Donnerstag, 22. Oktober 2020

Technische Revolution durch Hörensagen?

aus derStandard.at, 22. Oktober 2020

Kamen die bronzezeitlichen Innovationen durch "stille Post" nach Europa?
Ob Pferdezucht oder Bronzeherstellung: Das neue Wissen aus dem Osten könnte sich auch ohne große Migrationen herumgesprochen haben

Sabine Reinhold vom Deutschen Archäologischen Institut spricht von "epochalen technischen Innovationen", die sich im 4. und 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in Mitteleuropa ereigneten. Dazu gehörten etwa die Pferdezucht oder Wagen und Waffen aus Metall – aber auch die Ausbreitung indogermanischer Sprachen, die den neuen Lebensstil in ihrem Wortschatz widerspiegelten.

Als sicher gilt, dass diese Innovationen aus Richtung Osten kamen, auch wenn das genaue Ursprungsgebiet unklar ist. Die Kaukasusregion und der daran angrenzende Süden gelten als wahrscheinlicher Kandidat. Aber wie sind all die Neuerungen von dort in den Westen gelangt?

These überprüft

Bisher wurde angenommen, dass nomadisierende Hirten diese Innovationen verbreiteten. Nun zeigte aber ein Forschungsteam um Reinhold und Kurt Alt von der Danube Private University, dass die damaligen Viehzüchter doch nicht so mobil gewesen sein dürften wie angenommen.

Die Forscher analysierten die sterblichen Überreste bronzezeitlicher Hirten und schlossen auf deren Ernährungsweise zu Lebzeiten. Es zeigte sich, dass diese angeblich so mobilen Viehhalter das Nahrungsangebot der unmittelbaren Umgebung nutzten. "Die Gemeinschaften blieben offenbar in ihrem jeweiligen Ökogebiet und wechselten nicht zwischen Steppe, Waldsteppe oder höher gelegenen Regionen", sagt Koautorin Sandra Pichler von der Universität Basel. Demnach bildeten Fleisch, Milch und Milchprodukte einen Großteil der Nahrungsgrundlage und wurden durch Wildpflanzen ergänzt.

Es spricht sich herum

"Die Ergebnisse der Untersuchungen sprechen gegen großräumige Wanderungen", fasst Reinhold die Datenauswertung zusammen. Doch wenn es keine weiträumigen Migrationen und Handelskontakte der Hirtengemeinschaften waren, welche neue Sprachen, Pferde-Domestizierung, Bronzeherstellung und neue Werkzeuge nach Westen brachten – was war es dann?

Es könnte ganz einfach so etwas wie "stille Post" gewesen sein, mutmaßen die Forscher: Nützliche Neuerungen sprachen sich herum und zogen immer weitere Kreise. Diese für die mitteleuropäischen Kulturen grundlegenden Geräte und Verhaltensweisen könnten demnach wie Stafettenstäbe von einer Gemeinschaft zur nächsten weitergereicht worden sein. Diese Verbreitung wäre wohl langsamer (und vielleicht auch konfliktärmer) abgelaufen als im anderen Szenario, aber letztlich wurden alle vom kulturellen Wandel erreicht. (red, APA,)

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