Dienstag, 9. Juli 2019

Die begrenzte Wirkung der Demagogen.

in Dortmund1933

Die FAZ vom heutigen 7. Juli bringt einen Artikel von Boris Holzer über Hitlers Erfolg als Massen- redner. Untersucht wurden die Wirkungen seiner Massenreden auf die jeweiligen Reichtagswahl- ergebnisse am Ort der Auftritte. Das Ergebnis: Die Veranstaltungen hatten keinen Einfluss auf die Ergebnisse deer NSDAP; führten aber zu einer Demobilisierung von Anhängern anderer Parteien.


... Politikwissenschaftler der Universität Konstanz und der Hertie School of Governance haben nun eine datengesättigte Studie vorgelegt, die in bisher nicht gekannter Tiefenschärfe die Zusammenhänge zwischen den Wahlkampfauftritten Hitlers und den Wahlergebnissen der Jahre 1928 bis 1933 beleuchtet. Sie greift zum einen auf eine umfangreiche Sammlung historischer Wahldaten auf der Ebene einzelner Gemeinden und Wahlkreise zurück, zum anderen auf eine Rekonstruktion aller öffentlichen Auftritte Adolf Hitlers in diesem Zeitraum.

Auf diese Weise können sowohl die Strategie der Wahlkampagne der NSDAP als auch mögliche Effekte auf die Wahlentscheidungen analysiert werden. Strategisch waren die Reden Hitlers von großer Bedeutung, weil der Rundfunk und die meisten Zeitungen den etablierten politischen Kräften gewogen waren. Nachdem ein zeitweises Auftrittsverbot im Jahr 1927 aufgehoben worden war, absolvierte Hitler bis zur Reichstagswahl im März 1933 insgesamt 455 öffentliche Veranstaltungen mit geschätzt 4,5 Millionen Besuchern. Die Daten deuten darauf hin, dass die Orte seiner Reden ausgewählt wurden, um möglichst viele potentielle Wähler zu erreichen und als knapp antizipierte Wahlausgänge zu beeinflussen. Auch die Erreichbarkeit spielte eine Rolle – erst ab 1932 nutzte Hitler auch ein Flugzeug. Das spricht dafür, dass knappe Ressourcen gezielt eingesetzt wurden.

Hinweise auf negative Zusammenhänge

Die Wahlergebnisse der NSDAP scheinen für eine erfolgreiche Kampagne zu sprechen: Die Partei erhöhte ihren Stimmenanteil von unter 3 Prozent bei der Reichstagswahl des Jahres 1928 auf über 37 im Jahr 1932. Doch inwiefern spielten die Auftritte Hitlers dabei eine Rolle? Die Autoren prüfen, ob sich die Wahlergebnisse in „exponierten“ Gebieten in einem Radius von 10 Kilometern um einen Wahlkampfauftritt von jenen in nicht besuchten Gegenden unterscheiden. Ein positiver Effekt auf die Stimmanteile lässt sich nicht feststellen, im Zeitraum von 1928 bis 1930 jedoch ein negativer Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung. Eine Demobili- sierung der Wähler, die vor allem Anhänger anderer Parteien betraf, war offenbar die Folge gewaltsamer Einschüchterung durch die SA, einer regelmäßigen Begleiterscheinung der Wahlkampfveranstaltungen.
Während sich also kein signifikanter positiver Effekt der Hitler-Auftritte nachweisen lässt, weisen die Ergeb- nisse der Reichstagswahlen von 1930 und 1932 sogar auf einen negativen Zusammenhang hin. In einem Zei- traum, in dem die NSDAP die größten Zuwächse verzeichnete, zahlten sich die Auftritte Hitlers also am wenigsten aus. Allein die kurze Kampagne während der Reichspräsidentenwahl 1932 resultierte in zurechen- baren Stimmenzuwächsen (die Stichwahl gewann aber dennoch Hindenburg).

Die Furcht vor charismatischen Demagogen scheint also unbegründet zu sein. Selbst in einem günstigen Umfeld bewirkt ihre Propaganda keine Wunder an der Wahlurne. Die Ursachen des Aufstiegs und Erfolgs radikaler Parteien liegen nicht in den Personen, sondern in den Umständen.


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