aus welt.de, 16. 6. 2020 Die Prohibition machte den Ku-Klux-Klan zur Massenbewegung
„Ausländer, die unsere Städte aus den Pubs heraus regieren“
Vom Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten im Jahr 1920 profitierte
nicht nur die Mafia, sondern auch der Ku-Klux-Klan: Durch eine Allianz
mit der Anti-Alkohol-Bewegung konnte er Jagd auf Migranten und
Minderheiten machen.
Für den Nachfahren von Sklaven muss eine Welt zusammengebrochen sein, als er sah, wer im Februar 1922 durch die Straßen seiner Wahlheimat zog: Mehr als tausend Klan-Anhänger hatten sich zusammengerottet, um rassistische Propaganda zu verbreiten und Angriffe auf die nicht-weiße Bevölkerung zu planen.
Was wenige Jahre zuvor undenkbar schien, wurde wahr: Der Klan breitete sich im ganzen Land aus – Millionen Weiße unterstützten ihn. Denn die Kapuzenträger hatten eine gefährliche Allianz mit der Anti-Alkohol-Bewegung geschmiedet. Die Prohibition wurde so zum Kampf gegen Migranten und ethnische Minderheiten.
Jahrzehntelang hatten einflussreiche Abstinenzler-Verbände wie die Anti-Saloon-Liga und die Woman’s Christian Temperance Union auf das Alkoholverbot hingearbeitet. Einige ihrer Argumente waren plausibel: Der Alkoholkonsum in der amerikanischen Gesellschaft war derartig hoch, dass er unzählige Familien zerstörte. Väter versoffen ihren Lohn in Kneipen, Zehntausende starben an Leberzirrhosen; zudem nahm häusliche Gewalt überhand.
Kaum Gedanken machten sich die Abstinenzler dagegen über die Folgen eines Totalverbots, das im 18. Zusatzartikel zur Verfassung festgeschrieben wurde und am 16. Januar 1920 in Kraft trat. Ein riesiger Wirtschaftszweig samt Zulieferern brach zusammen, viele rechtschaffene Bürger trieb ihre Arbeitslosigkeit in die Kriminalität.
Anstelle des offiziellen Handels und Ausschanks von Alkohol trat schnell ein illegaler Wirtschaftszweig. Hatte die Prohibition eigentlich zu weniger Kriminalität führen sollen, wurde sie tatsächlich zum Konjunkturprogramm für das organisierte Verbrechen: Die Mafia entdeckte den Markt und konnte ihre Macht stark ausbauen – auch, weil sie vor Tausenden Morden nicht zurückschreckte.
Wendell Dabney berichtete in seiner Zeitung „The Union“ vor allem über die wachsende Gefahr des Klans. Menschen wie er entsprachen nicht zur Vorstellung einer weißen, angelsächsisch-protestantischen Gesellschaft, von der Prohibitionisten und Klan-Anhänger gleichermaßen fantasierten.
Beiden Gruppen schwebte ein Land vor, das weiße Eliten beherrschen sollten, die der „Flut an Migranten“ Einhalt gebieten würden. Da kam es gelegen, dass gerade unter Einwanderern und in der Arbeiterklasse der Alkoholkonsum hoch war. Der Kampf gegen den Alkohol wurde zum Kampf gegen die Emanzipation von Minderheiten.
Ähnliches war vom Vorsitzenden der Anti-Saloon-Liga, Wayne Wheeler, zu hören. Er machte massiv gegen Deutschamerikaner Stimmung – meistens hatten Deutschstämmige die Brauereien betrieben, die Alkoholindustrie dominiert und waren dadurch ins Fadenkreuz der Anti-Alkohol-Allianz geraten.
Deren Cheflobbyist Richmond Hobson sagte bereits 1914 im US-Repräsentantenhaus: „Schnaps macht den roten Mann zum Wilden, und aus dem Neger ein kriminelles Tier.“ Der „weiße Mann“ sei zwar „weiter in der Entwicklung“ und daher weniger anfällig. Doch auch er laufe Gefahr, sich zum Wilden zu entwickeln, wenn er nur früh genug mit dem Alkoholkonsum beginne. Solche Aussagen waren beim Ku-Klux-Klan natürlich nur zu willkommen. Dem Leitartikel einer Lokalzeitung war 1913 zu entnehmen: „In Alabama lässt sich kaum sagen, wo die Anti-Saloon-Liga aufhört und der Klan beginnt.“
In den Jahrzehnten vor dem Verbot hatte sich die amerikanische Gesellschaft stark gewandelt. Hatten die meisten Einwanderer im 19. Jahrhundert irische und deutsche Wurzeln, gingen seit der Jahrhundertwende Millionen von Italienern, Polen, Russen und anderen Osteuropäern von Bord der Schiffe, die die „neue Welt“ erreichten. Der Anteil an Juden und Katholiken stieg erheblich.
Gleichzeitig emanzipierten sich immer mehr Afroamerikaner. Millionen Menschen wie Wendell Dabney zogen vom Land im Süden in die Städte des Nordens. Die weißen Eliten sahen ihre Vorherrschaft zunehmend gefährdet, schreibt der US-Historiker Kevin Seeber. Vielerorts arbeiteten Klan und Prohibitionisten bald Hand in Hand: „Das Alkoholverbot erwies sich als starker, gemeinsamer Nenner für die Zusammenarbeit“, so Seeber.
Kaum war das Alkoholverbot in Kraft, schlugen die Klan-Anhänger zu. Noch 1920 organisierten lokale Gruppen brutale „Aufräumaktionen“, die Schmugglern und Schwarzbrennern den Garaus machen sollten. Diese Form der Selbstjustiz lockte neue Unterstützer an und half dem Klan, sich in den Gemeinden breitzumachen.
Was die Klan-Aktivisten „Aufräumaktionen“ nannten, artete immer öfter in Straßenkämpfe, Vergewaltigungen und auch Morde aus. 1923 verhängte der Bundesstaat Oklahoma sogar das Kriegsrecht, um gegen sie vorzugehen. Die Wende kam 1925, als Klan-Chef David Stephenson wegen Vergewaltigung und Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Weil er sich Strafminderung erhoffte, übergab er der Zeitung „Indianapolis Times“ Listen, die zahlreiche Bestechungsgelder offengelegten und enthüllten, welche Staatsangestellten Klan-Unterstützer waren.
Die Zeitung gewann dafür den Pulitzerpreis. Andere Journalisten, darunter Wendell Dabney, inspirierte das, den Machenschaften des Klans nachzugehen. Es folgten zahlreiche Korruptionsverfahren, die Politiker zu Fall brachten, und ein dramatischer Mitgliederverlust. Die Prohibition endete am 5. Dezember 1933 landesweit. Damit hatte der Klan diesen Kampf endgültig verloren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen