In der gestrigen Neuen Zürcher schreibt Nico Hoppe über den in "neurechten" Kreisen neuerdings beliebten Kampfbegriff des Kulturmarxismus. Sein Schluss ist, dass er den zeitgenössischen Jam-mer-und-Zeter-Korrekten viel zu viel Ehre und Marx und dem pp. Marxismus eine unverdiente Schmach antut.
aus nzz.ch, 26. 10. 2020
...Denn es lässt sich nicht leugnen, dass die postmoderne Linke heute die Mehrheit im kulturellen, staatlichen oder staatsnahen Betrieb stellt. Das zeigt sich sowohl an der unkritischen Bejubelung gegenwärtiger Protestbewegungen für Nachhaltigkeit oder Antirassismus als auch an der als selbstverständlich inszenierten Parteinahme für politisch korrekte Sprachweisungen und Identitätspolitik. Der Widerspruch wird zwar nicht systematisch zensiert, aber er wird im linksliberalen Mainstream entweder als exotischer Einwurf von Ewiggestrigen abgestempelt («Du Reaktionär!»), oder ihm wird mit denunziatorischer Verve begegnet, indem der politische Gegner bezichtigt wird, den Mindestabstand zum Schreckgespenst Populismus nicht eingehalten zu haben («Du Rechtspopulist!»).
Zugleich werden noch die abstrusesten idealistischen Diversity-Richtlinien zur Menschheitsbeglückung überhöht, obwohl das postmoderne Bessermenschentum in erster Linie das reine Gewissen der akademisch-linken Verfechter und der ihnen zuneigenden Opportunisten aufpoliert. Dieser glänzende Moralprunk ist der attraktive Lohn der potenziell endlosen Beschäftigung mit Mikroagressionen, Triggern und Repräsentationsfragen. Geradezu repetitiv wird sich an Phänomenen abgearbeitet, die sich von selbst ins Endlose erweitern, wenn beispielsweise Rassismus schon in der Frage nach der Herkunft und belästigendes, gewalttätiges Verhalten schon im Versuch des ungezwungenen Plauschs zwischen Fremden lauern soll.
Insofern lässt sich konstatieren: Der Fokus der Linken hat sich so längst von der sozialen Frage auf Problemchen des weltanschaulichen und gemeinschaftlichen Wohlbefindens verlagert. Und das ist genau der Punkt, den die sonst durchaus klugen Kritiker der Korrektheit geflissentlich übersehen. Denn wer mit dem Begriff des Kulturmarxismus hantiert, tappt gerade in eine neue Falle der Korrektheit.
Die postmoderne Linke hat sich in ihrer Hinwendung zu identitären Partikularinteressen und zum Relativismus vom marxschen Universalismus weit genug entfernt, um heute weniger einen Wiedergänger des Marxismus als vielmehr dessen endgültiger Totengräber darzustellen. Nicht mehr Dialektik und Materialismus prägen die tonangebende Linke heute, sondern Schwarz-Weiss-Denken und selbstherrliche Verzichtsethik.
Mit der These vom Kulturmarxismus wird dagegen behauptet, dass sich der Marxismus ausgehend von einer neuen Generation marxistischer Intellektueller bloss veränderten Umständen angepasst habe. Dabei lässt sich von einer Anpassung nur schwerlich reden, wo grundlegende Prämissen ausser Kraft gesetzt werden: So ersetzt die Mainstream-Linke nunmehr die ökonomische, materialistische Analyse durch den Schwerpunkt auf Innerlichkeit, kleinteiliges Engagement und Partizipation bei dem im Kulturbetrieb endemisch gewordenen Zeichensetzen.
Einem ehemals linken bis linksliberalem Milieu zu unterstellen, es arbeite an einer kulturmarxistischen Revolution, könnte nicht weiter von der Wirklichkeit entfernt sein. Dass sie dessen allerdings von rechts bezichtigt wird, kommt ihr zugute: Denn so kann die postmoderne Linke ihren Rebellenstatus konservieren, bevor es für sie und alle anderen offenkundig wird, dass sie in Wahrheit längst zum langweiligen systemerhaltenden Establishment gehört.
Nota. - Die "postmoderne" Linke ist nicht nur nicht marxistisch, sondern nicht einmal links. Sie ist die Bedürfnisstruktur und Gemütsverfassung eines gesellschaftlichen Gebildes, das zum Gemeinwesen ein wesentlich zehrendes Verhältnis hat und eigentlich nur will, dass es dabei bleibt. 'Emanzipieren' wollen sie am allerwenigsten sich selbst.
JE
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