aus spektrum.de, 29.07.2019
Auch Kleinkinder erwarten gerechte Anführer
von Daniela Zeibig
Wer über andere bestimmen kann, sollte dafür sorgen, dass diese fair miteinander umgehen. Das sehen offenbar nicht nur Erwachsene tendenziell so, sondern auch Kleinkinder, wie eine Versuchsreihe von Maayan Stavans von der israelischen Bar-Ilan-Universität und Renée Baillargeon von der University of Illinois in Urbana–Champaign zeigt.
Die Wissenschaftler führten 120 Kindern im Alter von 17 Monaten ein kurzes Puppenspiel mit drei Bärenhandpuppen vor. Ein Bär wurde manchen Kindern dabei als Anführer vorgestellt, indem er den beiden anderen Bären sagte, was diese zu tun hatten. Anschließend überreichte er ihnen zwei Spielzeuge, die sie unter sich aufteilen sollten. Doch ein Bär schnappte sich einfach dreist beide Geschenke und ließ den anderen mit leeren Tatzen zurück. Daraufhin schritt der Anführer-Bär in einigen Fällen ein, um das begangene Unrecht zu korrigieren. In anderen Durchgängen ignorierte er das unfaire Verhalten hingegen.
Stavans und Baillargeon beobachteten ganz genau, wo ihre Probanden während des Schauspiels wie lange hinblickten. Der Hintergedanke dabei: Kleinkinder schenken Dingen, die sie überraschen, länger ihre Aufmerksamkeit als solchen, mit denen sie gerechnet haben. So lässt sich auch ohne zu fragen darauf schließen, mit welchen Erwartungen sie an eine Situation herangehen.
Im Ergebnis, so entdeckten die Forscher, sahen ihre kleinen Versuchspersonen länger hin, wenn ihnen die Handpuppe, welche die Spielzeuge austeilte, zuvor als Anführer vorgestellt worden war und nicht einschritt, wenn sich ein Bär einfach beide Spielzeuge schnappte. Von Bären, die keine Anführer waren, schienen die Kinder hingegen nicht zu erwarteten, dass sie ungerechtes Verhalten korrigierten.
Um ihre Ergebnisse noch einmal zu bestätigen, variierten
Stavans und Baillargeon den Versuchsaufbau in einem zweiten Experiment
ein wenig. Dabei gab einer der beiden Bären bekannt, dass er kein
Interesse an den Spielzeugen habe und der andere seines ruhig nehmen
könne. Nun reagierten die Kinder überrascht, wenn der Anführer-Bär
dennoch einschritt und die Geschenke umverteilte.
Die Forscher
schließen daraus, dass Kinder schon früh im Leben ein ausgereiftes
Verständnis für soziale Hierarchien und Machtdynamiken entwickeln, wie
sie im Fachmagazin »PNAS« schreiben. In diese Richtung deutet auch eine
Untersuchung, die Baillargeon 2018 gemeinsam mit zwei italienischen
Kollegen durchführte. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass Kleinkinder bereits vor ihrem zweiten Geburtstag zwischen respektablen Anführern und Tyrannen unterscheiden können.
Nota. - Wir Menschen waren nicht 'am Anfang alle gleich'. Die Kinder der ersten Menschen wurden wie die Kinder der meisten Säugetiere in vorgegebene Gruppengebilde von mehr oder weniger steilen Hierarchien hineingeboren; wohl vergleichsweise flachen Hierarchien im Fall von uns Menschen.
Nota. - Wir Menschen waren nicht 'am Anfang alle gleich'. Die Kinder der ersten Menschen wurden wie die Kinder der meisten Säugetiere in vorgegebene Gruppengebilde von mehr oder weniger steilen Hierarchien hineingeboren; wohl vergleichsweise flachen Hierarchien im Fall von uns Menschen.
Dass es so war, bedeutet nichts als: dass es mal so war. Dass sich Spuren einer Millionen Jahre alten Gattungs- geschichte in unserm genetisch tradierten Verhaltensrepertoire finden, bedeutet nur, dass wir uns entscheiden können und müssen, was wir draus machen wollen.
Man mag sagen: Auch noch so flache vererbte Hierarchien sind von Übel, die wollen wir uns aberziehen; und wir leben in einer Zeit, wo viele diesem Gedanken zustimmen würden.
Doch wer wird sagen: Die Erbanlage zur Gerechtigkeit behindert die Entfaltung großer Talente? Das wäre ja un- gerecht nicht nur gegen die Talente, sondern auch gegen die Gruppe selbst. Man wird darum eher sagen: Die Nei- gung zur Gerechtigkeit ist ein kostbares Erbe, das muss man kultivieren; und dazu gehört es, Talente sich entfal- ten zu lassen.
JE
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