aus nzz.ch, 27.7.2019 Auf dieser Miniatur des Topkapi Museums in Istanbul schmücken Engel die Kaaba anlässlich der Geburt Mohammeds.
Der Rückzug der arabischen Götter – wie ist der Islam entstanden?
Lange verehrte die Bevölkerung auf der Arabischen Halbinsel mehr als einen Gott. Der Historiker Glen W. Bowersock untersucht, wie sich dort der Monotheismus durchsetzen konnte – und warum sich ausgerechnet Mohammeds Glaubenslehre verbreitete.
von Philipp Hufschmid
Die Muslime bezeichnen den Zustand vor der Verbreitung des Islam als Jahiliya – die Zeit der Unwissenheit. Und auch aus Sicht von Archäologen und Historikern hat diese Bezeichnung einiges für sich, ist doch über die Spätantike auf der Arabischen Halbinsel vergleichsweise wenig bekannt. Zwar konnten seit der Jahrtausend- wende dank Ausgrabungen und neu entdeckten schriftlichen Zeugnissen einige Wissenslücken geschlossen werden. Doch sind viele Fragen zur Zeit vor der Auswanderung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im Jahr 622 unserer Zeitrechnung offen.
In seinem Buch «Die Wiege des Islam» sucht der renommierte Historiker Glen W. Bowersock nach Antworten. Der emeritierte Professor für Alte Geschichte am Institute for Advanced Study in Princeton will «einen Einblick in das chaotische Umfeld» geben, das den Islam möglich machte, und zu «einem besseren Verständnis seiner Entstehung beitragen». Auf der Arabischen Halbinsel sind in der Spätantike drei Entwicklungen besonders interessant: das Vordringen des Monotheismus, das Auftreten von Personen, die in Konkurrenz zu Mohammed für sich eine Prophetenrolle in Anspruch nahmen, und die Einflussnahme der beiden Grossmächte, der persischen Königsdynastie der Sassaniden und des byzantinischen Reiches.
Niedergang heidnischer Kulte
Es
gab zwar schon früh Juden und Christen auf der Arabischen Halbinsel.
Die Mehrheit der Bevölkerung verehrte aber mehr als einen Gott. Doch im
späten vierten Jahrhundert traten in der Region des heutigen Jemen
mehrere Stämme zum Judentum über und errichteten das jüdische Königreich
von Himyar. Erstaunlicherweise wandten sich zur gleichen Zeit auf der
anderen Seite des Roten Meeres die Äthiopier im Königreich von Axum von
ihren alten Göttern ab und wurden Christen. Warum es zu dieser
synchronen Hinwendung zum Monotheismus kam, bleibt bis heute rätselhaft.
- Der Islam gehört nicht zu Europa.
- Nicht die Stagnation des Islam gilt es zu verstehen, sondern den Dynamismus der chtistlichen Welt.
- Ein anderesBild vom Islam?
- Ist der Islam das Werk Mohammeds?
- Der Islam gehört nicht zu Deutschland..
- Arabische Aufklärung?
- Vorurteile gegen den Islam?
- Eine Religion der Beliebigkeit.
- Die ursprüngliche Vieldeutigkeit des Islam.
- Das Kalifat.
Im
Jahr 525 eroberte der christliche Monarch von Äthiopien Himyar und
setzte der jüdischen Herrschaft ein Ende. Das Königreich von Himyar
wurde christlich und hatte bis um 560 Bestand. Kurz nach dem Einmarsch
gelangte Abraha, ein äthiopischer General, an die Macht. Während seiner
mehrere Jahrzehnte dauernden Herrschaft liess er in Sanaa eine grosse
Kirche – laut Bowersock «eines der Wunder Arabiens» – errichten und den
berühmten Staudamm von Marib reparieren. 552 hatte einer seiner Feldzüge
zum Ziel, die Anziehungskraft der Kaaba in Mekka zu schwächen, die
damals ein wichtiger polytheistischer Pilgerort war.
Auch
dieser Feldzug ist ein Beleg dafür, dass die knapp 200 Jahre, in denen
der erst jüdische und dann christliche monotheistische Staat von Himyar
existierte, zu einem Niedergang der heidnischen Kulte beigetragen haben,
wie Bowersock schreibt. Doch habe der Polytheismus des späten sechsten
Jahrhunderts so viele neuerdings entdeckte Spuren auf Stein
hinterlassen, «dass an der Vielzahl heidnischer Kultbilder noch zu jener
Zeit kein Zweifel» bestehen könne. Er verweist auch auf die drei
Göttinnen, die im Koran namentlich erwähnt werden. Der klangvollste Name
unter den vorislamischen Göttern sei Allah gewesen, der zum Namen des
einzigen Gottes des islamischen Monotheismus geworden sei.
Viele einzige Götter
Gleichwohl
befanden sich die arabischen Götter schon lange vor der Geburt
Mohammeds, die gemeinhin auf das Jahr 570 datiert wird, tendenziell auf
dem Rückzug. Und mit dem Islam war das Ende des Polytheismus besiegelt.
Möglicherweise hatte der Monotheismus zu Beginn des 7. Jahrhunderts aber
auch generell an Anziehungskraft gewonnen, was Mohammeds Mission
erleichtert hätte. Denn für Bowersock gibt es einige Anzeichen, dass es
neben jenem Mohammeds auch andere Formen des arabischen Monotheismus
gab. So weist er auf mehrere Propheten hin, die einen einzigen Gott
verkündeten und so in Konkurrenz zu Mohammed traten. Obwohl
zeitgenössische Belege für deren Existenz fehlten, sei es sehr
unwahrscheinlich, dass sie alle nach Mohammeds Tod erfunden worden
seien.
Der
bekannteste Konkurrent Mohammeds, Musailima, soll einen eigenen einzigen
Gott und eine eigene Offenbarungen gehabt haben. Laut der arabischen
Tradition soll er Mohammed angeboten haben, den Monotheismus gemeinsam
zu verbreiten, aber von diesem zurückgewiesen worden sein. In Erinnerung
blieb Musailima vor allem, weil Abu Bakr, der erste Kalif nach
Mohammeds Tod, ihn und seine Anhänger vernichten wollte.
Sehr
bemerkenswert ist der Zusammenhang, den Bowersock zwischen der
geopolitischen Lage und dem Aufstieg Mohammeds herstellt. Die beiden
rivalisierenden Grossmächte verfolgten auch auf der Arabischen Halbinsel
ihre Interessen. So hatten die Sassaniden etwa das jüdische Königreich
von Himyar unterstützt. Als Mohammed im Jahr 622 der Einladung aus dem
heutigen Medina folgte und mit seinen Anhängern Mekka verliess, soll
dagegen der byzantinische Kaiser seine Finger im Spiel gehabt haben.
Die Flanke abgesichert
Bowersock
glaubt, dass Michael Lecker von der Hebräischen Universität Jerusalem
die richtige Antwort auf die Frage gefunden hat, weshalb sich die
jüdischen und die heidnischen Stämme darauf einigten, Mohammed und seine
Anhänger in Medina aufzunehmen, obwohl sie sich wenige Jahre zuvor noch
erbittert bekämpft hatten. Lecker verweist auf eine erstaunliche
Koinzidenz: 622 war nicht nur das Jahr von Mohammeds Auswanderung,
sondern auch jenes, in dem der byzantinische Kaiser Heraklius seinen
Angriff auf das Sassanidenreich begann.
Lecker
argumentiert, Heraklius habe sich der arabischen Klientelstämme von
Byzanz bedient, um die Juden und die heidnischen Stämme in Medina dazu
zu bringen, Mohammed und seine Gemeinde aufzunehmen. So habe Heraklius
die Juden gegen persische Vereinnahmungsversuche immunisiert und dadurch
die arabische Flanke für seinen Feldzug abgesichert.
Sicher
ist, dass es Mohammed in den Jahren bis zu seinem Tod 632 gelang, die
Kontrolle über Medina zu übernehmen und seinen monotheistischen Glauben
nach Mekka und in die Kaaba zu bringen. Unter seinem Nachfolger Abu Bakr
begann dann die islamische Expansion über die Arabische Halbinsel
hinaus.
Bowersocks
Buch liefert einen ausgezeichneten Überblick über die Zeit, die zur
Wiege des Islam wurde. Und er zeigt die beachtlichen neuen Erkenntnisse,
die dank den in den vergangenen Jahren entdeckten Quellen gewonnen
wurden. Diese Fortschritte lassen hoffen, dass das Wissen über die
Arabische Halbinsel in der Spätantike weiter zunehmen wird.
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