aus nzz.ch, 16. 5. 2022
Hendrik Wüsts Triumph in Nordrhein-Westfalen ist ein später Erfolg für die Merkel-CDU
Der
Sieg des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten sollte all jenen
zu denken geben, die sich eine konservativere CDU wünschen. Wüst hat den
deutschen Christlichdemokraten gezeigt, wie sie auftreten müssen, wenn
sie auch in Berlin zurück an die Macht wollen.
Irgendwann schienen die Mitglieder der CDU derselben Ansicht zu sein: Ende vergangenen Jahres wählten sie Friedrich Merz, den Wunschkandidaten des konservativen Parteiflügels, im dritten Anlauf zum Vorsitzenden. Zuvor hatten sich mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet zwei Politiker, die deutlich näher an der Mitte standen, als CDU-Chefs innert kurzer Zeit verschlissen.
Noch populärer als die Rede von den konservativen Wurzeln ist allerdings jene von den Wahlen, die in der Mitte gewonnen würden. Auch sie mag abgegriffen sein, doch falsch ist sie deshalb nicht: Am Sonntag hat in Nordrhein-Westfalen mit dem Christlichdemokraten Hendrik Wüst erneut ein Mann der Mitte triumphiert.
Ein Bundesland, so vielfältig wie Deutschland
Bereits eine Woche zuvor hatte in Schleswig-Holstein sein Parteikollege Daniel Günther gesiegt, der sich innerhalb der CDU ähnlich positioniert hatte. Zwar fiel Wüsts Sieg weniger deutlich aus als jener Günthers, doch ist er in einem Land, das meist von den Sozialdemokraten regiert wurde, alles andere als selbstverständlich.
All jenen, die sich eine konservativere CDU wünschen, sollte das Ergebnis vom Sonntag zu denken geben. Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, ist ein Deutschland im Kleinen. Grossstädte und ländlich geprägte Regionen wechseln einander ab; einige Gegenden prosperieren, andere kämpfen noch immer mit den Folgen des Strukturwandels.
Wer hier reüssieren will, muss wohlhabende und eher arme Wähler für sich gewinnen, er muss Bürger mit Migrationshintergrund und solche, deren Vorfahren über Generationen im Land lebten, von sich überzeugen. Das ist Wüst gelungen. Er hat seiner Partei gezeigt, wie sie auftreten muss, wenn sie auch in Berlin zurück an die Macht will.
Wüsts Sieg ist wie jener Günthers eine späte Bestätigung für den Kurs der früheren deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Zwar zeigt sich nun, nach dem Ende ihrer Amtszeit, dass unter Merkel einige Weichen falsch gestellt wurden, etwa in der Russlandpolitik. Ihr Ansatz, neue Wählerschichten für die CDU zu erschliessen, war gleichwohl richtig.
Merz könnte sich Wüst und Günther zum Vorbild nehmen
Ihre Kritiker machten Merkel für zahlreiche schlechte Wahlergebnisse verantwortlich, welche die CDU während ihrer Kanzlerschaft erzielte. Doch spricht einiges dafür, dass die Kanzlerin ihre Partei eher vor Schlimmerem bewahrte: Die SPD als zweite grosse Volkspartei stand meist noch schlechter da, und Merkels persönliche Beliebtheitswerte waren immer gut.
Natürlich wird Friedrich Merz, der lange Zeit zu Merkels schärfsten parteiinternen Kritikern gezählt hatte, Wüsts Sieg als Bestätigung für sich selbst interpretieren. Der CDU-Chef ist klug genug, um zu wissen, dass er alle Parteiflügel einbinden muss, um Erfolg zu haben. Darin könnte eine Pointe der nächsten Jahre bestehen: Während sich Wüst in jungen Jahren prononciert konservativ äusserte und später in die Mitte rückte, geht der zwanzig Jahre ältere Merz diesen Wandlungsprozess jetzt erst an. Vielleicht ist es auch für ihn noch nicht zu spät.
Nota. - Der Untote war konservativ, als er sich zu Merkelzeiten profilieren musste. Doch mehr als konservativ ist er selbtverliebt. Mit andern Worten, zuzutrauen wärs ihm. Aber zurück in die Mitte reicht nicht. In Deutschland muss man vorwärts in der Mitte; keine Vektorensumme, sondern ein Streitross. Mit andern Worten, das ist ihm nicht zuzutrauen.
JE
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