerseits und aus eigenem Antrieb finanziell und strukturell in Schieflage geraten, wird die Schraube von höchster Stelle her angezogen. Das geht so weit, dass nicht nur deren Subjekte im Stil von missliebigen Untertanen zur Räson gerufen werden, sondern auch andere Staaten ins Visier der Moralisierung geraten. Dies betrifft nicht etwa nur sogenannte Bananenrepubliken und autoritär definierte Gebilde, sondern auch demokratisch legitimierte und mit dem Gütesiegel des Rechtsstaats versehene Gemeinwesen.

Doch Autonomie wie auch privacy haben heute einen schweren Stand. Letztere suggeriert als Realität wie als Bedürfnis fast schon a priori dunkle Absichten. Das Wunschobjekt wäre dagegen der gläserne Mensch in einem Staat, der Transparenz zwar nicht für sich selber beanspruchen möchte, doch umgekehrt immer mehr dazu neigt, sie bei seinen Bürgerinnen und Bürgern herzustellen. Legalität droht dabei zu einem schwer berechenbaren Provisorium zu werden, weil die öffentlich vorgetriebene Moral nicht ruht und danach dürstet, neue und vor allem härtere Verrechtlichungen einzusetzen. Dies alles läuft nicht deklariert unter der Flagge des Sozialismus. Aber Etiketten sind hier Nebensache. 


Nota. - Er zieht die Grenze zwischen Recht und Moral nicht an der richtigen Stelle. Denn für ihn wäre auch Moral noch eine öffentliche Angelegenheit. Historisch-empirisch hat er nicht einmal Unrecht: Die nach Zeit und Ort je variierenden herrschenden Moralen beanspruchen in der Tat allgemeine Verbindlichkeit und stellen sich vor, und das heißt über das Recht. In dieser Form, als mores, pl. von mos, gute Sitte oder 'was sich gehört', drängen sie in die Politik.

Das ist ein über die Jahrhunderte und -tausende tradiertes Faktum. Eine libertäre Politik wird sich nicht zum utopischen Ziel setzen, öffentliche Moralen abzuschaffen. Sie wird aber laut und energisch darauf dringen, dass die öffentlichen Moralen ihr Maß und ihre Grenze finden - zu finden haben - an der Moralität eines jeden Einzelnen.

Merke: Die guten Sitten sind die guten Sitten und variieren nach Zeit und Ort. Sie setzen fest, was sich gehört, wenn man ein geachtetes Mitglied des Gemeinwesens sein will. Auch das Recht variiert nach Zeit und Ort. Es regelt, was ich den andern schuldig bin und sie mir. Bei Nichtbefolgung kann es wohl auch den zeitweiligen Ausschluss aud dem Gemeinwesen verhängen.

Moralität, Sittlichkeit jedoch sagt mir, was ich mir selber schuldig bin. Und das ist für das vernünftige Subjekt der letzte und oberste Maßstab. Auch für sein Tun und Lassen im Gemeinwesen, wenn auch nicht in erster Linie.
JE, 11. 2. 14

 

Dienstag, 24. März 2020

Was hat Demokratie mit Gleichheit zu tun?

Klaus-Uwe Gerhardt  / pixelio.de

Das Prinzip der rechtlichen Gleichstellung der Staatsbürger stammt historisch-reell aus der tatsächlichen Gleichheit der tauschenden Warenbesitzer auf dem Markt; nicht andersrum. Die geweitete politische Form sollte die Dynamik der gesellschaftlichen Wirklichkeit freisetzen, nämlich aus dem Korsett feudaler, vorbürgerlicher Privilegien befreien.

Die Sache hatte von Anbeginn einen Haken: Die einander am Markt begegnenden Subjekte müssen Waren anzu- bieten haben - sonst können sie sie nicht gegen andere Waren eintauschen. Um Waren anzubieten, müssen sie sie produzieren können. Müssen außer der Kraft und Geschicklichkeit auch die Werkstoffe und Geräte besitzen, die zu ihrer Herstellung nötig sind.

Mit der Einbeziehung der Landwirtschaft in das Marktgeschehen begann in Europa das große Bauerlegen alias "die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals". Eine ganze Klasse von Menschen entstand, die keine Waren anbieten können, weil sie ihr Produktionsmittel, den Boden, verloren hatten. So mussten sie ihre Arbeitskraft selbst zu Geld machen; verkaufen an einen Andern, der sich ihrer fruchtbringend bedienen kann, weil er die nötigen sachlichen Mittel dazu besitzt. Das, was aus der Verwendung der Arbeitskraft neu an Brauchbarem hinzukommt, gehört dem, der sie gekauft, und nicht dem, der sie verkauft hat. Unmittelbar ist nichts Ungerechtes, ist kein Verstoß gegen 'die Gleichheit' daran. Die Ungleichheit war längst zuvor entstanden, als die Masse der Bauern von ihrem Land vertrie- ben worden waren.


Die Herrschaftsform der Demokratie lässt sich vernünftiger Weise aus dem Prinzip der Gleichheit gar nicht herlei- ten. Vom politischen Standpunkt des Gemeinwesens aus ist es vorderhand gar nicht wichtig, ob sich jeder in glei- chem Maße 'einbringen' und 'verwirklichen' kann. Dem Gemeinwesen liegt daran, dass 'das Richtige' - was immer das sei - getan wird, und um zu entscheiden, was das Richtige ist, braucht man die richtigen Leute, und nicht alle, die 'betroffen' sind - und nichtmal alle, die den Mund auftun.
 

Wer aber entscheidet nun darüber, welches die richtigen Leute sind? Auch nicht Alle, sondern wiedrum - die richti- gen Leute... Die Katze beißt sich in den Schwanz. Das Problem ist institutionell gar nicht zu lösen. Da 'man' im Vor- hinein nicht beurteilen kann, wer dem Gemeinwohl am besten dienen wird, muss man es im Nachhinein tun: auf Verdacht ein paar auswählen und nach einem nicht allzu langen Zeitraum prüfen, ob sie sich bewährt haben. Das wird en détail vielleicht auch nicht Jeder können; aber der große Durchschnitt in der Regel schon, und jedenfalls mit mehr gesundem Menschenverstand als irgendwer sonst; nämlich sofern der Meinungskampf öffentlich geführt wird. Rechtsstaat und bürgerliche Freiheiten haben den Sinn, den gesunden Menschenverstand zu pflegen und zu fördern, indem sie Öffentlichkeit garantieren.

Gleichheit ist ein Gebot des freiheitlichen Rechtsstaats um der Öffentlichkeit willen, aber nicht die Grundlage der Demokratie. Die Reihenfolge ist umgekehrt.


9. 12. 13

 

Montag, 23. März 2020

Wissenschaftsbasierte Politik?

Arcimboldo, Der Gelehrte  

"...Für eine technologiebasierte Politik

Die Maßnahmen, die zu ergreifen wären, sind technischer Natur und nicht politischer. Insoweit ist Technologie als wissenschaftsbasiert anzusehen, und nicht Politik. Vielleicht beruht auf der nicht erfolgten Trennung zwischen Technik und Wissenschaft ein Gutteil der Verwirrung und der Irrationalität in der Debatte. Denn Politik hat natürlich die Möglichkeiten von Technologien zu kennen und zu berücksichtigen. Und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft einzuschätzen. Wenn wir über Energie, Mobilität, Gesundheit und Ernährung streiten, also über die richtige Politik zur Gestaltung der Rahmenbedingungen in diesen Feldern, dann sollte dieser Disput technologie- basiert stattfinden. Aber nicht wissenschaftsbasiert."

Peter Heller in science skeptical blog, 29. Mai 2010


Mein Kommentar:
 
Das ist der springende Punkt: die Verwechslung von Wissenschaft und Technik. 

Die Verwissenschaftlichung des Lebens durch die Industriegesellschaft ist ein Mythos. Das tägliche Leben und daher auch das Alltagsdenken der Menschen ist heute nicht stärker von ‚Wissenschaft’ beherrscht als je. Viele Ergebnisse der naturwisschenschaftlichen Forschungen sind in den letzten zwei Jahrhunderten ins Allgemeinwissen eingegan- gen; aber nicht als Wissenschaft, sondern als Doxa. Und beherrscht wird unser Alltag von der Technik und nicht von der Wissenschaft. ‚Jeder ein Wissenschaftler’ ist ebensolcher Blödsinn wie ‚jeder ein Künstler’, in der Industriegesell- schaft nicht minder als bei den Ackerbauern.

Allerdings hat sich die Technik, die unsern Alltag durchdringt, in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend(!) ver- ändert. Die industrielle Zivilisation hat eine mechanische Technik hervorgebracht, die auf dem linear-kausalen Den- ken der cartesisch-Newton’schen Naturwissenschaft beruhte. In der Wissenschaft selbst ist das Denken seit bald an- derthalb Jahrhunderten von der systemischen Denkweise der Thermodynamik verdrängt worden, die nicht einzelne Ursachen mit einzelnen Wirkungen verkettet, sondern die mehr oder minder wahrscheinlichen Veränderungen in einem ‚Feld’ unter sich ändernden Bedingungen beobachtet. Mit einiger Verzögerung hat dieses Denken schließlich Eingang in die Technologie gefunden, seit der Entwicklung von Kybernetik und Informationswissenschaft Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Die Computerisierung erst der Produktionsabläufe, dann zunehmend des bürgerlichen Alltags, bekannt unter dem Schlagwort Digitale Revolution, ist das Ergebnis.

Nicht das Wissen ist digital geworden, sondern die aus dem Wissen entwickelte Technik. Digital ist das Verfahren des (natur)wissenschaftlichen Denkens geworden, aber nicht sein Gehalt. Der ist so ‚bildhaft’ und ‚anschaulich’ wie je. Parameter der mechanischen Technik des Industriezeitalters war die zweidimensionale Konstruktionszeichnung ‚jenseits der Zeit’. Der Höhepunkt und Inbegriff des digitalen Denkens ist das animierte Hologramm* in zeitlicher Dynamik. Kein digit, sondern ein anschauliches, anschaulicheres ‚Modell’. Die Technik erlaubt uns, das Modell für die- sen oder jenen Zweck einzusetzen. Aber sie sagt uns nicht, was ein Zweck ist. Das hat das anschauliche Denken ‚vor’ oder ‚hinter’ den digitalen Verfahren immer noch selbst zu entscheiden.

Der wissenslogische Zugewinn der Digitalen Revolution ist immens. Aber er ist nicht positiv – etwa in dem Sinn, dass sich nun ‚Alles erfassen’ ließe; sondern negativ, in dem Sinn, dass das, was sich ‚nachhaltig’ der digitalen Er- fassung verweigert, nunmehr identifizierbar wird. Digitalisieren, d. h. als Zeichen mit andern Zeichen zu einem sinnvollen ‚Diskurs’ verknüpfen, lässt sich nur Relationelles. Diskurs ist die Beschreibung einer Relation. Was nicht darin aufgeht, muss ein Quale sein. Als solches lässt es sich nicht beschreiben, sondern nur anschauen. Die Digita- lisierung des Relationellen bringt die Qualitäten zur Anschauung.

Mit andern Worten, die Formulierung ‘technologiebasierte Politik’ ist natürlich Unfug. Es muss heißen: auf Quali- täten orientierte Politik. Politik ist die Wahl der Zwecke und erst danach die Suche nach der geeigneten Technik.

JE. 12. 9. 13
 

Samstag, 21. März 2020

Normal ist, wahr zu reden.

Cicero

Wenn es nicht normal ist, die Wahrheit zu sagen - was ist Wahrheit dann?

Es lässt sich nicht in specie definieren, was Wahrheit ist - daran haben sich die Weisesten seit Jahtausenden vergeblich versucht. Doch in genere wird man darin übereinkommen müssen, dass sie gelten soll. Dazu reicht der gesunde Men- schenverstand. Genauer gesagt, das ist gesunder Menschenverstand.


Um es grad heraus zu sagen: Wahrheit ist eine pragmatische Idee; sie ist das Medium, das einem Gemeinwesen er- möglicht, sich vernünftig zu organisieren. Nämlich die Einsicht, dass die Meinung von jemand so viel wert ist, wie die Gründe, die er dafür hat. Denn wahr ist das, dessen Gründe gelten; ob oder ob nicht, obliegt der Prüfung Aller; nämlich dem vernünftig organisierten Gemeinwesen.

Ein Zirkel? Allerdings - aber nur, wenn sie alle zusammentrügen, worin sie übereinstimmen. Aber so wird es nicht seinen. Sie streiten alle über das, worin sie nicht übereinstimmen. Und übrig bleibt nur, wessen Gründe standhalten.




Donnerstag, 19. März 2020

Die Welt erkennt uns nicht wieder.

Berlin, 18. 3. 2020

Erst das Sommermärchen 2006, dann 2015 Willkommenskultur - die Welt rieb sich die Augen. 
Und jetzt das Komplemet: Den Deutschen fehlts an Disziplin! 
Wer wollte sich da noch vor uns fürchten?



Sonntag, 15. März 2020

Röttgen zur neuen Flüchtlingskrise.

 

Unter den Titel Europa hat sich in der Flüchtlingsfrage nur Zeit gekauft schreibt Norbert Röttgen heute in der Welt - nein, nicht über Corona, sondern über den unbewältigten Dauerbrenner der deutschen Innenpolitik seit 2015. Es heißt dort:

Die humanitäre Katastrophe in Idlib hat sich seit Monaten abgezeichnet. Aus der Flüchtlingskrise von 2015 hat Europa nicht gelernt – es wacht erst auf, wenn das Problem und schwer erträgliche Bilder vor der eigenen Haustür angekommen sind. Die EU hat noch immer keine Strategie, wie sie mit dieser Situation akut und lang- fristig umgehen soll. Mit einem Arbeitskreis, wie von der Kommission ins Leben gerufen, ist es nicht getan. Die Art und Weise, wie sich die EU in dieser Krise präsentiert, macht deutlich: von der viel zitierten „Sprache der Macht“ ist Brüssel noch weit entfernt. Aber die Zeit drängt. Gemessen in Vertrauen ist sie bald abgelaufen. ...

Im Ernst der Lage besteht auch eine Chance für mehr europäische Zusammenarbeit in der Außenpolitik. Wenn wir jetzt nicht handeln, wann dann? Deutschland und Frankreich sollten vorangehen. Idealerweise nicht alleine, sondern mit Unterstützung der zentral- und osteuropäischen Mitgliedstaaten. Sie müssen wir außenpolitisch in die Pflicht nehmen, indem wir eine einfache Rechnung aufstellen: Wer nicht will, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen, der muss sich in den Krisenherden in unserer Nachbarschaft engagieren.


Nota. - Nicht gerade wegweisend. Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses muss er sich diplomatisch ausdrücken, und das heißt nicht erst seit Genscher nichtssagend. Aus der Flüchtlingskrise von 2015 hat Europa nichts gelernt, das wird ihm keiner bestreiten. Was hätte es lernen sollen? Dass es die Herausforderung nur ge- meinsam würde bewältigen können, was sonst! Auch das wird keiner bestreiten, nur versteht Victor Orban und inzwischen mancher andere darunter, dass es alle so machen wie er.

Die Alternative hätte es noch 2015 gegeben, sie hätte damals bedeutet, dass Europa uns um die Ohren geflogen wäre. Heute würde es nicht viel was anderes bedeuten. Und es wird deutlich: Die Politik von Angel Merkel war damals das Richtigste, was möglich war. Sie hat recht daran getan, den Kontinent vor vollendete Tatsachen zu stellen, denn sonst hätten sie einander doch nur den Schwarzen Peter zugeschoben, wie sie es danach taten und bis heute tun. 

Mehr als damals eine akute Situation zu entschärfen - aber immerhin! - und Zeit zu gewinnen, hat Merkel da- mals nicht vermocht. Doch bedeutet das nicht, dass ihr Weg falsch war, sondern nur, dass ihr zu viele, und vor allem zu viele Parteifreunde, in den Rücken gefallen sind. Nur ihnen verdanken wir heute das scheinheilige Mantra, 2015 dürfe "sich nicht wiederholen". Hätten sie damals Deutschlands Position in der Welt gestärkt und nicht beschädigt, gäbe es diese Gefahr gar nicht.

Nein, es ist völlig falsch, über die Sache Gras wachsen zu lassen, um "alte Wunden nicht wieder aufzureißen". Das wäre jetzt genau das Richtige: klären, wer damals Recht hatte und wer Deutschland und Europa damals ge- schwächt hat und heute wieder schwächt. Röttgen darf sich nicht scheuen, die Dinge beim Namen zu nennen. Als Kandidat hat er in seiner Partei ohnehin nur Außenseiterchancen. Doch wenn er die jetzt nicht wahrnimmt, wird er nie wieder welche bekommen; und kein anderer muss sich die richtigen Fragen stellen.
JE

Tabubruch.


Ein freiheitlich rechtlich verfasstes Gemeinwesen duldet keine Tabus. Sie sind sind Überbleibsel einer vor-vernünf- tigen, auf illegetimer Herrschaft gegründeten Gesellschaftsordnung. Einer kritischen Öffentlichkeit halten Tabus nicht Stand.

Politiker, die sich an Tabus klammern, sind zu faul oder zu feige, konkrete Situationen mit den scharfen Waffen der Vernunft zu durchleuchten und ihre Erkenntnisse gegen Wind und Wetter und gegen alle Meinungsumfragen zu verteidigen.





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
JE

Samstag, 14. März 2020

Endlich mal was Ernstes.


"Heute ist Fußball nicht mehr wichtig", sagt Jürgen Klopp, der Trainer des FC Liverpool. Nicht nur in Afghanistan oder an der türkisch-griechischen Grenze, sondern hier bei uns und überall. Da weiß man gar nicht, was man sagen soll.
 

Das fällt schwer! 




Freitag, 13. März 2020

Richter Lynch und die Identitäten.


Zur Identität gehört die Selbstgewissheit des Richters Lynch. Rivalität von Identitäten kann nie anders entschieden werden als durch Stimmungsmache; alias Mobilmachung des Mobs.



Donnerstag, 12. März 2020

Vier Jahre Trump...


Eben lese ich, dass der Rowohlt-Verlag wegen der angekündigten Woody-Allen-Autobiographie von "Autorinnen und Autoren" unter Druck gesetzt wird.

Vier Jahre Trump haben ihnen noch nicht gereicht, sie machen weiter wie gehabt. Demokratie beruht aber auf Frei- heit und Recht; nicht umgekehrt. Weil Trump jene beschädigt hat, ist er eine Gefahr auch für diese. Darum waren diese vier Jahre genug.

Einstweilen kann der Verlag aber noch selbst entscheiden. Sogar in Amerika hätte er das können, er bräuchte bloß Mut.








Mittwoch, 11. März 2020

Nie wieder 2015?


"2015 darf sich niemals wiederholen!" Alle sagen das, ein Mantra, möchte man meinen.

Damals als Mantra verhöhnt, hieß Angelas Merkels Kernsatz Wir schaffen das. Und haben wir es etwa nicht geschafft? Die große Katastrophe ist ausgeblieben. Viele kleine Unannehmlichkeiten für diesen und für jene, aber dass es uns nichts kosten würde, hat Merkel ja nicht behauptet.

Die Konrolle ist verlorengegangen, es hätte aus dem Ruder laufen können? Es ist aber nicht aus dem Ruder gelau- fen, man staune: Selbst in Deutschland funktioniert mal was, obwohl nicht "alles unter Kontrolle" ist. Und warum? Das Ausland hat es verwundert zur Kenntnis genommen: Die Deutschen sind auch nicht mehr, was sie waren.

Ja, das wurde auch hier bemerkt, und da hat der Wutbürger aus der Kleingartenkolonie (in welcher Gegend verrate ich nicht) Krach geschlagen: Wir wollen wieder werden, wie wir immer waren!

Eine gefährliche Spaltung geht durch Deutschland? Eine Spaltung ja, aber wir können uns dazu gratulieren. Ohne die Flüchtlinge hätte das Pack (so hat Sigmar Gabriel es damals genannt) sich nicht so ungeniert bei Lichte gezeigt. Doch jetzt haben wir sie gesehen und werden sie wiedererkennen. Das ist doch gut so, oder? Vorher konnten sie überall sein und nirgends;
jetzt wissen wir, wo wir sie treffen.



Dienstag, 10. März 2020

Phrasen beiderseits.


Gegen die völkischen Parolen von rechts haben die politisch Korrekten auch nur Beschwörungsfloskeln, von Ar- gumenten hört man nichts.

"Mit denen kann man ja gar nicht argumentieren!"

Das mag sein. Doch für euch selber solltet ihr schon Argumente haben, wenn man euch glauben soll, dass ihr euch selber glaubt.


Dass ihr euch unentwegt bekennt, überzeugt niemanden. Ihr stellt euch zur Schau, und dies so aufgeeregt, dass ihr es selber für Leidenschaft haltet. Doch Andere sehen nur Krakeel.






Sonntag, 8. März 2020

Es geht um die Außenpolitik.

 
aus Tagesspiegel.de,

Führungspersonal von CDU, Grünen und SPD  
Wer kann sich gegen Trump, Xi und Putin behaupten?
Das Weltgeschehen wird Deutschlands Zukunft bestimmen. Das (gesuchte) Führungspersonal muss auf außenpolitische Expertise hin geprüft werden. Ein Kommentar. 

von

Deutschland blickt nach innen – obwohl das Weltgeschehen seine Zukunft bestimmt. Nach der SPD sucht die CDU ihre neue Führung. Doch in den Debatten, welche Fähigkeiten Parteivorsitzende – und potenzielle Kanzler – mitbringen sollen, spielen die Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik kaum eine Rolle.

Deutschlands Wohlstand und seine Sozialsysteme hängen davon ab, ob und wie es seinen Erfolg als Export- nation und High-Tech-Land fortsetzen kann. Weder SPD noch CDU fragen ihre Bewerber danach. Bei den Grünen werden Annalena Baerbock und Robert Habeck da auch nicht ernsthaft geprüft.

Die öffentlichen Debatten drehen sich um Fragen der Haltung, des Stils, der Sym- oder Antipathie. Man verteilt ideologische Etiketten, wohl auch um kniffligen Sachfragen auszuweichen. Bei der CDU klingt das in diesen Tagen so: Wer von den Kandidaten ist „Old School“ oder „modern“? Braucht die Partei einen „Rechtsschwenk“ in der Flüchtlingsfrage?

Ist Armin Laschet teamfähig, weil er sich mit Jens Spahn abgesprochen hat, und sind andere es im Umkehr- schluss nicht? Wo sind die Frauen, und welche Frau aus dem Osten passt zu welchem der Männer aus NRW? Wie ticken die 1001 Delegierten auf dem Parteitag? Sind das die zentralen Zukunftsfragen?

Wie kann Deutschland die regelbasierte Ordnung stärken?

Deutschland steht vor einer ernsten Herausforderung. Wie kann es in einer Welt, die sich dramatisch verändert, so erfolgreich bleiben wie bisher? Die Deutschen stellen nur einen kleinen Teil der Erdbevölkerung und haben es doch geschafft, zur viertstärksten Volkswirtschaft des Globus und zum Powerhouse Europas aufzusteigen.

Das verdanken sie nicht nur ihrem Fleiß, ihrem Erfindungsreichtum und einer alles in allem klugen Politik. Die wesentliche Grundlage ihres Erfolgs wurde ihnen von außen geschenkt, und sie haben sie gut genutzt: die regel- basierte Ordnung. Die Regeln der Uno, des Internationalen Währungsfonds IWF, der Welthandelsorganisation WTO usw. werden zwar nicht durchweg respektiert, aber im Großen und Ganzen.

Die Nato gibt Deutschland Sicherheit, die EU den Binnenmarkt. Deutsche Firmen und ihre Angestellten dürfen darauf vertrauen, dass ihre Waren sicher zu Käufern in aller Welt kommen, obwohl es gewiss nicht die Bundes- marine ist, die freie Handelswege über alle Ozeane garantiert.

Diese Ordnung ist seit einigen Jahren bedroht. Donald Trump, der Brexit, die Regelbrüche innerhalb der EU lassen sie von innen erodieren. Russlands aggressives Vorgehen gegen Nachbarn und Chinas Aufstieg, der zu einem Gutteil darauf beruht, dass es Rechte, die es für sich einfordert, anderen nicht gewährt – vom fairen Marktzugang bis zu gleichen Auflagen in der Klimapolitik –, schwächen das deutsche Erfolgsmodell von außen. Was wären die Folgen, wenn die regelbasierte Ordnung weiter bröckelt? Und was kann deutsche Politik tun, um sie wieder zu stärken?

Die Fragen müssen öffentlich gestellt und beantwortet werden

Solche Überlegungen sind erschreckend abwesend in den Debatten über die Personen, die in Regierungsver- antwortung drängen. Man würde sich gerne vorstellen, wie sie sich gegen Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Erdogan, Xi Jinping behaupten.

Und sich wünschen, dass Personen, die Parteien führen oder gar Kanzler werden wollen, den Deutschen er- klären, welchen Handlungsspielraum ihr Land in internationalen Fragen hat und wie sie ihn nutzen wollen. Wem trauen die Bürger das am ehesten zu: Armin Laschet, Friedrich Merz, Norbert Röttgen? 

Annalena Baerbock, Robert Habeck, Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Olaf Scholz? Da wird jede und jeder seine Meinung haben. Die Schwarmintelligenz der Gesellschaft kann nur wirken, wenn die Fragen öffentlich gestellt werden. Vor dem CDU-Wahlparteitag.


Nota. - Er weiß es natürlich, aber schreibt es nicht; seine Leser sollen selber drauf kommen: Der einzige unter den Genannten, der außenpolitische Kompetenz aufweist, ist Norbert Röttgen.
JE





Samstag, 7. März 2020

Die beiden Schiboleths der Union.


aus Tagesspiegel.de, 6. 3. 2020

... All dies Angela Merkel anzulasten, mag in neurechten Kreisen oder auch für Friedrich Merz plausibel scheinen, verkennt aber eben die strukturellen Faktoren.

Einer dieser Faktoren besteht im zunehmenden Verlust mobilisierungsträchtiger und identitätsstiftender Feindbilder, deren wichtigstes für die Union der real existierende Sozialismus war. Er wirkte als einende Klammer, die die lose Sammlungsbewegung rechts der Mitte zusammenhielt. Auch wenn die eigenen Positionen selten ganz klar und intern umstritten waren – solange man gegen Kommunismus, Grüne und Linksterrorismus sein und dazu auch noch regieren konnte, war die Welt der CDU in Ordnung. Wie sehr der Verlust dieser Schreckgespenste schmerzt, zeigt sich nicht zuletzt an der strategisch ausweglosen Situation, in die der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU gegenüber der Linken die Landesverbände im Osten und besonders in Thüringen gebracht hat. Es mag durchaus gute Gründe geben, die Zusammenarbeit mit der Linken abzulehnen. Aber die Vehemenz, mit der an dieser politischen Fußfessel festgehalten wird, zeigt, wie stark die Partei die Abgrenzung zum Ersatz-Feindbild „SED-Nachfolgepartei“ zu brauchen glaubt. Man stabilisiert die brüchig gewordene CDU-Identität mit einem nur begrenzt wirksamen Gegnersurrogat – und nimmt in Kauf, die ohnehin blasse Christdemokratie de facto aller strategischen Optionen im Osten zu berauben.


Ähnlich nachdrücklich tritt die CDU selten auf. Von daher ist es auch kein Zufall, dass die andere Position, an der geradezu verbohrt festgehalten wird, die Schwarze Null ist. In einer Werbeinitiative der PR-Strategen des Konrad-Adenauer Hauses wird sie schon selbstironisch als Fetisch bezeichnet. Es bedarf also zusätzlich nur noch einer kleinen Prise Sarkasmus, um zu der Einschätzung zu gelangen, dass dies heute die Formel ist, auf die die Partei Adenauers zusammengeschrumpft ist: Gegen die Linkspartei und für die Schwarze Null! Und wenn man die Interviews des dritten Bewerbers Norbert Röttgen liest, gewinnt man den Eindruck, dass diese ernüch- ternde Beurteilung der programmatischen Leerstellen und strategischen Zwangsjacken auch innerhalb der CDU vertreten wird. ...




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. 


Donnerstag, 5. März 2020

Mediterrane Migration.

aus derStandard.at, 29. Februar 2020

Mediterrane Migration
Alte DNA verrät prähistorische Einwanderung auf Mittelmeerinseln
Schon vor dem Aufstieg der mediterranen Seefahrerzivilisationen wanderten Menschen aus Afrika, Asien und Europa in die Region

Woher die Bewohner der Balearen, Siziliens und Sardiniens in prähistorischer und antiker Zeit kamen, analysierte ein internationales Team um Forscher der Uni Wien anhand von alter DNA. Die Auswertungen ergaben ein Mosaik aus Einwanderern mit Vorfahren aus asiatischen Steppen, aus dem heutigen Iran und aus Nordafrika, wie die Forscher im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution" berichten.

Das Mittelmeer war eine wichtige Route für Seewanderungen und der Mittelpunkt von Handelsbeziehungen und Invasionen in der Vorgeschichte. Die genetische Geschichte der Mittelmeerinseln ist trotz der jüngsten Entwicklungen in der Erforschung alter DNA aber nicht gut dokumentiert. Das ändert nun das Wissenschafterteam um den US-amerikanischen Humangenetiker David Reich, dem auch Ron Pinhasi und Daniel Fernandes der Universität Wien sowie Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien angehörten: In der bislang größten DNA-Studie zum Mittelmeerraum weisen sie ein komplexes Muster der Einwanderung aus Afrika, Asien und Europa nach.

Das Muster variiert in Richtung und Zeitpunkt für jede der Inseln. So gab es beispielsweise in Sizilien eine neue Abstammungslinie während der mittleren Bronzezeit, die sich chronologisch mit der Expansion des griechisch-mykenischen Handelsnetzes überschneidet.

DNA von 66 Menschen

Die aktuelle Untersuchung umfasst des Erbgut von 66 Individuen, die vor bis zu 7.000 Jahren auf einer der Inseln gelebt haben und deren Überreste dort gefunden wurden. Sieben der untersuchten Proben stammen aus der "Buffa II Höhle" auf Sizilien. Diese wurden bereits in den Jahren 1876 und 1877 auf Initiative des Begründers der Wiener Gesellschaft für Anthropologie, Ferdinand Andrian-Werburg (1835-1914), geborgen und befinden sich seither in der Sammlung der Anthropologischen Abteilung des NHM.

Bekannt war, dass in viele Teilen Europas in der Bronzezeit Menschen aus den Steppengebieten der heutigen Ukraine und Russlands zuwanderten. Nun zeigte sich deren Einfluss auch auf den Balearen und Sizilien. Zur Überraschung der Wissenschafter kamen diese Menschen aber nicht nur aus dem Osten Europas, sondern zumindest teilweise aus dem Westen, nämlich von der iberischen Halbinsel. "Demnach fungierte die iberischen Halbinsel nicht nur als wichtiger Zielort für Ost-West-Wanderungen, sondern war auch ein wichtiger Ausgangspunkt für West-Ost-Bewegungen", schreiben die Wissenschafter.

Überraschung auf Sardinien

In der mittleren Bronzezeit vor rund 3.500 Jahren kamen offenbar vermehrt Menschen aus dem östlichen Mittelmeerraum in Sizilien an, deren Vorfahren wiederum einst aus den Gebieten des heutigen Irans stammten. Dieses Ergebnis passe gut dazu, dass sich zu jener Zeit die mykenisch-griechische Kultur von den griechischen Inseln her Richtung Westen ausbreiteten, so die Forscher.

In dieser Periode fanden sich dagegen keine Hinweise auf Zuzug aus dem östlichen Mittelmeerraum auf den Balearen oder Sardinien. Obwohl Sardinien in den damaligen Handel im Mittelmeerraum eingebunden war, behielten die alten Sarden bis zum Ende der Bronzezeit ihr typisches jungsteinzeitliches Abstammungsprofil offenbar bei. Und selbst unter den modernen Bewohnern der Insel liege der Anteil der Gene, die auf die neolithischen Bauern zurückgehen, die Europa vor rund 8.000 Jahren erreichten, zwischen 56 und 62 Prozent.

Interessante "Ausreißer" identifizierten Wissenschafter auf Sardinien aber trotzdem: So trug eine Person, die zwischen 2.345 und 2.146 vor unserer Zeitrechnung verstarb, einen großen Erbgut-Anteil nordafrikanischen Ursprungs. Auch eine Person, die offenbar von der iberischen Halbinsel stammte, verzeichneten die Forscher dort. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Seewanderungen aus Nordafrika lange vor der Ära der Seefahrerzivilisationen des östlichen Mittelmeers begannen und darüber hinaus in mehreren Teilen des Mittelmeers stattfanden", so Pinhasi. Ab der beginnenden Eisenzeit (rund 800 v. u. Z.) beeinflussten dann die Griechen und Phönizier durch ihre Kolonien auf den westlichen Mittelmeerinseln die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung. (red, APA)

Montag, 2. März 2020

Eurozentrisch.

Mt. St. Michel

Im Zeitalter der Kolonialismus wurde von Europa aus manches Übel in die Welt geschleppt. Abschluss und Hö- hepunkt war, dass schließlich die Gebildeten aller Länder auf die Erde durch eine europäische Brille schauten. Eu- rozentrismus hieß der Feind, gegen den seit einem halben Jahrhundert Museumsdirektoren, Leitartikler und histo- rische Feldforscher gemeinsam zu Felde ziehen.

Doch nicht nur Übel hat Europa in dieser Zeit in die Welt gebracht. Auch Menschenrechte, Völkerrecht, Rechts- staat und liberale Verfassung haben hier ihre Heimat, und sie wurden teuer genug erkauft. Es wäre ein Unrecht ge- gen alle Völker der Erde, wenn Europa davon Abstriche machte. Politisch, militärisch und wirtschaftlich ist Europa nicht mehr der Nabel der Welt; nun dürfen wir unbefangen Eurozentriker sein.







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Äquidistanter Schiboleth.


Sagen wir mal so: Wenn FDP und CDU im Thüringer Landtag seit Jahren einen - egal welchen - ähnlichen Kurs verfolgt und manche Schlacht gemeinsam geschlagen hätten; wenn sie emsig waren und nur darauf gewartet hätten, zu einer Regierungsmehrheit zu finden: dann ließe sich immerhin darüber reden, ob sie das zufällige Geschenk der AfD-Stimmen nicht unternehmensfroh hätten annehmen dürfen; fürs Regieren hätten sie sich ihre Merheit sets neu zusammensuchen müssen, und das wäre vielleicht nicht das Schlechteste. Es führte nämlich immer wieder von den Identitäten weg und zu den Sachen hin.

Aber so war es ja nicht, sie haben die AfD-Stimmen ganz unverhofft am Wegesrand liegen sehen und eiligst aufge- rafft, was man hat, hat man, und Politik ist die Kunst, günstige Gelegenheiten zu erspähen und Vorteile zu ergreifen; was man draus macht, wird sich finden, je nach Gelegenheit. - Das war das Genossi wie es leibt und lebt, zuerst kommt meine Identität, was geht mich das große Ganze an. 


Darüber ließ sich im Interesse einer freiheitlich-rechtlichen Grundordnung nicht reden.

Welche Parteitagsbeschlüsse die CDU getroffen hat, ist eine Sache ihrer Identität und geht die andern an der Politik Beteiligten nichts weiter an; und dass sie der innerparteilichen Symmetrie halber die Linke der AfD gleichgestellt haben, kein bisschen mehr.

Ramelows Lieberknecht-Vorstoß nahm sich unter diesen Umständen wie statsmännische Weisheit aus. Überhaupt hatte er das Glück, durch die identitäre Tölpelei der andern Akteure immer wie der sorgende Landesvaater dazu- stehen. So ging prompt sein eitler Eingangsschnitzer in Vergessenheit: sich neu zur Wahl zu stellen, obwohl er regulär immer noch im Amt war. Da kann nur eine genossische Schlaumeierei hintergesteckt haben; ganz auf der Höhe seiner Mitspieler.


Davon mal abgesehen, ist die pp. Linke an keiner Stelle extremistisch. Sie hat sich im Laufe von drei Jahrzehnten tief in die parlamentarisch-demokratischen Gepflogenheiten der Bundesrepublik eingeschmiegt, ihre summa summa- rum staatstragende Rolle können nur identitäre Ideologen vom andern Ufer in Zweifel ziehen. Ja ja, da ist ihre ver- schämte Offenheit gegen ihre autonomen Randsiedler in Ostberlin und Leipzig, doch selbst wenn deren Identität sich immer wieder gern auf strafbare Weise befriedigt, sind sie doch nicht vergleichbar mit Nazi-Terroristen, die morden nicht wegen der Meinungen ihrer Opfer, sondern wegen ihrer - Identität. Dass man die Parteioberen immer wieder einlädt, sich von ihren Flügeln zu "distanzieren", gehört zum identitären Cheerleading der Konkurrenz; so wie auch der nach beiden Seiten ausgewogene Doppelbeschluss des CDU-Parteitags.

Nehmen wir die Sache aber politisch, nicht reklamig-identitär. 

Eine identifizierbare Richtung geben weder diese noch jene vor. Vielmehr sind sie es, die neben der konsensuellen, aber zankenden Mitte herlaufen und vom Wegrand Anklagen und Forderungen rufen. Es ist keineswegs an unseren Regierenden, sich von radikal vorpreschenden Rändern abzusetzen und aufzupassen, dass sie bei der Abgrenzung von diesen nicht Gefahr laufen, in den Sog jener zu geraten. Deren Aufgabe ist es ganz im Gegenteil, über die eigene Richtung sich und uns Klarheit zu verschaffen. Würden sie das glücklich zuwege bringen, hätten die Ränder auskra- keelt. Da müsste sich von ihnen keiner mehr distanzieren. Keiner bräuchte Schiboleths und alle könnten sich ganz pragmatisch an den Sachen orientieren.




Sonntag, 1. März 2020

Warum bin ich für Röttgen?


Weil er, so nehme ich an, die Außenpolitik von Angela Merkel fortführen wird. Die ist der Bezugsrahmen der Innenpolitik. In Deutschland ist gut, was gut ist für Deutschland in der Welt.