aus spektrum.de, 25.05.2021
Experten - eine Gefahr für die Demokratie?
Wie die politische Nähe zur Wissenschaft die Demokratie verändert.
von Josef König
Virologen
und Epidemiologen bestimmten die öffentliche Diskussion zu Beginn der
Corona-Pandemie. Rasch drangen Begriffe wie Reproduktionszahl, Inzidenz,
Herdenimmunität, PCR-Test in den Alltag ein. Die Politik zeigt sich bis
in die Gegenwart als »alternativlos«, so das Mantra von Kanzlerin
Merkel. Sie folgte lange fast blind dem Rat weniger Wissenschaftler und
Experten, die kurz darauf auch als Helden der Öffentlichkeit die Medien
dominierten. Inzwi-schen ist die Auseinandersetzung deutlich breiter,
sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch zwischen ihren Hauptakteuren,
den Politikern, Journalisten und der breiten Öffentlichkeit.
Probleme anderen Ursprungs
Den
Einfluss und die Auswirkungen von zunehmender Expertise auf die Politik
analysiert der Wiener Soziologe Alexander Bogner in seinem Buch »Die
Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die
Demokratie gefährdet«. Seine Ausgangsthese: In einer Gesell-schaft, in
der »Kalkül, Wissen und Expertisen« in den Vordergrund rücken, könne
»das Ver-trauen in die Macht des Wissens selbst demokratiepolitisch
zweifelhafte Folgen« haben. So würden viele »politische Krisen und
Konflikte primär als ›epistemische‹ Probleme verstanden«, obwohl sie
einen anderen Ursprung haben.
Die epistemischen Konflikte
verlagern sich zunehmend zwischen Experten, Gegenexperten und
Laienexperten, so Bogner. Tatsächlich seien es aber häufig versteckte
Werte, die mitein-ander in Konflikt geraten, während sich die Beteiligten
nur auf Wissen fokussieren. Dadurch tritt ein epistemischer Populismus
auf die große Bühne, der Impf- und Klimawandelleugner in den Vordergrund
schwappen lässt: Aus Pippi Langstrumpfs kindlichem Kredo »Ich mache mir
die Welt, wie sie mir gefällt« werden Donald Trumps Fakten.
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Bogner analysiert soziologisch die Mechanismen hinter
derartigen Konflikten an Beispielen der Coronakrise, des Klimastreits,
der Impfkontroverse oder der Kriminalitätsdebatte. Er diskutiert dabei
Aspekte der liberalen Demokratie und der in ihr beschworenen Gefahr der
»Diktatur der Dummen«. Er rekapituliert die Idee Platons von einer
Regierung von Philoso-phen, behandelt spannende Fragen, etwa ob »mehr
Demokratie wagen« in Politik und Wis-senschaft der richtige Weg sei. Er
zeigt, dass Forderungen von den Philosophen Paul Feyer-abend (»Wider den
Methodenzwang«) und Bruno Latour (»Dinge zum Sprechen« bringen) einen
zutiefst anarchischen Freiheitsbegriff zur Grundlage haben.
In der
Folge differenziert er zwischen Experten, die »im Labor forschen und
das Wissen vorantreiben«, und Intellektuellen, die dieses Wissen in der
Öffentlichkeit verbreiten. Nach Bogner sind Intellektuelle aus der Krise
der Experten geboren. Das zeigt Bogner insbesondere am Beispiel der
Dreyfuss-Affäre im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts, als der
Schrift-steller Emile Zola besagten Justizskandal in seinem Essay
»J'accuse« auf den Punkt brachte, nachdem die »Experten
öffentlichkeitswirksam vorgeführt hatten, dass sie mit ihrem Latein am
Ende sind …«. Heute habe man inzwischen in »der Universität nicht länger
mit Intellek-tuellen zu tun, sondern mit ängstlichen, jargonbesessenen
Karrieristen, die von Leistungsver-einbarungen gequält und von
Evaluationsgremien vor sich her getrieben werden«.
Die Konsequenz
ist nach Bogner, dass aus einer »fortschreitenden Entzauberung der Welt
durch die Wissenschaft« die »Wiederverrätselung der Welt durch die
Komplexitätssteigerung« erfolgt. In dieses Feld stießen Populisten, die
im schmalen Grat zwischen »Wissenschaftsleug-nung im Dienst der
Komplexitätsreduktion und handfester Verschwörungstheorie« agierten.
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Bogners
Studie ist sprachlich klar und verständlich geschrieben. Die
Argumentation ist offen, kritisch und gut nachvollziehbar. Und dennoch
gibt es Leerstellen, die womöglich der knappen Seitenzahl der Reihe »Was
bedeutet das alles?« des Reclam-Verlags geschuldet ist. So postuliert
Bogner »Wahrheit« als eine Leitidee der Wissenschaft, ohne zu
diskutieren, dass dies nicht für alle Disziplinen gleichermaßen gelten
kann. Daher fehlt im Buch zum Beispiel eine Diskussion über die »Sorte
Wissenschaftler«, die sich zunehmend selbst als Aktivisten verstehen,
denen damit die Studie freien Lauf zur politischen Einflussnahme bietet.
Zudem wünscht man sich eine soziologische Diskussion darüber, wie und
wo sich die Grenzen zwischen Wissenschaft-lern und Politikern verwischen,
ebenso einen Beitrag, welchen Einfluss politisch motivierte Gutachten
und Projekte sowie der durch sie vorangetriebene Geldfluss auf die
Wissenschaft haben. Dennoch ist die Lektüre des Buchs uneingeschränkt zu
empfehlen.
Nota. - Der Aufschwung der Wissenschaften im siebzehnten Jahrhundert war das politische Ereignis par excellence, schrieb ich gelegentlich. Denn sie machten den freiheitlich Rechtsstaat und die Demokratie möglich.
Die Rechtfertigung der Vernunft ist nicht, dass sie als Herrschaftsform die Demokratie gebie-tet, sondern umgekehrt rechtfertigt die Demokratie, dass sie die Herrschaftsform ist, die am wenigsten der Vernunft widerspricht.
Ob aber Herrschaft der Vernunft Herrschaft der Wissenschaftler oder auch nur der Wissen-schaft bedeutet, ist eine Frage für sich. Der Wissenschaftler richtet seine Aufmerksamkeit - methodisch gesagt: seine ganze Aufmerksamkeit - auf das Phänomen, das er untersucht. Die Ergebnisse, zu denen er gelangt, betreffen dieses Phänomen und nichts anderes: Das ist es, was ihn als Wissenschaftler von anderen Zeitgenossen unterscheidet. Zum Beispiel von machthabenden Politikern.
Dass es wissenschaftlichen Disziplinen gibt, die von vornherein mehrere Wirklichkeitsbereiche ins Auge fassen - zum Beispiel der Epidemiologe, der Medizin und Soziologie zugleich be-trachtet -, kompliziert die Sache, macht aber wesentlich keinen Unterschied. Wesentlich ist dagegen der Unterschied der Politik. Die hat von Anfang an einen ihr eigenen Gegenstand: das gesellschaftliche Ganze. Das ist der höchstmögliche Gesichtspunkt, und von ihm aus blickt sie auf alle Spezifikationen herab, während ein Einzelwissenschaftler - und sei es eine interdisziplinäre Einzelwissenschaft -, sobald er zum Ganzen aufsteigt, immer nur Einzelne zu Einzelnen addieren kann.
Sagen sie nun nicht, ich rede nur vom Idealpolitiker, der in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Der Idealwissenschaftler kommt in der Wirklichkeit auch nur hin und wieder vor - sie sind ja auch viel zahlreicher als die Machthabenden. Ein Idealzustand lässt sich in diesen Breiten in-stitutionell gar nicht herstellen. Es kann immer nur prozessierende Emendationen geben, und da wir von demokratischen Rechtsstaaten reden, kann dieser Prozess nur Öffentlichkeit hei-ßen. Die Öffentlichkeit muss darauf achten, dass jeder Protagonist seine Rolle 'möglichst gut' spielt. Das ist banal, aber genauso ist es.
Nicht banal, sondern Quell aller erdenklichen Komplikationen, ist die moderne Gegebenheit, dass unter den Bedingungen sich im Eiltempo ausweitender Kommunikaationsmittel die große Masse derer an den öffentlichen Verhandlungen beteiligt, die weder Wissenschaftler noch im institutionellen Sinne Politiker sind. Und auf allen erdenklichen Ebenen über alle erdenklichen Kanäle.
Das ist nun im Alltag unendlich viel umständlicher als früher. Doch so viel Wörter man auch darüber sagen kann - am Grunde ist es dann doch kein bisschen weniger banal: Es sollte eben jeder sein Bestes beitragen. Institutionell vorsorgen kann man da nichts. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
JE
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