Mediterrane Migration
Alte DNA verrät prähistorische Einwanderung auf Mittelmeerinseln
Schon vor dem Aufstieg der mediterranen Seefahrerzivilisationen wanderten Menschen aus Afrika, Asien und Europa in die Region
Das Mittelmeer war eine wichtige Route für Seewanderungen und der Mittelpunkt von Handelsbeziehungen und Invasionen in der Vorgeschichte. Die genetische Geschichte der Mittelmeerinseln ist trotz der jüngsten Entwicklungen in der Erforschung alter DNA aber nicht gut dokumentiert. Das ändert nun das Wissenschafterteam um den US-amerikanischen Humangenetiker David Reich, dem auch Ron Pinhasi und Daniel Fernandes der Universität Wien sowie Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien angehörten: In der bislang größten DNA-Studie zum Mittelmeerraum weisen sie ein komplexes Muster der Einwanderung aus Afrika, Asien und Europa nach.
Das Muster variiert in Richtung und Zeitpunkt für jede der Inseln. So gab es beispielsweise in Sizilien eine neue Abstammungslinie während der mittleren Bronzezeit, die sich chronologisch mit der Expansion des griechisch-mykenischen Handelsnetzes überschneidet.
DNA von 66 Menschen
Die aktuelle Untersuchung umfasst des Erbgut von 66 Individuen, die vor bis zu 7.000 Jahren auf einer der Inseln gelebt haben und deren Überreste dort gefunden wurden. Sieben der untersuchten Proben stammen aus der "Buffa II Höhle" auf Sizilien. Diese wurden bereits in den Jahren 1876 und 1877 auf Initiative des Begründers der Wiener Gesellschaft für Anthropologie, Ferdinand Andrian-Werburg (1835-1914), geborgen und befinden sich seither in der Sammlung der Anthropologischen Abteilung des NHM.
Bekannt war, dass in viele Teilen Europas in der Bronzezeit Menschen aus den Steppengebieten der heutigen Ukraine und Russlands zuwanderten. Nun zeigte sich deren Einfluss auch auf den Balearen und Sizilien. Zur Überraschung der Wissenschafter kamen diese Menschen aber nicht nur aus dem Osten Europas, sondern zumindest teilweise aus dem Westen, nämlich von der iberischen Halbinsel. "Demnach fungierte die iberischen Halbinsel nicht nur als wichtiger Zielort für Ost-West-Wanderungen, sondern war auch ein wichtiger Ausgangspunkt für West-Ost-Bewegungen", schreiben die Wissenschafter.
Überraschung auf Sardinien
In der mittleren Bronzezeit vor rund 3.500 Jahren kamen offenbar vermehrt Menschen aus dem östlichen Mittelmeerraum in Sizilien an, deren Vorfahren wiederum einst aus den Gebieten des heutigen Irans stammten. Dieses Ergebnis passe gut dazu, dass sich zu jener Zeit die mykenisch-griechische Kultur von den griechischen Inseln her Richtung Westen ausbreiteten, so die Forscher.
In dieser Periode fanden sich dagegen keine Hinweise auf Zuzug aus dem östlichen Mittelmeerraum auf den Balearen oder Sardinien. Obwohl Sardinien in den damaligen Handel im Mittelmeerraum eingebunden war, behielten die alten Sarden bis zum Ende der Bronzezeit ihr typisches jungsteinzeitliches Abstammungsprofil offenbar bei. Und selbst unter den modernen Bewohnern der Insel liege der Anteil der Gene, die auf die neolithischen Bauern zurückgehen, die Europa vor rund 8.000 Jahren erreichten, zwischen 56 und 62 Prozent.
Interessante "Ausreißer" identifizierten Wissenschafter auf Sardinien aber trotzdem: So trug eine Person, die zwischen 2.345 und 2.146 vor unserer Zeitrechnung verstarb, einen großen Erbgut-Anteil nordafrikanischen Ursprungs. Auch eine Person, die offenbar von der iberischen Halbinsel stammte, verzeichneten die Forscher dort. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Seewanderungen aus Nordafrika lange vor der Ära der Seefahrerzivilisationen des östlichen Mittelmeers begannen und darüber hinaus in mehreren Teilen des Mittelmeers stattfanden", so Pinhasi. Ab der beginnenden Eisenzeit (rund 800 v. u. Z.) beeinflussten dann die Griechen und Phönizier durch ihre Kolonien auf den westlichen Mittelmeerinseln die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung. (red, APA)
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