Sonntag, 13. Juni 2021

Neuland.


Die CDU hat die Bürokratie als ein zivilisatorisches Problem erkannt und das Projekt eines Neustaats angekündigt. Das war der Beachtung wert und ich habe mich daran gemacht, ihren Plan zu untersuchen.

Ein erstes Ergebnis war: Die Bürokratisierung der Welt hat zwar angefangen als eine Forma-lisierung und Regularisierung politischer Machtausübung, und indem die öffentliche Gewalt in immer weitere Regionen des gesellschaftlichen Lebens eingreift, erhöht sie die bürokratische Last. Der eigentliche Kraftquell ausgreifender Bürokratisierung ist aber - nein, eigentlich muss man sagen: war die bürgerliche Gesellschaft selber. Die bürgerliche Gesellschaft muss die Ar-beitsteilung, die nach Adam Smith die Triebkraft wirtschaftlichen Fortschritts ist, auf ihre Spitze treiben.

Ein Rückblick: Aus der bürokratischen Konterrevolution in Sowjetrussland war eine Gesell-schaftsformation hervorgegangen, in der ein hoheitlicher Verwaltungsapparat als einziger po-litischer und wirtschaftlicher Akteur übriggeblieben war; der Rest der Gesellschaft war auf passive Gefolgschaft herabgestuft. Das Bindemittel des bürokratischen Konglomerats war das Privileg. In dem Maße aber, wie das monolithische System in feudale Satrapien zerfiel, neigte eine jede hierarchiche Stufe dazu, sich nach unten auszudehnen - und weitere Kreise am Pri-vileg zu beteiligen. Das Ergebnis war eine systemische Korruption auf allen Ebenen, den Übergang feudaler Gefolgschaften in mafiöse Verbrechersyndikate und das schließliche Unver-mögen, überhaupt noch ein gesellschaftliches Mehrprodukt zu erzielen und gar anzuhäufen. Die Zersetzung und schließliche Auflösung dieses Augiasstalls war unvermeidlich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg in den fünfziger Jahren machte die Theorie des Bürokratischen Kollektivismus, der 'Konvergenz der Systeme' und ihrer schließlichen Fusion im Totalitarismus Furore - nachdem zwar die Faschismen in Deutschland und Italien untergegangen waren, in den USA jedoch der fürsorgliche Staat im New Deal ein neues Bollwerk hinzugewonnen hatte. Und nachdem bei den europäischen Alliierten in England und Frankreich prompt etatistische Ideologen an die Macht kamen. Ironischerweise sollte die theoretische Sauce unterm Titel Soziale Marktwirtschaft aus dem besiegten Deutschland nachgereicht werden. 

In repräsentativ verfassten Staaten braucht man Massen, nämlich Mehrheiten, um ein politi-sches Programm durchzusetzen. Der Witz bei bürokratischen Projekten ist, dass sie sich ihre Massenbasis selber schaffen. Die Bürokratie ist ihr eigner Schöpfer. 

Solange nämlich die kapitalistische Gesellschaft in ihren gewohnten Bahnen fortschreitet und unbeschnitten das Wertgesetz gilt. Je weiter die Arbeitsteilung in der Gesellschaft vorangetrie-ben wird, um so mehr muss zwischen den vervielfältigten Abteilungen vermittelt werden und umso länger werden die Vermittlungswege. Und umso mehr prägt sich das Vermitteln zu einem besonderen Glied in der Kette aus, und da sie überall sitzen, können sie sich über alles verständigen, während alle andern nur ihren jeweiligen Dialekt verstehen. Es kann nicht aus-bleiben, dass gerade in den mächtigsten kapitalistischen Konglomeraten es schließlich Verwal-ter sind, die das Geschäft besorgen, nicht Eigentümer.

So war es bis gestern. Heute führt die Digitalisierung der industriellen Produktion nicht nur zu einer Relativierung und endlich einem Verfall des Tauschwerts, sondern stellt auch die Logik der Arbeitsteilung auf den Kopf. Je mehr die Künstliche Intelligenz nicht nur von den Fakten der Produktionsprozesse weiß, sondern auch von ihren dynamischen Zusammenhängen ver-steht, umso weniger Vermittler brauchen die versierten Techniker an ihren klugen Maschinen zwischen einander. Natürliche Intelligenz würde nur noch fürs Entscheiden und Konzipieren gebraucht.

In der Industrie, wo es bei Strafe des Bankrotts um die Leistung geht, sind aus den Fertigungs-hallen die Vermittler inzwischen so gut wie verschwunden. In den öffentlichen Verwaltungen, wo es, ach, ums Prinzip geht und weißgott nicht um die Leistung, sind sie noch da, und dass sie keine zweckmäßige Arbeit verrichten, darf man, weil Verdi und die naherstehenden Politi-ker sonst "Respekt anmahnen", nur hinter vorgehaltener Hand sagen.

Würden sie bei vollem Gehalt zuhause bleiben, ginge der Gesellschaft nichts verloren. Ja, die würde sogar gewinnen: Denn die Allgegenwart der Verwalter, die längst nicht mehr vermitteln, sondern verstopfen, kostet außer Nerven auch viel Zeit, und die ist Geld.  

Wer ist schon überflüssig und wer wird einstweilen noch gebraucht? Unter den Bedingungen des einstweilen gegebenen Systems und in Rücksicht auf allen erworbenen Rechte und auf eine herrschende Mentalität wäre es eine Sisyphusarbeit, die Guten ins Töpfchen und die Schlech-ten ins Kröpfchen zu zählen. Bei jeder einzelnen Stelle könnte ein jeder tausend Wenns und Abers einwenden.

Welche Arbeit aber 'an sich' noch notwendig oder 'an sich' schon überflüssig ist - wie will man das errechnen? Wo beginnt An sich, wo endet die Last der Vergangenheit? 

Es wird nicht ausreichen, an den vorhandenen Apparaten zu basteln. Wenn der Bedarf an Verwaltern in der Industrie schwindet, werden die nun überflüssigen Büroangestellten, wenn sie nicht auf Hartz IV gesetzt werden wollen, in den Öffentlichen Dienst drängen, und der wird der Versuchung, die Arbeitslosigkeit zu verstecken, nicht dauerhaft widerstehen - ir-gendwann wird ja irgendwo wieder gewählt. Nicht erst der Staat, sondern die Gesellschaft selbst muss auf veränderter Grundlage "neugegründet" werden.

Die naheliegende Idee eines bedarfsunabhängigen garantierten Grundeinkommens wird seit Jahren diskutiert, ab leider unter völlig falschen Vorzeichen, nämlich so, als ginge es um eine erweiterte Sozialhilfe; so, als gälte es lediglich, ein Defizit zu stopfen. Es geht aber um einen Neubau von unten auf. Das ist mehr als ein Neustaat auf altem Boden. Es geht darum, Neu-land zu schaffen.

 

wird fortgesetzt!

 


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE  

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