Donnerstag, 2. Mai 2019

Das Schicksalsdatum der Weimarer Republik.

aus Tagesspiegel, 1. 5. 2019

Unruhen in Berlin 1929
Blutige Tage im Mai
Vor 90 Jahren eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Arbeitern und der Polizei – mit verheerenden Folgen. Ein Blick in die Geschichte.
 
 

Der Sündenfall des Gereon Rath beginnt in Staffel 1, Episode 4. Der Kriminalkommissar wird sich im Laufe der winkelreichen Handlung von „Babylon Berlin“ vieler Verfehlungen schuldig machen, aber seine spätere Falschaussage zum „Blutmai“ 1929 ist die moralisch verwerflichste.

Unversehens waren er und Kollege Bruno Wolter in die Straßenschlachten zwischen demonstrierenden Arbeitern und schießwütiger Polizei geraten, hatten sich in ein Haus, eine Arbeiterwohnung geflüchtet, wurden Zeuge, wie die Beamten ohne Grund die Fassaden unter Feuer nahmen, auch zwei Frauen auf dem Balkon trafen. Notwehr, man habe nur zurückgeschossen, will die Polizeiführung die amtliche Bluttat danach rechtfertigen. Rath wird das wider besseres Wissen bestätigen.

Unter den Ereignissen, die die labile Weimarer Republik immer weiter unterhöhlten und ihre Untergang beschleunigten, nehmen die Ereignisse um den „Blutmai“, die bürgerkriegsähnlichen Berliner Unruhen zwischen dem 1. und dem 3. Mai 1929, zweifellos eine exponierte Stellung ein. Dem Roman „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher und der darauf basierenden TV-Serie ist es zu verdanken, dass die im öffentlichen Bewusstsein nur noch wenig präsenten, doch in ihrer historischen Tragweite kaum zu überschätzenden Geschehnisse vor 90 Jahren einem breiten Publikum auf spannende Weise wieder in Erinnerung gerufen wurden.

Der Hass zwischen den staatstragenden Sozialdemokraten und den noch immer von Umsturz träumenden Kommunisten wurde damals endgültig zementiert. Ernst Thälmann und seinen KPD-Genossen galt endgültig nicht mehr der heraufziehende Faschismus, sondern der vermeintliche „Sozialfaschismus“ der SPD als Hauptgegner.

Der Streit um den 1. Mai wurde zur Machtprobe stilisiert

Und dabei gründete der Anlass zum „Blutmai“ gerade in den Auseinandersetzungen zwischen KPD und NSDAP. Mitte November 1928 hatte es nach der ersten Rede Hitlers im Sportpalast blutige, auch tödliche Zusammenstöße gegeben, woraufhin Polizeipräsident Karl Friedrich Zörgiebel, ein SPD-Mann, eine allgemeines Verbot von Demonstrationen unter freiem Himmel erließ.

Der Protest zum 1. Mai, und zwar auf der Straße, war aber seit langem Tradition der Arbeiterbewegung, von der die KPD, anders als die SPD, trotz Verbots nicht lassen wollte.

Mehr noch, der Streit um den 1. Mai wurde von beiden Seiten zur Machtprobe stilisiert. „Ich bin entschlossen, die Staatsautorität mit allen mir zur Verfügung stehenden Mittel durchzusetzen“, drohte Zörgiebel, der sich der Unterstützung von Preußens Innenminister Albert Grzesinski, ebenfalls SPD, sicher sein konnte.

Dagegen forderte die KPD-Führung unter Ernst Thälmann „Straße frei für den 1. Mai“ und versicherte in der „Roten Fahne“, die Berliner Arbeiterschaft werde zeigen, „dass keine Verbotsdrohung sie davon zurückhalten kann, ihr Recht auf die Straße zu behaupten“. Immerhin wurde bei den Aufrufen zu Demonstrationen verboten, Waffen jedweder Art mit sich zu führen – ein vergeblicher Versuch, den Konflikt nicht auf die Spitze zu treiben, einem eigenen Verbot vorzubeugen.

Die Polizei ging vielerorts mit großer Brutalität gegen Demonstranten vor 

Doch die Polizei hatte bis zu 16.000 Beamte aufgeboten, die den strikten Befehl hatten, jede Menschenansammlung sofort aufzulösen. Unter ihnen herrschte eine aufgeheizte Stimmung, wie ein ehemaliger Polizeioberst später schilderte: „Auch diesmal schwirrten in den Kasernen die wildesten Gerüchte herum und versetzten die Beamten so in richtige Kampfesstimmung. Wer zum Einsatz nach dem Wedding oder Neukölln fuhr, dachte, dort ist Krieg. Und im ,Kampfgebiet’ eingetroffen, betätigte man sich eben kriegerisch.“


Am Vormittag des 1. Mai hatten sich in den Arbeiterbezirken die ersten Demonstrationszüge versammelt, mit weit weniger Teilnehmern, als von der KPD erhofft, gegen die die Polizei sofort mit großer Härte vorging, wie der Korrespondent der dänischen Zeitung „Politiken“ schrieb: „Ich sah ein gutes Dutzend Polizeiangriffe, die immer dergestalt abliefen, dass die Demonstranten ins Laufen kamen, sobald die Polizisten von ihren Lastwagen stiegen und Miene machten, die Straße zu räumen. Ab und zu bekam ein Mann einige kräftige Schläge mit dem Gummiknüppel über den Nacken, in der Regel ohne jeden Grund.“ Erfolg hatte diese Taktik zunächst nicht. Die Demonstranten liefen weg und formierten sich einige Straßen weiter neu. Das erboste die Polizisten noch weiter.

Bald eskalierte die Gewalt. Zwischen 10 und 11 Uhr fielen die ersten Schüsse, gegen 13.45 Uhr gab es in der Kösliner Straße in Wedding das erste Todesopfer. Zum wiederholten Male war ein Polizeitrupp durch die Häuserschlucht gestürmt, empfangen mit Blumentöpfen, Flaschen und „Bluthunde“-Rufen. Die Beamten zogen ihre Waffen, forderten die Bewohner auf, die Fenster zu schließen.

Der Klempner Max Gemeinhardt, Sozialdemokrat, kam dem nicht sofort nach, wollte mit den Beamten sprechen, da traf ihn auch schon ein Schuss in die Stirn. Nahe dem Bülowplatz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, beobachtete ein Arzt aus seiner Praxis, wie die Polizei wahllos in die Koblankstraße, die heutige Zolastraße, hineinschoss, von den Demonstranten etwa 50 Meter entfernt und keineswegs bedroht.

„Mir heraufgebracht zum Verbinden zirka zehn Schussverletzungen und zirka zwanzig Schlagverletzungen, die von äußerster Brutalität zeugen. Hiebe über den Kopf, dass die Kopfhaut aufgeschlagen ist und Gehirnerschütterung vorliegt. Fast alle Schüsse trafen von hinten“, notierte er.

In Wedding und Neukölln, Bezirken, die geprägt waren von erbärmlichen Wohnverhältnissen, Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit, steigerten sich die Auseinandersetzungen bald zu Barrikadenkämpfen, doch waren es nicht viel mehr als „ein paar Kopfsteine und Bohlen, weit unter der halben Höhe einer Brustwehr, offensichtlich nicht zu Kampfzwecken zusammengeworfen, sondern um die unbarmherzigen Verfolger für Minuten zu hindern“, wie Carl von Ossietzky in der „Weltbühne“ schrieb.

Am Morgen des 4. Mai war der Widerstand zusammengebrochen

Eines der Zentren der Kämpfe war die Kösliner Straße, in die die Polizei schließlich von beiden Seiten einrückte und wahllos Fenster und Dächer beschoss. An der Ecke Wiesen-/Uferstraße erinnert seit 1991 ein Gedenkstein daran, dass hier bei den Straßenkämpfen 19 Menschen den Tod fanden und 250 verletzt wurden.

Die KPD rief nun nicht mehr zu Demonstrationen, wohl aber zu Massenstreiks auf, prägte auch den Begriff, der die Unruhen fortan bezeichnete: „Zörgiebels Blutmai – das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges.“ Doch die Kämpfe gingen am nächsten Morgen weiter. Mittlerweile wurden von der Polizei auch Karabiner und Panzerwagen mit Maschinengewehren eingesetzt.

Wedding und Neukölln wurden abgeriegelt, am 3. Mai verhängte Zörgiebel dort von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens ein totales Ausgehverbot. Herumstehen war verboten, Fahrradfahren, das Zusammentreffen von mehr als drei Personen. Fenster zur Straße waren geschlossen zu halten, in den Zimmern durfte kein Licht brennen.

Der Polizeipräsident stellte klar: „Alle Personen, welche diese Anordnungen nicht befolgen, setzen sich Lebensgefahr aus.“ Kurz danach startete eine Säuberungsaktion in Neukölln. Polizisten drangen in die Hermannstraße vor, nahmen die jeweils andere Straßenseite unter Feuer. Ein Panzerwagen beschoss mit seinem MG von der Ecke Ziethenstraße aus (heute: Werbellinstraße) die oberen Stockwerke. Weitere MG-Stellungen wurden aufgebaut, die Häuser durchsucht.

Am Morgen des 4. Mai war der Widerstand zusammengebrochen. Insgesamt hatten die drei Tage auf Seiten der Demonstranten, aber auch Unbeteiligter 33 Tote und zahllose Verletzte gefordert. Die Polizei, die nach eigener Zählung 10.981 Schüsse abgegeben hatte, musste nur 47 verletzte Beamte beklagen, zehn kamen ins Krankenhaus. Nur einer hatte eine Schussverletzung erlitten – durch unsachgemäßes Hantieren mit seiner Waffe.

Es hatte 1228 Festnahmen gegeben, offenbar überwiegend wahllos, denn nur 66 Personen wurden verurteilt. Für die KPD bedeutete die gescheiterte Machtprobe eine bittere Niederlage. Der Rote Frontkämpferbund wurde verboten, die „Rote Fahne“ durfte für sieben Wochen nicht erscheinen.
Die SPD-Führung dagegen war in den Augen der Öffentlichkeit diskreditiert. Die größte Niederlage aber hatte die Demokratie selbst erlitten. Mochten die Sozialdemokraten und die Kommunisten sich nur ordentlich zerfleischen – den Nationalsozialisten war es gerade recht.


Nota. - Der Rote Oktober in Russland hatte die Epoche der Weltrevolution eröffnet. Die politische Scheidelinie war nicht mehr Rechts oder Links, sondern unmittelbar Revolution oder Konterrevolution. Die Sozialdemokra- tie hatt sich seit dem August 1914 immer und immer wieder so eindeutig wie möglich auf die Seite der herr- schenden Ordnung gestellt. Und wieder im April 1929 in Berlin: Sie verkörperte den 'neutralen' Staat, der über der Alternative Revolution oder Konterrevolution schwebte. Bevor sie schließlich, als alles zu spät war, im Reichstag gegen das Eermächtigungsgesetz gestimmt hat, hat sie nichts Faktisches getan, um den Aufstieg der Nationalsozialisten zu stoppen. Sie hat lediglich den Staat angebettelt: Greif zu! Das hat er schließlich auch ge- tan, aber da hieß der preußische Ministerpräsident schon Göring.

Und die KPD? Außer vielen kleinen Saalschlachten und ein paar größeren Straßenscharmützeln hat auch sie nur mit Parolen und Demonstrationen gekämpft. Es ist wahr - Arbeiterkämpfe organisieren und führen konnte sie 1929 schon lange nicht mehr, aus den Betrieben war sie so gut wie verschwunden, sie war eine Partei von Arbeitslosen geworden, die sich nach Lage der Dinge immer wieder nur bei Wahlen "mobilisieren" ließen.


Doch statt darin das Problem zu erkennen, ohne dessen Lösung der Aufstieg des Nationalsozialismus nicht aufzuhalten war, verschärften sie immer nur ihre Wortwahl, radikal waren die Parolen, schlaff und halbherzig waren die Taten. 

Denn als sie beschlossen, sich dem Demonstrationsverbot der Sozialdemokraten, an deren konterrevoltionärer Entschlossenheit es nichts zu zweifeln gab, in Berlin zu widersetzen, mussten sie doch wissen, dass sie eine Bürgerkriegssituation in Szene setzten. Sie mussten sich fragen, ob sie dem politisch und - ja, so muss man es sagen - militärisch überhaupt gewachsen waren. Sie waren es natürlich nicht, keine Frage, sie spielten nicht mal mit der Idee. Und gaben die Parole aus, unbewaffnet zu erscheinen!

Sie haben ihre Anhänger als Kanonenfutter verheizt. Dass die Berliner Arbeiterschaft ihr nicht zutrauen mochte, sie siegreich in die proletarische Revolution zu führen, kann ihr niemand verdenken.

Aber Deutschland und der Rest der Welt haben es blutig bezahlt.
JE

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