aus Tagesspiegel.de, 27. 6. 2021
Diese Kritik an der deutschen Verwaltung ist scharf – und kommt sozusagen von oberster Stelle. Der Normenkontrollrat (NKR), ein unabhängiges Beratergremium der Bundesregierung zum Bürokratieabbau, fordert als Konsequenz aus den in der Pandemie zu Tage getretenen Missständen und Mängeln mutige und schnelle Reformen – damit sich Probleme wie beispielsweise zuletzt bei der Einführung der Impfstatus-App nicht wiederholen, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.
In einem Positionspapier, das der Rat auf seiner Homepage veröffentlich hat, machen die Berater zehn Vorschläge, um das Staatswesen signifikant zu verbessern. Auf den Punkt gebracht lautet die Kritik: „In der Krise wird deutlich, was auch in ,normalen‘ Zeiten immer öfter Sorgen bereitet: Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert.“
Die Akzeptanz demokratischer Institutionen hänge nicht nur von der Einsicht der Bürgerinnen und Bürger in ihren freiheitssichernden, gemeinwohlfördernden Zweck ab, schreiben die Berater. Die dauerhafte Zustimmung hänge auch an der tatsächlichen Güte und Leistungsfähigkeit des politisch-administrativen Systems.
Deutschlands Bild habe Risse bekommen, so der NKR
Dabei gehe es einerseits darum, wie der Staat den alltäglichen Bedürfnissen und Anforderungen von Bürgern und Unternehmen gerecht werde sowie Wohlstand und sozialen Ausgleich fördere. Andererseits sei aber auch wichtig, ob Krisen gut gemeistert würden. „Ohne eine kluge Politik und eine leistungsstarke Verwaltung ist dauerhaft kein Staat zu machen“, formulieren die Berater.
- Über die Bürokratie.
- "Neustaat".
- Neuland.
- Kein Neustaat im Altland.
- Neuland: Argumente für das Grundeinkommen.
Über Jahrzehnte sei dies „das Markenzeichen der Bundesrepublik“ gewesen. Deutschland habe eine Verfassung und Verfasstheit erhalten, die lange Zeit Garant für Freiheit, Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt gewesen sei – und Vorbild für manch anderes Land.
„Doch dieses Bild eines gut organisierten und gut regierten Landes hat sichtbare Risse bekommen. Trotz einer verhältnismäßig guten Gesamtbilanz vergangener Jahre haben die Corona- wie schon die Flüchtlingskrise zuvor gezeigt, dass Deutschland mit strukturellen, systemischen Herausforderungen zu kämpfen hat, die nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch im Alltag zum Problem werden.“
„Unzufriedenheit kostet Vertrauen in Staat und Politik“
Der Preis dafür sei hoch, nicht nur in finanzieller Hinsicht, argumentieren die Regierungsberater. Ineffiziente und ineffektive Strukturen erforderten nicht nur einen unverhältnismäßig hohen Ressourceneinsatz. Wo strukturelle Unzulänglichkeiten nicht mehr durch Geld oder die große Einsatzbereitschaft der öffentlich Bediensteten und ehrenamtlich Tätigen ausgeglichen werden könnten, litten Wirksamkeit und Qualität staatlicher Maßnahmen. Die Folge: „Die daraus folgende Unzufriedenheit mit der Verwaltung kostet Vertrauen in Staat und Politik – eine strategische Ressource, die nicht zu unterschätzen ist.“
Der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Johannes Ludewig, kritisierte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auch die Politik für Maßnahmen, die nur schwer zu verwirklichen sind: „Wenn die Rentenversicherung für die Grundrente 1500 Leute einstellen muss, um einer begrenzten Zahl von Leuten einen kleinen Zuschlag zu zahlen, dann läuft etwas gewaltig schief.“ Das Problem sei dabei vor allem, dass die Öffentlichkeit das hinnehme.
Der unabhängige, von der Regierung erstmals 2006 eingesetzte und im Kanzleramt angesiedelte Nationale Normenkontrollrat soll den Bürokratieabbau vorantreiben. Das Gremium prüft unter anderem Gesetzentwürfe auf unnötige Bürokratiekosten und andere Folgebelastungen. Im Zentrum steht dabei der so genannte „Erfüllungsaufwand“: Er umfasst den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen.
Berater fordern Bekenntnis zu einer neuen Staatskunst
Die Kanzleramtsberater schreiben weiter, im Zentrum der insgesamt zehn Empfehlungen stehe ein Dreiklang aus Maßnahmen, die eine Modernisierungsbewegung in Gang setzen, eine stärkere Selbstreflexion der Verwaltung anstoßen, institutionelles Lernen beschleunigen und einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess einleiten sollen, so der NKR.
Im internationalen Vergleich verfüge Deutschland noch immer über einen starken öffentlichen Sektor. „Damit das so bleibt und die positive Vision einer leistungsfähigen Verwaltung und eines zukunftsfesten Staates verwirklicht werden kann, sind mutige Reformen nötig und das Bekenntnis zu einer neuen Staatskunst.“
Konkret schlägt der NKR unter anderem folgende Maßnahmen vor:
- Stresstests zur Selbstreflexion und Evaluierung behördlicher Leistungsfähigkeit im Normalbetrieb
- Audits, um die Leistungsfähigkeit und den Modernisierungsgrad von Behörden zu bestimmen
- Einrichtung eines permanenten unabhängigen Expertenrats – unabhängig vom politischen Tagesgeschäft
- Strategische Vorausschau, um Krisenszenarien zu antizipieren und Entwicklungstrends anzupassen
- Operative Vorausschau, um den Krisenverlauf vorherzusagen und ein Monitoring zu etablieren
Außerdem wird eine zivile Personalreserve angeregt, um Überlastungen durch Personalpools und Vertretungsregelungen aufzufangen. Zudem sollten Leistungsvergleiche und Modernisierungsindizes eingeführt werden. Auch Qualitätsprüfungen staatlicher Leistungen aus Betroffenensicht und Anreize zur Qualitätssteigerung seien wichtig. Als letzten Punkt rät der NKR zu föderaler Arbeitsteilung und dazu, die Zusammenarbeit strategisch neu auszurichten.
Der NRK merkt an, immerhin scheine die Reformbereitschaft zu wachsen, zudem böte sich mit einer neuen Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode eine gute Chance, Reformen anzupacken. Jetzt sei vielleicht die beste Chance für so eine grundsätzliche Verwaltungsreform, so Ludewig. Die Erinnerungen an die Probleme des Staates seien noch frisch.
Gleichzeitig mahnen die Berater Tempo an: „Vergangene Krisen haben gezeigt, dass sich das Reformfenster nach dem Abklingen einer Krise schneller schließt als man denkt und der Reformwille von Politik und Verwaltung schnell abnimmt. Selbst wenn die Reformwilligkeit der Politik zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben sein mag, zeigt die Erfahrung, dass deren Aufmerksamkeit schnell von der aktuellen Tagespolitik absorbiert wird.“
Reformen dürften nicht nur punktueller, sondern müssten systemischer Natur sein. „Denn nur, wenn Reformprozesse möglichst selbsttragend werden und ohne die ständige und besondere Aufmerksamkeit der Politik auskommen, sind sie auch nachhaltig.“
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