Dienstag, 23. Juni 2020

Sklavenhandel und der Aufstieg Westeuropas.


aus nzz.ch, 22.06. 2020                                                                 William Turner, Sklaventransporter wirft die Toten über Bord 
 
Was der transatlantische Sklavenhandel mit der Schweiz und dem Aufstieg Westeuropas zu tun hat 

Vom unmenschlichen Handel mit Menschen profitierten bis ins 19. Jahrhundert auch Schweizer Kantone, Unternehmen und Familien.

von Gerald Hosp

Die Schiffsnamen sind so unscheinbar wie verräterisch: «La Ville de Lausanne», «Le Pays de Vaud» oder «L’Helvétie». Hinter den Namen verbergen sich Sklavenschiffe in den Hochzeiten des Menschenhandels im 18. Jahrhundert, die von Schweizern finanziert wurden. Auch wenn die Schweiz nicht am Meer liegt und keine Kolonialmacht war, liessen sich Schweizer Unternehmen und Kaufleute zur damaligen Zeit nicht daran hindern, sich am Sklavenhandel zu beteiligen. Nach Schätzungen sind 172 000 Sklaven mit direkter und indirekter Schweizer Beteiligung von Afrika in die Neue Welt verschifft worden. Von 1500 bis in die 1870er Jahre sollen mehr als 12 Mio. Afrikaner über den Atlantik verschleppt worden sein.

Textilhandel und Kapitalgeber

In der Zeit vor der Industrialisierung waren die Möglichkeiten, Geld anzulegen, eingeschränkt. Der Handel bot einen Ausweg. So besass der Staat Bern zwischen 1719 und 1734 Anteile an der britischen Handelsgesellschaft South Sea Company, die rund 64 000 Sklaven aus Afrika nach Südamerika verkaufte. Für eine gewisse Zeit war Bern der grösste Aktionär an dieser Gesellschaft, noch vor der Bank of England und vor dem englischen König George I. 


In der Alten Eidgenossenschaft und der Helvetischen Republik spielten jedoch weniger eine nationale oder kantonale Politik als einzelne Kaufleute und Financiers die wichtigste Rolle im Sklavenhandel. In den vergan-genen Jahren wurde die Geschichte der Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel und an der Plantagenwirt-schaft intensiv aufgearbeitet. Die Organisation Cooperaxion hat gar eine Online-Datenbank mit im Sklavenhan-del involvierten Schweizern erstellt, die sich wie ein Who’s who der damaligen bürgerlichen Schweiz liest: beispielsweise Burckhardt und Merian in Basel, De Pury und Pourtalès in Neuenburg, Picot-Fazy in Genf oder Hottinger und die Bank Leu in Zürich. Die Schweizer waren vor allem über den Textilhandel und als Kapitalge-ber mit dem Menschenhandel verflochten.

Über die Seefahrernationen Portugal, Spanien, Frankreich, Niederlande und Grossbritannien war der gesamte europäische Kontinent in den sogenannten Dreieckshandel über den Atlantik einbezogen: Textilien, Metall- und Glaswaren, Branntwein, Gewehre und Schiesspulver aus Europa wurden an der afrikanischen Westküste gegen Sklaven eingetauscht. Diese wurden dann an Plantagen- und Minenbesitzer in Brasilien, der Karibik oder in den amerikanischen Südstaaten verkauft. Die Schiffe brachten anschliessend Baumwolle, Zucker, Tabak und Kaffee zurück nach Europa.


Ein wichtiges Gut in diesem Dreieckshandel waren die mit orientalischen oder indischen Motiven bedruckten Baumwollstoffe, sogenannte Indiennes, die in Afrika begehrt waren. Die Mechanisierung des Stoffdrucks be-drängte die traditionellen Produzenten besonders in Frankreich, wo die Herstellung und Einfuhr von Indiennes von 1686 bis 1759 verboten wurde. Hugenotten aus Frankreich bauten daraufhin die Baumwollindustrie in den Niederlanden, Deutschland und in der Schweiz aus. Später liessen sich einige der Indiennes-Hersteller in den französischen Häfen Marseille, Bordeaux und Nantes nieder, die Hochburgen des Sklavenhandels waren.

Anstoss für Wandel

Im späten 18. Jahrhundert stach beim Sklavenhandel Grossbritannien alle anderen westeuropäischen Mächte aus. Dort kam es aber auch zur Bewegung der Abolitionisten, die es schafften, dass London 1807 den Skla-venhandel für britische Bürger verbot. Dem schlossen sich später am Wiener Kongress 1815 die anderen Grossmächte Europas an. Die Sklaverei hatte andernorts noch länger Bestand. Nach den USA im Jahr 1865 schaffte Brasilien 1888 als letzter Staat der Neuen Welt die Sklavenhaltung ab.

Voyages originating in Liverpool accounted for enslaved Africans being taken from Western and Central Africa to Caribbean and American colonies. One interesting fact that came up was that only 600K enslaved Africans were brought to North America representing 5% of the total transported.

Auch in der Schweiz lehnten sich vor allem kirchliche Kreise gegen den Sklavenhandel auf, wie der Waadtlän-der Pfarrer Benjamin-Sigismond Frossard 1789 in seiner Schrift «La cause des esclaves nègres». Nach der Ermordung des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, der nach dem Bürgerkrieg in den USA die Abschaffung der Sklaverei durchsetzen konnte, kam es wie in anderen europäischen Ländern auch in der Schweiz zu einer grossen Zahl an Demonstrationen.

Zwischen 1500 und 1850 durchlief Westeuropa eine historisch beispiellose Wachstumsperiode, in der vor allem Länder mit Zugang zum Atlantik an Wohlstand zulegten. Es ist naheliegend, diese Entwicklung mit dem Kolo-nialismus und dem transatlantischen Handel in Verbindung zu setzen. 


Eric Williams, Historiker und erster Premierminister von Trinidad und Tobago, stellte 1944 die These auf, die Gewinne aus dem Sklavenhandel sowie die billigen Rohstoffe hätten die europäische Entwicklung massgeblich vorangetrieben und die industrielle Revolution erst ermöglicht. Auch in der Schweiz wurden Manufakturbetrie-be mit dem aus dem Handel erzielten Kapital aufgebaut.

Die Ökonomen Daron Acemoglu, Simon Johnson und James Robinson argumentieren dagegen in einer vielbe-achteten Studie, dass das Volumen und die Gewinne, die im transatlantischen Handel erzielt wurden, zu gering gewesen seien, als dass sie eine grosse direkte Rolle für das Wirtschaftswachstum Europas hätten spielen können. Sie betonen vielmehr, dass dadurch ein fundamentaler institutioneller Wandel angestossen worden sei.


Die Gewinne aus diesen Hochrisiko-Geschäften sind laut den Ökonomen konzentriert angefallen und haben einige wenige zu reichen Leuten gemacht. Dadurch stieg besonders in Ländern wie Grossbritannien oder den Niederlanden – man mag die Schweiz mit Abstrichen hinzufügen – der Einfluss der kommerziellen Interessen ausserhalb der höfischen oder etablierten Zirkel. Über diesen Kanal festigten sich vermehrt politische und rechtliche Institutionen, welche die königliche Macht einschränkten.

Zur Tragik des Sklavenhandels gehört dazu, dass dadurch in Westeuropa die Institutionen zwar verbessert wurden. Für Afrika stellten die Ökonomen Nathan Nunn und Leonard Wantchekon hingegen fest, dass der Sklavenhandel die Kultur des Misstrauens gefördert habe, was die wirtschaftliche Entwicklung hemmt. 



Nota. - Geld, soviel es immer sei, ist noch kein Kapital. Man kann damit wohl billig einkaufen und, wenn man Glück hat, teuer weiterverkaufen. Dann gewinnt einer, und das freut ihn, aber ein anderer verliert ebensoviel: In der volkwirtschaftlichen Summe kommt nicht hinzu: Aus der Konkurrenz entsteht keine Akkumulation.


Geld, das "sich selbst vermehrt", entsteht nur im Austausch gegen diese eine Ware: die Arbeitskraft, die dem, der sie arbeiten lässt, mehr einbringt, als sie ihn gekostet hat. Und umso mehr, als sie an Maschinen ausgeübt wird! Doch um Maschinen anzuschaffen, muss man viel vorstrecken, bis der ganze Produktions- und Austausch-pozess abgeschlossen ist und der Unternehmer seinen Profit in den Händen hält. Also ist eine vorab 'ursprüngli-che' Geldmenge sehr wohl vonnöten.

Aber sie kann profitabel, nämlich gegen Arbeitskraft nur eingetauscht werden, die an Maschinen ein Vielfaches von dem produziert, was sie selbst gekostet hat,wenn es genügend arbeitsfähige Menschen gibt, die nicht geügend Geld haben, um sich Werkzeug und Rohstoffe anzuschaffen, die sie selber zu Waren verarbeiten und gegen Lebensmittel eintauschen könnten.

Für eine Masse landloser Bauern hatte die englische Aristokratie gesorgt, indem sie ihre verpachteten Ackerböden in selbstbewirtschaftetes Weideland umwandelten, wo hauptsächlich Wolle erzeugt wurde, die industriell verarbeitet werden konnte. Aber für das erforderliche Anfangskapital mussten schon die großen Kaufleute sorgen, die ihre Gewinne im Kolonialhandel gemacht hatten. Und nicht zuletzt im Handel mit afrikanischen Sklaven.
JE

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