Dienstag, 30. Juli 2019

Europa vor dem Jamnaja-Sturm.

Archäologen gehen davon aus, dass die ersten sesshaften Ackerbauern und Viehzüchter aus dem nahen Osten eingewandert sind
aus welt.de, 26.01.2011

Auf den Spuren der Urahnen heutiger Europäer
Neue Untersuchungen* von Skeletten aus der Steinzeit zeigen: Einwanderer aus dem Nahen Osten läuteten das Ende des Lebens als Jäger und Sammler in Europa ein.



G egen Ende der mittleren Steinzeit veränderte sich das Leben der Menschen in Mitteleuropa für immer: Sie begannen, ihr Nomadendasein als Jäger und Sammler aufzugeben, wurden sesshaft und setzten erstmals auf Ackerbau und Viehzucht - eine Umwälzung, die auch neolithische Revolution genannt wird. Ihren Ausgangs- punkt, da sind sich die meisten Forscher einig, hatte diese folgenreiche Veränderung im Nahen Osten. Von dort, da herrscht ebenfalls Konsens, breitete sie sich über ganz Europa aus.

Doch an dieser Stelle ist Schluss mit der Einigkeit. Es stellt sich nämlich die Frage, wie diese Ausbreitung vonstattenging: War es lediglich die Idee des sesshaften Lebens, die nach Europa einwanderte und wie ein Lauffeuer immer mehr Terrain eroberte? Oder kam dieses Konzept vielmehr im Schlepptau einer Einwande- rungswelle, brachten also die Erfinder von Ackerbau und Viehzucht diese Lebensweise selbst in den Westen?
Gleiche Werkzeuge trotz unterschiedlichem Lebensstil

Der Frankfurter Archäologe Jens Lüning ist klarer Anhänger der ersten Variante und gehört damit zu der Gruppe von Forschern, die jahrzehntelang die Nase vorn hatte. Der Spezialist für die Bandkeramiker, wie die erste Bauernkultur aufgrund der bandförmigen Verzierungen an ihren Tongefäßen auch genannt wird, hat dafür gute Gründe, wie das Magazin „bild der wissenschaft“ in seiner Februarausgabe berichtet.


Sein schlagkräftigstes Argument: die kulturelle Kontinuität. Denn die Werkzeuge aus Feuerstein, die an den Siedlungsplätzen der frühen Bauern ausgegraben wurden, entsprechen exakt denen, die die seit etwa 40.000 Jahren in Europa heimischen Jäger und Sammler benutzten, trotz der vollkommen unterschiedlichen Lebensweise. Für Lüning ist klar: Es könnte vielleicht einen kleinen Zuzug gegeben haben, der größte Teil der bäuerlichen Bandkeramiker stammt jedoch von den ursprünglichen Bevölkerungsgruppen ab.

In jüngster Zeit beginnt die Vorherrschaft der Ansicht vom Ideen-Import aus dem Nahen Osten jedoch zu bröckeln - und zwar zugunsten der Einwanderer-Theorie. Verantwortlich dafür sind vor allem genetische Untersuchungen.

Eine davon haben der Australier Alan Cooper und sein Kollege, der deutsche Archäologe Wolfgang Haak, durchgeführt. Sie verglichen dazu Erbgut aus den Knochen von 21 Skeletten, die auf einem 7000 Jahre alten Friedhof der Bandkeramik-Bauern entdeckt worden waren, mit der von heute lebenden Europäern.

Haak fasst das Ergebnis in ungewohnt klaren Worten zusammen: „Die ersten Bauern in Europa waren Einwanderer.“ Sogar ihre potenzielle Route konnten die Forschern aus den Genen ablesen: Die Immigranten starteten vermutlich in Anatolien und dem Nahen Osten und wanderten über Südeuropa und das Karpatenbecken bis nach Mitteleuropa.

Gene enthüllen: Keine Verwandtschaft zwischen Jäger-Sammlern und Bauern

Auch die Ergebnisse eines Forscherteams aus Mainz um Barbara Bramanti und Joachim Burger passen in dieses Bild. Sie hatten die sogenannte mitochondrielle DNA untersucht, den Teil des Erbguts, der nicht im Zellkern, sondern in den Kraftwerken der Zelle beheimatet ist. Als sie deren Aufbau in Proben von 25 bandkeramischen Bauern mit dem von 20 Jägern und Sammlern verglichen, stellten sie fest: Die beiden Gruppen hatten, genetisch betrachtet, rein gar nichts miteinander zu tun.

Die Bandkeramiker waren also definitiv nicht die Nachkommen der ursprünglichen Bevölkerung, sondern „es muss eine substanzielle Einwanderung neolithischer Bauern nach Mitteleuropa gegeben haben - mit Familien und Vieh“, sagt Burger.
Dass die Einwanderer zwar nicht über die gleichen Gene, aber über die gleichen Werkzeuge verfügten wie die Jäger und Sammler, ist für Burger kein Widerspruch: „Man muss doch nicht Kinder miteinander machen, um von einer Bevölkerungsgruppe Werkzeuge einzutauschen“, entrüstet er sich.

Der Paläogenetiker stellt sich das damalige Szenario so vor: Als die Immigranten nach Mitteleuropa kamen, hatten sie und die Ortsansässigen über 30.000 Jahre unterschiedlicher Entwicklung hinter sich - die Angehörigen der beiden Gruppen sahen also mit hoher Sicherheit unterschiedlich aus und sprachen auch unterschiedliche Sprachen.

Allein das dürfte schon enge Kontakte erschwert haben, ähnlich wie die Vorliebe für unterschiedliche Lebensräume. Die Jäger und Sammler zog es nämlich eher an größere Seen und an die Küsten, während die Bauern bevorzugt den fruchtbaren Lössgürtel im Landesinneren besiedelten. Eine Art Tauschhandel scheint es trotzdem zwischen den Gruppen gegeben zu haben, berichtet „bild der wissenschaft“.

So fanden sich in Siedlungen von Bandkeramikern im hessischen Wetterau beispielsweise Feuersteinerzeugnisse, die aus den heutigen Niederlanden stammen - ein Gebiet, in das die Bauern zu dieser Zeit nachweislich noch nicht eingewandert waren. Vermutlich brachten demnach die nach wie vor als Nomaden lebenden Jäger und Sammler auf ihren Wanderungen die Stücke mit und tauschten sie gegen die Erzeugnisse der Bauern.

Vermischung der Gruppen erst nach weit über 1000 Jahren

Es sollte rund 1500 Jahre - im heutigen Skandinavien sogar 3000 Jahre - dauern, bis die Gruppen schließlich doch begannen, sich zu vermischen, kann Joachim Burger aus seinen Daten ablesen. Und noch etwas erzählen ihm seine Gen-Studien: „Die Mischung aus Jäger-Sammlern und frühen Bauern allein reicht nicht aus, um zum mitochondrialen DNA-Pool der jetzigen europäischen Bevölkerung zu führen“, erläutert seine Mitarbeiterin Barbara Bramanti.

Burger bringt diese überraschende Erkenntnis auf eine kurze Formel: „Die mitochondriale DNA der heutigen Europäer besteht aus regionalen Variationen derjenigen von Jäger-Sammlern plus frühen Bauern – plus X.“

Bisher gibt es allerdings nur Vermutungen, was dieser X-Faktor war. Möglicherweise handelte sich um eine zweite Immigrationswelle, lange nach der Einwanderung der neolithischen Bauern, die zu einer weiteren Vermischung der damaligen Europäer mit den Neuankömmlingen geführt hat.

Auch zu deren Identität gibt es einen ersten Verdacht: Es könnte sich um Menschen der geheimnisvollen Jamnaja-Kultur gehandelt haben - einer Gruppe von Rindernomaden aus der Schwarzmeersteppe, über die bisher kaum etwas bekannt ist.


*Nota. - Gemeint sind die Untersuchungen, die damals neu waren. Mein gestriger Eintrag referiert den aktuellen Stand der Froschung. Der letzte Satz des Artikel kündigt ihn an.
JE




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