Erspriessliches aus China
Eine robuste Binnennachfrage und Infrastrukturinvestitionen stärken das Wirtschaftswachstum
Eine robuste Binnennachfrage und Infrastrukturinvestitionen stärken das Wirtschaftswachstum
Chinas Wirtschaftsleistung ist im dritten
Quartal um 7,8 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gewachsen. Diese
Zahlen entsprechen den Erwartungen. Wie lange die Erholung andauert,
hängt aber von internen und externen Unsicherheiten ab.
von Markus Ackeret, Peking
Im eher kurzlebigen Geschäft der
Marktbeobachter hat China wieder Oberwasser. Das Wachstum des
Bruttoinlandprodukts (BIP) von 7,8% gegenüber der Vorjahresperiode im
dritten Quartal, das am Freitag in Peking vorgestellt wurde, hat die
Erwartungen der Prognostiker erfüllt. Das ist auch ein gutes Zeichen für
die Weltwirtschaft. Wenngleich die Zahl für die chinesischen
Verhältnisse der vergangenen Jahre keine Euphorie auslöst, hat das
Wachstum gegenüber dem Vorjahr erstmals seit Jahresbeginn wieder
zugelegt. Hatten vor einigen Monaten noch Zweifel darüber bestanden, ob
China das Jahresziel von 7,5% erreichen würde, scheint zumindest diese
als Untergrenze gedachte Zielgrösse übertroffen zu werden. Davon ist
auch Ministerpräsident Li Keqiang überzeugt, wie er dieser Tage sagte.
Mehr Bewegung im Inland
Hinter der leichten Erholung
stehen verschiedene Faktoren. Das Wachstum der Industrieproduktion und
der Detailhandelsverkäufe war sowohl im September als auch über die
gesamten neun Monate dieses Jahres hinweg stabil. Vor allem die robuste
Binnennachfrage beeinflusste beide Faktoren positiv, weil die
Manufakturbetriebe wieder mehr Bestellungen aus dem Inland erhielten.
Die Industrieproduktion wuchs im September um 10,2% gegenüber dem
Vorjahresmonat, der Detailhandel um 13,3%. Für die gesamten neun Monate
waren die Zahlen leicht niedriger.
Dass die städtischen Einkommen im
Unterschied zum Vorjahr weniger stark anstiegen, wollte der Sprecher des
nationalen Statistikamts nicht als beunruhigend verstanden wissen. Noch
immer steigen die Löhne real an. Die forcierte Verstädterung könnte
seiner Meinung nach neben der allgemeinen Wirtschaftslage eine Erklärung
für das bescheidenere Wachstum sein. Wenn Personen aus ländlicher
Umgebung zu Städtern werden, bringen sie zunächst ein geringeres
Einkommen mit, da das Stadt-Land-Gefälle in China nach wie vor sehr
gross ist.
Investitionen weiterhin zentral
Auf stabilem Niveau bewegten sich
auch die Infrastrukturinvestitionen, die seit langem die treibende Kraft
des rasanten chinesischen Wachstums sind. Obwohl es zum Programm der
Regierung gehört, ihren Anteil am BIP-Wachstum zu verringern, trugen sie
in den ersten neun Monaten 55,8% dazu bei, während der Binnenkonsum
45,9% beisteuerte. Die Zahlen lagen auch schon näher beisammen. Im
Sommer hatte die Regierung, aus Sorge über allzu starke Bremsspuren, ein
kleines Anreizprogramm für Infrastrukturinvestitionen aufgelegt, das
sich vor allem auf den Bau von Eisenbahnlinien und U-Bahnen bezog. Das
trug zum neuen Schwung bei. Die Meinungen darüber, ob solche Programme
klug seien oder bloss zum Bau weiterer unnützer Infrastruktur beitrügen,
sind geteilt. Unter Ökonomen wird auch darüber debattiert, ob nicht
ohnehin wegen unzulänglicher Bemessung der Anteil des Konsums an der
Wirtschaftsleistung zu gering veranschlagt wird.
Erwartete Strukturreformen
Auch jene, die für die Fortsetzung
grosszügiger Infrastrukturinvestitionen plädieren, sehen jedoch die
Notwendigkeit struktureller Reformen, im Finanzsektor, aber auch im
Umgang mit den Staatskonzernen, Eigentumsrechten und dem
diskriminierenden Meldewesen («Hukou»-System), das die Binnenmigration
behindert. Grosse Erwartungen richten sich deshalb an das bevorstehende
November-Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, das
konkretere Hinweise auf die Wirtschaftspolitik der seit März amtierenden
politischen Führung geben soll. Immer wieder haben der Staats- und
Parteichef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang in den
vergangenen Monaten bekräftigt, für ein nachhaltigeres Wachstum auch ein
gemächlicheres Tempo in Kauf zu nehmen.
Die Wachstumsperspektiven sind
nicht nur deshalb von Zurückhaltung geprägt. Auch die externen Faktoren
deuten an, dass das BIP im nächsten Quartal nicht mehr ganz so stark
wachsen könnte. Die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank haben
jüngst unter anderem wegen der sich abzeichnenden Änderung der
amerikanischen Geldpolitik und deren Auswirkungen auf die
Schwellenländer ihre Wachstumsprognosen für Asien gesenkt. China ist
davon indirekt als Handelspartner aufstrebender südostasiatischer
Staaten betroffen, die unter Turbulenzen an ihren Finanzmärkten gelitten
haben.
Unter Beobachtung in China selbst
stehen vor allem das Kreditwesen und der Immobilienmarkt. Im September
ist das Kreditvolumen erneut angestiegen, vor allem auch im
inoffiziellen Sektor der zum Teil schwer durchschaubaren Anlagevehikel
und Trust-Loans. Dieser ist von den offiziellen Banken nicht klar zu
trennen. Die Analytiker der UBS sehen im Kreditwachstum noch keine
Gefahr, da es zuvor einen Rückgang gegeben hatte. Auch die Entwicklung
des Immobilienmarkts, ein sozialpolitisch heikles Thema, beurteilen sie
gelassen, obwohl die Verkäufe und damit auch die Preise wieder stärker
ansteigen.
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