Sonntag, 18. Oktober 2020

Und nochmal (auf Netflix): Die Germanen.

aus spektrum.de, 17.10.2020

Historiendrama »Barbaren«

Game of Tribes
Netflix hat die Varusschlacht und ihre Vorgeschichte als sechsteilige Fiction-Serie verfilmt. In »Barbaren« soll die germanische Seite des Konflikts im Mittelpunkt stehen - angesichts der vielen nationalistisch aufgeladenen Mythen keine leichte Aufgabe.

von Thomas Grüter

Jahr 9
 n. Chr. vernichtete der cheruskische Fürst Arminius mit einem Germanenheer drei römische Legionen unter Publius Quinctilius Varus, rund ein Zehntel der Streitmacht des Imperiums. Die Römer gaben daraufhin ihr Vorhaben auf, Germanien zwischen Rhein und Oder in das Römische Reich zu integrieren. Hätte Varus damals gewonnen, könnte die Karte Europas heute ganz anders aussehen. Schon im Altertum gingen mehrere römische Geschichtsschreiber mit Varus hart ins Gericht. Sie konnten nicht begreifen, dass germanische Barbaren, die untereinander völlig zerstritten waren, nicht einmal Städte kannten und über kein stehendes Heer verfügten, der größten Macht Europas eine so totale Niederlage zufügen konnten.

Ab dem 17. Jahrhundert bemächtigte sich der deutsche Nationalismus der Schlacht und verklärte Arminius unter dem Namen Hermann zum Nationalhelden der Deutschen. Sie übersahen geflissentlich, dass die Völkerwanderung in der Spätantike die Stämme und Völker Europas gründlich durcheinandergebracht hatte. Die Germanen können also nicht als unmittelbare Vorfahren der Deutschen gelten. Bis heute ist die Varusschlacht ein Fixpunkt für Rechtsextremisten. Netflix wagt sich deshalb mit seiner am 23. Oktober anlaufenden Miniserie »Barbaren« auf vermintes Gebiet.


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Niemand weiß, was Arminius zum Aufstand trieb. Er war in Rom erzogen worden, Mitglied des Ritterstands und Anführer einer Abteilung von Varus' germanischen Hilfstruppen. Die Germanen hatten keine Schriftkultur und nicht einmal eine Heldensage zu dem Thema überliefert. Die Drehbuchautoren wollten die Vorgeschichte der Varusschlacht aber aus germanischer Sicht zeigen. Das öffnete ihnen viel Raum für eigene Ideen. Alle Informationen über Arminius, seine Frau Thusnelda und seinen Stamm stammen von römischen Autoren – und die wussten auch nicht viel.

Mehr als 20 000 schwer bewaffneten Legionäre


Der Plot verleiht dem Konflikt eine sehr persönliche Note. Drei germanische Kinder, Arminius, Thusnelda und Folkwin, wachsen zusammen auf. Sie verbindet eine enge Freundschaft. Das Band zerreißt, als der Fürstensohn Arminius nach Rom verschleppt wird. Der römische Adelige Publius Quinctilius Varus nimmt sich seiner an, um den Barbaren zu einem zivilisierten Römer zu erziehen. Thusnelda und Folkwin werden heimlich ein Liebespaar, aber ihr intriganter Vater Segestes hat andere Pläne mit ihr. Dann taucht Arminius wieder auf, hoch zu Ross, an der Spitze einer römischen Patrouille. Sein Ziehvater hat ihm eine militärische Ausbildung zukommen lassen und ihn zu einem seiner höchsten Offiziere befördert. So muss er mithelfen, seine eigenen Landsleute zu unterwerfen, denn Varus befehligt jetzt die Grenztruppen am Rhein und hat mit den Legionen XVII, XVIII und XIX ein Sommerlager tief im Germanengebiet bezogen. Die mehr als 20 000 schwer bewaffneten Legionäre sollen den Barbaren klarmachen, dass sie gegen die Weltmacht Rom keine Chance haben. Arminius gerät immer mehr in einen Gewissenskonflikt. Liegt seine Loyalität bei seinem Volk oder bei Rom?

Eine spannende Idee: Drei Kinder, vom Schicksal auseinandergerissen, treffen nach Jahren wieder aufeinander und schreiben die Weltgeschichte um. Es funktioniert aber nicht so recht. Der Rahmen ist einfach zu eng gesteckt. Jeder Stamm scheint nur ein Langhaus zu bewohnen. Die wenigen germanischen Krieger würden kaum ausreichen, um ein Drachenboot zu bemannen. Der Konflikt zwischen Segestes und Arminius wirkt wie ein dörflicher Nachbarschaftsstreit. Die Zuschauer haben eigentlich nie den Eindruck, hier entstehe eine riesige Koalition von germanischen Stämmen, die es ernsthaft mit einer römischen Armee aufnehmen könnte.

Die eigentliche Schlacht nimmt nur etwa 20 Minuten in der letzten Folge ein.

Die visuelle Umsetzung der historisch und archäologisch gesicherten Fakten ist weitgehend misslungen. Die Römer zogen nicht über unbefestigte schmale Wege mitten im Wald. Das wäre unmöglich gewesen, weil sie im Tross eine große Anzahl von Transportwagen mitführten. Nach Angaben der römischen Historiker regnete es fast ununterbrochen, so dass die von 10 000 Füßen misshandelten Wege spiegelglatt wurden und die römischen Soldaten immer wieder ausrutschten. Die Germanen zermürbten die Römer anfangs mit vielen Überfällen auf die marschierende Truppe. Sie stellten sich nicht zur offenen Feldschlacht, sondern verwickelten die Römer in so genannte Defilee-Gefechte. Dabei beschränkten sie sich vermutlich vorrangig auf Speerwürfe. Die Germanen wussten sicherlich, dass die Römer ihre Verwundeten nicht zurückließen, wodurch sie langsamer wurden und der Zusammenhalt der Marschsäule verloren ging. Einen beträchtlichen Teil der Kämpfe bestritten die übergelaufenen germanischen Hilfstruppen der Römer – kriegserfahrene Berufssoldaten.

Arminius musste ein Meldesystem installiert haben, anders hätte er die Überfälle auf den zehn Kilometer langen Heerwurm der Römer nicht koordinieren können. Um eine solche auf mehrere Tage angelegte Schlacht erfolgreich zu führen, brauchten die Germanen eine gute Disziplin, sie waren definitiv kein ungeordneter Haufen von Barbaren.

Die brutalen Kämpfe sind belegt.

Erst am dritten Tag kam es wohl zu einer größeren Feldschlacht zwischen dem dezimierten römischen Heer und den germanischen Kriegern. Die völlig erschöpften und teilweise verwundeten Legionäre waren jetzt zu gemeinsamen Bewegungen kaum noch in der Lage. Der unangreifbare Wall aus Schilden zeigte Lücken und fiel auseinander. Die einzelnen Soldaten waren aber durch ihre schwere Rüstung viel mehr behindert als geschützt. Mit seiner genau berechneten Strategie legte Arminius die Schwächen der römischen Kriegsmaschinerie schonungslos offen. Leider verkürzt die Serie die Schlacht auf einen Tag und zeigt nur eine Reihe von blutigen Gemetzeln. Den Germanen schreibt sie nur ein Minimum an Strategie, Organisation oder Disziplin zu. Und selbst den Kampfesmut muss ihnen Thusnelda erst einimpfen.

Das in der Serie gezeigte brutale Vorgehen der römischen Armee gegenüber der Zivilbevölkerung ist aus antiken Quellen bekannt, die Autoren übertreiben hier nicht. Die Germanen kommen jedoch keineswegs besser weg. Sie sind, bis auf wenige Ausnahmen, wahlweise opportunistisch, feige, wortbrüchig, schmierig, verschlagen, hinterhältig und grausam. Thor wäre entsetzt, Loki würde sich wie zu Hause fühlen.

Mit der Kultur der Germanen tun sich Regisseure und Autoren sichtlich schwer. Im Siedlungsgebiet der Cherusker und Brukterer wuchs kaum mehr Wald als heute, und die Dörfer mit ihren rund 200 Einwohnern lagen nur etwa drei bis fünf Kilometer auseinander. Sie bildeten einen geschlossenen Siedlungsraum und hatten intensiven Kontakt zueinander. Die damaligen Fürsten dürfen wir uns als Oberhäupter von Sippen mit einigen hundert bis tausend Mitgliedern vorstellen. Sippen von gemeinsamer Herkunft bildeten einen Stamm. Geübte Kämpfer unter dem Kommando von Kriegsfürsten lebten davon, eigene Siedlungen zu schützen und benachbarte Stämme zu überfallen. In einigen Dörfern gab es vermutlich Fürstenhöfe mit einem großen Wohnhaus, einer Versammlungshalle und den Werkstätten von spezialisierten Handwerkern. In der Serie sehen wir allerdings immer nur ein einzelnes Dorf mitten im Wald.

Es ist auch eine Illusion, dass die Germanen ein Volk von Gleichen waren. Unter dem Dach eines Langhauses lebte die Familie des Hausvaters zusammen mit halbfreien Knechten und unfreien Sklaven. Der Hausvater herrschte unumschränkt unter seinem Dach, hatte aber genau definierte Pflichten gegenüber seinem Klan und seinem Stamm. Dieses komplexe Sozialgefüge kommt in der Serie nicht zur Geltung.

Gesamteindruck: zwiespältig


Kostüme, Requisiten und Bauten sind sehr gut gelungen, die Ausrüstung der römischen Legionäre entspricht der historischen Wirklichkeit. Auch die germanischen Langhäuser wirken erstaunlich authentisch. Das Produktionsteam hat in diesen Punkten sehr gute Arbeit geleistet. Die Römer in der Serie sprechen Latein. Für die Zuschauer haben die Serienmacher deutsche Untertitel einfügt, die den Germanen damals natürlich nicht zur Verfügung standen. Mit diesem Kunstgriff beleuchtet das Team den tiefen Graben zwischen Römern und Germanen. Eine schwer bewaffnete, herrisch auftretende Armee, die in einer fremden Sprache ultimative Forderungen stellt und sie notfalls mit brutaler Gewalt durchsetzt – das wirkt schon beklemmend.


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Der Gesamteindruck der Serie bleibt zwiespältig. Sie zeigt eindringlich den Zusammenprall zweier unvereinbarer Kulturen. Ein Glanzlicht sind dabei die lateinischen Dialoge der Römer. Trotz einiger Schwächen ist die Serie spannend und sehenswert, wenn man keine allzu großen Ansprüche an die historische Genauigkeit der Handlung stellt.

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