aus spektrum.de, 16.09.2020
Nicht alle Wikinger waren blonde Skandinavier
Rund
300 Knochenreste zeigen: Die Wikinger stammten nicht alle aus
Skandinavien – man konnte auch ohne Wikingergene eine Nordfrau oder ein
Nordmann sein.
von Christiane Gelitz
Die
allgemein als Wikinger benannten Gruppen in Nordeuropa waren genetisch
nicht nur Skandinavier, und sie sahen auch nicht alle typisch nordisch
aus. Das ist das Ergebnis von genetischen Analysen der Überreste von
mehr als 300 Menschen der Wikingerzeit. Bei der jetzt in »Nature«
veröffentlichten Studie handle es sich um »die bisher umfangreichste
DNA-Analyse an Wikingern«, sagt Erstautorin Ashot Margaryan von der
Universität Kopenhagen in einer Pressemitteilung.
Insgesamt sequenzierten sie und ihr Team
die vollständigen Genome von 442 Männern, Frauen und Kindern, die
zwischen 2400 v. Chr. und 1600 n. Chr. gelebt hatten. Die Fundorte
reichen von Grönland und Irland im Westen bis nach Russland im Osten.
Was die Gruppe überraschte: Knochen von den schottischen Orkney-Inseln
wiesen keine der typischen Gen-signaturen der Nordmänner auf, die Toten
waren vielmehr Einheimische gewesen. Offenbar hatten sie als »Wikinger«
gelebt und waren als solche begraben worden. Der Wikingerkultur
anzugehören, war demnach nicht auf Menschen begrenzt, die skandinavische
Vorfahren hatten.
Und auch die aus skandinavischen Regionen stammenden Menschen der Wikingerzeit sahen den neuen Befunden zufolge nicht so aus, wie man sie sich lange vorstellte. Einige hatten kein blondes, sondern dunkles Haar. Gene aus Asien und Südeuropa hatten schon vor der Wikin-gerepoche Spuren im skandinavischen Erbgut hinterlassen. »Es war nicht vorherzusehen, dass es vor und während der Wikingerzeit einen bedeutsamen Genfluss nach Skandinavien aus Südeuropa und Asien gab«, sagt Eske Willerslev, Direktor am Zentrum für Geogenetik der Universität Kopenhagen.
Wie die neuen Genanalysen zeigen, reisten die Seefahrer vom
Gebiet des heutigen Dänemarks Richtung Eng-land, aus dem heutigen
Schweden bis ins Baltikum und aus dem heutigen Norwegen Richtung Irland,
Island und Grönland. »Unsere Abstam-mungsanalyse ist konsistent mit den
Mustern, die Historiker und Archä-ologen dokumentiert haben«, heißt es in
der Studie der Forscher. Offenbar waren die Wikinger teils im engen
Familienverbund unterwegs: Die Genanalysen von 34 Skeletten aus Gräbern
in Estland spürten vier Brüder auf, die Seite an Seite begraben waren.
Auch die übrigen ähnelten einander genetisch so sehr, dass sie alle aus
demselben Ort in Schweden stammen dürften.
Ein
Beispiel für Angehörige der Wikingerkultur ohne skandinavisches Erbgut
fanden die Forschenden auf den Orkney-Inseln: Dort wurden zwei
Einheimische mit typischen Wikin-gerschwertern und anderen
charakteristischen Beigaben begraben. Es könne sich um die frühesten
bekannten Genome von Pikten handeln, die jemals untersucht wurden,
erläutert der an der Studie beteiligte dänische Archäologe Søren
Sindbæk. Die Pikten waren ein Keltisch sprechendes Volk, das während des
Frühmittelalters auf dem Gebiet des heutigen Schottlands lebte. Sindbæk
schließt daraus: »Die Identität der Wikinger war nicht begrenzt auf
Menschen skandinavischer Herkunft.«
Das Wort Wikinger stammt vom skandinavischen Begriff »vikingr« und bedeutet »Seekrieger« oder »Seeräuber«. Die Wikingerzeit erstreckte sich von den ersten dokumentierten Überfällen um 750 bis 1050. Im Erbgut der heutigen Briten stecken den Angaben der Forscher zufolge schätzungsweise noch bis zu sechs Prozent Wikinger-DNA, in dem der Schweden ungefähr zehn Prozent.
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