Samstag, 12. September 2020

Gold!

aus FAZ.NET, 9. September 2020                                                                                                                               Maurizio Cattelan, Toilette aus 103 Kilogramm Gold  wurde 2016-17 von mehr als hunderttausend Besuchern des New Yorker Guggenheim-Museums benutzt.

Denn aller Wert will Ewigkeit
Gold war noch nie so teuer. Dabei taugt es nicht einmal mehr zum Zahlungsmittel. Zur Physik, Chemie, Geologie und Wirtschaftsgeschichte einer Illusion. 

von Ulf von Rauchhaupt

Schwerer Regen fiel auf Tenochtitlán, als Hernán Cortés den Befehl zum Aufbruch gab. Da machten sich seine Männer und ihre indianischen Verbündeten auf in der Nacht zum 1. Juli 1520, um aus der Hauptstadt des Aztekenreiches zu fliehen, wo sie erst Gäste gewesen waren, dann Geiselnehmer und schließlich Belagerte. Mit im Gepäck war eine heute nicht näher bestimmbare Zahl von Goldbarren – eingeschmolzene aztekische Kunstgegenstände. Pferde wurden damit beladen, bis sie kaum noch laufen konnten, und die Spanier steckten sich so viele davon in ihre gepanzerten Wämser, wie es nur ging. Die Aktion sollte den Spaniern als „Noche triste“ in Erinnerung bleiben, als „traurige Nacht“. Denn nur unter schwersten Verlusten gelang es ihnen, aus der inmitten eines Sees gelegenen Stadt zu entkommen. Etliche ertranken, vom Gewicht des Goldes auf den Seegrund gezogen. Einer der Barren wurde Jahrhunderte später im Boden des heute verlandeten Gewässers gefunden.

Dieser Goldbarren ist nicht länger als ein Lineal, nur 1,5 Zentimeter dick und enthält vermutlich etwas Silber. Trotzdem dürfte sein Materialwert aktuell bei rund 110000 Euro liegen. Denn Gold ist teuer wie nie. Vergangene Woche bewegte sich sein Preis nahe der magischen Marke von 2000 Dollar pro Feinunze.

Vor fünfzig Jahren waren es noch 35 Dollar. Das war damals jedoch kein Marktpreis, sondern ein international vereinbarter Kurs im Rahmen des sogenannten Bretton-Woods-Systems, das Anfang der siebziger Jahre zusammenbrach.

Seither ist keine Währung mehr durch Gold gedeckt. Manche bedauern das heute. Ihnen ist es irgendwie unheimlich, dass bedruckte Papierzettel oder auf Computern als Guthaben abgespeicherte Zahlen nur deswegen etwas wert sind, weil Regierungen und Zentralbanken sagen, sie seien es. Diese Verfechter eines Goldstandards blicken dann nicht selten mit Wehmut auf die Zeit vor 1914 zurück, als jeder Bürger, dem danach war, seine Geldscheine zur Bank tragen und zu einem fixen Kurs in Gold umtauschen konnte. Damals hätten die Regierungen eben nicht einfach Geld drucken können, um Kriege oder Sozialprogramme zu finanzieren, argumentieren sie. Das Ersparte sei sicher gewesen vor Inflation und dem Zugriff der Politiker. Geld war so gut wie Gold.

Aber ist Gold denn gut? Und ist es gutes Geld? Sicherlich nicht voraussetzungslos. Zweifel an der Idee eines absoluten Werts des Goldes meldet nicht erst die Finanzgeschichte an, sondern bereits der Alltagsverstand und seine Artikulation im Mythos. Dem Conquistador, der in der Noche triste außer jenen Barren wahrscheinlich auch sein Leben verlor, entspricht dort König Midas, der im 8. Jahrhundert v. Chr. über Phrygien herrschte, einer Landschaft Kleinasiens. Dieser Midas, berichtet die Sage, hatte eines Tages bei dem freundlichen Gott Dionysos einen Wunsch frei, woraufhin ihm aber nichts Besseres einfiel als das Verlangen, alles, was er berühre, möge zu Gold werden – mit desaströsen Folgen für die königliche Ernährung. Am schönsten erzählt ist diese Geschichte in den „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid, ihre früheste Erwähnung findet sich aber bezeichnenderweise in der staatsphilosophischen Schrift „Politiká“ des Aristoteles. Gold war bereits damals nicht nur Faszinosum, sondern auch Politikum, nicht nur ein materielles Phänomen, sondern auch ein soziales.

Dieser lydische Stater aus dem 6. Jh. v. Chr. ist eines der frühesten zu Münzen geprägten Goldstücke. Er stammt aus der Zeit des Königs Krösus. 

Allerdings nicht immer und überall mit gleicher Dominanz. Im präkolumbianischen Amerika etwa wurde Gold zwar viel verarbeitet, weil es in der Natur in sichtbarer metallischer Form zu finden ist und nicht verhüttet werden muss. Und zumindest bei den Inka hatte es auch kultische Bedeutung. Doch wäre keinem Inka oder Aztekenherrscher je eingefallen, was der spanische König Ferdinand II. 1511 seinen Leuten zugerufen haben soll: „Holt Gold, auf humane Weise, wenn es geht, aber unter allen Umständen holt Gold!“ Die Goldgier der Europäer war den präkolumbischen Kulturen ganz unverständlich. Was nicht bedeutet, dass diese Völker grundsätzlich weniger materialistisch gesinnt gewesen wären. Nur waren es bei ihnen eher hochwertige Textilien, grüne Jade oder exotische bunte Federn aus entlegenen Regenwäldern, mit denen die Reichen und Mächtigen ihren Status signalisierten anstatt Teocuitlatl (wörtlich „Exkrement der Götter“), wie die Azteken Gold nannten.

Nun war Gold in der Alten Welt anfangs auch nur eine Luxusware unter anderen gewesen – etwas, das einfach nur schön und knapp war. So führten Sumerer, Babylonier und Assyrer Gold etwa aus Kleinasien ein, genauso wie sie Lapislazuli aus Afghanistan importierten oder Zedern aus dem Libanon. Letztere sind im gefällten Zustand zwar kaum schön zu nennen, ermöglichten aber im waldarmen Mesopotamien, in Palästen aus Ziegelwerk große repräsentativen Räume anzulegen. Gold indes hatte damals keinerlei Nutzen, der aus heutiger Sicht „praktisch“ genannt werden könnte, und auch in unserem Zeitalter, in dem eine gewisse Menge Gold für die Fertigung von Computerchips gebraucht wird, fließt mehr als die Hälfte allen geförderten Goldes in die Schmuckindustrie. Darunter dürfte dann auch die Verwendung von Gold als Lebensmittelzusatz fallen. Das ist als E175 auch in Europa zugelassen, traditionell etwa im Danziger Goldwasser oder zur Ummantelung von Steaks für Leute, die sonst schon alles hatten. Auch goldverzierte Konditoreiprodukte erfreuen sich einiger Beliebtheit. Allein die Confiserie des Emirates Palace Hotel in Abu Dhabi soll gewöhnlich gutunterrichteten Reiseführern zufolge im Jahr mehrere Kilo Blattgold verbrauchen.

Gold war eben von Anfang an – und ist es bis heute – ein Mittel zu Darstellung von Reichtum und damit sogleich ein Punkt, an dem Spötter und Kritiker materialitätstrunkener Transzendenzverweigerung pars pro toto ansetzen konnten: das goldene Klo im New Yorker Guggenheim-Museum heute, das Goldene Kalb beziehungsweise des Moses Wutausbruch angesichts desselben, damals. Dabei hat das gelbe Metall auch in den seit alters her besonders goldaffinen Kulturen Europas und Asiens kein Alleinstellungsmerkmal. Angeben kann man schließlich auch mit Pferden, Autos oder Weinen für tausend Euro die Flasche.

Warum also konnte dann ausgerechnet Gold in Asien und Europa und von dort aus schließlich auf der ganzen Wert zu diesem alle anderen Rohstoffe weit überragenden Gut werden? Was sind die materiellen Voraussetzungen für seine einzigartige soziale Bedeutung? Was ist so besonders an dem chemischen Element mit der Ordnungszahl 79, dass es alle haben wollen? Wie es scheint, besteht die Antwort darauf aus drei Teilen: weil es so selten ist, weil es so beständig ist und weil es so komisch aussieht.

Der erste und der dritte Grund sind nicht ganz unabhängig voneinander: Wäre Kupfer seltener als Gold, hätte Kupferschmuck sicher ein besseres Image. Immerhin lässt es sich dem Gold zulegieren, um ihm einen rötlicheren Farbton zu verleihen. Rotgold nennt man das dann. Und wer es lieber silbrig mag, aber pflegefreien Glanz schätzt, greift zu Weißgold, dessen Farbe mit Palladium, Nickel oder Silber weglegiert ist. Damit wird dann freilich eine in der Alltagswelt direkt sichtbare Konsequenz der Einsteinschen Relativitätstheorie verborgen. Denn die gelbe Farbe reinen Goldes hat direkt damit zu tun, dass Massen messbar schwerer werden, wenn man sie auf Geschwindigkeiten bringt, die nicht mehr verschwindend klein gegen die Lichtgeschwindigkeit sind. Im Falle des Goldes sind das Elektronen seiner Atomhülle. In der Nähe des schweren Goldkerns kommen sie derart auf Touren, dass ihre relativistische Massenzunahme die Energieniveaus verschiebt, und zwar gerade so, dass aus einfallendem weißen Licht ein blauvioletter Anteil absorbiert und eine gelbe Wellenlängenmischung reflektiert wird. Berechnet man dagegen die Elektronenhülle des Goldes theoretisch, ohne die Relativitätstheorie zu beachten, ergibt sich eine Absorption im unsichtbaren ultravioletten Licht, mit der Gold etwa so aussähe wie Silber.

Seine charakteristische gelbe Farbe zeigt Gold allerdings erst in Atomansammlungen ab einer bestimmten Größe. Nanometerkleine Goldpartikel sind aufgrund oberflächenphysikalischer Effekte rot, was Glasbläser in der Renaissance zur Produktion von Goldrubinglas nutzten. Die Nanopartikel darin sind indes nach wie vor metallisches Gold. Chemische Bindungen geht das Element mit den Glasbestandteilen nicht ein. Das tut es auch sonst äußerst widerwillig, weswegen es chemisch auch so außergewöhnlich beständig ist. Und das ist nicht nur der Grund dafür, warum Goldsteaks allenfalls der Reputation schaden, nicht aber der Gesundheit: Verspeistes Gold wird unverändert ausgeschieden. Die chemische Unverwüstlichkeit des Metalls ist ein wichtiger Faktor zur Begründung seines Rufes als Wohlstandsspeicher. Wer geneigt ist, Jesu Mahnung im Matthäusevangelium in den Wind zu schlagen, wo er sagt, „Sammelt euch keine Schätze auf der Erde, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe sie ausgraben und stehlen“, der muss sich beim Gold nur noch um den zweiten Punkt Sorgen machen. Gold rostet nicht, setzt keinen Grünspan an und auch sonst keinerlei Patina. Vergrabenes oder versenktes Gold glänzt noch nach Jahrtausenden wie neu.

Nun steht Gold mit dieser Eigenschaft nicht ganz alleine da. So ist das in der Erdkruste nur wenig häufigere Platin bei natürlicherweise auf der Erdoberfläche auftretenden Bedingungen ähnlich unvergänglich wie Gold. Das sechsmal seltenere Iridium ist sogar beständiger, widersteht es doch sogar Königswasser, einer Mischung aus Salz- und Salpetersäure. Das ist eine der wenigen Reagenzien, die metallisches Gold anzugreifen vermögen. Die dabei entstehende Tetrachlorgoldsäure bildet gelbe, ätzenden Kristalle und ist eine der wichtigsten Verbindungen der Goldchemie. Diese ist eine eher kleine Forschungsdisziplin, aber keine ganz unspektakuläre, finden sich dort doch Substanzen wie das Knallgold, eine hochexplosive Substanz, auf die bereits die Alchemisten gestoßen waren, oder eine sogenannte Clusterverbindung mit der Formel Au55(P(C6H5)2C6H4SO3Na)12Cl6, man beachte die 55 Goldatome in diesem Molekül! Von diesem Stoff wird berichtet, er sei zweihundertmal so giftig wie das hochpotente Chemotherapeutikum Cis-Platin. Eine goldchemische Entwicklung schließlich hatte 1890 nicht geringe finanzhistorische Folgen. Damals fanden schottische Forscher heraus, wie sich vergleichsweise goldarme Erze und Abraum aus dem Vorkommen von Witwatersrand in Südafrika mittels Blausäuresalzen wesentlich effizienter ausbeuten lassen.

Womit wir beim dritten Faktor für die Besonderheit des Goldes wären, seine Seltenheit. Generell sind Elemente mit schwereren Atomkernen als die des Eisens und Nickels seltener, da bei ihrer Erzeugung im Inneren von Sternen keine Energie frei wird. Doch anders als zuweilen dargestellt, entstehen schwere Elemente nicht nur in Supernovae, also in den Explosionen, mit denen sehr massereiche Sterne ihre Existenz beenden. Häufigere Schwermetalle wie Wolfram, Quecksilber oder Blei werden zu erheblichen Teilen auch in den Spätphasen normalgewichtiger Sterne gebildet, wenn die Verhältnisse dort für genügend Neutronen sorgen, die dann mit leichteren Atomkernen zu schwereren verbacken. Doch nur etwa sechs Prozent allen Goldes im Universum entsteht auf diese Weise. Das meiste ist das Produkt sehr rarer Ereignisse: dem Verschmelzen von Neutronensternen. 2017 wurde ein solcher Crash anhand der dabei ausgesandten Gravitationswellen in einer 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie beobachtet, und man schätzt, dass sich dabei innerhalb des Bruchteils einer Sekunde zwischen drei und dreizehn Erdmassen Gold bildeten. Das Metall wurde anschließend Bestandteil interstellarer Staubschwaden. Auf Planeten, die sich später daraus gebildet haben mögen, dürfte es also Gold geben.

Allerdings kaum sehr viel. Denn Gold ist ein sogenanntes eisenliebendes Element: Das meiste Gold in dem Material, aus dem sich einst die Erde zusammenballte, steckt im eisernen Erdkern. In der Erdkruste – und damit zumindest potentiell in der Reichweite der Menschen – endete das wenigste. Im Schnitt enthält eine Tonne Erdkrustengestein gerade einmal 0,004 Gramm Gold. Doch zuweilen ist es erheblich mehr. Das Kupfererz der Grasberg-Mine im indonesischen Teil Neuguineas etwa bringt es auf einen Goldgehalt von 2,86 Gramm pro Tonne. Der gigantische Tagebau ist gegenwärtig die größte Goldmine der Welt mit einer Jahresproduktion von 55 Tonnen Gold.

Geologisch ähnliche Goldvorkommen, sogenannte Kupfer-Porphyries, finden sich auch auf der anderen Seite des Pazifiks entlang der Westküste beider Amerikas, wo auch die Heimat des Inkagoldes liegt und der Schauplatz des kalifornischen Goldrausches von 1848/49. Zu verdanken sind sie letztlich der Plattentektonik und der von ihr verursachten hydrothermalen Prozesse: heißes Wasser, das Mineralien aus Gesteinen laugt und später in Klüften und Rissen konzentriert ausfallen lässt. Auch anderswo sind erhöhte Goldkonzentrationen eine Folge der unruhigen Erde, ihrer Gebirgsbildungsprozesse und der sie begleitenden Zirkulation hydrothermaler Lösungen. Oft setzt sich das Gold mit sehr viel größeren Mengen an Kieselsäure ab und bildet sogenannte Goldquarzgänge. Das sind dann die sprichwörtlichen Goldadern, in denen das Gold allerdings nur in seltenen Fällen mit bloßem Auge zu sehen ist.

Werden die Berge dann durch Erosion abgetragen, gelangt das Gold in Flüsse und deren Sedimente. Aus dem „Berggold“ wird, wie die Geologen sagen, „Seifengold“ aus feinen Flittern und Körnchen bis hin zu kiloschweren Nuggets, nach denen die Goldwäscher mit ihren Pfannen suchen. Ein besonderer Fall ist das riesige südafrikanische Goldrevier von Witwatersrand, aus dem heute sechzig Prozent des weltweit geförderten Goldes stammt. Die Vorkommen hielt man lange für uralte Ablagerungen von Seifengold. Inzwischen gibt es aber Untersuchungen, denen zufolge hier hydrothermale Lauge mit einem Erdölvorkommen zusammentraf, wodurch das Gold ausgefällt wurde. Auch hier gilt: Ohne Wasser und tektonische Aktivität entstehen keine Goldvorkommen, weswegen man etwa auf dem Mond kaum je gediegenes Gold finden wird. Auch Asteroiden dürften nicht von Goldadern durchzogen sein, insofern sie allerdings aus Eisen und Nickel bestehen, enthalten sie mehr Gold als die daran früh verarmte Erdkruste.

Entscheidend für die besondere Karriere des Goldes ist nun, dass das Metall überall auf der Erde selten ist, die ausbeutbaren Vorkommen sich aber auch nicht auf nur wenige Weltgegenden beschränken, denn die Prozesse der Auffaltung und Erosion von Gebirgen waren oder sind auf allen Landmassen am Werk. Es gibt also vielerorts etwas Gold, aber nirgends genug. Gold ist global vorhanden und global knapp. Und nur etwas, das nirgendwo so leicht verfügbar ist, wie etwa im Libanon die Zedern, taugt zum allgemeinen Tauschgut. Während Gold diese Eigenschaft seit der Bronzezeit mit anderen Metallen teilte, hat es aber zudem den Vorteil, so selten zu sein, dass bereits mit kleinen, tragbaren Mengen hohe Gegenwerte eingetauscht werden können.

All dies – ästhetische Attraktivität und das davon abgeleitete Luxus-Image, chemische Beständigkeit und überregionale Knappheit – scheint Gold – und bis zu einem gewissen Grade auch Silber – zum idealen Medium für den Transfer und die Aufbewahrung von Reichtum zu machen – und tatsächlich wurden beiden Metallen über lange Zeiträume hinweg genau diese Aufgaben zuteil. Das begann mit Ringen und Barren in der späten Bronzezeit sowie den ersten Münzen in Lydien im 7. Jahrhundert vor Christus. Und es endete am Sonntag, den 15. August 1971. 

An diesem Tag sollte im amerikanischen Fernsehen um 21 Uhr Ostküstenzeit die Wiederholung von „Catch as catch can“ beginnen, einer Folge der damals äußerst beliebten Serie „Bonanza“. Doch die Ausstrahlung wurde verschoben, um einer Ansprache Richard NixonsPlatz zu machen. Dort erklärte der damalige amerikanische Präsident unter anderem seine Absicht, die Bindung des Dollars ans Gold aufzuheben.

Nun gab es den klassischen Goldstandard da schon nicht mehr. Nur ausländische Zentralbanken hatten 1971 noch das Recht, bei der Federal Reserve Dollar gegen eine garantierte Menge Gold zu tauschen. Und unter anderem weil die Vereinigten Staaten – nicht nur als Folge des Vietnamkrieges, sondern auch als Folge des Erstarkens der anderen westlichen Volkswirtschaften seit Ende des Zweiten Weltkrieges – inzwischen mehr Auslandsschulden hatten als Gold in Fort Knox, war Nixons Schritt unausweichlich. Amerikanische Banken oder gar Privatpersonen konnten sich schon lange kein Gold mehr für ihr Bargeld geben lassen. Für Amerikaner war der private Besitz größerer Mengen Goldbarren und Goldmünzen sogar illegal. Dieses 1933 erlassene Verbot wurde nun in der Folge der Nixonschen Entscheidung aufgehoben, und bald war Gold nichts als ein Rohstoff mit einem Preis, der von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Ein staatlich administrierter Goldstandard war auch in seiner letzten Schwundstufe gescheitert.

Allerdings hatte die Kopplung von Gold und Geld spätestens seit Beginn der Neuzeit immer nur zeitweise und unter bestimmten Umständen funktioniert – also nie richtig. Das ist jedenfalls das Fazit, das der amerikanische Ökonom Peter L. Bernstein in seinem im Jahr 2000 veröffentlichten Buch „The Power of Gold“ zieht. Selbst die goldene Ära des internationalen Goldstandards, der sich nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eher ungeplant einzustellen begann und mit dem Ersten Weltkrieg – wie so vieles – ein jähes und schreckliches Ende nahm, war nicht frei von Beinahekatastrophen für das internationale Finanzsystem. So wäre dessen Zentrum, die Bank of England, nach Fehlspekulationen der Barings Bank 1890 um ein Haar in die Knie gegangen. Gerettet wurde die Situation laut Bernstein – man fühlt sich an die Gegenwart erinnert – nur durch den Geist der internationalen Kooperation jener Jahre, zweifellos eine Frucht der damals beispiellos langen Friedenszeit. Aber auch der technische Fortschritt und die allgemeine Prosperität trugen das ihre bei. Als der Erste Weltkrieg diese zerstörte, half auch kein Goldstandard mehr – abgesehen davon, dass die umgehende Aufhebung der Umtauschbarkeit von Geld in Gold durch die kriegführenden Regierungen 1914 zeigt, dass auch goldgedecktes Geld im Ernstfall von Politik und Politikern abhängig ist. Anders als manche Goldstandardfreunde heute erkannte damals Benjamin Disraeli, der legendäre britische Premierminister von 1874 bis 1880, die Zusammenhänge. „Es ist die größte Illusion der Welt, Englands Wohlstand und Handelsmacht der Tatsache zuzuschreiben, dass wir den Goldstandard haben“, zitiert ihn Peter Bernstein. „Unser Goldstandard ist nicht der Grund, sondern die Folge unserer kommerziellen Prosperität.“

Aber dieser Grund war möglicherweise nur notwendig, nicht aber hinreichend. So konnte der mit besagter Prosperität steigende Bedarf an Geld – und damit an Gold – nur gedeckt werden, weil neue Funde und die Einführung des Zyanid-Verfahrens eine entsprechende Ausweitung der Goldproduktion ermöglichten. Hätten Geologie und Chemie hier nicht kooperiert, hätte sich auch die boomende Weltwirtschaft des viktorianischen Zeitalters irgendwann ein anderes internationales Finanzsystem ausdenken müssen. Tatsächlich argumentiert Bernstein, dass zumindest die Goldfunde in Kalifornien 1848 und Australien 1851 eine Voraussetzung dafür waren, dass jener gloriose internationale Goldstandard sich überhaupt etablieren konnte.

Das war nicht das erste Mal, dass die Geologie die Finanzgeschichte der Edelmetalle dirigierte. Sie steht auch hinter dem „Holt Gold!“ Ferdinands II. und der Gier der Conquistadoren. Denn nach dem Ende des katastrophalen, von Pest und Missernten gebeutelten 14. Jahrhunderts war die europäische Wirtschaft wieder gewachsen, die Goldvorkommen der Alten Welt aber fast erschöpft. Doch als das Gold und Silber der Inka und Azteken dann in Strömen nach Europa floss, verstanden es die Spanier nicht, es wenigstens zum Wohle ihrer Volkswirtschaft zu nutzen. Der Dauerkrieg mit Frankreich und der stetige Abfluss von Silber nach Asien, dessen Luxusgüter man sich leistete, ohne dass man außer amerikanischem Edelmetall viel gehabt hätte, was man dorthin hätte exportieren können, führte das Königreich Spanien im späteren 15. und im 16. Jahrhundert in einen Staatsbankrott nach dem anderen.

Seit Midas ist die Geschichte voll von Akteuren, die ihr Gold nicht dauerhaft glücklich gemacht hat. Seinem Image hat das nicht geschadet. Seit Nixon es davon befreit hat, Geld sein zu müssen, ist sein Preis enorm gestiegen, nicht stetig zwar und schon gar nicht monoton, aber mit langfristiger Tendenz nach oben. Denn Gold, so scheint es, bringt zwar keine Erträge, aber wird auch nicht gefressen, nicht von Motten, Rost oder Inflation. Aber stimmt das? In dem Magazin die bank hat der Wirtschaftshistoriker Bernd Sprenger sich unlängst gefragt, wie wertbeständig Gold über die Zeiten hinweg gewesen ist. Dazu darf man sich keine Dollarpreise pro Unze anschauen, sondern muss sich fragen, wie viel eines Gutes man sich vom jeweils aktuellen Gegenwert einer Unze im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte kaufen konnte. Solche Kaufkraftvergleiche haben ihre Tücken, vor allem zwischen fernen historischen Epochen, denn nicht zu allen Zeiten waren die gleichen Güter wichtig, erst recht nicht im Luxussegment. Römer hatten noch keine Sportwagen, und wer braucht heute schon ein Pferd?

Sprenger beschränkt sich daher erstens auf die Zeit seit dem Spätmittelalter und zweitens auf den Brotpreis. Demzufolge bekam man anno 1300 für ein Gramm Gold rund 50 Kilo Brot. Im 17. und 18. Jahrhundert waren es noch etwa 15 bis 25 Kilo, Mitte 2019, als Sprengers Artikel erschien, nur zehn Kilo. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt er beim Betrachten der Preise von Arbeitskraft.

Auch die Vorstellung einer Wertbeständigkeit des Goldes ist demnach eine Illusion. Zumindest langfristig lässt sich Reichtum eben auch nicht in Goldbarren aufbewahren – und in welchem Umfang einem das kurzfristig gelingt, das hängt von einem Marktgeschehen ab, hinter dem keine ewigen, naturgegebenen Werte stehen, sondern lauter andere Menschen in ihren nur teilweise durchsichtigen Geflechten aus Zwängen, Einschätzungen, Ängsten und Hoffnungen.


 

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