Versunkener Palast am Tigris aufgetaucht
Antike Stadtanlage stammt aus der Zeit des rätselhaften Großkönigreichs Mittani
Spannender Fund dank Niedrigwasser: Archäologen haben am Ostufer des Tigris einen Palast aus der Bronzezeit entdeckt. Die monumentale Anlage stammt aus der Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus und damit aus der Zeit des Mittani-Reichs. Neben Resten bunter Wandmalereien wurden in den freigelegten Räumen unter anderem Keilschrifttafeln gefunden. Sie könnten nun neue Informationen über dieses rätselhafte, altorientalische Großkönigreich liefern.
Im heutigen Syrien lag Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus das Kerngebiet eines rätselhaften Reichs: Mittani, eine der versunkenen Kulturen der Frühgeschichte. Dieses Großkönigreich erstreckte sich in seiner Blütezeit von der Mittelmeerküste bis in den Osten des Nordirak – und muss damals große politische Bedeutung gehabt haben.
So deuten historische Keilschrifttexte darauf hin, dass die mittanischen Könige auf Augenhöhe mit den ägyptischen Pharaonen und den Großkönigen von Hatti und Babylonien interagierten. Viele Geheimnisse dieser Kultur liegen jedoch bis heute im Dunkeln, denn es gibt nur wenige direkte Zeugnisse von ihr. „Das Mittani-Reich ist eines der am wenigsten erforschten altorientalischen Reiche“, erklärt Ivana Puljiz von der Universität Tübingen.
Fragment einer blauen Wandmalerei
Wandmalereien in Rot und Blau
Umso bedeutsamer ist, was der sinkende Wasserspiegel des Mosul-Stausees im Nordirak im Sommer und Herbst 2018 zutage befördert hat: die Überreste eines antiken Palastes, der sich offenbar dem Mittani-Reich zuordnen lässt. An den durch ausbleibende Niederschläge und Wasserknappheit aufgetauchten Ruinen führten Puljiz und ihre Kollegen eine archäologische Rettungsgrabung durch, bevor der Palast wieder unter Wasser verschwand – und präsentieren nun ihre ersten Erkenntnisse.
Wie sie berichten, stammt die bronzezeitliche Anlage an dem Fundort Kemune aus der Zeit um das 14. und 15. Jahrhundert vor Christus. Das planmäßig angelegte Gebäude besitzt massive, bis zu zwei Meter dicke Innenmauern aus Lehmziegeln. Im Inneren des Palastes wurden mehrere Räume identifiziert, von denen acht ausgegraben wurden. Reste von Wandmalereien in leuchtenden Rot- und Blautönen lassen erahnen, wie prachtvoll es dort einst ausgesehen haben muss.
Hinweis auf die alte Stadt Zachiku
„Wandmalereien dürften im 2. Jahrtausend vor Christus im Alten Orient ein typisches Ausstattungsmerkmal von Palästen gewesen sein, sie haben sich aber nur sehr selten erhalten. Deshalb stellt die Entdeckung von Wandmalereien in Kemune eine archäologische Sensation dar“, betont Puljiz.
Doch das ist nicht der einzige spannende Fund. Die Archäologen stießen in den Palasträumen zudem auf zehn mittanische Keilschrifttafeln aus Ton, die nun nach und nach übersetzt und ausgewertet werden. Dabei hat es schon eine Überraschung gegeben: Der Inhalt einer Schrifttafel legt nahe, dass Kemune die Stadt Zachiku gewesen sein könnte, die bereits in einer altorientalischen Quelle aus der mittleren Bronzezeit um 1800 vor Christus erwähnt wird.
Eine Terrassierungsmauer stützte das abschüssige Gelände zum Fluss hin ab
Lange Zeit von Menschen genutzt
Dies würde bedeuten, dass die Stadt mindestens 400 Jahre bestanden hat. Tatsächlich sind an den Überresten des Palastes klar zwei Nutzungsphasen zu erkennen, wie die Forscher berichten. Sie zeigten an, dass das Gebäude über einen sehr langen Zeitraum von Menschen benutzt wurde.
Puljiz und ihrem Team zufolge stand der Palast während des Altertums auf einer Anhöhe am Rand des Flusstals, die vor der Flutung des Stausees nur 20 Meter vom Ostufer des Tigris entfernt lag. Um das abschüssige Gelände zum Fluss hin abzustützen, wurde eine monumentale Terrassenmauer vor der Westfront angelegt. Der Palast thronte somit über dem Tigristal. Ergebnisse von Geländebegehungen deuten zudem darauf hin, dass sich in nördlicher Richtung an die Anlage eine größere Stadt anschloss.
Bedeutende Entdeckung
„Der Fund ist eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte in dieser Region“, konstatiert Ahmed Qasim von der Antikendirektion Duhok im Irak. Die Archäologen hoffen nun, durch die weitere Erforschung der aus dem Palast geborgenen Keilschrifttafeln neue Informationen über Politik, Wirtschaft und Geschichte des Mittani-Reichs zu erhalten.
Quelle: Universität Tübingen
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