Mittwoch, 30. Oktober 2013

Wird das Web zum Staat?

 Klicker/pixelio.de
institution logo 
Wird das Web zum Staat? Konferenz in Berlin über Ökonomie der Kommunikation

Norbert Doktor  
Pressestelle
Hochschule Magdeburg-Stendal  

30.10.2013 11:08 

Magdeburg/Berlin. Die Hochschule Magdeburg Stendal lädt zu einer Konferenz mit dem Titel „Ökonomie der Kommunikation – Kommunikation in Wirtschaftskreisläufen“ ein. Sie findet am 8. November 2013 in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin statt. Anmeldungen sind noch möglich.

In nur 20 Jahren haben Web- und Internet-Technologien die vierte industrielle Revolution in Gang gesetzt, die derzeit Wirtschaft und Gesellschaft massiv umwälzt. Digitalisierung und mobile Technik beschleunigen besonders die Kommunikation und erlauben die Beherrschung immer komplexerer Wertschöpfungsketten, die Unternehmens- und Ländergrenzen längst überschritten haben. Big Data, Clustering und semantische Techniken liefern eine neue Präzision in der Analyse der riesigen Datenspuren elektronischer Kommunikation. Wenn Staaten immer weniger Einfluss auf die globalisierten digitalen Märkte ausüben können, muss dann das Kommunikationsmedium Internet ein eigenes, einheitliches Rechts- und Wirtschaftssystem erhalten? Wird das Web vielleicht eines Tages zum Staat? Wer wird es kontrollieren? Wie wird die Gewaltenteilung aussehen?

Prof. Dr. Michael Herzog vom Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Magdeburg-Stendal beschreibt die Hauptfragestellung der Konferenz: „Mit welchen Technologien kann die digitale Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit beitragen? Digitale Kommunikationskanäle bieten erhebliche Potentiale im zwischenbetrieblichen Informationsaustausch, aber erlauben sie eine qualitativ bessere Verständigung? Soziale Medien verdrängen andere digitale Kommunikationssysteme. Aber bieten sie tatsächlich effektivere Informationsstrukturen?“

Der Professor für Wirtschaftsinformatik verfolgt das mittelfristige Ziel, eine Forschungsagenda zusammenzutragen, um eine Förderlinie des BMWi oder BMBF zu initiieren: „Ich sehe großes Potential bei den virtuellen Marktplätzen (Stichwort Emissionshandel), beim CrowdFunding und in lokal-digital verknüpften Tausch-Währungen. Dazu gibt es noch wenige große Projekte und kaum volkswirtschaftliche Forschung. Schneller Datenaustausch, unmittelbare Kommunikation und virtuelle Marktpräsenz erweisen sich als wesentliche Erfolgsfaktoren im wirtschaftlichen Wettbewerb. Unsere Studien zeigen deutlich, dass Unternehmen, die in digitale Wertschöpfung und Kommunikation investieren, erfolgreicher am Markt bestehen und höheres Wachstum generieren.”

Die Konferenz findet statt am 8. November 2013 in Berlin, Landesvertretung Sachsen-Anhalt, Luisenstraße 18. Partner der Konferenz sind neben der Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung, Stiftungsverbundkolleg Berlin auch die Gesellschaft für Informatik (GI), Fachgruppe Mobilität und Mobile Informationssysteme (MMS) und das Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft des Landes Sachsen-Anhalt. Anmeldungen sind noch möglich.

Die Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung ist eine gemeinnützige Förderstiftung für Wissenschaft insbesondere auf allen Themengebieten einer „Informationsgesellschaft“, neben allen Aspekten der neuen breitbandigen Medien speziell der Mensch-Technik-Interaktion, des E-Government, dem Medien- und Informationsrecht, dem Datenschutz, der Datensicherheit, der Sicherheitskommunikation sowie der Mobilitätskommunikation. Alle mitwirkenden Disziplinen sind angesprochen, von Naturwissenschaft und Technik über die Ökonomie und Sozialwissenschaft bis hin zur Technikphilosophie.

www.stiftungaktuell.de

Ansprechpartner für die Presse:
Prof. Dr.-Ing. Michael A. Herzog
Hochschule Magdeburg-Stendal
Forschungsgruppe SPiRIT
Tel.: 03931-2187 4805
Mobil: 0173-248 99 14
michael.herzog@hs-magdeburg.de

Weitere Informationen: http://www.eco-com.net Programm und Anmeldung zur Konferenz

Die Leviten.

Die Kanne auf dem Grabstein weist den Verstorbenen als Angehörigen der Leviten aus; sie hatten bei Gottesdienst dem Priester vor dem Opfer das Wasser zur Händewaschen zu reichen.

institution logo 
Neuigkeiten von Levi und Nofretete

Beate Hentschel
Presse, Kommunikation und Marketing
Georg-August-Universität Göttingen

Neuigkeiten von Levi und Nofretete
Universitätsbund Göttingen verleiht Dissertationspreis an zwei Göttinger Promovenden

Für ihre mit „summa cum laude“ bewerteten Promotionen wurden Harald Samuel und Kai Widmaier mit dem Dissertationspreis des Universitätsbundes Göttingen ausgezeichnet. Der Alttestamentler Samuel zeichnet ein neues Bild der Geschichte des Priestertums im alten Israel; der Ägyptologe Widmaier entwirft einen Paradigmenwechsel von der Kunstgeschichte hin zu einer ägyptologischen Bildwissenschaft. Der mit jeweils 4.000 Euro dotierte Dissertationspreis des Universitätsbundes wird von der AKB-Stiftung gefördert. Der Vorsitzende des Auswahlgremiums, Prof. Dr. Reinhard G. Kratz, überreichte die Auszeichnung am 26. Oktober 2013 im Rahmen des Göttinger Alumni-Tages. Die Laudationes hielt der Göttinger Ägyptologe Prof. Dr. Friedrich Junge.

In seiner Arbeit „Von Priestern zum Patriarchen. Redaktions- und traditionsgeschichtliche Studien zu Levi und den Leviten in der Literatur des Zweiten Tempels“ weist Harald Samuel literarhistorisch nach, dass „Levi“ ursprünglich „Levit“ bedeutete und einen einfachen Priester bezeichnete. Erst nach langen Umwegen wird „Levi“ zum Namen eines Stammes mit dem gleichnamigen Stammvater, einer legendarischen Idealfigur, an der Spitze. „Damit begründet er ein neues Bild der Geschichte des Priestertums im alten Israel und widerlegt die bislang üblichen Annahmen zur prominenten Figur des Jakob-Sohnes Levi“, so Prof. Dr. Reinhard G. Kratz, der die Doktorarbeit betreut hat. Harald Samuel studierte Evangelische Theologie und Judaistik an den Universitäten Leipzig, Jerusalem und Göttingen. Während seiner Promotion, die er 2012 abschloss, war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Die Auslegung des Buches Genesis in den Texten vom Toten Meer“ der Universitäten Göttingen und Haifa. Derzeit arbeitet Samuel an der Göttinger Theologischen Fakultät an seiner Habilitationsschrift.

...

Kontaktadresse:
Harald Samuel
Georg-August-Universität Göttingen
Vereinigte Theologische Seminare – Altes Testament
Platz der Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-7148
E-Mail: harald.samuel@theologie.uni-goettingen.de

Das Archiv der Neuen Zürcher geht online.


Zeitungsarchiv digital ab 1780 verfügbar

zz. · Napoleon hätte sie lesen können, Georg Büchner auch. Emilie Kempin-Spyri hat sie sicher gelesen: Seit dem 12. Januar 1780 erscheint die Neue Zürcher Zeitung ohne Unterbruch. Sie gehört damit zu den ältesten Zeitungen der Welt. Während mehr als zwei Jahrhunderten hat unser Blatt das Weltgeschehen dokumentiert und einen einzigartigen Wissensschatz zusammengetragen. Zu den zahlreichen Perlen gehören Berichte über die Ermordung von Jean-Paul Marat im Jahr 1793, über Winston Churchills Rede in Zürich vor der akademischen Jugend, über die erste Mondlandung im Jahr 1969. Unter www.nzz.ch/archiv steht das Archiv allen Interessierten ab sofort digital zur Verfügung. Für Abonnenten ist die neue Dienstleistung kostenlos.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Der Sündenfall, oder: Arbeit ist der Sinn des Lebens.


Wahr ist, dass sich im Lauf der letzten Jahrtausende das Symbolnetz, das unsere Welt bedeutet, um eine Art Knoten geschürzt hat, der den Bedeutungen allen dieselbe Tendenz, dieselbe Fallrichtung mitgeteilt hat; um einen ‘Erhaltungswert höherer Ordnung’, alias ökonomischer Nutzen: den Tauschwert. Der hat alle andern Werte eingefärbt: ein Resultat der Arbeitsgesellschaft – ihrerseits eine Nische höherer Ordnung.

Als sie ihren Urwald verlassen hatten, lebten die ersten Menschen auf ihre Art, als Jäger und Sammler, “mit der Natur in Einklang”. Sie behandelten die Naturdinge als ihresgleichen, als beseelt und mit Willen begabt. Die erste Welt, die frühesten Symbole waren animistisch. Diese Art Sinngebung hat einen unübersehbar luxuriösen Zug: In der altsteinzeitlichen Kunst von Lascaux und Altamira kann man ihn sich anschauen.

Das Wanderleben war allerdings gefährlich: Bedeutend wurde Sicherung. Die einzige Sicherheit bot der soziale Zusammenhalt – die Blutsbande. Das Totem prägt die ursprünglichen Symboliken. Und weit bis in die Ackerbaugesellschaften beruhen die politischen Strukturen auf Verwandtschaftsbeziehungen; Athen und Rom etwa auf phyle und gens. Das Blut und der Boden sind der Grund von Wert und Sinn, in den antiken Mythologien streiten sich Erd- und Himmelsgötter wie die Bauern- und Hirtenvölker in der Wirklichkeit. Doch schließlich beherrscht die Arbeit die alltäglichen Urteile, durch Handel und Geldverkehr rückt das Abstraktum ‘Wert’ an die Stelle anschaulicher Qualitäten.

Am Anfang stand der Sündenfall. Als sich nämlich der Mensch in der offenen Welt, in die er jagend und sammelnd aufgebrochen war, festsetzte und dort sicherheitshalber eine neue, künstliche Umweltnische einrichtete. Das war die Erfindung des Ackerbaus vor vielleicht zwölftausend Jahren im Tal des Jordan, es war die Erfindung der Arbeit. Seither hat auch der Mensch ein Gefüge, in dem er funktionieren, und ein Maß, dem er reifen, für das er sich ausbilden muß.

Die vollendete, ‘ausgebildete’ Form der Arbeitsgesellschaft ist die Marktwirtschaft: Alles hat seinen Preis. Jetzt müssen die Arbeiten gegeneinander austauschbar, ihre Qualität muss mess- und vergleichbar sein. Die Nützlichkeit der einen Sache muß sich in der Nützlichkeit der andern Sache darstellen lassen. An die Stelle der Gebrauchswerte tritt der Tauschwert, der ‘Wert’ der Nationalökonomen: eine Art Nützlichkeit-an-sich.

Das ist die Logik der Arbeitsteilung: die Reduktion der Qualitäten auf komplex zusammengesetzte Quantitäten; das Absehen von der Stoff- und das Hervorkehren der Formseite; die Auflösung einer jeden Substanz in ihr Herstellungsverfahren; die Reduktion der Sache auf die Mache. Wir reden von “Tat”sachen, und wenn wir ihre ‘qualitas’ meinen, sagen wir “Beschaffen”- heit. Etwas “begreifen” heißt daher: es auf seine “Ursache” zurück führen.

Diese fabrizierte Umweltnische hat gegenüber den natürlichen eine Eigenart: Sie dehnt sich aus. Und bleibt dabei doch, wie sie ist! Alles ist gemacht. Und alles ist Material. Seit die Welt Material wurde, ist sie planbar. Seit durch die Arbeit das Leben nicht bloß Ereignis, sondern Plan geworden ist, wird die Welt zum Vorratslager.

Und zu einem Reich von Ursachen und Folgen. Man wird sie vermessen und kartieren wollen. Auch die Logik, als Ökonomie des Denkens, entstammt den vorsorglichen Plänen der Arbeitsgesellschaft.



Montag, 28. Oktober 2013

Bronzezeitlicher Weltuntergang erklärt?

aus New York Times, 23. 10. 2013


Pollen Study Points to Drought as Culprit in Bronze Age Mystery
Analysis of pollen grains taken from sediment beneath the Sea of Galilee have pinpointed the period of crisis that led to the Late Bronze Age collapse of civilization.

To the north lay the mighty Hittite empire; to the south, Egypt was thriving under the reign of the great Pharaoh Ramses II. Cyprus was a copper emporium. Greece basked in the opulence of its elite Mycenaean culture, and Ugarit was a bustling port city on the Syrian coast. In the land of Canaan, city states like Hazor and Megiddo flourished under Egyptian hegemony. Vibrant trade along the coast of the eastern Mediterranean connected it all.

Yet within 150 years, according to experts, the old world lay in ruins.

Experts have long pondered the cause of the crisis that led to the collapse of civilization in the Late Bronze Age, and now believe that by studying grains of fossilized pollen they have uncovered the cause.

In a study published Monday in Tel Aviv: Journal of the Institute of Archaeology of Tel Aviv University, researchers say it was drought that led to the collapse in the ancient southern Levant.
Theories have included patterns of warfare, plagues and earthquakes. But while climate change has long been considered a prime factor, only recently have advances in science given researchers the chance to pinpoint the cause and make the case.

The journal reports that an unusually high-resolution analysis of pollen grains taken from sediment beneath the Sea of Galilee and the western shore of the Dead Sea, backed up by a robust chronology of radiocarbon dating, have pinpointed the period of crisis to the years 1250 to 1100 B.C.

Unlike studies examining longer-term processes that may require a pollen analysis of strata 500 years apart, this pollen count was done at intervals of 40 years — the highest resolution yet in this region, said Prof. Israel Finkelstein of the Institute of Archaeology at Tel Aviv University.
He added that the uniqueness of the study also lay in the combination of precise science and archaeological and historical analysis, offering the fullest picture yet of the collapse of civilization in this area at the end of the Bronze Age.

“Egypt is gone. Forever,” Professor Finkelstein said. “It never got back to that level of prosperity again.”

The first recorded hint of trouble in the north came in the mid-13th century B.C., according to the study, when a Hittite queen wrote to Ramses II, saying, “I have no grain in my lands.”

Several years ago, Professor Finkelstein and Prof. Steve Weiner of the Weizmann Institute of Science in Israel received a grant from the European Research Council to conduct research aimed at reconstructing ancient Israel.

The project consists of 10 tracks, including ancient DNA and molecular archaeology — an effort to identify what 3,000-year-old ceramic vessels might have contained.

For the climate change part of the project, Professor Finkelstein joined forces with Dafna Langgut, a palynologist — or pollen researcher — at Tel Aviv University, and Prof. Thomas Litt of the Institute of Geology, Mineralogy and Paleontology at the University of Bonn in Germany.

Recent studies of pollen grains conducted by experts in southeast Anatolia, Cyprus, along the northern coast of Syria and the Nile Delta came up with similar results, though with less control over the chronology, indicating that the crisis was regional.

Dr. Langgut described in an interview how the team extracted about 60 feet of cores of gray muddy sediment from the center of the Sea of Galilee in northern Israel, passing through 145 feet of water and drilling 65 feet into the lake bed, covering the last 9,000 years. At Wadi Zeelim in the southern Judean Desert, on the western margins of the Dead Sea, the team manually extracted eight cores of sediment, each about 20 inches long.

“We carried them on our backs,” Dr. Langgut said.

Pollen grains are one of the most durable organic materials in nature, she said, best preserved in lakes and deserts and lasting thousands of years. Each plant produces its own distinct pollen form, like a fingerprint. Extracting and analyzing the pollen grains from each stratum allows researchers to identify the vegetation that grew in the area and to reconstruct climate changes.

The laboratory work was carried out partly in Bonn and partly in Tel Aviv. To obtain the most precise results possible, Professor Finkelstein instructed the Tel Aviv scientists to focus on the period of 3,500 B.C. to 500 B.C. and analyze samples at intervals of 40 years. The process began in 2010 and took three years.

The results showed a sharp decrease in the Late Bronze Age of Mediterranean trees like oaks, pines and carobs, and in the local cultivation of olive trees, which the experts interpret as the consequence of repeated periods of drought.

The study also draws on a case study by Prof. Ronnie Ellenblum, a geographer and historian at the Hebrew University of Jerusalem, of another regional collapse 2,000 years later to explain why, unlike in the steppe regions, a decrease in precipitation would have such a destructive effect on established city-states in green areas like Megiddo. The droughts were probably exacerbated by cold spells, the study said, causing famine and the movement of marauders from north to south.

After the devastation came a wet period of recovery and resettlement, according to the experts — a new order that gave rise to the kingdoms of biblical times.

“Understanding climate is key to understanding history,” said Professor Finkelstein, a co-author of “The Bible Unearthed,” a book published in 2001 that viewed the Bible as a national epic and a product of the human imagination. Taking issue with traditional efforts to use archaeology to verify the historicity of the biblical record, the authors promoted archaeology as a means of reconstructing the history of ancient Israel.

But biblical stories like Joseph’s interpretation of the pharaoh’s dream about seven fat cows being eaten by seven gaunt cows, signifying a period of abundance followed by famine, Professor Finkelstein said, “reflects the idea that climate is not stable.”

He added, “The authors of the Bible knew very well the value of precipitation and the calamity that may be inflicted on people by drought.”


pollen = Pollen 
draught = Trockenheit
 

Sonntag, 27. Oktober 2013

...der Vater vieler, vieler Dinge.

aus derStandard.at, 25. Oktober 2013, 12:38



Kriege sind der Entwicklungsmotor der Menschheit
Ian Morris sieht positive Entwicklungen der Menschheit von Gewalt getrieben

Wien - Kriege sind für die Entwicklung der Menschheit notwendig und damit nicht nur schlecht - mit dieser provokanten These lässt der Historiker Ian Morris von der US-Universität Stanford in seinem aktuellen Werk aufhorchen. Erst mit dem aus den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts resultierenden Weltsystem habe die Notwendigkeit zur Gewalt ihr Ende gefunden, sagte Morris, der auf Einladung des Bruno-Kreisky-Forum Wien besuchte.

Kontinuierliche Abnahme von Gewalt

Mit "Krieg. Wozu er gut ist" (Campus) legte der Forscher im Oktober eine sich über 20.000 Jahre erstreckende Untersuchung dar, die sich auf archäologische und historische Erkenntnisse stützt. Im Laufe der Menschheitsgeschichte sei die Gewalt immer weiter zurückgegangen, heißt es darin. Während in prähistorischen Zeiten noch zehn bis 20 Prozent der Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben seien, wären es im 20. Jahrhundert trotz großer Kriege und Genozide nur mehr 0,7 Prozent gewesen.

Möglich geworden sei diese Entwicklung laut Morris gerade durch Gewalt. Während primitive Gesellschaften ihre Konflikte um Ressourcen noch durch Weiterziehen lösen konnten, wurde nach Darstellung des Historikers durch Ackerbau und wachsende Bevölkerungszahlen Krieg immer unvermeidlicher. Das historische Paradox bestehe jedoch darin, dass danach die unterlegene Gesellschaft in die der Sieger integriert worden sei. Die neuen Herrscher hätten dann jeden Grund gehabt, weiteres Blutvergießen - wenn nötig gewaltsam - zu unterdrücken. Aus Jäger-und-Sammler-Stämmen von 20 Menschen wurde das Römische Imperium mit 70 Millionen Einwohnern, argumentiert Morris.

Friede durch Unterdrückung

In der Moderne hätten sich schließlich von Europa ausgehend Staatengebilde etabliert, die ganze Kontinente umspannten und diese durch Unterdrückung "befriedeten". Bereits das britische Weltreich habe eine ähnliche Hegemonialmacht entfaltet wie heute die USA, in einer Situation, die der heutigen erschreckend ähnlich sei, sagte Morris. Doch das Empire der Briten hatte mit Deutschland und anderen Mittelmächten starke Rivalen, es habe sich darum um eine "dysfunktionale Weltmacht" gehandelt. Die Folge war ein Weltkrieg mit 100 Millionen Toten.

Welche Rolle der Erste Weltkrieg für das Ende der Gewalt hatte, sei erst jetzt langsam abzusehen, glaubt Morris. Die beste Art, solche Abläufe zu betrachten, sei in Jahrhundert-Schritten. 1919 hätten die Siegermächte von einem guten, sinnvollen Krieg gesprochen. In den 1930ern, unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und des Aufstiegs des Faschismus hieß es wieder, der Krieg sei entsetzlich gewesen. Erst nach 1989 habe man den Großen Krieg nicht als singuläres Ereignis sehen können, sondern als Beginn eines "kurzen Jahrhunderts", an dessen Ende eine einzige Supermacht verblieben ist, die USA.

Für Morris sind die USA als "Weltpolizist" die beste Garantie für ein Ende der Gewalt auf globaler Ebene. Durch die Rolle der USA würden viele kleine, aber auch die Entwicklung hin zu einem weiteren großen Krieg verhindert weden. Das von ihr etablierte liberale, demokratische globale System sei das ideale Ergebnis der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts gewesen. "Das ist nicht das beste System, das es geben kann, aber es ist das beste, das wir kriegen werden", glaubt Morris. (APA, 25.10.2013)
 

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Auszeit für Wowereit.


Wie aus Rom bekannt wird, hat Papst Franz wider Erwarten den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit nicht seines Amtes erhoben, sondern hat ihm nur eine Auszeit verordnet, bis die bischöfliche Kommission geklärt hat, wie es zu der Kostenexplosion am Flughafen kommen konnte. In welchem Kloster Wowereit seine Buße tun wird, ist noch nicht bekannt.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Am Quell der Bürokratie.

aus NZZ, 22. 10. 2013                                                                                  Frank Lloyd Wright, Larkin Administration Building

Dialektik der Rationalisierung
Eine Tagung zur Geschichte des Büros

von Urs Hafner · Neigt sich die Ära des Büros, wie wir es kennen, dem Ende zu? Einiges spricht dafür. Die tonangebenden Firmen der Internetbranche machen aus dem Arbeitsplatz ein zweites Daheim, damit der Angestellte sich völlig mit seiner Firma identifiziere. Banken, Versicherungen und bundesnahe Betriebe wiederum heben aus Kostengründen die fixen Arbeitsplätze auf. Die Angestellten lassen sich im Grossraumbüro nieder, wo gerade Plätze frei sind, oder arbeiten auf ihren mobilen Geräten unterwegs und daheim.

Disziplinierung und Demokratisierung

Das moderne Büro entstand am Ende des 19. Jahrhunderts als Resultat und Motor der westlichen Rationalisierung und Bürokratisierung, wie eine zweitägige Konferenz deutlich machte, die letzte Woche in Bern im Schweizerischen Bundesarchiv stattfand (von diesem und dem Institut für populäre Kulturen der Universität Zürich organisiert). Das Kontor und die Kanzlei vereinigend, trennte das Büro für Männer und unverheiratete Frauen nun deutlich den Lebensraum vom Arbeitsort. Mit dem Taylorismus, der die Arbeitsabläufe wissenschaftlich optimierte, kam - zuerst in den progressiven Vereinigten Staaten - der «Bürosaal» auf. In fabrikähnlichen Räumen füllten Hunderte von Bürolistinnen und Beamten, unablässig auf ihre Schreibmaschinen hämmernd, Formulare aus und erledigten Korrespondenzen.


Adriana Kapsreiter (Berlin) malte die streng gerasterten Säle, in denen ein ohrenbetäubender Lärm geherrscht haben müsse, als Orte der totalen Disziplinierung und Überwachung aus, wo Menschen maschinengleich an «Taylor-Schreibtischen» arbeiteten, die jede überflüssige Bewegung und die Ablage unnützer Gegenstände verhinderten. Fast wie der Aufseher in Jeremy Benthams berüchtigtem «Panopticon» hatte der Vorsteher in seinem gläsernen Einzelbüro die Untergebenen, die keine Pause machen durften, permanent im Blick. Mit dieser Szenerie kontrastierte Kapsreiter die Ende der 1950er Jahre aufkommenden «Bürolandschaften», die einen deutlich freundlicheren Eindruck machen. Nun waren die Arbeitsplätze nicht mehr schematisch, sondern wie zufällig, gleichsam organisch angeordnet; zwischen den Tischen standen Blumenkisten und Stellwände, die vor Geräuschen schützten, eine Pausenecke lud mit Kissen zum Kaffee. Ob man freilich daraus eine Humanisierung der Arbeitswelt ablesen kann, wie dies die Referentin tat? Ihre Bilder schienen diese Entwicklung nahezulegen, doch sie sind, was sie nicht bedachte, fotografische Inszenierungen. Was in den Grossraumbüros tatsächlich geschah, verraten sie wohl kaum.


Dass die Rationalisierung der Arbeitswelt eine dialektische Sache ist, ging aus dem Vortrag von Christine Schnaithmann (Berlin) hervor. Sie stellte das nach Frank Lloyd Wrights Entwürfen 1906 in Buffalo erbaute Larkin-Gebäude vor, das die Büros der gleichnamigen Seifenfabrik beherbergte. Es wartete unter anderem mit einer Klimaanlage, möglichst einfach zu reinigenden Möbeln und neuartigen Toilettenschüsseln auf. Auch dieses Gebäude sei auf Effizienzsteigerung der Arbeitenden getrimmt gewesen, aber diese sollten sich zugleich wohl fühlen, betonte Schnaithmann. Ob sein Gebäude als schön galt oder nicht, sei für Frank Lloyd Wright zweitrangig gewesen; es habe vor allem «leben» müssen.

Auch in den Ausführungen Jens van de Maeles (Gent) zur Reform der belgischen Verwaltung in der Zwischenkriegszeit stach die Vielschichtigkeit der Rationalisierung hervor, wie sie schon Max Weber soziologisch beschrieben hat. In den monumentalen «perfekten Gebäuden», die Grossraumbüros und mehr Toiletten, Licht und Luft vorsahen (die aber aus finanziellen Gründen nie gebaut wurden), sollten die Angestellten effizienter arbeiten, zugleich aber die Vorgesetzten ihre räumlichen Privilegien verlieren und die Bürger Einblick in eine transparente Verwaltung gewinnen. Rationalisierung bedeutete hier neben Disziplinierung auch Demokratisierung.

Larkin Administration Building was designed in 1904 by Frank Lloyd Wright for the Larkin Soap Company of Buffalo, New York, at 680 Seneca Street

Die legendären USM-Büromöbel

Wie eine mit Demokratisierungsvorstellungen einhergehende Design-Innovation am Ende den Distinktionsbedürfnissen des Kaders zugutegekommen sei, legte Bernd Kulawik (Zürich) in seiner witzigen Hommage an die berühmten, 1965 auf den Markt gebrachten Schweizer USM-Büromöbel und deren Miterfinder Fritz Haller dar. Auch die schier unendlich kombinierbaren Module, deren Herzstück eine Messingkugel ist, sollten die Arbeitswelt flexibler, effizienter und demokratischer machen. Für die Sekretärin war der gleiche schlichte Tisch vorgesehen wie für den Chef. Doch heute sind USM-Möbel, wie die Werbekampagne glauben machen möchte, ein Statussymbol. Immerhin nicht mehr nur für Männer.



Montag, 21. Oktober 2013

Ausstellung zur Leipziger Völkerschlacht.

aus NZZ, 20. 10. 2013                                                                    Germania hält die Wacht am Rhein, 1860 gemalt von Lorenz Clasen.

Freiheitsdrang und Hassgesang
Leipzig gedenkt der Völkerschlacht und ihrer Folgen mit einer Ausstellung über «Helden nach Mass»

von Joachim Güntner · Zweihundert Jahre später hat das grosse Gemetzel seinen Schrecken verloren. Kaum ist zu verhindern, dass sich in das ernste Erinnern auch Spektakel mischt. Leipzig 2013 im Banne der Völkerschlacht von 1813 - das bedeutet Ansprache und Podiumsdiskussion, Festgottesdienst und Friedensmusik, Theater und Lichtspiel rund ums Völkerschlachtdenkmal, dazu jede Menge Ausstellungen bis in den Landkreis hinein. Ein monumentales 360-Grad-Panorama zeigt Leipzig nach dem Ende der Kämpfe: Am Horizont stehen die Dörfer in Flammen, die Gassen der Stadt fluten Geschlagene und Gestrandete. Aufruhr und Elend verschmelzen. Eine Zeitreise soll das dem Besucher bieten. Und weil die Sachsen eine närrische Freude an historischer Kostümierung haben, spielen mehr als sechstausend Laiendarsteller an diesem Sonntag in einer Senke des Umlands Krieg wie anno dazumal und stellen Gefechte nach, zum krönenden Beschluss der Gedenkwoche. Die Tribünenplätze für die Show sind längst ausverkauft.

Völkerschlachtbank

Dabei gibt es nichts zu feiern. Ein Leipziger Pfarrer brachte es dieser Tage auf den Punkt. Für Kriege gelte: «Es töten sich Menschen, die sich nicht kennen, im Auftrag von Menschen, die sich zwar kennen, aber nicht töten.» Neunzigtausend Tote forderte die vier Tage währende Völkerschlacht. Fast jeder fünfte Soldat verlor sein Leben. Ein solches Ausmass des Tötens in so kurzer Zeit hatte es in Europa bis dahin nicht gegeben. Nicht gerechnet die an Hunger und Seuchen Verstorbenen, die Verletzten und Verkrüppelten. Allein in Leipzig fand der preussische Arzt Johann Christian Reil Ende Oktober 1813 zwanzigtausend «kranke Krieger aller Nationen» vor, noch alle in blutigen Gewändern, ohne saubere Verbände, ohne Decken und Betten, zum Teil in ihrer eigenen Notdurft faulend. «Ihre Glieder sind, wie nach Vergiftungen, furchtbar angelaufen, brandig und liegen nach allen Richtungen neben den Rümpfen.» - Völkerschlacht? Völkerschlachtbank!

«Helden nach Mass» heisst Leipzigs offizielle, im Stadtgeschichtlichen Museum aufgebaute Jubiläumsausstellung. Die Schau inszeniert kein Schlachtengetümmel, sondern lenkt den Blick auf die Wirkungsgeschichte eines Mythos von damals bis heute. Denn als Höhepunkt und Triumph der antinapoleonischen Befreiungskriege hat die Völkerschlacht Geschichtsbilder gestiftet. Spätere Militärs und Politiker nahmen die Taten und Helden für ihre Zwecke in Beschlag. Historiker deuteten die Kämpfe als Erwachen eines grossen nationalen Freiheitsdrangs des deutschen Volkes.

Damals wurde «Vaterlandsliebe» zum politisch-ideologischen Programm. Der Einzelne sollte zu der Überzeugung gelangen, er sei seiner Heimat die Aufopferung von Leben und Eigentum schuldig. Die allgemeine Wehrpflicht, in Frankreich eine Folge des revolutionären Umsturzes von 1789, wurzelt in Deutschland im Pathos der Befreiungskriege. Preussen führte einen Tag nach der Kriegserklärung an Frankreich am 17. März 1813 die Landwehr ein. Patrioten, nicht Söldner waren gefragt. Freiwilligenverbände wie das Lützowsche Freikorps, vom Dichter Theodor Körner als «Lützows wilde Jagd» besungen, gingen ins populäre Liedgut ein und wurden zur Zugnummer deutscher Männerchöre des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ihrem Titel zum Trotz betreibt die Leipziger Ausstellung keine Heldenverehrung. «Nach Mass» gearbeitet erscheinen ihre Helden, weil sie sich nicht über einen Leisten schlagen lassen, sondern schillernde Figuren bleiben. Kräftige Spuren in einer zweihundertjährigen kollektiven Überlieferung hinterliessen sie alle, auch wenn heute mancher Name verblasst ist. Eine Folge von Kabinetten gliedert die Ausstellung thematisch. Die Stationen tragen Titel wie «Geistige Brandstifter», «Generäle mit Rückgrat» oder «Ikonen der Nation»; sie widmen sich nationalistischen Hasspredigern, die zugleich gegen Tyrannei und Leibeigenschaft wüteten, oder erinnern an mutige Gewissensentscheidungen und entschlossenes Handeln. Auf den Franzosen-Hasser Ernst Moritz Arndt und den als «Turnvater» bekannten, von Marx indes treffend «Turnwüterich» genannten Friedrich Ludwig Jahn folgen weitere Volkstümler und grimmige Patrioten, darunter der schon erwähnte Theodor Körner, ein gefühlvoller Poet, der als Kämpfer in Lützows Korps starb und in der Ausstellung eine Locke zurückgelassen hat.

Reformfreudige Generäle wie der «gelehrte» Scharnhorst, der als «Marschall Vorwärts» verehrte Blücher oder wie Gneisenau, der «Jakobiner in preussischer Uniform», geraten in den Blick. Auch markante Frauengestalten führt Leipzigs Museum vor, etwa die in Berlin kultisch verehrte Königin Luise, die 1807 nach verlorener Schlacht den Usurpator Napoleon erfolglos gebeten hatte, Preussen zu schonen. Mit der Waffe in der Hand zu Felde zog Eleonore Prochaska, die «Jeanne d'Arc von Potsdam». Frauen wie sie waren rar, mussten ihr unziemliches Tun mit Männerkleidung tarnen, und am Geschlechterverhältnis änderten sie nichts. In der Schau steht Prochaska nicht als Exempel für Gleichheit, sondern «für die Flut des Grimms». Dass sie es, wie ein Exponat zeigt, in Gestalt eines freizügig kostümierten Models von heute auch in den Pirelli-Kalender geschafft hat, dürfte freilich kaum der historischen Wahrheitsfindung dienen.

Mit Bogen- und Brückenschlägen zur Wirkungsgeschichte sorgt die Ausstellung dafür, dass das ideelle Erbe der Befreiungskriege fassbar wird. Immer stehen neben Exponaten, welche die Zeit um 1813 illustrieren, solche, in denen sich die Folgen spiegeln. Hartnäckig hält sich das Eiserne Kreuz als Tapferkeitsmedaille bis in die Gegenwart. Aus der Aktion «Gold gab ich für Eisen», bei welcher die Bevölkerung ihren Schmuck spendete, damit Kriegsfreiwillige gegen Napoleon ausgerüstet werden konnten, lernten später auch die Propagandisten des Ersten und Zweiten Weltkriegs, wie man patriotische Opferbereitschaft stimuliert.

In der DDR eine grosse Sache

BRD und DDR bedienten sich der historischen Gestalten auf je eigene Weise. Viele Exponate bezeugen diese Differenz. So vergab die Nationale Front der DDR für patriotische Leistungen eine Ernst-Moritz-Arndt-Medaille (ein Preisträger war der TV-Demagoge und antiwestliche Scharfmacher Karl-Eduard von Schnitzler), was von offizieller Seite in der Bundesrepublik nie gewagt worden wäre. Die DDR verstand sich als legitime Erbin der Freiheitskämpfer und beging das Jubiläum der Völkerschlacht regelmässig mit grossen Feiern. In der Bundesrepublik hatte die Deutung Vorrang, wonach die Befreiungskriege einen nationalistischen Furor entzündeten, mit dem noch die Nazis die Welt in Brand zu setzen vermochten. Heute dient die Völkerschlacht zur Mahnung, wie teuer uns Europas Frieden sein sollte. Aber da es dafür mittlerweile stärkere Menetekel gibt, dürfen in Leipzigs Gedenkwoche auch Gefechtskarneval und sonstige Spektakel nicht zu kurz kommen.

Helden nach Mass. Stadtgeschichtliches Museum, Leipzig. Bis 2. März 2014. Ausführlicher Katalog mit Essays zur Historie. 247 S., € 25.-.

Nota. 

'Völkerschlacht' ist ein zeitgenössischer Ausdruck. Doch bezeichnete er damals nicht (blutsverwandte) Nationen, sondern die vielen beteiligten Staatsvölker: Hessen, Sachsen, Bayern, Preußen; und auch wohl Russen, Österreicher und Franzosen. Aber nicht Franzosen und alle andern standen einander gegenüber, sondern das Gros der Streitkräfte bestand aus - Deutschen. 

Napoleons Grande Armée war auf dem Rückzug aus Russland weitgehend aufgerieben, seine rasch aufgebotenes neues Heer bestand zum weit überweigenden Teil aus Soldaten der mit dem Kaiser verbündeten Rheinbund-Staaten; unausgebildete junge Männer, die den alliierten Heeren nicht wirklich gewachsen waren. In der Hauptsache kämpften in Leipzig Deutsche gegen Deutsche - nicht ganz der Stoff, aus dem nationale Heldenepen gewoben werden.
J.E.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Chinas Wirtschaft wächst wieder.

aus NZZ, 19. 10. 2013

Erspriessliches aus China
Eine robuste Binnennachfrage und Infrastrukturinvestitionen stärken das Wirtschaftswachstum

Chinas Wirtschaftsleistung ist im dritten Quartal um 7,8 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gewachsen. Diese Zahlen entsprechen den Erwartungen. Wie lange die Erholung andauert, hängt aber von internen und externen Unsicherheiten ab.

von Markus Ackeret, Peking

Im eher kurzlebigen Geschäft der Marktbeobachter hat China wieder Oberwasser. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 7,8% gegenüber der Vorjahresperiode im dritten Quartal, das am Freitag in Peking vorgestellt wurde, hat die Erwartungen der Prognostiker erfüllt. Das ist auch ein gutes Zeichen für die Weltwirtschaft. Wenngleich die Zahl für die chinesischen Verhältnisse der vergangenen Jahre keine Euphorie auslöst, hat das Wachstum gegenüber dem Vorjahr erstmals seit Jahresbeginn wieder zugelegt. Hatten vor einigen Monaten noch Zweifel darüber bestanden, ob China das Jahresziel von 7,5% erreichen würde, scheint zumindest diese als Untergrenze gedachte Zielgrösse übertroffen zu werden. Davon ist auch Ministerpräsident Li Keqiang überzeugt, wie er dieser Tage sagte.

Mehr Bewegung im Inland

Hinter der leichten Erholung stehen verschiedene Faktoren. Das Wachstum der Industrieproduktion und der Detailhandelsverkäufe war sowohl im September als auch über die gesamten neun Monate dieses Jahres hinweg stabil. Vor allem die robuste Binnennachfrage beeinflusste beide Faktoren positiv, weil die Manufakturbetriebe wieder mehr Bestellungen aus dem Inland erhielten. Die Industrieproduktion wuchs im September um 10,2% gegenüber dem Vorjahresmonat, der Detailhandel um 13,3%. Für die gesamten neun Monate waren die Zahlen leicht niedriger.
 
 

Dass die städtischen Einkommen im Unterschied zum Vorjahr weniger stark anstiegen, wollte der Sprecher des nationalen Statistikamts nicht als beunruhigend verstanden wissen. Noch immer steigen die Löhne real an. Die forcierte Verstädterung könnte seiner Meinung nach neben der allgemeinen Wirtschaftslage eine Erklärung für das bescheidenere Wachstum sein. Wenn Personen aus ländlicher Umgebung zu Städtern werden, bringen sie zunächst ein geringeres Einkommen mit, da das Stadt-Land-Gefälle in China nach wie vor sehr gross ist.
 
Investitionen weiterhin zentral

Auf stabilem Niveau bewegten sich auch die Infrastrukturinvestitionen, die seit langem die treibende Kraft des rasanten chinesischen Wachstums sind. Obwohl es zum Programm der Regierung gehört, ihren Anteil am BIP-Wachstum zu verringern, trugen sie in den ersten neun Monaten 55,8% dazu bei, während der Binnenkonsum 45,9% beisteuerte. Die Zahlen lagen auch schon näher beisammen. Im Sommer hatte die Regierung, aus Sorge über allzu starke Bremsspuren, ein kleines Anreizprogramm für Infrastrukturinvestitionen aufgelegt, das sich vor allem auf den Bau von Eisenbahnlinien und U-Bahnen bezog. Das trug zum neuen Schwung bei. Die Meinungen darüber, ob solche Programme klug seien oder bloss zum Bau weiterer unnützer Infrastruktur beitrügen, sind geteilt. Unter Ökonomen wird auch darüber debattiert, ob nicht ohnehin wegen unzulänglicher Bemessung der Anteil des Konsums an der Wirtschaftsleistung zu gering veranschlagt wird.
 
Erwartete Strukturreformen

Auch jene, die für die Fortsetzung grosszügiger Infrastrukturinvestitionen plädieren, sehen jedoch die Notwendigkeit struktureller Reformen, im Finanzsektor, aber auch im Umgang mit den Staatskonzernen, Eigentumsrechten und dem diskriminierenden Meldewesen («Hukou»-System), das die Binnenmigration behindert. Grosse Erwartungen richten sich deshalb an das bevorstehende November-Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, das konkretere Hinweise auf die Wirtschaftspolitik der seit März amtierenden politischen Führung geben soll. Immer wieder haben der Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang in den vergangenen Monaten bekräftigt, für ein nachhaltigeres Wachstum auch ein gemächlicheres Tempo in Kauf zu nehmen.

Die Wachstumsperspektiven sind nicht nur deshalb von Zurückhaltung geprägt. Auch die externen Faktoren deuten an, dass das BIP im nächsten Quartal nicht mehr ganz so stark wachsen könnte. Die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank haben jüngst unter anderem wegen der sich abzeichnenden Änderung der amerikanischen Geldpolitik und deren Auswirkungen auf die Schwellenländer ihre Wachstumsprognosen für Asien gesenkt. China ist davon indirekt als Handelspartner aufstrebender südostasiatischer Staaten betroffen, die unter Turbulenzen an ihren Finanzmärkten gelitten haben.

Unter Beobachtung in China selbst stehen vor allem das Kreditwesen und der Immobilienmarkt. Im September ist das Kreditvolumen erneut angestiegen, vor allem auch im inoffiziellen Sektor der zum Teil schwer durchschaubaren Anlagevehikel und Trust-Loans. Dieser ist von den offiziellen Banken nicht klar zu trennen. Die Analytiker der UBS sehen im Kreditwachstum noch keine Gefahr, da es zuvor einen Rückgang gegeben hatte. Auch die Entwicklung des Immobilienmarkts, ein sozialpolitisch heikles Thema, beurteilen sie gelassen, obwohl die Verkäufe und damit auch die Preise wieder stärker ansteigen.


Samstag, 19. Oktober 2013

War wenigstens Stalins Industrialisierung ein Erfolg?

aus NZZ, 19. 10.                                                                                                                                        1. Fünfjahrplan

Von Stalin lernen heisst nicht siegen lernen

von Gerald Hosp · Es gab eine Zeit, als die Sowjetunion nicht nur wegen ihres Nuklearwaffenarsenals gefürchtet war, sondern auch wegen ihres Wirtschaftswachstums. Viele Ökonomen waren zur damaligen Zeit von der von oben verordneten Kollektivierung in der Landwirtschaft und der Industrialisierung unter Josef Stalin beeindruckt. Auch wenn die Stalinsche Wirtschaftspolitik als brutal erachtet wurde, fanden sich genügend Stimmen, die den verordneten Übergang der Arbeitskräfte von der Landwirtschaft in die Industrie lobten. Stalins Russland entwickelte sich wirtschaftlich besser als das zaristische Russland vor 1913, die Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt verdoppelten sich. Bis in die 1950er Jahren geisterte die Frage herum, wann denn die Sowjetunion die USA überholen würde. Daraus zogen auch Länder wie China und Indien Lehren, wie eine rückständige Wirtschaft zu mehr Wachstum geführt werden kann.

War aber Stalin tatsächlich notwendig für Russlands wirtschaftliche Entwicklung? Vier russische Ökonomen stellten sich in einer Studie diese Frage und kommen zu einem klaren Ergebnis: nein. Sie geben zu bedenken, dass die Entwicklung ohnehin stattgefunden hätte. Zudem sagen die Makrodaten auch nichts darüber aus, ob der einzelne Sowjetbürger von Stalins Politik profitiert hat. Um die Frage zu beantworten, greifen die Ökonomen in die Trickkiste: Sie berechnen eine kontrafaktische Wirtschaftsentwicklung in Russland; d. h. sie schauen sich an, wie die Sowjetunion ausgesehen hätte, wenn nur der Trend aus dem Zarenreich vor 1913 fortgesetzt worden wäre. Im Vergleich führte die Kollektivierung zu geringerer Produktivität und grossen Wohlfahrtseinbussen. Auch wenn der Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden hätte und Stalins Industrialisierung weitergegangen wäre, hätte sich die Wohlfahrt verringert. Dabei werden nur ökonomische Ergebnisse verglichen, menschliches Leid durch Hungersnöte und Repression wird bei dieser Rechnung gar nicht einkalkuliert. Von Stalin gibt es wahrlich nichts zu lernen.

Freitag, 18. Oktober 2013

Alles wie gehabt.

aus tagesschau.de, Stand: 18.10.2013 10:59 Uhr

"Die politische Faulheit setzt sich fort"
Die Zeichen stehen auf Große Koalition. Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn meint, eine Minderheitsregierung wäre die bessere Lösung. Er warnt im Gespräch mit tagesschau.de, unter der Großen Koalition gediehen politische Faulheit und Apathie.

...
 
Salzborn: Große Koalitionen segeln nicht selten unter der Flagge, "große Probleme" anzupacken - aber: Was sollen denn diese großen Probleme sein? Wir werden eine starke Dominanz der CDU/CSU erleben, die die SPD verschleißen wird. Und das, obwohl die Lage in Deutschland gar nicht so eindeutig ist: Bei den Wählerinnen und Wählern gibt es fast ein Patt zwischen den beiden großen politischen Lagern.
 
tagesschau.de: Wäre eine Minderheitsregierung nicht die bessere Alternative?
 
Salzborn: Es wäre eine Variante, in der Angela Merkel gezwungen würde, eigene Schwächen und Fehler nicht immer auf andere abwälzen zu können. Denn sie hat nicht nur reihenweise Minister aus den eigenen Reihen verschlissen, sondern letztlich auch machtstrategisch geschickt ihrem bisherigen Koalitionspartner für nahezu alle Mängel die Verantwortung zugeschoben, so dass die eigene Weste immer sauber blieb. Merkels Machtpolitik würde in einer Alleinregierung bei jeder Entscheidung öffentlich auch dafür in Regress genommen. Das täte der politischen Kultur, die in den letzten Jahren sehr in einem Einheitsbrei verkleistert ist, durchaus gut.
 
tagesschau.de: Warum gibt es eine solche Minderheitsregierung nicht in Deutschland?
 
Salzborn: Die Menschen in Deutschland haben einen seltsamen Hang zur Mitte. Sie wirkt ausgewogen und abwägend, deshalb wollen viele dazugehören. Dass die Mitte aber auch langweilig und spießig ist, mag man nicht hören. In diesem Spannungsfeld bewegt sich aber das Dilemma: Viele Menschen sind einfach sehr glücklich damit, auf die "da oben" zu schimpfen, sich zugleich aber bezogen auf die Erfolge einer dominanten Kanzlerin im nationalen Glanz mit zu sonnen - ohne dabei selbst aktiv werden zu müssen. Eine Minderheitsregierung würde gerade gesellschaftlich dazu herausfordern, aus der spießig-dösigen Idylle des kleinbürgerlichen Rebellen aufwachen zu müssen. Eine Alleinregierung der Unionsparteien als Minderheitsregierung würde objektiv dazu zwingen, wieder stärker zu polarisieren und damit den Menschen auferlegen, eigene Interessen auch wieder erkennen zu müssen, selbst Farbe zu bekennen, ob man für oder gegen etwas ist. In einer Großen Koalition wird sich nur das Gefühl der politischen Faulheit und Apathie bei vielen Menschen fortsetzen, die sich darauf verlassen, dass Merkel es schon richten wird. Insofern ist man in Deutschland zugleich zu feige und zu arrogant, um das Konzept einer Minderheitsregierung ernsthaft zu erwägen.
...

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de

 

Zur Person

Samuel Salzborn, geb. 1977, ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Demokratie. Theorien - Formen - Entwicklungen“ bei Nomos/UTB.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Konkurrenz und Karriere - in Wirtschaft und Wissenschaft.

institution logoSiegfried Fries  / pixelio.de


„Generation 35plus“: Zwischen hoffnungsfroh und fatalistisch
 
Stefanie Terp 
Stabsstelle Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Alumni
Technische Universität Berlin  

16.10.2013 15:22 

Die neue Studie „Generation 35plus – Aufstieg oder Abstieg? Hochqualifizierte und Führungskräfte in Wirtschaft und Wissenschaft“ aus dem Fachgebiet Medien- und Geschlechtersoziologie der TU Berlin zeigt, welche Motive die neue Führungsgeneration in Wissenschaft und Wirtschaft beschäftigt. Die Ergebnisse wurden am 16. Oktober 2013 im Rahmen einer Tagung vorgestellt und diskutiert.

Selbsterfüllung, Sinnstiftung und Gestaltungsfreiheit, so lauten die Schlagworte, die angeblich den Wertekanon der so genannten „generation y“, der nach 1980 Geborenen, ausmachen. Job, Gehalt, Aufstieg – diese Generation stellt demnach alles in Frage – nicht umsonst wird das deutsche y im Englischen so wie das englische Wort „why“ (warum) ausgesprochen. Ein so fundamentaler Wertewandel passiert jedoch nicht von heute auf morgen. Vorboten müssten sich jetzt schon bei der „Generation 35plus“ feststellen lassen – der Vorhut der eigentlichen „generation y“. Dazu zählen Berufstätige, die bereits einige Jahre im Arbeitsleben stecken, bestehende Strukturen kennen und die kommende Führungsgeneration darstellen. „Genau dieser Frage sind wir nachgegangen“, erzählt Prof. Dr. Christiane Funken, Leiterin des Fachgebiets Medien- und Geschlechtersoziologie an der TU Berlin. In einem Feldvergleich „Wirtschaft – Wissenschaft“ haben die wissenschaftliche Mitarbeiter Sinje Hörlin und Jan-Christoph Rogge jeweils zwischen 20 und 30 Personen aus den Arbeitsfeldern in Tiefeninterviews zu ihren Erfahrungen, ihren Motiven und ihrer Zukunftsplanung befragt. „Den Wertewandel als Universalerklärung für die sehr unterschiedlichen Karriere- und Lebensentwürfe der jüngeren Alterskohorten heranzuziehen, ist aus unserer Sicht eine unzutreffende Analyse“, so das Resümee von Prof. Funken.

Allen Befragten gemeinsam ist, dass sie sich in Führungspositionen oder Aufstiegspositionen befinden. Trotz dieser vergleichbaren Ausgangssituation kommt die Studie zu dem klaren Ergebnis: „Keineswegs ist unter den Angehörigen der ‚Generation 35plus‘ von gleichen Motiven auszugehen. Vielmehr zeigen sich vielfältige Reaktionen auf den strukturellen Wandel, die aber – wenn überhaupt – nur in Teilaspekten von den Medien aufgegriffen und dann fälschlicherweise als umfassender Einstellungs- und Wertewandel etikettiert werden“, so Prof. Funken. Ein größeres Bild zu erstellen und die strukturellen Bedingungen der Arbeitswelt mit den Einstellungen der Beschäftigten in Bezug zu setzen, ist das Ziel der jetzt abgeschlossenen Untersuchung, deren Ergebnisse die Arbeitsgruppe am 16. Oktober 2013 auf einer großen Abschlusskonferenz in Berlin präsentierte.

Wirtschaft: „Kulturvermittler“, „Dynamiker“ und „Entschleuniger“

In den Arbeitswelten Wissenschaft und Wirtschaft lassen sich fundamentale Veränderungen beobachten: Beide Felder sind fest im Griff von enormer Beschleunigung, hoher Leistungsverdichtung und einer starken Projektorientierung. Während allerdings in der Wissenschaft ein zentraler Aspekt – der drastisch verschärfte Wettbewerb – die Wahrnehmung dominiert, zeigt der Strukturwandel in der Wirtschaft seine Wirkung auf ganz unterschiedliche Weise. „Unter den Führungskräften in der Wirtschaft bilden sich drei Gruppen heraus“, so TU-Wissenschaftlerin Sinje Hörlin, „die wir unter die Schlagwörter ‚Kulturkritik‘, ‚Dynamik‘ und ‚Entschleunigung‘ zusammengefasst haben.“ Die Gruppe der „Kulturkritischen“ ist stark aufstiegsorientiert, zieht aber oft den Wechsel in ein kleineres oder mittelständisches Unternehmen in Erwägung. „Ursache ist meist der erlebte Widerspruch zwischen neuen unternehmerischen Leitbildern und den Bedingungen des Konzernumfelds, die es häufig unmöglich machen, diesen Leitbildern gerecht zu werden“, so Sinje Hörlin. Die ebenfalls karriereambitionierten „Dynamiker“ haben das unternehmerische Credo der fortwährenden Veränderungsbereitschaft zum Bestandteil ihrer eigenen Identität gemacht und halten sich bewusst alle Optionen offen. Dagegen ziehen die „Entschleuniger“ die Konsequenz aus massiver Leistungsverdichtung und der sich auflösenden Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben: Sie setzen ihrer Karriere ein bewusstes Ende. Vor allem die weiblichen Führungskräfte dieser Gruppe thematisieren die Kluft zwischen einer Arbeitswelt, die von der Flexibilität und der Autonomie ihrer Mitarbeitenden profitiert, ihren Mitarbeitenden aber oft genau diese Selbstbestimmung verweigert. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Führungspositionen in Teilzeit, ein Modell, das nach wie vor auf erhebliche Widerstände stößt.

Wissenschaft: „Fatalisten“, „Hoffnungsvolle“ und „Spielverweigerer“

Ganz anders in der Wissenschaft: Hier ist der alles dominierende Faktor die statistisch extrem verschlechterte Karrierechance, die jeden betrifft, der in diesem System arbeitet. Das deutsche Wissenschaftssystem kennt als einziges Karriereziel nach wie vor nur die Professur. „So sind in den vergangenen Jahren in der Wissenschaft rund 40.000 neue Stellen entstanden – aber nur rund 400 neue Professuren“, erläutert Jan-Christoph Rogge. „Diese ‚Monodirektionalität‘ sowie die Vermassung des wissenschaftlichen Nachwuchs gegenüber dem minimalen Angebot an Führungspositionen, führt zu einer unzumutbaren Belastung aller Angestellten und wirkt innovationsverhindernd“, ist Prof. Funken überzeugt. Einziges strukturierendes Merkmal in der Menge der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist demnach auch die jeweilige Reaktion des Individuums auf diesen Notstand.

Auch hier hat die Arbeitsgruppe drei potentielle Grundmuster erkannt und mit den Begriffen „Fatalisten“, „Hoffnungsvolle“ und „Spielverweigerer“ charakterisiert. Die „Hoffnungsvollen“ haben einen verhältnismäßig entspannten Umgang mit der beruflichen Unsicherheit gefunden und sind aus sich selbst heraus aufstiegsorientiert. Die „Fatalisten“ sehen sich den Strukturen des Wissenschaftssystems nahezu hoffnungslos ausgeliefert und zeigen eine erzwungene Aufstiegsorientierung. Die „Spielverweigerer“ dagegen verweigern eine dezidierte Aufstiegsorientierung. „Ihre Idealvorstellung wäre ein der Forschung gewidmetes Leben auf einer unbefristeten wissenschaftlichen Stelle – in der Realität sitzen sie dagegen aber eher auf befristeten Stellen“, erläutert Jan-Christoph Rogge. Alle Befragten in der Gruppe der „Hoffnungsvollen“ erfahren eine intensive Karriere-Förderung. Einerseits durch Mentoren oder Mentorinnen, andererseits durch einen starken privaten Partner, der im besten Falle viele emotionale und finanzielle Unsicherheiten, die der Wissenschaftsbetrieb mitbringt, abfedert. Interessante Nebenerkenntnis: Frauen sind in dieser Gruppe unterrepräsentiert. Insgesamt zeigt die Studie klar, dass trotz zahlreicher Programme wie das Professorinnen-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung oder die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Aufstieg im Wissenschaftssystem für Frauen nach wie vor weit schwieriger ist als für Männer.

„Die Attraktivität der Wissenschaft als Beruf hat unter dieser ‚Monodirektionalität‘ und dem stark verschärften Konkurrenzdruck erheblich gelitten“, ist TU-Professorin Christiane Funken überzeugt. „Der Verbleib in der Wissenschaft ist bei den von uns befragten ‚Überzeugungstätern‘, die sich bewusst für die Forschung entschieden haben, keine Frage mehr von Inhalten, sondern von materiellen Zwängen und der privaten Situation. Dass dieser Konkurrenzdruck zu einer Qualitätssteigerung in der Wissenschaft führt, darf bezweifelt werden“, so Prof. Funken. Letztlich steht damit nicht nur die Attraktivität der deutschen Wissenschaft auf dem Spiel, sondern auch ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

Katharina Jung

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Christiane Funken, TU Berlin, Institut für Soziologie, Fachgebiet Kommunikations- und Mediensoziologie, Geschlechterforschung, Tel.:030/314-28425, E-Mail: christiane.funken@tu-berlin.de