"Die politische Faulheit setzt sich fort"
Die Zeichen stehen auf Große Koalition.
Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn meint, eine
Minderheitsregierung wäre die bessere Lösung. Er warnt im Gespräch mit tagesschau.de, unter der Großen Koalition gediehen politische Faulheit und Apathie.
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Salzborn: Große Koalitionen
segeln nicht selten unter der Flagge, "große Probleme" anzupacken -
aber: Was sollen denn diese großen Probleme sein? Wir werden eine starke
Dominanz der CDU/CSU erleben, die die SPD verschleißen wird. Und das,
obwohl die Lage in Deutschland gar nicht so eindeutig ist: Bei den
Wählerinnen und Wählern gibt es fast ein Patt zwischen den beiden großen
politischen Lagern.
tagesschau.de: Wäre eine Minderheitsregierung nicht die bessere Alternative?
Salzborn: Es wäre eine Variante,
in der Angela Merkel gezwungen würde, eigene Schwächen und Fehler nicht
immer auf andere abwälzen zu können. Denn sie hat nicht nur reihenweise
Minister aus den eigenen Reihen verschlissen, sondern letztlich auch
machtstrategisch geschickt ihrem bisherigen Koalitionspartner für nahezu
alle Mängel die Verantwortung zugeschoben, so dass die eigene Weste
immer sauber blieb. Merkels Machtpolitik würde in einer Alleinregierung
bei jeder Entscheidung öffentlich auch dafür in Regress genommen. Das
täte der politischen Kultur, die in den letzten Jahren sehr in einem
Einheitsbrei verkleistert ist, durchaus gut.
tagesschau.de: Warum gibt es eine solche Minderheitsregierung nicht in Deutschland?
Salzborn: Die Menschen in
Deutschland haben einen seltsamen Hang zur Mitte. Sie wirkt ausgewogen
und abwägend, deshalb wollen viele dazugehören. Dass die Mitte aber auch
langweilig und spießig ist, mag man nicht hören. In diesem
Spannungsfeld bewegt sich aber das Dilemma: Viele Menschen sind einfach
sehr glücklich damit, auf die "da oben" zu schimpfen, sich zugleich aber
bezogen auf die Erfolge einer dominanten Kanzlerin im nationalen Glanz
mit zu sonnen - ohne dabei selbst aktiv werden zu müssen. Eine
Minderheitsregierung würde gerade gesellschaftlich dazu herausfordern,
aus der spießig-dösigen Idylle des kleinbürgerlichen Rebellen aufwachen
zu müssen. Eine Alleinregierung der Unionsparteien als
Minderheitsregierung würde objektiv dazu zwingen, wieder stärker zu
polarisieren und damit den Menschen auferlegen, eigene Interessen auch
wieder erkennen zu müssen, selbst Farbe zu bekennen, ob man für oder
gegen etwas ist. In einer Großen Koalition wird sich nur das Gefühl der
politischen Faulheit und Apathie bei vielen Menschen fortsetzen, die
sich darauf verlassen, dass Merkel es schon richten wird. Insofern ist
man in Deutschland zugleich zu feige und zu arrogant, um das Konzept
einer Minderheitsregierung ernsthaft zu erwägen.
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Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de
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