aus welt.de, 16. 10. 2020 aus dem Katalog der Germanen-Ausstellung in Berlin
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche archäologische Entdeckungen in Deutschland das Bild der Germanen deutlich verändert. Wie, ist jetzt in einer großen Aufstellung auf der Berliner Museumsinsel zu sehen. Zeitgleich zum voluminösen Katalog hat der Kölner Archäologe Thomas Fischer den Band „Gladius. Roms Legionen in Germanien“ vorgelegt, in dem er eine ebenso detailreiche wie lesbare Zwischenbilanz der laufenden Forschung vorlegt. Die hat ein grundsätzliches Problem zu bewältigen: Die schriftlichen Quellen spiegeln fast ausnahmslos die römische Perspektive. Darin wurden „Germanen“ zu einem Sammelbegriff für verschiedene Völker, die sich nie als Einheit verstanden haben.
Die römische Sicht hat Tacitus in seiner um 100 n. Chr. erschienenen Schrift „Germania“ zusammengefasst. Darin schreibt der römische Historiker unter anderem, dass es der Eisenmangel nur wenigen Germanen ermögliche, „ein Schwert oder einen größeren Spieß mit langer, breiter Eisenspitze“ zu besitzen. Neue Funde in der Berliner Ausstellung legen eher das Gegenteil nahe.
So wurden auf dem Schlachtfeld am Harzhorn im Süden Niedersachsens, wo um 235 n. Chr. eine römische Armee erfolglos von Germanen angegriffen wurde, zahlreiche Lanzen und Speerspitzen aus Eisen gefunden. Waren diese individuell gefertigt, deuten die Lanzenspitzen, die aus dem Moor beim dänischen Illerup Ådal geborgen wurden, bereits auf zentralisierte Produktion und Ausgabe der Waffen aus.
Dies geschah offenbar in der Regie von Häuptlingen, deren Wohlstand und Charisma es ihnen erlaubte, unternehmungslustige Männer des eigenen Stammes, aber auch darüber hinaus um sich zu scharen. Diese Führer verpflichteten sich ihrer Gefolgschaft, indem sie für ihren Lebensunterhalt aufkamen und in ihren „langen Hallen“, von denen man zahlreiche Spuren gefunden hat, bewirteten. Und sie garantierten ihnen Beute, was wiederum dazu führte, dass „möglichst andauernd Krieg herrschte und man so die Gefolgschaften unterhalten und bei Erfolg vergrößern konnte“, folgert Fischer.
Das passt zu der Mentalität, die Tacitus den Germanen zuschreibt: „Es gilt für träge und schlaff, sich mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erringen kann.“ Beute wurde daher zu einem zentralen Motiv germanischer Heere. Bei der Schlacht an den „Langen Brücken“ gegen Legionen des Feldherrn Germanicus 15 n. Chr. konnten die Germanen zwar die römische Linie durchbrechen, verspielten ihren Erfolg jedoch damit, weil sie sich über den lukrativen Tross hermachten, was den Gegnern die Chance zum Rückzug eröffnete.
Der Adel ist es denn auch, der durch seine reich ausgestatteten Gräber archäologisch fassbar wird. Er konnte sich Schmuck und Waffen leisten, die zum einen von hochspezialisierten germanischen Schmieden, zum anderen von Handwerkern aus dem Mittelmeerraum hergestellt wurden, wobei einige von ihnen auch als Gefangene in die freie Germania magna gelangt sein können. Wenige Angehörige der Oberschicht konnten sich sogar Kettenhemden leisten.
Auch Schwerter waren wertvolle Prestigewaffen, die eine Familie ungern aufgab. Man hat errechnet, dass kaum mehr als zehn Prozent der erwachsenen Männern eine Waffe ins Grab mitgegeben wurde. Während einschneidige Hiebschwerter aus germanischer Produktion stammten, wurden zweischneidige Lang- und Kurzschwerter vor allem aus dem Römischen Reich eingeführt oder erbeutet. Für die Wertschätzung dieser Waffen spricht die Akribie, mit der das Schlachtfeld von Kalkriese geplündert wurde, das viele Forscher mit dem Untergang des Statthalters Varus und seiner drei Legionen 9 n. Chr. gegen Arminius im Teutoburger Wald in Verbindung bringen.
Ein „Barbarentopos“ nennt Fischer die Darstellung des Tacitus, dass Germanen „mit nackten Oberkörper in den Kampf“ zogen. Das Gros der Krieger trug Hosen, Mantel, Schuhe und einen markanten Gürtel mit Metallbeschlägen, Schwert und Messer sowie als Hauptwaffe eine Lanze. Als einziger Schutz diente ein Rund- oder Ovalschild, dessen Bemalung vermutlich die Zugehörigkeit zu einem Clan signalisierte, der gemeinsam in den Kampf zog. Massive Buckel aus Metall machten diese Schilde auch zu einer veritablen Waffe.
Die Schutzausrüstung bezeugt deutlich die taktischen Unterschiede zwischen Römern und Germanen. Während jene mit ihren großen, viereckigen Schilden eine geschlossene Schlachtreihe bildeten, kämpften Germanen mobil, wobei sie ihre leichten Verteidigungswaffen auch dazu einsetzen konnten, die feindliche Linie aufzubrechen.
Überhaupt gründete die Durchschlagskraft germanischer Heere auf ihre Beweglichkeit, die sich kaum auf „überragendes Heldentum in vorderster Linie“ (Tacitus) reduzieren lässt (wie es etwa Ridley Scotts Film „Gladiator“ darstellt). Auch Germanen waren es gewohnt, in (keilförmigen) Formationen zu kämpfen, deren Krieger aber vor dem Feind eine lose Linie bildeten. Schon Caesar berichtete, dass sie auch das Gefecht mit „verbundenen Waffen“ beherrschten: Die leichte, vom Adel gebildete Kavallerie, die sich neben dem Pferd Langschwerter leisten konnte, wurde von schnellem Fußvolk begleitet, das Verwundete barg und den Reitern den Rückzug deckte.
Die Verluste waren bei dieser Kampfweise erstaunlich hoch. Hochrechnungen auf der Grundlage sogenannter Waffenbeuteopfer in den Mooren Norddeutschlands und Dänemarks haben ergeben, dass die Verlustrate der unterlegenen Seite bei über 30 Prozent lag, schreibt der Archäologe Stefan Burmeister, Geschäftsführer des Museums und Parks Kalkriese, in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“.
Die germanische Reiterei hatte es den Römern besonders angetan. Schon Caesar nahm große Verbände als Hilfstruppen in seinen Dienst, die ihm in den entscheidenden Kämpfen gegen den Gallierführer Vercingetorix vor Alesia 52 v. Chr. den Sieg sicherten. Auch der Varus-Bezwinger Arminius und andere Anführer antirömischer Aufstände hatten zuvor als Offiziere germanischer Reiterverbände im römischen Heer gedient und dabei das Militärwesen der Weltmacht studiert. Manche Waffen werden durch Soldaten dieser Truppen nach Germanien gelangt sein, doch dürften die meisten Veteranen ihren Ruhestand lieber zwischen den Annehmlichkeiten des Imperiums als im unzivilisierten Germanien verlebt haben.
Im 4. Jahrhundert erfasste die Sogkraft Roms auch Germanen jenseits von Rhein und Donau. Da war ihre militärische Erfahrung schon so weit ausgebildet, dass die Römer oft nicht ganz freiwillig ganze Kriegerverbände anwarben. Wo Sold und Land ausblieben, nahmen sich Goten, Franken oder Vandalen dies mit Gewalt.
„Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ heißt die Ausstellung, die das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Kooperation mit dem LVR-Landesmuseum Bonn im Ausstellungssaal der James-Simon-Galerie und im Vaterländischen Saal des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel präsentiert (bis 21. März 2021; Katalog: wbg/Theiss, 50 Euro, Museumspreis 39 Euro).
Thomas Fischer: „Gladius. Roms Legionen in Germanien“. (C. H. Beck, München. 344 S., 26 Euro)
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