aus nzz.ch, 12. 5. 2019 Demonstration von Arbeitslosen in Berlin um 1930
Schicksalsjahr 1931:
Als der Kapitalismus vor dem Ende stand
1932
wurde Adolf Hitlers NSDAP stärkste Partei im Deutschen Reichstag. In
einem packenden Buch zeigt der Schweizer Historiker Tobias Straumann,
wie es dazu kam: Eine auch wegen hoher Reparationspflichten übermässige
Verschuldung kulminierte 1931 in einer Bankenkrise und dem Kollaps des
Währungssystems.
von Christoph Eisenring, Berlin
Am
Morgen kostete die Zeitung 50 000 Mark, am Abend schon 100 000: So
beschrieb der Schriftsteller Stefan Zweig die Hyperinflation von 1923 in
Deutschland. Die Geldpresse war angeworfen worden, um Löhne und
Staatsausgaben zu finanzieren, die Währung zerfiel. Es ist ein Ereignis,
das die Haltung der Deutschen zum Geld bis heute prägt. Preisstabilität
hat hier ein höheres Gewicht als anderswo in Europa. Die Weimarer
Republik brachte keine Stabilität.
Nur
zehn Jahre später kam es zur Machtergreifung durch die
Nationalsozialisten, die zum Holocaust und zum Zweiten Weltkrieg führte.
Der Zürcher Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann zeigt in seinem
neuen Buch, wie das Land auch nach der Währungsreform von einer Krise in
die andere schlitterte und wie dies den Aufstieg Hitlers begünstigte.
Im Jahr 1931 fallierte nicht nur die zweitgrösste deutsche Bank, sondern
wurde das westliche Gesellschaftssystem immer brüchiger.
Gustav Stresemann (1878–1929)
Einladung zum Schuldenmachen
Von
1929 bis 1932 brach die deutsche Wirtschaftsleistung um ein Viertel
ein; die Arbeitslosenquote kletterte auf über 20%. Einer Linderung der
Misere in Europa standen wiederholt französisch-deutsche Animositäten
entgegen. Dabei hatte es ab Mitte der 1920er Jahre zunächst nach einer
Annäherung der «ewigen Rivalen» ausgesehen.
Das
lag besonders an den beiden Aussenministern: Gustav Stresemann und
Aristide Briand bekamen 1926 gemeinsam den Friedensnobelpreis. Sie
verstanden sich bestens, wohl auch weil sie einen ähnlichen sozialen
Hintergrund teilten: Während Briands Eltern in Nantes ein Café führten,
betrieben die Stresemanns eine Kneipe in Berlin. Doch Stresemann starb
schon mit knapp 50 Jahren. Man könne für ihn auch gleich einen Sarg
bestellen, alles sei zu Ende, soll Briand nach dem Tod seines Freundes
gesagt haben.
Für
Straumann ist klar, dass die fragile wirtschaftliche Lage der Weimarer
Republik auch mit den Reparationszahlungen für den Ersten Weltkrieg
zusammenhing, deren Höhe zwar nachvollziehbar gewesen sei, die deutsche
Leistungsfähigkeit jedoch überstiegen habe. Berlin war deshalb
fortlaufend zu Sparprogrammen und Steuererhöhungen gezwungen.
Deutschland hatte zum einen die Schäden für die Kriegsfolgen zu tragen,
zum anderen die Schulden von Frankreich und Grossbritannien gegenüber
den USA. Beides zusammen belief sich auf rund 100% der deutschen
Wirtschaftsleistung.
Der
Dawes-Plan von 1924 sollte eine Erleichterung bringen: Er machte es dem
Reich möglich, die jährlichen Zahlungen zu strecken, wenn die neue, mit
Gold und Devisen gedeckte Reichsmark in Gefahr war. Dies wirkte jedoch
wie eine Einladung an ausländische Gläubiger, deutschen Banken und
Firmen Kredite zu geben, weil durch den Dawes-Plan die Bedienung
privater Schulden faktisch Priorität genoss. Da Deutschland höhere
Zinsen als das Ausland bot, machten Banken aus den USA, Grossbritannien
oder der Schweiz gerne mehr Geschäfte.
Deutsche Hyperinflation von 1923: Bankmitarbeiter stapeln
im Tresorraum die Millionen für die Kunden.
Über drei Generationen abstottern
Die
Wende zum Guten brachte der Dawes-Plan trotzdem nicht, also wurde 1930
der Young-Plan geboren. Er verringerte zwar die jährlichen
Reparationszahlungen. Im Gegenzug für diese Entlastung wurde jedoch eine
fixe Zahlung vereinbart, die das Deutsche Reich in jedem Fall leisten
musste.
Das tönt
nach einer kleinen Änderung. Doch sie war fundamental, wie Straumann
erläutert. Damit änderte sich nämlich die Reihenfolge, wie die Schulden
zu bedienen waren: erst die vereinbarte Reparationszahlung, dann der
Rest. Private ausländische Gläubiger mussten nun befürchten, dass ihre
Kredite in einer Krise nicht mehr bedient würden. Sie wurden
vorsichtiger, die Kreditvergabe erfolgte immer kurzfristiger.
Im
Young-Plan wurde auch festgelegt, dass das Deutsche Reich seine
Schulden bis ins Jahr 1988 abstottern musste. Dies wurde nun von den
Gegnern der Weimarer Republik, so auch von Adolf Hitlers
Nationalsozialisten, ausgeschlachtet. Die Deutschen seien für drei
Generationen geknechtet, lautete seine Botschaft.
Anschaulich
beschreibt Straumann, wie der damalige Reichskanzler Heinrich Brüning
von der Zentrumspartei in der Zwickmühle sass: Wenn er für die
Abschaffung der Reparationen eintrat, musste dies sofort zum Exodus der
ausländischen Investoren führen und damit zum wirtschaftlichen Kollaps.
Wandte er sich offen gegen die populäre Bewegung für ein Ende der
Reparationen, war er in den Wahlen chancenlos.
Reichskanzler
Heinrich Brüning (1885–1970)
Chauvinismus statt Versöhnung
Im
Young-Plan wurde auch der Abzug der Alliierten aus dem besetzten
Rheinland festgelegt. Die Franzosen hielten sich an diese Abmachung.
Doch statt sich bei Paris zu bedanken, bedienten deutsche Politiker um
Reichspräsident Paul von Hindenburg nationalistische Gefühle. So wurde
eine Münze geprägt mit der Inschrift: «Der Rhein – Deutschlands Strom,
aber nicht Deutschlands Grenze».
Auch
der Abschluss einer Zollunion mit Österreich liess bei den Franzosen
die Alarmglocken schrillen. Das sei die Vorbereitung für den Anschluss,
rief Aussenminister Briand wutschnaubend. Kein Wunder, waren
französische Politiker der Auffassung, man könne Deutschland nur
kontrollieren, wenn die Lasten aus den Reparationen hoch blieben.
Deutschland hatte Mitte der 1920er Jahre 63 Mio. Einwohner, Frankreich
nur 40 Mio.
Der
amerikanische Präsident Herbert Hoover hatte einen nüchternen Blick auf
die Lage. Ihm war klar, dass ohne Nachlass Europa weiter von einer Krise
in die nächste taumeln würde. Selbst der Architekt des Young-Planes,
Owen Young, sprach sich 1931 dafür aus, die deutschen Reparationen und
Schulden um 20% zu verringern. Doch die Franzosen blockierten Hoovers
Initiative, bis es zu spät war.
Die
Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank), damals die deutsche Nummer
2, rutschte im Juli 1931 in die Insolvenz und wurde vom Staat gerettet.
Auch die Dresdner Bank geriet in Schwierigkeiten. Schliesslich wusste
sich die Reichsbank nur noch mit Kapitalverkehrskontrollen zu helfen.
Das
zweitschwächste Glied in Europa war Grossbritannien. Auch dort fehlte
der Notenbank nun die Munition, um den Goldstandard zu verteidigen.
Heutigen Anhängern eines Goldstandards führt Straumanns Buch somit vor
Augen, welche Konsequenzen es hat, wenn eine Notenbank die Banken in
einer Krise nicht mit Liquidität unterstützen kann.
1932
war schliesslich rund ein Viertel der deutschen Erwerbsbevölkerung ohne
Job – die Misere war so gross, dass vom Ende des Kapitalismus die Rede
war. Die Nationalsozialisten eroberten im gleichen Jahr 37% der
Parlamentssitze.
Die
permanenten Krisen hätten Kräfte entfesselt, die kaum noch
kontrollierbar gewesen seien und schliesslich den schlimmsten Albtraum
hätten Realität werden lassen, schliesst Straumanns Buch. Es ist
Straumann gelungen, auf knappem Platz und auf äusserst kurzweilige Weise
eine Wirtschaftskrise zu sezieren, die mit zur grössten Katastrophe des
20. Jahrhunderts beigetragen hat.
Es
ist spannend, zu sehen, dass die hohe kurzfristige Verschuldung der
Banken schon damals als Brandbeschleuniger wirkte – wie das auch in der
jüngsten Finanzkrise der Fall war. Und man wird wieder einmal gewahr,
dass ein freundschaftlicher Umgang von Deutschland und Frankreich
keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist.