Donnerstag, 25. Juni 2020

Die Prohibition, Frauen und der Ku-Kux-Klan.

News photograph features a large demonstration of Ku Klux Klansmen burning a cross, Baltimore, Maryland, 1923. (Photo by Transcendental Graphics/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
aus welt.de, 16. 6. 2020                 Die Prohibition machte den Ku-Klux-Klan zur Massenbewegung

„Ausländer, die unsere Städte aus den Pubs heraus regieren“
Vom Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten im Jahr 1920 profitierte nicht nur die Mafia, sondern auch der Ku-Klux-Klan: Durch eine Allianz mit der Anti-Alkohol-Bewegung konnte er Jagd auf Migranten und Minderheiten machen.
 

Wendell Dabney muss sich sicher gefühlt haben, als er um 1900 nach Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio zog. Weg aus seiner Heimat, dem rassistischen Süden der USA, weg aus den alten Hochburgen des Ku-Klux-Klans. Hier im Norden konnte der Afroamerikaner frei leben; er gründete sogar eine eigene Zeitung.

Für den Nachfahren von Sklaven muss eine Welt zusammengebrochen sein, als er sah, wer im Februar 1922 durch die Straßen seiner Wahlheimat zog: Mehr als tausend Klan-Anhänger hatten sich zusammengerottet, um rassistische Propaganda zu verbreiten und Angriffe auf die nicht-weiße Bevölkerung zu planen.

19th August 1925: Members of the American white supremecist movement, the Ku Klux Klan marching down Pennsylvania Avenue in Washington DC. (Photo by Topical Press Agency/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Millionen neue Anhänger: Parade des Ku-Klux-Klans 1925 in Washington

Was wenige Jahre zuvor undenkbar schien, wurde wahr: Der Klan breitete sich im ganzen Land aus – Millionen Weiße unterstützten ihn. Denn die Kapuzenträger hatten eine gefährliche Allianz mit der Anti-Alkohol-Bewegung geschmiedet. Die Prohibition wurde so zum Kampf gegen Migranten und ethnische Minderheiten.

Jahrzehntelang hatten einflussreiche Abstinenzler-Verbände wie die Anti-Saloon-Liga und die Woman’s Christian Temperance Union auf das Alkoholverbot hingearbeitet. Einige ihrer Argumente waren plausibel: Der Alkoholkonsum in der amerikanischen Gesellschaft war derartig hoch, dass er unzählige Familien zerstörte. Väter versoffen ihren Lohn in Kneipen, Zehntausende starben an Leberzirrhosen; zudem nahm häusliche Gewalt überhand.


Kaum Gedanken machten sich die Abstinenzler dagegen über die Folgen eines Totalverbots, das im 18. Zusatzartikel zur Verfassung festgeschrieben wurde und am 16. Januar 1920 in Kraft trat. Ein riesiger Wirtschaftszweig samt Zulieferern brach zusammen, viele rechtschaffene Bürger trieb ihre Arbeitslosigkeit in die Kriminalität.

Anstelle des offiziellen Handels und Ausschanks von Alkohol trat schnell ein illegaler Wirtschaftszweig. Hatte die Prohibition eigentlich zu weniger Kriminalität führen sollen, wurde sie tatsächlich zum Konjunkturprogramm für das organisierte Verbrechen: Die Mafia entdeckte den Markt und konnte ihre Macht stark ausbauen – auch, weil sie vor Tausenden Morden nicht zurückschreckte.

Wendell Dabney berichtete in seiner Zeitung „The Union“ vor allem über die wachsende Gefahr des Klans. Menschen wie er entsprachen nicht zur Vorstellung einer weißen, angelsächsisch-protestantischen Gesellschaft, von der Prohibitionisten und Klan-Anhänger gleichermaßen fantasierten.

Beiden Gruppen schwebte ein Land vor, das weiße Eliten beherrschen sollten, die der „Flut an Migranten“ Einhalt gebieten würden. Da kam es gelegen, dass gerade unter Einwanderern und in der Arbeiterklasse der Alkoholkonsum hoch war. Der Kampf gegen den Alkohol wurde zum Kampf gegen die Emanzipation von Minderheiten.

Woman’s Christian Temperance Union 
Mitglieder der Woman’s Christian Temperance Union
Hundert Jahre nach Beginn der Prohibition werden ihre Anhänger oft als strenggläubige Moralisten dargestellt. Als etwas weltfremde Provinzler vielleicht – aber als Bürger mit dem noblen Ziel, die Volksgesundheit zu stärken. Doch zeitgenössische Quellen widerlegen dieses Bild. Die Anti-Alkohol-Bewegung stand dem Ku-Klux-Klan, zumindest rhetorisch, kaum nach: Über „ausländische Analphabeten, die unsere Städte aus den Pubs heraus regieren“ hetzte etwa Frances Willard, Gründerin der Woman’s Christian Temperance Union, des größten Frauenbundes der USA. Noch lange nach ihrem Tod wurde Willard als Sozialreformerin gefeiert.

Ähnliches war vom Vorsitzenden der Anti-Saloon-Liga, Wayne Wheeler, zu hören. Er machte massiv gegen Deutschamerikaner Stimmung – meistens hatten Deutschstämmige die Brauereien betrieben, die Alkoholindustrie dominiert und waren dadurch ins Fadenkreuz der Anti-Alkohol-Allianz geraten.
Deren Cheflobbyist Richmond Hobson sagte bereits 1914 im US-Repräsentantenhaus: „Schnaps macht den roten Mann zum Wilden, und aus dem Neger ein kriminelles Tier.“ Der „weiße Mann“ sei zwar „weiter in der Entwicklung“ und daher weniger anfällig. Doch auch er laufe Gefahr, sich zum Wilden zu entwickeln, wenn er nur früh genug mit dem Alkoholkonsum beginne. Solche Aussagen waren beim Ku-Klux-Klan natürlich nur zu willkommen. Dem Leitartikel einer Lokalzeitung war 1913 zu entnehmen: „In Alabama lässt sich kaum sagen, wo die Anti-Saloon-Liga aufhört und der Klan beginnt.“

UNITED STATES - CIRCA 1921: New York City Deputy Police Commissioner John A. Leach, right, watching agents pour liquor into sewer following a raid during the height of prohibition (Photo by Buyenlarge/Getty Images) Getty ImagesGetty Images 
Alkohol-Razzia in New York 1921
Denn obwohl man einander skeptisch betrachtete, einte beide Gruppen doch der Hass auf Einwanderer. Im Gegensatz zu den meist ungebildeten Kapuzenträgern des Klans riefen die Prohibitionisten nicht zur Gewalt auf. Ihre Waffen waren intellektuell: Durch Lobbyismus und Propaganda zogen sie das Gesetz auf ihre Seite.

In den Jahrzehnten vor dem Verbot hatte sich die amerikanische Gesellschaft stark gewandelt. Hatten die meisten Einwanderer im 19. Jahrhundert irische und deutsche Wurzeln, gingen seit der Jahrhundertwende Millionen von Italienern, Polen, Russen und anderen Osteuropäern von Bord der Schiffe, die die „neue Welt“ erreichten. Der Anteil an Juden und Katholiken stieg erheblich.

Gleichzeitig emanzipierten sich immer mehr Afroamerikaner. Millionen Menschen wie Wendell Dabney zogen vom Land im Süden in die Städte des Nordens. Die weißen Eliten sahen ihre Vorherrschaft zunehmend gefährdet, schreibt der US-Historiker Kevin Seeber. Vielerorts arbeiteten Klan und Prohibitionisten bald Hand in Hand: „Das Alkoholverbot erwies sich als starker, gemeinsamer Nenner für die Zusammenarbeit“, so Seeber.

UNITED STATES - SEPTEMBER 27: Night time meeting of the Ku Klux Klan, The Dayton Klan #23 of Ohio meets at a cross burning, Three crosses are seen burning in the background, 09/27/1924 (Photo by Transcendental Graphics/Getty Images) Getty ImagesGetty Images 
Der Klan gewann in den 1920ern fünf Millionen neue Mitglieder, darunter Hunderttausende Frauen
Viele Amerikaner kannten die weißen Kapuzenmänner vor der Prohibition nur noch aus Erzählungen. Der Bund hatte sich um 1890 eigentlich aufgelöst – bis 1925 schlossen sich jedoch so viele Amerikaner wie nie zuvor dem „zweiten“ Klan an. Wie die Geisteshaltung gegenüber Minderheiten immer feindlicher wurde, schildert die Historikerin Lisa McGirr in ihrem Buch „The War against Alcohol“: „Nichts half dem Klan bei der Verwandlung in eine soziale Massenbewegung so sehr, wie die neuen Möglichkeiten, die der Krieg gegen den Alkohol mit sich brachte.“

Kaum war das Alkoholverbot in Kraft, schlugen die Klan-Anhänger zu. Noch 1920 organisierten lokale Gruppen brutale „Aufräumaktionen“, die Schmugglern und Schwarzbrennern den Garaus machen sollten. Diese Form der Selbstjustiz lockte neue Unterstützer an und half dem Klan, sich in den Gemeinden breitzumachen.

Bis zu fünf Millionen Amerikaner – darunter Hunderttausende Frauen – zählte der Terrorbund bald. Seine Alkoholrazzien gerieten nicht selten außer Kontrolle, es gibt zahlreiche Berichte von Gewalt, Zerstörung und Brandschatzung. Zu befürchten hatte der Klan zunächst wenig: Das Gesetz war auf seiner Seite.

circa 1920: A man destroying barrels of alcohol during prohibition in America. (Photo by General Photographic Agency/Getty Images) Getty ImagesGetty Images 
Oft genug wurden die Prohibitions-Propagandisten von den Behörden unterstützt
Oft wurden die Aktionen sogar von lokalen Behörden und Sheriffs unterstützt, wie McGirr schreibt. Viele Migranten, die der Hass des Klans traf, hatten nämlich ihre Jobs in der Alkoholbranche verloren und rutschten tatsächlich in die Kriminalität ab.

Was die Klan-Aktivisten „Aufräumaktionen“ nannten, artete immer öfter in Straßenkämpfe, Vergewaltigungen und auch Morde aus. 1923 verhängte der Bundesstaat Oklahoma sogar das Kriegsrecht, um gegen sie vorzugehen. Die Wende kam 1925, als Klan-Chef David Stephenson wegen Vergewaltigung und Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Weil er sich Strafminderung erhoffte, übergab er der Zeitung „Indianapolis Times“ Listen, die zahlreiche Bestechungsgelder offengelegten und enthüllten, welche Staatsangestellten Klan-Unterstützer waren.

Die Zeitung gewann dafür den Pulitzerpreis. Andere Journalisten, darunter Wendell Dabney, inspirierte das, den Machenschaften des Klans nachzugehen. Es folgten zahlreiche Korruptionsverfahren, die Politiker zu Fall brachten, und ein dramatischer Mitgliederverlust. Die Prohibition endete am 5. Dezember 1933 landesweit. Damit hatte der Klan diesen Kampf endgültig verloren.



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