aus spektrum.de, 27.05.2021
Autor versus KI
Der bekannte Schriftsteller Daniel Kehlmann lässt sich nicht von einer künstlichen Intelligenz überwältigen.
von Michael Hedenus
Bereits
1966 entwickelte der Informatiker Joseph Weizenbaum das KI-Programm
ELIZA, das eine psychotherapeutische Sitzung simulierte. Der Benutzer
war in der Rolle des Patienten und unterhielt sich mit dem Computer über
seine Gefühle. Die Wirkung war beängstigend, denn nicht wenige Menschen
hielten den Algorithmus tatsächlich für verständnisvoll. Man mag
einwenden, diese Geschichte sage mehr über die Psychologie des Menschen
aus als über den damaligen Stand der KI-Forschung. Doch bei der Lektüre
von Daniel Kehlmanns kurzer Erzählung über seine Begegnung mit der
Software CTRL drängt sich dieser Vergleich auf.
Ein Experiment mit Daniel Kehlmann
Der
Staat Österreich unterhält eine eigene Vertretung im kalifornischen
Silicon Valley, genannt »Open Austria«. Die Vertreter dieser Institution
luden den bekannten Schriftsteller Daniel Kehlmann, der sowohl die
deutsche als auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, zu
einem Experiment ein. Seine Erfahrungen schilderte Kehlmann am
9. Februar 2021 in einem Vortrag im Rahmen der Reihe »Stuttgarter
Zukunftsrede«. Das Buch »Mein Algorithmus und Ich« ist die Druckfassung
seines Vortrags.
Der Name CTRL steht für »A Conditional
Transformer Language Model for Controllable Generation« und war ein
Forschungsprojekt des Unternehmens »salesforce«. Es handelt sich dabei
um eine auf Github frei zugängliche Software, die Texte erzeugen kann –
jedoch nicht als Ergebnis eines kreativen Prozesses, vielmehr setzt sie
einen vorgegeben Artikel fort. Wenn man etwa den Anfang einer Erzählung
eingibt, dann spinnt CTRL die Geschichte weiter. Die Idee der
Österreicher war es nun, diese KI einem renommierten Schriftsteller
gegenüberzu-stellen.
Es
ist besonders erfreulich, dass sich Kehlmann nicht von der Technik
einschüchtern ließ. Im Gegenteil: Er hat die Funktionsweise der KI genau
nachvollzogen und erklärt sie in seinem Buch sehr gut. Im Grunde hat
sich seit ELIZA nichts Wesentliches geändert. Zwar erstaunt der von CTRL
produzierte Text auf den ersten Blick, aber er ist genauso inhaltsleer
wie die von ELIZA mittels einfacher grammatischer Regeln generierten
Fragen.
Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum Kompakt: Künstliche Intelligenz – Wie Maschinen lernen lernen
So spannend die Geschichten aber auch
anfangs sein mochten, die Software war nicht in der Lage, sie über mehr
als die Länge einer Buchseite weiterzuentwickeln. Trotzdem entstanden
durchaus interessante Fragmente. Insbesondere fällt auf, dass sie alle
eine etwas unheimlich-düstere Atmosphäre erzeugen.
Ob das Experiment nun gelungen ist oder nicht, darüber kann sich der Leser eine eigene Meinung bilden. Kehlmanns Erzählung ist jedenfalls schön zu lesen und regt dazu an, sich intensiver mit der Realität hinter dem Schlagwort KI zu befassen, als es in den meisten Feu-illetons üblich ist. Nebenbei schafft es der Autor trotz der Kürze, ein anschauliches Bild der kreativen Menschen im Silicon Valley zu zeichnen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen