Freitag, 4. Oktober 2013

War die Antike gewalttätiger als die Gegenwart?



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Antike Bilder der Gewalt
 - Feier des Furors


Luise Dirscherl  
Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München 

30. 9. 2013

Schinden und schänden, foltern und pfählen: Antike Bilder und Texte schildern eine Welt voll extremer Gewalt. In seinem neuen Buch erklärt der Althistoriker Martin Zimmermann, welche Funktion die Ästhetik der Grausamkeit hatte.

Und wieder holt der Henker zum Axthieb aus. Vor ihm liegen bereits Tote mit abgeschlagenen Köpfen, doch die römische Soldateska hat noch weit mehr Opfer zusammengetrieben, sie warten auf ihre Exekution. Drüben schleppen Soldaten Frauen fort, um sie zu vergewaltigen, während sich ihre Kinder an sie klammern. Die blutigen Bilder zeigen die ganze Grausamkeit eines antiken Vernichtungskrieges – doch nicht um ihn zu verurteilen, sondern zur öffentlichen Feier des Furors. Die Gewaltexzesse, dargestellt in einem langen Reliefband, schmücken die Säule, die Kaiser Mark Aurel zur Würdigung seiner militärischen Siege in Auftrag gegeben hatte.

„Die Gewaltbilder dienten auch in Friedenszeiten der inneren Ordnung, denn sie vermittelten ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität“, erklärt Martin Zimmermann, Althistoriker an der LMU. Die äußeren Feinde des Reiches, vulgo die Barbaren, mit aller Härte zu verfolgen, sei „kein leeres Versprechen“ – das sollten die Bilder demonstrieren: die militärische Grausamkeit sei gleichsam Teil des Gesellschaftsvertrags.

Die Konturen der Gemeinschaft

Seit gut zehn Jahren durchforstet Zimmermann antike Texte, sichtet antike Zeugnisse bildender Kunst und Architektur nach den Bildern der Barbarei. Jetzt hat er die Zusammenschau in seinem neuen Buch Gewalt. Die dunkle Seite der Antike verdichtet. Es ist indes keine Geschichte der Gewalt, sondern ein Abriss antiker Gewaltdarstellungen und ihrer Funktion. Zimmermann untersucht die „Kommunikation über Gewalt“, sie sei „ein Schlüssel zum besseren Verständnis antiker Kulturen“. Die Texte offenbarten soziale, politische und kulturelle Positionen, die mithilfe der Gewaltdarstellungen formuliert werden, „um der Gemeinschaft ethisch-moralische Konturen zu geben“. Sie erzählten nichts über tatsächlich verübte Gewalt.

Die griechische Antike, so zeigt Zimmermann ausführlich, kennt irritierend detailreiche Darstellungen exzessiver Gewalt. Homers Ilias etwa, die literarische Referenzgröße für die gesamte Antike, besteht zum überwiegenden Teil aus Schlachtengemälden und der minutiösen Beschreibung vom Kämpfen und Sterben heldenhafter Krieger. Angesichts realer militärischer Bedrohungen vermittelten die drastischen Darstellungen heroische Kampfbereitschaft, proklamierten soldatische Tugenden, Wehrhaftigkeit und Entschlossenheit als Maßstab, auch wenn sie von einer vergangenen, von der Lebenswelt der Hörer weit entfernten Zeit erzählten.

Überhaupt dienen Schilderungen von Gewaltexzessen in der griechischen Antike dazu, eine gesellschaftliche Ordnung zu behaupten. Sie signalisieren, welche Taten „den Referenzrahmen der Gemeinschaft sprengen“. Die Frage, welchen Ort physische Gewalt in der Weltordnung und der menschlichen Gemeinschaft hat, verhandeln vor allem auch die antiken Tragödien von Autoren wie Aischylos, Sophokles und Euripides.

Bleibt am Ende die Frage, die auch Zimmermann immer wieder sich und seinen Studenten gestellt hat: War die Antike nun gewalttätiger als die Gegenwart? Eindeutig nein, meint der Althistoriker. Schließlich sei eines sicher: Als Zeugnisse realer Gewalt taugen die überschießenden antiken Darstellungen wenig. „Wir können schlicht nicht benennen, was tatsächlich geschehen ist.“ Und viele sähen die Höhepunkte staatlich legitimierter Gewaltexzesse, das unterstreicht auch Zimmermann, ohnehin mit einigem Recht im 20. Jahrhundert.

Publikation:
Martin Zimmermann
Gewalt. Die dunkle Seite der Antike
Deutsche Verlags-Anstalt, 416 Seiten
ISBN 978-3-421-04471-6

Kontakt:
Prof. Dr. Martin Zimmermann
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Tel.: 089 2180-5385
E-Mail: Martin.Zimmermann@lrz.uni-muenchen.de 



Nota.

Ich kann mir nicht helfen - ich sehe da doch einen Unterschied zwischen  einer Zeit und einer Gesellschaft, die Grausamkeiten darstellt, „um der Gemeinschaft ethisch-moralische Konturen zu geben“, und einer Zeit und Gesellschaft, die ihre Grausamkeiten zu verbergen sucht - wie es der Nationalsozialismus wie der Stalinismus immerhin getan haben. 
J.E. 

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