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aus welt.de, 21. 10. 20
"Den beiden Chefredakteuren der „Süddeutschen Zeitung“, Wolfgang Krach
und Judith Wittwer, muss man sehr dankbar sein. Sie haben im Umgang mit
einem heiß diskutierten Feuilletonartikel um den Twitter-Einpeitscher,
Menschenrechts-Aktivisten und Weltklassepi-anisten Igor Levit deutlich
gemacht, wer das Blatt führt: Die Chefredakteure sind es eher nicht,
sondern die Twitter-Brigade einer neuen linken Meinungsführerschaft, der
sich nicht nur öffentlich-rechtliche Medien zunehmend beugen. In einem
für das Feuilleton vollkommen normal kritischen Text über Leben und Werk des Pianisten und Moral-Darstellers Levit
wurde sich auch ein wenig über dessen oft genug regressives
Twitterverhalten lustig gemacht. Wer Levits Œuvre kennt: das war im
Zweifel eher milde." ...
*
Hab
ichs doch geahnt: Dass ausgerechnet die Süddeutsche sich dem korrekten
Kahlschlag wie ein Fels in der Brandung entgegenstellte, konnte nicht
wohl sein. Kaum wehte die erste Brise des fälligen Shitstürmchens in
ihre Nasen, da knickten sie folgsamst ein. Man darf sich nun fragen, wie
lange sie schamhaft warten, ehe sie ihren Musikredakteur feuern.
Dies veröffentlichte ich vorgestern in meinem Blog:
Den
folgenden Beitrag übernehme ich, weil er in der musikalischen
Öffentlichkeit zu einer erregten Auseinandersetzung geführt hat. Dass
ausgerechnet über einen Autor der Süddeut-schen Zeitung ein solcher Shitstorm - so heißt das in der Welt des Showbusiness - der politi-schen Korrektheit hereinbricht, hat seinen eigenen Reiz, und das würde schon reichen, um es Ihnen mitzuteilen.
Bedeutender
ist aber, dass dem Verfasser vorgeworfen wird, Künstlerisches mit
Persönli-chem zu vermengen. Das ist rührend, dass sich politisch
Korrekte ausgerechnet darüber aufregen! Doch wenn Sie die folgenden
Zeilen aufmerksam lesen, werden Sie finden, dass der Verfasser gerade
dies dem kritisierten Igor Levit vorwirft!
Ich habe ein Buch über Michael Jackson geschrieben, in dem zu lesen ist, dass in der Unter-haltungskunst wie überhaupt in der Kulturindustrie Imagebuilding selber eine Kunstform ist, und verhehle nicht meine Bewunderung für MJ, der diese Kunst zur Vollendung gebracht hat. Sollte ich nicht also dem Imagebuilder Levit zu der Performance gratulieren?
Sie übersehen die Pointe: Wenn Igor Levit bereit wäre, sich als einen Star der Unterhaltungs-kunst zu bekennen, würde kein Helmut Mauró etwas an ihm auszusetzen finden. Er würde dann gar nichts mehr an ihm finden, aber das könnte Levit eben nicht gleichgültig sein.
JE
Von Helmut Mauró
Der
Pianist Igor Levit zeigt jetzt mehr Gefühl, er zwingt sein Gesicht auf
die Tastatur hinunter, als sei er so noch mehr bei der Musik oder eben
immerhin bei sich. Nur eine Pose? Schwer zu sagen. Der mit 29 Jahren
vier Jahre jüngere Daniil Trifonov verzieht seit jeher das Gesicht am
Klavier, andere Pianisten wie Alfred Brendel waren geradezu berüchtigt
für ihr Gesichtsballett. Wichtiger ist aber doch, was das eigentliche
Klavierspiel beim Hörer bewirkt, wie der Künstler also in die Welt
strahlt. Und Trifonov spielt da, das muss man ab und an mal sagen, in
einer völlig anderen Liga als Levit.
Trifonovs
technisches Raffinement, sein perfektes Legato (über das Levit leider
gar nicht verfügt), sein Formbewusstsein, sein hochriskant emotionales
Spiel, sein Sinn fürs Ganze, für Spannungsaufbau, für schiere
musikalische Intensität heben ihn derzeit über andere weit hinaus. So
auch über Levit, der sich gern aufs spielerisch Unverbindliche verlegt,
dann wieder auf ein theatralisch vorgetragenes Pathos, das einen eigenen
Resonanzraum bildet.
Wer oft und laut schreit, wird wahrgenommen
Diese
Resonanz reicht inzwischen weit über die Musik hinaus. Levit ist als
Twitter-Virtuose ebenso bekannt wie als Pianist. Und das ist für eine
Karriere 2020 offenbar mindestens so entscheidend wie das Musizieren
selbst. Während Trifonov sich auf ein paar private, vor allem aber
künstlerisch bestimmte Tweets beschränkt, ist Levit auf Twitter nicht
mehr zu entkommen. Er ist mit den richtigen Journalisten und
Multiplikatoren befreundet, coram publico und aufgekratzt fällt man sich
via Twitter mehr oder weniger täglich in die Arme und versichert sich
gegenseitiger Bewunderung.
Das
Netz ist hier nicht Kommunikation, sondern die Bühne für ein
Pausenstück, dessen Clownerien eine Schattenseite haben: die vehemente
Ausgrenzung vermeintlich und tatsächlich Andersdenkender. Problematisch
ist dies weniger bei der Beschimpfung von Nazis, doch aber im
Grenzbereich von spontaner Meinungsäußerung, grundsätzlicher
Überzeugung, Kultur und Kleinkunst. Der Kabarettist Dieter Nuhr könnte,
weil er sich über genau diese fast grundsätzlich vollkommen humorfreie
Filterblase hin und wieder amüsiert, ein Lied davon singen, wenn er
wollte. Es darf in Deutschland immer noch jeder Mensch sagen, was er
will, keine Panik. Die Internet-Gesellschaft verlangt aber immer öfter
und lauter nach absoluter moralischer Integrität. Niemand soll über dem
Netz stehen.
Es hat sich da ein etwas diffuses
Weltgericht etabliert, deren Prozesse und Urteile in Teilen auf Glaube
und Vermutung, aber auch auf Opferanspruchsideologie und auch
regelrechten emotionalen Exzessen beruhen. Es scheint ein opfermoralisch
begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben, und nach
Twitter-Art: ein neues Sofa-Richtertum. Die meisten Musikerinnen und
Musiker tun sich schwer mit kunstfernen öffentlichen Auftritten, es gibt
aber auch Künstler, gerade jüngere, die die Flucht nach vorne antreten
und selber Forderungen an die Gesellschaft stellen. Das ist ihr gutes
Recht, wer wäre in der offenen Gesellschaft gegen Partizipation?
Sie
machen sich einerseits durch selbstironische Albernheiten - "Für Elise"
auf der Plastiktröte - unangreifbar, senken dabei erfreulicherweise für
Jüngere die Hemmschwelle, klassischen Musikern zu begegnen. Wer oft und
laut schreit, wird wahrgenommen, und zur Verkaufspsychologie gehört nur
leider inzwischen eine mit der Dauerpräsenz verbundene
Qualitätsvermutung. Das gilt auch für Levits täglich gestreamte Hauskonzerte zum Lockdown: Entscheidend ist der persönliche, scheinbar private Auftritt vor aller Augen.
Dient die Leistung von Musikern nicht dem Gemeinwohl?
Spätestens
seit Paris Hilton weiß jeder: Öffne alle Türen, dann kannst du es
schaffen. Igor Levit hat nun die alte TV-Methode der verkrachten
Hotelerbin via Internet noch mal richtig in Schwung gebracht. Der Erfolg
gibt ihm recht. In Deutschland und England wird er auch in der analogen
Welt quasi pausenlos gefeiert: Instrumentalist of the Year, Man of the
Moment, Echo-Klassik, Opus-Klassik. Neulich gab es noch das
Bundesverdienstkreuz des um schmucke Künstlerkontakte stets
bemühten Bundespräsidenten.
Doch könnte gerade
letztere Auszeichnung aus den Händen Frank-Walter Steinmeiers selbst
Levit-Fans stutzig machen. Denn das Kreuz wird qua Definition für
"hervorragende Leistungen für das Gemeinwesen" vergeben. Bei
Katastrophenhelfern ist die Sache klar, auch Sportler werden regelmäßig
geehrt. Wie steht es mit Musikern? Genuin dient deren Leistung offenbar
nicht dem Gemeinwohl, so sehr sie auch berühren und das Leben bereichern
mag. Das ist gut so, denn sonst müsste man ja feststellen, dass das
Klavierspiel Igor Levits nicht hinreicht - selbst die aktuelle
Einspielung der Beethoven-Sonaten ist eher unerheblich -, um so eine
Auszeichnung zu rechtfertigen.
Zeichnete Steinmeier also den Twitterer Levit aus für seinen Kampf gegen rechts?
Auf Twitter sucht Levit - neben seinem ceterum censeo,
die AfD sei eine Nazi-Partei - vor allem die Konfrontation mit deren
Anhängern. Ist das mutig? Trägt es zur Bekämpfung des Faschismus bei?
Während der Dirigent Daniel Barenboim als Mittler zwischen Israelis und
Palästinensern auch seinen Ruf als Künstler immer wieder aufs Spiel
setzt, während Anne-Sophie Mutter Benefizkonzerte spielt und
Waisenhäuser in Rumänien baut, beschwört Levit, der womöglich auch sonst
Gutes tut, vor allem Tag für Tag die rechten Feinde. Sind Levits Tweets
aber politische Aktivitäten? Oder sind sie nur ein lustiges Hobby?
Bei Maybrit Illner wiederholte er vor einem knappen Jahr nach der berechtigten Kritik des Bild-Journalisten
Ralf Schuler seine zuvor getwitterte Überzeugung, AfD-Mitglieder seien
"Menschen, die ihr Menschsein verwirkt" hätten. Im Spiegel-Interview
geht es gleich gegen das ganze Land: "Deutschland hat ein
Menschenverachtungsproblem." Kann man das mal so eben behaupten über ein
Land, in dem es zweifellos zu viele Antisemiten gibt, die große
Mehrheit aber zum Beispiel nicht AfD wählt, hingegen Millionen
Flüchtlinge willkommen heißt?
Das sind ja keine
überstürzten Tweets, sondern es sind wohlüberlegte Aussagen. Als am 4.
Oktober in Hamburg ein Mann mit einem Klappspaten auf einen jüdischen
Studenten losgeht, twittert Levit: "so müde. so, so müde. und so
wütend." Am 5. Oktober: "Gestern: Hamburg. Heute: Phrasen. Nie
wieder-Hashtags. Wie immer. Einfach ermüdend. Ermattend." Am 9. Oktober:
"wie sehr sehr müde diese Zeit doch macht ..." Am 10. Oktober: "Kaum
etwas ist dieser Tage ermüdender als Nachrichten lesen."
Der neueste Tweet von Daniil Trifonov weist mit Hörprobe auf sein neues Album "Silver Age" hin. Er spielt Prokofjew.
PS. Ob Levit oder Trifonov besser Klavier spielt, kann ich nicht beurteilen.
JE