Politisch sei er zu klug und im Auftritt zu stilsicher, als dass die Masse der CDU-Mitglieder sich in ihm wiedererkennen könnte, schrieb gestern sinngemäß Die Welt über Norbert Rött-gen. Das war natürlich sarkastisch. Doch am selben Tag schrieb im selben Blatt eine Kollegin ziemlich dasselbe in vollem Ernst, mit dem Unterton: In zeitgemäßer Werbung für die eigene Person sei er wohl etwas zu geschickt - doch stilsicher nicht eben.
Es ist wohl wahr, dass Brillanz in der CDU nie von Vorteil war, dort wird vom Führungsper-sonal mausgraue Durchschnittlichkeit und zuverlässige Langeweile erwartet - gepaart mit un-trüglichem Machtinstinkt, dem die Partei ihren Platz an den Futtertrögen verdankt.
Und an dieser Stelle wird deutlich: Die persönlichen Qualitäten der Kandidaten sind wichtig, weil sie dem politischen Charakter der Partei entsprechen sollen - oder gerade nicht.
Jahrzehntelang war die CDU eine typische liberal-sozial-konservative Partei der klassischen Mitte: ihre Politik seismographisch ausrichtend am Schritt der Zeit und austarierend zwischen den Kräften, die nach dieser Seite, und denen, die nach jener Seite drängten. 'Mitte' war von vornherein verstanden als Vektorensumme zwischen links und rechts - und wo die beiden Gleichstand hatten, gab's eben Stillstand. Denn so war bürgerliche Politik seit Generationen in der Tat zustande gekommen - in Zeiten unaufgeregter Normalität wenigstens.
Das entsprach einer Welt, die ultimativ in Entweder/Oder zerrissen war; und, nach obiger Geometrie, zur Stagnation verdammt. Diese Welt hat sich in den letzten drei Jahrzehnten gründliuch aufgelöst. Nachdem die Sowjetunion zerfallen war, haben sich die Vereinigten Staaten die Rolle des Weltpolizisten wie einen Mühlstein vom Hals geschafft. Sie ist viel zu teuer und lenkt sie von dem ab, was ihnen am meisten am Herzen liegt: GOd's Own Country.
Das fällt in eine Zeit, die in den größten zivilisatorischen Umbruch führt, den die Menschen seit der Sesshaftwerdung und dem Übergang zum Ackerbau durchmachen: das Ende der Indu-striegesellschaft in der Digitalen Revolution und die Ablösung der Arbeit als 'Maß und Sub-stanz' der geltenden Werte.
Künftige Historiker werden streiten, ob diese Koinzidenz Zufall ist oder geschichtliche Not-wendigkeit. Tatsache bleibt: Sie ist. Im Angesicht dessen kann Politik sich nicht dauerhaft mit dem Ausgleichen der Gegensätze und dem Vermitteln widerstreitende Kräfte begnügen. Sie muss stattdessen selber den Takt vorgeben und die Kräfte nötigen, nicht länger in erster Linie einander zu widerstreiten, sondern sich zu allererst gegenüber den politischen Vorgaben zu definieren.
Mitte ist seither selber ein Flügel: nämlich der vorwärtsdrängende. Dafür braucht es ein Perso-nal von neuem Typ. Merz stemmt sich mit zehnjährigem Rückstand gegen das Unvermeidli-che. Laschet zieht vorsichtig mit dem Zug der Zeit, in Filzpantoffeln leisetretend und ohne irgendwas vorherzusehen. "Weiter so"? Aber ganz, ganz langsam.
Wenn sich die CDU zu einer Partei der offensiven Mitte zusammenraffen will, bleibt ihr nur, es mit Röttgen zu versuchen. Verlassen kann man sich auf nichts und niemanden. Doch seine bisherige Laufbahn gibt zu keinem Zweifel Anlass, dass er seine gegenwärtigen Töne ernst-meint. Ob er seinen Laden auf Trab zu bringen schafft, muss man sehen. Doch wenn sie's gar nicht erst versuchen, verabschieden sie sich schon heute aus der Zukunft.
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