Wohnen Sie lieber neben einem Dieb oder einem Sodomiten?
Unsere moralischen Urteile sind nicht rational, sie gründen sich vielmehr auf Angst, Zorn, Ekel: Der Philosoph Philipp Hübl fragt in seinem neuen Buch nach dem Ursprung der Polarisierung.
von Manuela Lenzen
Würden Sie einem Psychologen Ihre Seele verkaufen? Für zwei Dollar? Scott Murphy von der Virginia University hat es ausprobiert: Nur dreiundzwanzig Prozent der Probanden unterzeichneten seinen „Vertrag“ und steckten die zwei Dollar für eine sinnlose Unterschrift ein. Was hielt die anderen davon ab? Was regiert unsere Entscheidungen? Ein Bauchgefühl, um das bestenfalls im Nachhinein eine Rechtfertigung gestrickt wird, oder die Vernunft? Und was bedeutet das für unser Zusammenleben? Das sind Fragen, denen der Philosoph Philipp Hübl in seinem neuen Buch nachgeht.
Dabei geht es weniger, wie der Titel verspricht, um die aufgeregte als um die gespaltene Gesellschaft: Konservative gegen Progressive, Stadt gegen Land, Jung gegen Alt, Kollektivisten gegen Individualisten. Hübl setzt auf die Moralpsychologie: Sie soll helfen zu verstehen, wie diese Polarisierung zustande kommt.
Moralpsychologie
untersucht, wie Menschen tatsächlich urteilen, nicht, wie die
philosophische Ethik, wie sie urteilen sollten. Dazu verwendet sie mit
Vorliebe fiktive Geschichten, zu denen die Versuchspersonen ihre Meinung
äußern oder eine Lösung vorschlagen sollen, wobei je nach
Versuchsaufbau ihre Reaktionszeiten, die Veränderung des
Hautwiderstandes oder die Schweißbildung gemessen wird.
Hübl erzählt eine ganze Reihe dieser Studien nach, der Leser kann selbst überlegen, wie er antworten würde: Darf man mit der Landesflagge die Toilette putzen? Würden Sie lieber neben einem Ladendieb wohnen oder neben jemanden, von dem bekannt ist, dass er Sex mit Tieren hat? Ist einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen unfruchtbaren Geschwistern verwerflich? Und auch die „Fruchtfliege der Psychologen“ darf nicht fehlen: Darf man den dicken Mann vor den Zug schubsen, wenn man damit fünf Menschen retten könnte?
Hübl erzählt eine ganze Reihe dieser Studien nach, der Leser kann selbst überlegen, wie er antworten würde: Darf man mit der Landesflagge die Toilette putzen? Würden Sie lieber neben einem Ladendieb wohnen oder neben jemanden, von dem bekannt ist, dass er Sex mit Tieren hat? Ist einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen unfruchtbaren Geschwistern verwerflich? Und auch die „Fruchtfliege der Psychologen“ darf nicht fehlen: Darf man den dicken Mann vor den Zug schubsen, wenn man damit fünf Menschen retten könnte?
Im ersten Teil
des Buches zeigt Hübl, dass die Regelmäßigkeiten, die die Forscher aus
diesen Studien extrahieren, nicht gerade geeignet sind, ein Selbstbild
als rationales Individuum aufrechtzuhalten, das nach wohlüberlegten
Prinzipien handelt. Einer amerikanischen Langzeitstudie zufolge kann man
etwa anhand der Charaktermerkmale, die Erzieher bei Vierjährigen
feststellen, recht zuverlässig vorhersagen, ob sie später eher
republikanisch oder demokratisch wählen werden und welche Einstellungen
sie zu Schwangerschaftsabbrüchen oder Homosexualität haben. Ebenso
korreliert die Ekelneigung einer Person mit ihren politischen
Präferenzen und Einstellungen gegenüber Fremden.
Unsere Moral, so schließt Hübl daraus, verdankt sich eben nicht Prinzipien, sondern Emotionen wie Angst, Zorn, Ekel, Scham oder Schuld. Und sie ist biologisch grundiert, will heißen: anfällig für Angst vor Unbekannten, auf Hierarchien und Anerkennung aus. Und sie wird geprägt von der Welt, in der wir leben. Chinesen, die Reis anbauen, sind solchen Studien zufolge eher gesellschaftsorientiert und konservativ, solche, die Weizen anbauen, eher progressiv und individualistisch. Die angebotene Erklärung lautet: Reisanbau ist ein gemeinschaftliches Unterfangen, die Bewässerung muss geregelt werden, das Ganze kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Beim Anbau von Weizen kann es dem einen Bauer hingegen ziemlich egal sein, was der andere auf seinem Acker tut.
Unsere Moral, so schließt Hübl daraus, verdankt sich eben nicht Prinzipien, sondern Emotionen wie Angst, Zorn, Ekel, Scham oder Schuld. Und sie ist biologisch grundiert, will heißen: anfällig für Angst vor Unbekannten, auf Hierarchien und Anerkennung aus. Und sie wird geprägt von der Welt, in der wir leben. Chinesen, die Reis anbauen, sind solchen Studien zufolge eher gesellschaftsorientiert und konservativ, solche, die Weizen anbauen, eher progressiv und individualistisch. Die angebotene Erklärung lautet: Reisanbau ist ein gemeinschaftliches Unterfangen, die Bewässerung muss geregelt werden, das Ganze kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Beim Anbau von Weizen kann es dem einen Bauer hingegen ziemlich egal sein, was der andere auf seinem Acker tut.
Neben
dieser „Reistheorie“ gibt es auch eine „Parasitentheorie“, der zufolge
Menschen in Gebieten mit hoher Parasitenbelastung eher zum
Kollektivismus neigen, Traditionen betonen, Autorität schätzen, für
Vetternwirtschaft und Fremdenfeindlichkeit anfällig sind.
Mit der
Rationalität der Moral ist es demnach also nicht so weit her. Aber warum
polarisiert sich dann heute die Welt immer stärker? Weil der Wandel
immer schneller voranschreitet, meint Hübl in den Teilen zwei und drei,
die Politik und Gesellschaft gewidmet sind. Die jungen, progressiven
Stadtbewohner, so legt er sich die Sache zurecht, begrüßen diesen
Wandel, sie erwarten, dass es in der Zukunft besser wird. Die
konservativen Landbe- wohner hingegen sähen die Globalisierung als Gefahr,
verklärten eine vermeintlich bessere Vergangenheit und reagierten mit
Abwehr, im Extrem mit Nationalismus und Xenophobie auf die
Veränderungen.
Wir können Vorurteile überdenken und revidieren
Doch trotz solcher Umweltbestimmtheit und
der gleichzeitig konstatierten Neigung zu stammesartigen Gebilden, über
die Identitäten und Loyalitäten organisiert werden, hat Hübl auch
naheliegende aufmunternde Worte parat. Die Moral habe zwar eine
biologische Basis, sei aber ebenso eine Frage der Entscheidung. Wir
können lernen, unsere Einseitigkeiten und Vorurteile wahrzunehmen, sie
zu überdenken und zu revidieren. Wir sind in der Lage, eine gefühlte
Terrorangst mit dem Blick auf die Statistik auf ein realistisches Maß
zurückzudrängen. ...
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