aus derStandard.at, 7. Mai 2019
Große Festgelage am ältesten Großbauwerk der Menschheit
Archäologen finden in Göbekli Tepe in Anatolien Belege für pflanzliche Verköstigung bei Arbeitsfesten vor 10.000 Jahren
Als Beginn der menschlichen Zivilisation werden häufig die Anfänge des Alten Ägypten oder der sumerischen Stadtstaaten Südmesopotamiens etwa ab dem 4. Jahrtausend vor unserer Zeit genannt. Tatsächlich aber entstanden die ersten Monumente noch bedeutend früher im heutigen Anatolien: Vor rund 11.000 Jahren errichteten Steinzeitmenschen auf einem Hügel aus meterhohen, bis zu 20 Tonnen schweren Steinpfeilern ein gewaltiges Heiligtum. Der Göbekli Tepe benannte Tell in den Germus-Bergen nahe der türkischen Stadt Şanlıurfa beherbergt damit wohl eines der ältesten Großbauwerke der Menschengeschichte.
Totentempel vom Übergang zur Sesshaftigkeit
Wissenschafter vermuten, dass sich die bedeutende Entwicklung vom umherziehenden Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauern, Viehzüchter und Vorratshalter ebenfalls in dieser Region erstmals vollzogen hat. Die Bauherren der vermutlich einem Totenkult dienenden Anlage von Göbekli Tepe mit ihren mehr als drei Meter hohen und massiven Mauern und Kalksteinpfeilern waren frühe Meister der Baukunst. Die Steinoberflächen waren sorgsam geglättet, einige sind mit Tierreliefs oder Zeichnungen von Körperteilen verziert worden.
Rituelle Versammlungsplätze
Nachdem vor zwei Jahren Archäologen in Göbekli Tepe Hinweise auf einen Schädelkult gefunden haben, liefern jüngste Ausgrabungen nun weitere Einblicke in die Funktion der ungewöhnlichen Anlage: Die gewaltigen Steinmonumente dienten nach bisherigen Erkenntnissen als wichtige Versammlungsplätze für Rituale, für die Kommunikation und dem Austausch untereinander. Die Wissenschafter nehmen an, sie sind eng mit dem Konzept von ‚work feasts‘ verbunden. Gemeint sind Arbeitsfeste, also große Zusammenkünfte, die vor Ort ausgerichtet wurden, um die notwendigen Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Bisher beruhte der Nachweis für die Versorgung dieser Feste vor allem auf umfangreichem archäozoologischen Material: den oft zerbrochenen und verbrannten Knochen von Jagdwild, insbesondere Auerochsen und Gazellen. Im Rahmen einer umfangreichen Studie haben nun Forscher um Laura Dietrich vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) und der Freien Universität Berlin mit mehr als 7.000 Reibsteinen, Läufern, Mörsern und Stößeln eine außergewöhnlich große Anzahl solcher Geräte zur Verarbeitung pflanzlicher Nahrung untersucht.
Zeitlich begrenzte Treffen
Die im Fachjournal "Plos One" präsentierten Ergebnisse weisen auf einst große Mengen verarbeiteten Getreides hin und schließen so die Lücke nur wenig erhaltener tatsächlicher Pflanzenreste. Ohne klar identifizierbare Vorratslager vor Ort belegen diese Resultate, dass die Speisen nur zum unmittelbaren Verzehr während der Feste bereitgestellt wurden. Dies ergänzt das aus den Tierknochen gewonnene Bild und stützt die Hypothese großer Feste anlässlich zeitlich begrenzter Treffen am Göbekli Tepe im Sommer und Herbst, wie auch die Anwesenheit saisonal wandernder Tiere wie Gazellen nahelegt. (red.)
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