Freitag, 15. Januar 2021
Die Röttgang wird wohl noch von sich reden machen.
von Georg Ismar
Am 18. Februar verschickt die Bundespressekonferenz um 09.26 Uhr eine kurzfristige Terminankündigung. „Kandidatur für den CDU-Vorsitz Neu!“ ist dort zu lesen, mit dem Zusatz: „Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender Auswärtiger Ausschuss“. Exakt eineinhalb Stunden später betritt der Mann aus Meckenheim im Blitzlichtgewitter der Fotografen das Podium.
Diese Überraschung ist ihm gelungen. Auch wenn es erstmal viele Häme gibt. Erst ist er der eitle Solokämpfer, der sein Mütchen an Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kühlen will. Dann der Unterschätzte, sein Umfeld mokiert sich, dass er monatelang froh sein kann, wenn er neben Armin Laschet und Friedrich Merz überhaupt als Kandidat erwähnt wird.
„Das Verfahren hat mich nicht überzeugt. Das ist wie eine Jacke, wo man schon den ersten Knopf falsch knöpft“, sagt er an jenem Tag zum Versuch der scheidenden CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, im kleinen Kreis einen Kandidaten zu finden. Und während sich zu dem Zeitpunkt Laschet, Merz und Jens Spahn über ihre Karrierepläne noch bedeckt halten, sagt er: „Ich bin bislang der erste und einzige, der seine Kandidatur erklärt hat. Insofern bin ich nicht der Vierte, sondern der Erste.“ Merkel attestiert er eine Politik des „Reagieren und Reparieren“. Er empfiehlt sich als der Politiker mit Weitsicht, der die Politik wirklich vom Ende her denken kann, der „Politik aus den „Augen unserer Kinder“ machen will. Seine Gegner finden das arrogant.
Vielleicht hat diese Kandidatur eigentlich schon knapp acht Jahre früher begonnen, im Schloss Bellevue, als er seine Entlassungsurkunde als Bundesumweltminister in die Hand gedrückt bekam. Wie versteinert blickt die Kanzlerin geradeaus, während Bundespräsident Joachim Gauck an jenem 22. Mai 2012 die Verdienste des von ihr aus dem Kabinett geworfenen Ministers bei Energiewende, Atomausstieg, Klimaschutz und Müllrecycling würdigt. „Früher als andere haben Sie erkannt, dass es Zeit für die Energiewende ist“, sagt Gauck und erinnert auch daran, dass Röttgen einen möglichen Neustart für eine bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager mit angestoßen hat.
Röttgen muss manches Mal schlucken. Er hat ein paar Tage zuvor ein Debakel erlitten als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die CDU landete bei 26,3 Prozent; ihr historisch schlechtestes Ergebnis in NRW. Sogar, dass Röttgen nicht gerade begeistert in eine Bratwurst biss, geriet zum Politikum.
Vor allem aber sein schwerer Fehler, sich offenzuhalten, ob er auch bei Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde. Er wollte dann lieber Umweltminister bleiben, Merkel sah keine ausreichende Autorität mehr, um die schwierige Energiewende im Ringen mit den Bundesländern durchzusetzen und warf ihn raus. Ähnlich wie ein Friedrich Merz hatte er auch gerne den Eindruck erweckt, es besser zu können als Merkel. Die Männer fielen, Merkel blieb.
Nach dem Rauswurf aus dem Kabinett wartete Röttgen auf seine Chance, unter Merkel würde er nichts mehr werden, das war klar. Er fokussierte sich auf die Außenpolitik, wurde Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
Glänzte in Talkshows, zuletzt auch rund um die Abwahl von US-Präsident Donald Trump. Und Merkel triezte er mit immer neuen Initiativen, zum Beispiel für einen Ausschluss des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei beim Aufbau des 5G-Datennetzes in Deutschland.
Er steht für einen härteren Kurs mit China und Russland, setzt auf die Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses. Und im Interview mit dem Tagesspiegel rechnete er 2019 mit ihrer Klimapolitik ab. „Wir haben die tagespolitische Opportunität und Bequemlichkeit höher gewichtet. Wir haben die Kraft nicht aufgebracht, an einem Thema dranzubleiben, das keine Konjunktur hatte, obwohl es existenziell blieb.“ Er kritisierte, es gebe „so ein Muster, Politik für den nächsten Wahltag zu machen“. Kurz vor dem Abgrund sei ein „Weiter so“ kein Rezept.
Dann kam es zu einem Comeback der Klimakanzlerin und einem Klimapaket – und Röttgen muss mit seinem Fokus aufpassen, dass er gerade den konservativen CDU-Teil nicht vergrätzt, viele Bauern fühlen sich jetzt schon überfordert. Merkel betont entsprechend zum Auftakt des virtuellen CDU-Parteitags: Es müssten immer wieder ausgleichende Antworten gefunden werden, um regierungsfähig zu bleiben - zwischen Generationen, Stadt und Land, Ökonomie und Ökologie. Das Verständnis für alle Teile der Gesellschaft und alle Facetten der Herausforderungen schütze vor vorschnellen Festlegungen und zu einfachen Antworten, „wie sie ja manch andere Parteien zur Genüge haben“.
Zugleich ist das vielleicht auch Röttgens Schwäche: Er ist früher nicht als großer Partei-Netzwerker aufgefallen, der die Parteiseele streichelt, den Kümmerer gibt. Laschet ist nun schon acht Jahre nach dem Röttgen-Intermezzo Landeschef in NRW. Und er hat eine Wahl gewonnen. Im Wahlkampf um den CDU-Vorsitz versuchte Röttgen die fehlenden Seilschaften in einen Vorteil umzudrehen: „Ich bin kein Lager. Ich kann und will die gesamte Partei repräsentieren“, betont Röttgen.
Inzwischen redet er auch wieder milder über Merkel, hielt sich im Wahlkampf mit Kritik zurück, kein Wunder bei den Zustimmungswerten in der Corona-Krise, einen scharfen Bruch mit ihrer Ära will er nicht. Aber wie er - sollte er gewinnen - in der Corona-Krise eigene Akzente setzen will gegen die Kanzlerin, dürfte interessant werden. Größere Absetzbewegungen könnten gleich als Streit ausgelegt und nicht goutiert werden. Aber das Problem haben Armin Laschet und erst recht Friedrich Merz auch.
Er will eine Art Agenda 2030. „Wenn wir verharren und uns auf alten Erfolgen ausruhen, dann werden andere die Zukunft gewinnen“, das Motto seiner Kampagne lautet: „Jetzt.Voran.“ Und er holte als frisches Gesicht die rheinland-pfälzische Abgeordnete als „Chef-Strategin“ in sein Team. Er bekommt viel Zuspruch gerade auch von weiblichen Mitgliedern, Demuth war als mögliche Generalsekretärin vorgesehen, aber der Verschiebungen des Parteitags und des nahenden Bundestagswahlkampfes soll der erfahrene Paul Ziemiak auf dem Posten bleiben.
Es überrascht nicht, dass Röttgen in „Fridays for Future“-Zeiten vor allem auch bei jungen Mitgliedern ankommt. Er warnt die CDU, eine ganze Generation zu verlieren. Sein Programm umfasst neben mehr klimapolitischer Glaubwürdigkeit auch Dinge wie eine Deutschland-Dialog zwischen Ost und West, eine glasklare Abgrenzung nach rechts zur AfD, eine Politik näher am Menschen, um Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus zu beseitigen. Dazu Steuerentlastungen für Normalverdiener, Stärkung des Mittelstands und eine stärkere Führungsrolle in der Welt. Aber gerade mit dem Thema Volksnähe hat der manchmal professoral wirkende promovierte Jurist früher Probleme gehabt, siehe NRW. Der Ruf des Karrieristen und der Spitzname „Muttis Klügster“ klebten lange wie Kaugummi an den Schuhsohlen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat bei aller Kritik mit ihren Zuhörtouren und der Modernisierung der CDU, gerade auch bei der Digitalisierung, bleibende Verdiente erworben. Sie zog Lehren nach den Negativschlagzeilen im Zuge des Rezo-Videos, organisierte zum Abschluss einen hochprofessionellen digitalen Parteitag, mit dem ungewöhnlichen Motto #wegenmorgen“.
Auch Röttgen überraschte mit seiner Social-Media-Strategie. Zahllose Bilder, wie er zu Hause vor dem Notebook sitzt, gerne aufgebaut auf dicken Büchern, die er gerade zu lesen scheint, im Gespräch mit CDU-Mitgliedern. Videos zeigten ihn abends einsam im Büro, beim nachdenklichen Bälle werfen gegen die Wand, er postete Koala-Bilder bei Twitter und profitierte von der Schar junger Helfer im Netz. Dazu viele virtuelle „Röttgen Rallys“, mit Anleihen aus den USA. Und wirkte viel lockerer und nahbarer als früher, klapperte zahllose Kreisverbände ab. Nach elf Monaten Wahlkampf sagt Röttgen: „Ich hätte diesen Wahlkampf ohne mein Team nicht bestreiten können“. Und mit einem Seitenhieb auf die Kampagne von Friedrich Merz meint er: „Mein Team ist keine Agentur. Es besteht aus jungen Männern und Frauen, die sich bei mir gemeldet und ihre Ideen eingebracht haben. Ich danke Euch für 11 Monate Begeisterung“. Er sagt, sein Wahlkampf habe gerade einmal 10.000 Euro gekostet - wegen Corona fand das meiste virtuell statt.
Nota. - "Ich wünsche mir, dass ein Team gewählt wird, das die Geschicke unserer stolzen Volkspartei in die Hand nimmt", sagte Merkel in ihrem Grußwort. Die Medien unkten, damit könne sie ja nur das Gespann Laschet-Spahn gemeint haben. Sind zweie schon "ein Team"? In dem Gottesdienst, der dem Parteitag voranging, hatte der Bischof gepredigt, der Blinde könne den Lahmen stützen und der Lahme dem Blinden den Weg weisen. Spötter verstanden auch das als ein Anspielung auf das Zweier-"Team".
Ein Team hat Röttgen während seiner Kampagne wirklich zusammengebracht, und eigentlich ist er der einzige, der wirklich eins vorweisen kann: "Mein Team ist keine Agentur." Er ist auch kein Millionär aus der "oberen Mittelschicht" und hätte sich eine Agentur nicht leisten können.
Danke, Frau Merkel, für Ihren Wink.
JE
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