Freitag, 18. Oktober 2013

Alles wie gehabt.

aus tagesschau.de, Stand: 18.10.2013 10:59 Uhr

"Die politische Faulheit setzt sich fort"
Die Zeichen stehen auf Große Koalition. Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn meint, eine Minderheitsregierung wäre die bessere Lösung. Er warnt im Gespräch mit tagesschau.de, unter der Großen Koalition gediehen politische Faulheit und Apathie.

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Salzborn: Große Koalitionen segeln nicht selten unter der Flagge, "große Probleme" anzupacken - aber: Was sollen denn diese großen Probleme sein? Wir werden eine starke Dominanz der CDU/CSU erleben, die die SPD verschleißen wird. Und das, obwohl die Lage in Deutschland gar nicht so eindeutig ist: Bei den Wählerinnen und Wählern gibt es fast ein Patt zwischen den beiden großen politischen Lagern.
 
tagesschau.de: Wäre eine Minderheitsregierung nicht die bessere Alternative?
 
Salzborn: Es wäre eine Variante, in der Angela Merkel gezwungen würde, eigene Schwächen und Fehler nicht immer auf andere abwälzen zu können. Denn sie hat nicht nur reihenweise Minister aus den eigenen Reihen verschlissen, sondern letztlich auch machtstrategisch geschickt ihrem bisherigen Koalitionspartner für nahezu alle Mängel die Verantwortung zugeschoben, so dass die eigene Weste immer sauber blieb. Merkels Machtpolitik würde in einer Alleinregierung bei jeder Entscheidung öffentlich auch dafür in Regress genommen. Das täte der politischen Kultur, die in den letzten Jahren sehr in einem Einheitsbrei verkleistert ist, durchaus gut.
 
tagesschau.de: Warum gibt es eine solche Minderheitsregierung nicht in Deutschland?
 
Salzborn: Die Menschen in Deutschland haben einen seltsamen Hang zur Mitte. Sie wirkt ausgewogen und abwägend, deshalb wollen viele dazugehören. Dass die Mitte aber auch langweilig und spießig ist, mag man nicht hören. In diesem Spannungsfeld bewegt sich aber das Dilemma: Viele Menschen sind einfach sehr glücklich damit, auf die "da oben" zu schimpfen, sich zugleich aber bezogen auf die Erfolge einer dominanten Kanzlerin im nationalen Glanz mit zu sonnen - ohne dabei selbst aktiv werden zu müssen. Eine Minderheitsregierung würde gerade gesellschaftlich dazu herausfordern, aus der spießig-dösigen Idylle des kleinbürgerlichen Rebellen aufwachen zu müssen. Eine Alleinregierung der Unionsparteien als Minderheitsregierung würde objektiv dazu zwingen, wieder stärker zu polarisieren und damit den Menschen auferlegen, eigene Interessen auch wieder erkennen zu müssen, selbst Farbe zu bekennen, ob man für oder gegen etwas ist. In einer Großen Koalition wird sich nur das Gefühl der politischen Faulheit und Apathie bei vielen Menschen fortsetzen, die sich darauf verlassen, dass Merkel es schon richten wird. Insofern ist man in Deutschland zugleich zu feige und zu arrogant, um das Konzept einer Minderheitsregierung ernsthaft zu erwägen.
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Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de

 

Zur Person

Samuel Salzborn, geb. 1977, ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Demokratie. Theorien - Formen - Entwicklungen“ bei Nomos/UTB.

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