Montag, 2. März 2020
Äquidistanter Schiboleth.
Sagen wir mal so: Wenn FDP und CDU im Thüringer Landtag seit Jahren einen - egal welchen - ähnlichen Kurs verfolgt und manche Schlacht gemeinsam geschlagen hätten; wenn sie emsig waren und nur darauf gewartet hätten, zu einer Regierungsmehrheit zu finden: dann ließe sich immerhin darüber reden, ob sie das zufällige Geschenk der AfD-Stimmen nicht unternehmensfroh hätten annehmen dürfen; fürs Regieren hätten sie sich ihre Merheit sets neu zusammensuchen müssen, und das wäre vielleicht nicht das Schlechteste. Es führte nämlich immer wieder von den Identitäten weg und zu den Sachen hin.
Aber so war es ja nicht, sie haben die AfD-Stimmen ganz unverhofft am Wegesrand liegen sehen und eiligst aufge- rafft, was man hat, hat man, und Politik ist die Kunst, günstige Gelegenheiten zu erspähen und Vorteile zu ergreifen; was man draus macht, wird sich finden, je nach Gelegenheit. - Das war das Genossi wie es leibt und lebt, zuerst kommt meine Identität, was geht mich das große Ganze an.
Darüber ließ sich im Interesse einer freiheitlich-rechtlichen Grundordnung nicht reden.
Welche Parteitagsbeschlüsse die CDU getroffen hat, ist eine Sache ihrer Identität und geht die andern an der Politik Beteiligten nichts weiter an; und dass sie der innerparteilichen Symmetrie halber die Linke der AfD gleichgestellt haben, kein bisschen mehr.
Ramelows Lieberknecht-Vorstoß nahm sich unter diesen Umständen wie statsmännische Weisheit aus. Überhaupt hatte er das Glück, durch die identitäre Tölpelei der andern Akteure immer wie der sorgende Landesvaater dazu- stehen. So ging prompt sein eitler Eingangsschnitzer in Vergessenheit: sich neu zur Wahl zu stellen, obwohl er regulär immer noch im Amt war. Da kann nur eine genossische Schlaumeierei hintergesteckt haben; ganz auf der Höhe seiner Mitspieler.
Davon mal abgesehen, ist die pp. Linke an keiner Stelle extremistisch. Sie hat sich im Laufe von drei Jahrzehnten tief in die parlamentarisch-demokratischen Gepflogenheiten der Bundesrepublik eingeschmiegt, ihre summa summa- rum staatstragende Rolle können nur identitäre Ideologen vom andern Ufer in Zweifel ziehen. Ja ja, da ist ihre ver- schämte Offenheit gegen ihre autonomen Randsiedler in Ostberlin und Leipzig, doch selbst wenn deren Identität sich immer wieder gern auf strafbare Weise befriedigt, sind sie doch nicht vergleichbar mit Nazi-Terroristen, die morden nicht wegen der Meinungen ihrer Opfer, sondern wegen ihrer - Identität. Dass man die Parteioberen immer wieder einlädt, sich von ihren Flügeln zu "distanzieren", gehört zum identitären Cheerleading der Konkurrenz; so wie auch der nach beiden Seiten ausgewogene Doppelbeschluss des CDU-Parteitags.
Nehmen wir die Sache aber politisch, nicht reklamig-identitär.
Eine identifizierbare Richtung geben weder diese noch jene vor. Vielmehr sind sie es, die neben der konsensuellen, aber zankenden Mitte herlaufen und vom Wegrand Anklagen und Forderungen rufen. Es ist keineswegs an unseren Regierenden, sich von radikal vorpreschenden Rändern abzusetzen und aufzupassen, dass sie bei der Abgrenzung von diesen nicht Gefahr laufen, in den Sog jener zu geraten. Deren Aufgabe ist es ganz im Gegenteil, über die eigene Richtung sich und uns Klarheit zu verschaffen. Würden sie das glücklich zuwege bringen, hätten die Ränder auskra- keelt. Da müsste sich von ihnen keiner mehr distanzieren. Keiner bräuchte Schiboleths und alle könnten sich ganz pragmatisch an den Sachen orientieren.
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