aus spektrum.de, 17.10.2020
Historiendrama »Barbaren«
Game of Tribes
Netflix
hat die Varusschlacht und ihre Vorgeschichte als sechsteilige
Fiction-Serie verfilmt. In »Barbaren« soll die germanische Seite des
Konflikts im Mittelpunkt stehen - angesichts der vielen nationalistisch
aufgeladenen Mythen keine leichte Aufgabe.
Jahr 9 n. Chr. vernichtete der cheruskische Fürst Arminius mit einem Germanenheer drei römische Legionen unter Publius Quinctilius Varus, rund ein Zehntel der Streitmacht des Imperiums. Die Römer gaben daraufhin ihr Vorhaben auf, Germanien zwischen Rhein und Oder in das Römische Reich zu integrieren. Hätte Varus damals gewonnen, könnte die Karte Europas heute ganz anders aussehen. Schon im Altertum gingen mehrere römische Geschichtsschreiber mit Varus hart ins Gericht. Sie konnten nicht begreifen, dass germanische Barbaren, die untereinander völlig zerstritten waren, nicht einmal Städte kannten und über kein stehendes Heer verfügten, der größten Macht Europas eine so totale Niederlage zufügen konnten.
Ab dem 17. Jahrhundert bemächtigte sich der deutsche Nationalismus der Schlacht und verklärte Arminius unter dem Namen Hermann zum Nationalhelden der Deutschen. Sie übersahen geflissentlich, dass die Völkerwanderung in der Spätantike die Stämme und Völker Europas gründlich durcheinandergebracht hatte. Die Germanen können also nicht als unmittelbare Vorfahren der Deutschen gelten. Bis heute ist die Varusschlacht ein Fixpunkt für Rechtsextremisten. Netflix wagt sich deshalb mit seiner am 23. Oktober anlaufenden Miniserie »Barbaren« auf vermintes Gebiet.
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Niemand weiß, was Arminius zum Aufstand trieb. Er war in Rom erzogen worden, Mitglied des Ritterstands und Anführer einer Abteilung von Varus' germanischen Hilfstruppen. Die Germanen hatten keine Schriftkultur und nicht einmal eine Heldensage zu dem Thema überliefert. Die Drehbuchautoren wollten die Vorgeschichte der Varusschlacht aber aus germanischer Sicht zeigen. Das öffnete ihnen viel Raum für eigene Ideen. Alle Informationen über Arminius, seine Frau Thusnelda und seinen Stamm stammen von römischen Autoren – und die wussten auch nicht viel.
Mehr als 20 000 schwer bewaffneten Legionäre
Der Plot verleiht dem Konflikt eine sehr persönliche Note. Drei germanische Kinder, Arminius, Thusnelda und Folkwin, wachsen zusammen auf. Sie verbindet eine enge Freundschaft. Das Band zerreißt, als der Fürstensohn Arminius nach Rom verschleppt wird. Der römische Adelige Publius Quinctilius Varus nimmt sich seiner an, um den Barbaren zu einem zivilisierten Römer zu erziehen. Thusnelda und Folkwin werden heimlich ein Liebespaar, aber ihr intriganter Vater Segestes hat andere Pläne mit ihr. Dann taucht Arminius wieder auf, hoch zu Ross, an der Spitze einer römischen Patrouille. Sein Ziehvater hat ihm eine militärische Ausbildung zukommen lassen und ihn zu einem seiner höchsten Offiziere befördert. So muss er mithelfen, seine eigenen Landsleute zu unterwerfen, denn Varus befehligt jetzt die Grenztruppen am Rhein und hat mit den Legionen XVII, XVIII und XIX ein Sommerlager tief im Germanengebiet bezogen. Die mehr als 20 000 schwer bewaffneten Legionäre sollen den Barbaren klarmachen, dass sie gegen die Weltmacht Rom keine Chance haben. Arminius gerät immer mehr in einen Gewissenskonflikt. Liegt seine Loyalität bei seinem Volk oder bei Rom?
Eine spannende Idee: Drei Kinder, vom Schicksal auseinandergerissen, treffen nach Jahren wieder aufeinander und schreiben die Weltgeschichte um. Es funktioniert aber nicht so recht. Der Rahmen ist einfach zu eng gesteckt. Jeder Stamm scheint nur ein Langhaus zu bewohnen. Die wenigen germanischen Krieger würden kaum ausreichen, um ein Drachenboot zu bemannen. Der Konflikt zwischen Segestes und Arminius wirkt wie ein dörflicher Nachbarschaftsstreit. Die Zuschauer haben eigentlich nie den Eindruck, hier entstehe eine riesige Koalition von germanischen Stämmen, die es ernsthaft mit einer römischen Armee aufnehmen könnte.
Die
eigentliche Schlacht nimmt nur etwa 20 Minuten in der letzten Folge ein.
Die visuelle Umsetzung der historisch und archäologisch gesicherten
Fakten ist weitgehend misslungen. Die Römer zogen nicht über
unbefestigte schmale Wege mitten im Wald. Das wäre unmöglich gewesen,
weil sie im Tross eine große Anzahl von Transportwagen mitführten. Nach
Angaben der römischen Historiker regnete es fast ununterbrochen, so dass
die von 10 000 Füßen misshandelten Wege spiegelglatt wurden und die
römischen Soldaten immer wieder ausrutschten. Die Germanen zermürbten
die Römer anfangs mit vielen Überfällen auf die marschierende Truppe.
Sie stellten sich nicht zur offenen Feldschlacht, sondern verwickelten
die Römer in so genannte Defilee-Gefechte. Dabei beschränkten sie sich
vermutlich vorrangig auf Speerwürfe. Die Germanen wussten sicherlich,
dass die Römer ihre Verwundeten nicht zurückließen, wodurch sie
langsamer wurden und der Zusammenhalt der Marschsäule verloren ging.
Einen beträchtlichen Teil der Kämpfe bestritten die übergelaufenen
germanischen Hilfstruppen der Römer – kriegserfahrene Berufssoldaten.
Arminius musste ein Meldesystem installiert haben, anders hätte er die
Überfälle auf den zehn Kilometer langen Heerwurm der Römer nicht
koordinieren können. Um eine solche auf mehrere Tage angelegte Schlacht
erfolgreich zu führen, brauchten die Germanen eine gute Disziplin, sie
waren definitiv kein ungeordneter Haufen von Barbaren.
Die brutalen Kämpfe sind belegt.
Erst
am dritten Tag kam es wohl zu einer größeren Feldschlacht zwischen dem
dezimierten römischen Heer und den germanischen Kriegern. Die völlig
erschöpften und teilweise verwundeten Legionäre waren jetzt zu
gemeinsamen Bewegungen kaum noch in der Lage. Der unangreifbare Wall aus
Schilden zeigte Lücken und fiel auseinander. Die einzelnen Soldaten
waren aber durch ihre schwere Rüstung viel mehr behindert als geschützt.
Mit seiner genau berechneten Strategie legte Arminius die Schwächen der
römischen Kriegsmaschinerie schonungslos offen. Leider verkürzt die
Serie die Schlacht auf einen Tag und zeigt nur eine Reihe von blutigen
Gemetzeln. Den Germanen schreibt sie nur ein Minimum an Strategie,
Organisation oder Disziplin zu. Und selbst den Kampfesmut muss
ihnen Thusnelda erst einimpfen.
Das in der Serie gezeigte brutale
Vorgehen der römischen Armee gegenüber der Zivilbevölkerung ist aus
antiken Quellen bekannt, die Autoren übertreiben hier nicht. Die
Germanen kommen jedoch keineswegs besser weg. Sie sind, bis auf wenige
Ausnahmen, wahlweise opportunistisch, feige, wortbrüchig, schmierig,
verschlagen, hinterhältig und grausam. Thor wäre entsetzt, Loki würde
sich wie zu Hause fühlen.
Mit der Kultur der Germanen tun sich
Regisseure und Autoren sichtlich schwer. Im Siedlungsgebiet der
Cherusker und Brukterer wuchs kaum mehr Wald als heute, und die Dörfer
mit ihren rund 200 Einwohnern lagen nur etwa drei bis fünf Kilometer
auseinander. Sie bildeten einen geschlossenen Siedlungsraum und hatten
intensiven Kontakt zueinander. Die damaligen Fürsten dürfen wir uns als
Oberhäupter von Sippen mit einigen hundert bis tausend Mitgliedern
vorstellen. Sippen von gemeinsamer Herkunft bildeten einen Stamm. Geübte
Kämpfer unter dem Kommando von Kriegsfürsten lebten davon, eigene
Siedlungen zu schützen und benachbarte Stämme zu überfallen. In einigen
Dörfern gab es vermutlich Fürstenhöfe mit einem großen Wohnhaus, einer
Versammlungshalle und den Werkstätten von spezialisierten Handwerkern.
In der Serie sehen wir allerdings immer nur ein einzelnes Dorf mitten
im Wald.
Es ist auch eine Illusion, dass die Germanen ein Volk von
Gleichen waren. Unter dem Dach eines Langhauses lebte die Familie des
Hausvaters zusammen mit halbfreien Knechten und unfreien Sklaven. Der
Hausvater herrschte unumschränkt unter seinem Dach, hatte aber genau
definierte Pflichten gegenüber seinem Klan und seinem Stamm. Dieses
komplexe Sozialgefüge kommt in der Serie nicht zur Geltung.
Gesamteindruck: zwiespältig
Kostüme,
Requisiten und Bauten sind sehr gut gelungen, die Ausrüstung der
römischen Legionäre entspricht der historischen Wirklichkeit. Auch die
germanischen Langhäuser wirken erstaunlich authentisch. Das
Produktionsteam hat in diesen Punkten sehr gute Arbeit geleistet. Die
Römer in der Serie sprechen Latein. Für die Zuschauer haben die
Serienmacher deutsche Untertitel einfügt, die den Germanen damals
natürlich nicht zur Verfügung standen. Mit diesem Kunstgriff beleuchtet
das Team den tiefen Graben zwischen Römern und Germanen. Eine schwer
bewaffnete, herrisch auftretende Armee, die in einer fremden Sprache
ultimative Forderungen stellt und sie notfalls mit brutaler Gewalt
durchsetzt – das wirkt schon beklemmend.
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