Dienstag, 9. Juni 2020
Hitler war kein Westdeutscher.
Hitler war kein Westdeutscher.
In der Geschichtspolitik ist Deutschland immer noch ein geteiltes Land
Manche
sahen die deutsche Erinnerungskultur schon in Selbstzufriedenheit
erstarrt. Aber nun gibt es die AfD, Rechtsextremismus, zunehmenden
Antisemitismus. Im Hinblick auf 30 Jahre deutsche Einheit im Herbst
stellt sich zudem die Frage, ob die mangelnde Aufarbeitung der
DDR-Geschichte nicht doch das ganze Land angeht.
von Claudia Schwartz
... Der Historiker Reinhart Koselleck hat für jene Befürchtung, dass die Beschäftigung mit den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit kontraproduktiv für die Stabilität einer Nation sei, den Begriff der «negativen Ge-schichte» geprägt. Deutschland hat gleich zwei davon. Und es ist kein Zufall, dass die Geschichtsverharmlosung von AfD-Politikern konsequent immer wieder in die Richtung beider deutschen Diktaturen abzielt – im Versuch, die Verbrechen des «Dritten Reichs» zu relativieren, genauso wie in der Gleichsetzung der Gegenwart mit der kommunistischen Diktatur des SED-Unrechtsstaats.
«Reparatur von Geschichte» in West und Ost
Was
den Umgang mit der NS-Vergangenheit anbelangt, trifft Kosellecks
Befürchtung nicht zu. Im Gegenteil stellt die gesellschaftliche
Übereinkunft einer politisch-moralischen Verpflichtung zur
Vergangenheitsauf-arbeitung längst das wirkungsmächtigste Argument, wenn
es darum geht, Versuchen des Leugnens oder Verharmlosens Fakten
entgegenzusetzen.
Anders verhält es sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Insofern kommt dem Gedenkjahr 2020 besondere Bedeutung zu, da sich im Herbst der Tag der Wiedervereinigung zum dreissigsten Mal jährt: Nach dem Kriegsende-Gedenken ist vor der deutschen Einheitsfeier.
Es gab im Kontext des Mauerfall-Jubiläums (und der Wahlen in Ostdeutschland) im vergangenen Jahr deutliche Mahnungen von Intellektuellen wie Ines Geipel oder Ilko-Sascha Kowalczuk bezüglich der fehlenden ostdeut-schen Aufarbeitung beider Diktaturen, sie führten zu erstaunlich heftigen Abwehrreaktionen nicht nur bei Ostdeutschen; im Westen scheint die Frage nach der ostdeutschen Vergangenheit bis heute vor allem lästig zu sein.
Der Nationalsozialismus war aber für beide deutschen Nachfolgerstaaten das konstitutive Gründungsereignis – in einer gegensätzlichen «Reparatur von Geschichte», wie der Historiker Peter Reichel konstatiert: Während die BRD ihre Identität in dem erinnerungspolitischen «Nie wieder» fand, sagte sich die DDR in antifaschistischer Rhetorik von der moralischen und materiellen Erblast offiziell einfach los.
Nun kann selbstverständlich der Untergang der DDR nicht die gleiche identitätsstiftende Bedeutung für das wiedervereinigte Deutschland haben wie die Befreiung vom Nationalsozialismus. Aber der Umstand, dass der Westen dem Osten nach der Wiedervereinigung die NS-Aufarbeitung mehr überstülpte, als dass man versucht hätte, die ostdeutsche Gesellschaft diskurshaft mitzunehmen, ist ein Versäumnis mit gravierenden Folgen für die Demokratie bis heute. Die AfD kann nach Lust und Laune in diese geschichtsnarrative Lücke springen. Kommt hinzu, dass mit der Linken teilweise heute noch die alten SED-Kader im Bundestag olle Ideologien befeuern möchten wie jene, dass die Welt nur mit Sozialismus gerettet werden kann, weil der Kapitalismus angeblich zum Scheitern der Weimarer Republik (und also zur Hitler-Diktatur) geführt habe.
Anders verhält es sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Insofern kommt dem Gedenkjahr 2020 besondere Bedeutung zu, da sich im Herbst der Tag der Wiedervereinigung zum dreissigsten Mal jährt: Nach dem Kriegsende-Gedenken ist vor der deutschen Einheitsfeier.
Es gab im Kontext des Mauerfall-Jubiläums (und der Wahlen in Ostdeutschland) im vergangenen Jahr deutliche Mahnungen von Intellektuellen wie Ines Geipel oder Ilko-Sascha Kowalczuk bezüglich der fehlenden ostdeut-schen Aufarbeitung beider Diktaturen, sie führten zu erstaunlich heftigen Abwehrreaktionen nicht nur bei Ostdeutschen; im Westen scheint die Frage nach der ostdeutschen Vergangenheit bis heute vor allem lästig zu sein.
Der Nationalsozialismus war aber für beide deutschen Nachfolgerstaaten das konstitutive Gründungsereignis – in einer gegensätzlichen «Reparatur von Geschichte», wie der Historiker Peter Reichel konstatiert: Während die BRD ihre Identität in dem erinnerungspolitischen «Nie wieder» fand, sagte sich die DDR in antifaschistischer Rhetorik von der moralischen und materiellen Erblast offiziell einfach los.
Nun kann selbstverständlich der Untergang der DDR nicht die gleiche identitätsstiftende Bedeutung für das wiedervereinigte Deutschland haben wie die Befreiung vom Nationalsozialismus. Aber der Umstand, dass der Westen dem Osten nach der Wiedervereinigung die NS-Aufarbeitung mehr überstülpte, als dass man versucht hätte, die ostdeutsche Gesellschaft diskurshaft mitzunehmen, ist ein Versäumnis mit gravierenden Folgen für die Demokratie bis heute. Die AfD kann nach Lust und Laune in diese geschichtsnarrative Lücke springen. Kommt hinzu, dass mit der Linken teilweise heute noch die alten SED-Kader im Bundestag olle Ideologien befeuern möchten wie jene, dass die Welt nur mit Sozialismus gerettet werden kann, weil der Kapitalismus angeblich zum Scheitern der Weimarer Republik (und also zur Hitler-Diktatur) geführt habe.
«Von den Deutschen lernen»
Anders
als das «Dritte Reich» hat die SED-Herrschaft in der
erinnerungspolitischen Diskussion bis heute keinen festen
gesamtgesellschaftlichen Platz. Wenn man nach Neiman davon ausgeht, dass
«Scham der erste Schritt zu einem echten, nationalen Selbstbewusstsein
ist», so wird auch klar, wie wichtig es wäre, dass die Deutschen auch
die DDR (und deren Nachwirkungen bis heute) als geteilte Geschichte
verstehen. Im Westen müsste man endlich Interesse zeigen, was auch eine
Anerkennung der SED-Opfer mit einschliessen würde. Und im Osten würde
der AfD einiger Boden entzogen, wenn dort die Akzeptanz Einzug hielte,
dass Hitler kein Westdeutscher war.
Erwachsen werden, schreibt Susan Neiman im Hinblick auf das Heranreifen einer Nation, bedeute, zu sichten, «was zu erben man nicht umhinkommt, und dabei herauszufinden, was man für sich reklamieren möchte und was man tun muss, um den Rest loszuwerden». Ihr überaus lesenswertes Buch trägt übrigens den Titel «Von den Deutschen lernen». In der NS-Erinnerungskultur sind die Deutschen Weltmeister. Umso unverständlicher ist es, weshalb es bei der DDR-Geschichte immer noch so viel Verdrängtes und heftig Umkämpftes gibt. Sagen wir es mal so: Deutschland könnte von sich selber lernen.
Erwachsen werden, schreibt Susan Neiman im Hinblick auf das Heranreifen einer Nation, bedeute, zu sichten, «was zu erben man nicht umhinkommt, und dabei herauszufinden, was man für sich reklamieren möchte und was man tun muss, um den Rest loszuwerden». Ihr überaus lesenswertes Buch trägt übrigens den Titel «Von den Deutschen lernen». In der NS-Erinnerungskultur sind die Deutschen Weltmeister. Umso unverständlicher ist es, weshalb es bei der DDR-Geschichte immer noch so viel Verdrängtes und heftig Umkämpftes gibt. Sagen wir es mal so: Deutschland könnte von sich selber lernen.
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