aus Tagesspiegel.de, 3. 9. 2020
Erstaunliches geschieht in Berlin. Angela Merkel verlangt von Wladimir Putin Aufklärung über den Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny. Außenminister Heiko Maas gibt sei-nem chinesischen Kollegen Wang Yi ungewohnt deutlich Contra „Wir werden Ihre Drohun-gen nicht mehr akzeptieren." Deutschland werde für seine Werte und Interessen auch jenseits der EU-Grenzen eintreten.
Und nun verabschiedet das Kabinett auch noch eine Indo-Pazifik-Strategie mit dem Ziel, die Regeln der freien Weltordnung auch in Asien zu verteidigen und autoritäre Mächte einzudäm-men, die Dominanz anstreben.
Das sind neue Töne. Sie treffen auf eine unvorbereitete Öffentlichkeit. Man darf fragen: Wie will die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Ankündigungen eigentlich umsetzen? Es ist ein langer Weg von der verbalen Neuausrichtung der deutschen – und der europäischen – Außen-politik bis zum Handeln. Dafür braucht man Ressourcen und muss die Bürgerinnen und Bürger samt ihren Abgeordneten in den Parlamenten mitnehmen.
Eine Wende aber ist es: weg von diplomatischer Leisetreterei hin zur Betonung, dass Deutschland und die EU handfeste Interessen rund um den Globus haben. Und lernen müssen, sie robust zu vertreten. Das gilt besonders für Deutschland, weil es gegenüber Putins Russland und gegenüber Xi Jinpings China der Leisetreter in der EU war und einem gemeinsamen EU-Kurs im Weg stand. Auch wegen seiner Wirtschaftsinteressen: im Fall Russland die Gaspipeline Nord Stream 2, im Fall China die Geschäfte mit Deutschlands inzwischen größtem Handelspartner.
Vor 20 Jahren hätten viele gefragt: Hat Deutschland strategische Interessen in Asien? Es ist eine europäische Mittelmacht mit begrenztem Aktionsradius. Außenpolitik war in Asien Außenhandelspolitik. Die überhöhte der Exportweltmeister zur Strategie: „Wandel durch Annäherung“. China und andere Diktaturen würden immer liberaler, wenn man sie in den internationalen Austausch einbindet.
Deutschland und die EU, so dozierte man, sind Friedensmächte. Sie haben keine Feinde. Alle respektieren ihren kooperativen Umgang mit Partnern. Ihrem Vorbild würden andere nacheifern.
Bei Trump gilt „America First“, bei Xi „China First“. Peking bedroht Nachbarn militärisch, unterdrückt Uiguren und Tibeter, bricht das Abkommen über Hongkongs Autonomie, nutzt den freien Marktzugang im Westen, verweigert ihn aber westlichen Firmen in China. Es stellt Hoheitsansprüche in internationalen Gewässern und im internationalen Luftraum. Immer mehr Experten sagen, China sei zwar auch Partner, aber vor allem ein "systemischer Rivale".
Die Beschränkung freier Handelswege ist eine existenzielle Bedrohung für das deutsche Erfolgsmodell. Es finanziert seinen Wohlstand und seine Sozialsysteme durch Handel. Ebenso würde eine Beteiligung des staatsnahen Konzerns Huawei an hiesigen 5G- Netzen zur Gefahr für den Schutz der Daten von Millionen Bürgern, wenn China den Datenschutz der EU missachtet.
Deutschland kann Trumps Weg eines „Decoupling“ von China nicht mitgehen, aus Eigeninteresse. Ebenfalls aus Eigeninteresse muss es die freie Weltordnung, freie Handelswege und faire Wirtschaftsregeln auch im Indo-Pazifik verteidigen. Durch Präsenz: politisch, ökonomisch und militärisch. Frankreich und Großbritannien machen es vor mit regelmäßigen Freundschaftsbesuchen ihrer Marine.
Auf das Bündnis mit der ganzen EU und ihrem mächtigsten Mitglied, Deutschland, hoffen und warten die Demokratien in Asien. Sie wollen Kooperation bei Rohstoffen, Industriegü-tern, Dienstleistungen und bei der Sicherheit. Nur wenn die Demokratien zusammenstehen, kann die Friedensordnung auf Dauer überleben.
Nota. - Es war keine Idee von Heiko Maas allein, soviel Courage hat er ja nicht. Es sieht vielmehr so aus, als wolle Angela Merkel gegen Ende ihrer Regierungszeit Deutschland weltpolitisch dauerhaft in eine neue Position bringen. Das ist gut so. Nötig wird es ohnehin, und ob ihr Nachfolger dafür die nötige Kraft findet, ist ganz offen. Denn ein weiteres Mal geht es darum, Europa den Weg zu weisen.
JE
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